"Du bist geliebt", Foto: Rod Long (Unsplash)

Ergebnisoffene Konversionstherapie?

Die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) steht trotz neuer Erkenntnisse aus der Forschung hinter der Konversionstherapie. Sie soll nur nicht mehr so heißen und sei natürlich „ergebnisoffen“.

Meine Begegnungen mit den Vertretern der sogenannten Konversionstherapie liegen einige Jahre zurück. Mehrere davon waren tatsächlich erfahrene und gute Therapeuten bzw. Seelsorger, von denen ich manches gelernt habe, was mir bis heute hilft. Kein Wunder also, dass ich auch ihren Aussagen über Homosexualität lange, viel zu lange geglaubt habe.

Einer dieser Seelsorger hat Homosexualität mit Kannibalismus verglichen: So wie manche Kannibalen ihre Opfer verzehren, damit deren Stärken auf sie übergeht, würden sich homosexuelle Menschen Partner des gleichen Geschlechts suchen, um sich deren Stärken einzuverleiben und damit ihre eigenen Defizite auszugleichen. Ich fand den Vergleich damals tatsächlich treffend und hilfreich. Heute sehe ich das natürlich völlig anders.

Es ist ja eine gute Sache, wenn sich Partner in ihren jeweiligen Stärken ergänzen und damit die Schwächen des Anderen ausgleichen. Aber durch den Vergleich mit Kannibalismus bekommt diese an sich gute Sache einen derart negativen Spin, dass man sie nur noch angewidert ablehnen kann. Ich glaube, das ist das Grundprinzip so ziemlich jeder Konversionstherapie: Man gibt der Idee einer gleichgeschlechtlichen Beziehung einen extrem negativen Spin, sodass der Verzicht auf eine solche Beziehung als einzige vernünftige oder anständige Möglichkeit übrig bleibt.

Das Verbot derartiger Therapieversuche wird mittlerweile auf allen Ebenen diskutiert: Das Europäische Parlament hat sich dafür ausgesprochen, und sowohl der derzeitige Gesundheitsminister als auch mehrere Landesregierungen haben Gesetzentwürfe dafür angekündigt.

Die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) wendet sich offiziell gegen ein solches Verbot. In einer Mitteilung vom 12. Juni erklärt sie einerseits, solche Therapien würden bei evangelikalen Christen und christlichen Werken nicht stattfinden. Andererseits wird gefordert, dass eine „ergebnisoffene“ Beratung möglich sein müsste, und dass das geplante Gesetz diese verhindern würde.

Der Trick ist offensichtlich: Die Veränderung der sexuellen Orientierung wird nicht mehr als Ziel, sondern nur als mögliches Ergebnis einer Therapie dargestellt. Gleichzeitig arbeitet man in derselben Mitteilung am erwähnten negativen Spin, indem man dem angeblich so guten Wirken der einschlägigen christlichen Organisationen die Gefahren der „sexsüchtigen Schwulenszene“ gegenüberstellt.

„Ergebnisoffen“ kann eine Therapie nur dann sein, wenn es keine klaren, wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, welche Therapieschritte wirksam sind und welche nicht. Wer zum Arzt oder Therapeuten geht, erwartet in den meisten Fällen keine „ergebnisoffene Beratung“, sondern die konsequente Durchführung der angezeigten und allgemein anerkannten Diagnose- und Therapieschritte.

Wo die Wissenschaft längst geklärt hat, dass ein Therapieziel hilfreich und ein anderes schädlich ist, ist eine ergebnisoffene Beratung ein gravierender fachlicher Fehler. Die Evangelische Allianz fordert nichts anderes als die Erlaubnis zur vorsätzlichen Stümperei in Therapie und Seelsorge.

Wie konnte es dazu kommen, dass eine der bedeutendsten christlichen Organisationen Deutschlands so etwas fordert? Ich denke, die Idee einer christlich-seelsorgerlichen Konversionstherapie war ursprünglich eine sehr menschenfreundliche. Im Jahr 1957 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass der Paragraph 175 des Strafgesetzbuchs nicht im Widerspruch zum Grundgesetz steht. Ein Urteil, für das man sich heute schämen muss, wie der derzeitige Präsident eben jenes Gerichts zutreffend feststellt. Aber ein Urteil, das durchaus dem gesellschaftlichen Konsens seiner Zeit entsprach: Homosexualität galt als verabscheuungswürdig und verwerflich.

Wohlmeinende Christen sahen das Dilemma der Betroffenen und sagten sich: Wenn Gott jeden Menschen liebt, aber Homosexualität ablehnt, dann muss es für homosexuelle Menschen einen Ausweg aus diesem Dilemma geben, einen Weg, an dessen Ende eine erfüllte, heterosexuelle Beziehung steht. Ich bin überzeugt, dass dieser Weg der Konversionstherapie in bester Absicht beschritten wurde. Mittlerweile ist aber jenseits jeden vernünftigen Zweifels klar, dass es sich um einen Irrweg handelte.

Und trotzdem halten viele Christen an den beiden zugrunde liegenden Thesen fest, an der Verwerflichkeit gleichgeschlechtlicher Beziehungen und an der Liebe Gottes zu jedem Menschen. Die Konversionstherapie ist das verbleibende Bindeglied zwischen beiden Thesen. Die einzige Möglichkeit, dass beide Thesen gleichzeitig wahr sein können. Dass manche Ansichten in Bezug auf Homosexualität, die vor zwanzig Jahren noch christlicher Konsens waren, heute nicht mehr aufrecht erhalten werden können, ist auch den Vertretern der Evangelischen Allianz klar. Das sind ja keine schlechten oder böswilligen Menschen.

Die Forderung nach angeblich ergebnisoffenen Beratungen in Verknüpfung mit dem ausschließlich negativen Blick auf gleichgeschlechtliche Beziehungen ist der ziemlich offensichtliche Versuch, die Idee von Konversionstherapien zu retten, ohne sie so nennen zu müssen. Ein Versuch, den Irrweg zu leugnen, um ihn nicht wirklich verlassen zu müssen.

Der Preis dafür, diesen Irrweg einzugestehen und zu verlassen, ist sehr hoch. Es geht hier nicht nur um persönliche Eitelkeiten. Es geht um berufliche Karrieren und um Lebenswerke. Es geht um Institutionen. Wenn führende Vertreter der Evangelischen Allianz die Konversionstherapie als Irrweg ablehnen und in Konsequenz Homosexualität als von Gott gewollt anerkennen, kann das das Ende der Deutschen Evangelischen Allianz in ihrer derzeitigen Form bedeuten. Ich denke, das haben Ulrich Parzany und seine Anhänger sehr deutlich gemacht.

Ich fürchte, in der Praxis wird ein Verbot von Konversionstherapien zunächst wenig bewirken. Die einschlägigen christlichen Organisationen haben sich längst für ihren Weg entschieden: Sie werden ihre Absichten verschleiern und leugnen, sie werden das Verbot umgehen und brechen. Und ich denke, sie werden damit weitgehend durchkommen, denn bei Therapie oder Seelsorge, beim geschützten Gespräch zwischen Berater und Ratsuchenden darf der Staat nicht lauschen.

Trotzdem sehe ich Gutes im Verbot, weil es klare Grenzen schafft zwischen Weg und Irrweg, weil es die, die Unrecht tun, auch offiziell ins Unrecht setzt, und weil es auf diesem Weg vielleicht das eine oder andere christliche Gewissen beunruhigt oder aufrüttelt. Für mich hätte ein solches Verbot manche Lüge entlarvt, es hätte mich früher zum Nachdenken und auch früher zur Umkehr gebracht. Es hätte mir vermutlich viel Leid erspart.

Dass die einschlägigen Organisationen versuchen, ihren Weg unter anderem Namen weiterzugehen, war leider zu erwarten. Dass sich die Evangelische Allianz derart leicht vor deren Karren spannen lässt, erschreckt mich trotzdem. Die christliche Antwort auf einen erkannten Irrweg ist nicht die minimal mögliche Richtungskorrektur, sondern Buße und Umkehr.

Die Evangelische Allianz und ihre Vertreter haben als wichtigste Organisation freikirchlicher Christen in Deutschland Vorbildcharakter. In der Frage der Konversionstherapie bieten sie vor allem ein Vorbild in Starrsinn und Wagenburgmentalität, und viele Christen eifern ihnen darin nach. Solange sie nicht dazu bereit und willens sind, ein Vorbild in Buße und Umkehr zu sein, werden weiterhin LGBTQ+-Christen den Glauben an einen liebenden Gott und in manchen Fällen auch den Willen zu leben verlieren.