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„Erhebt eure Stimmen und nehmt das nicht einfach so hin!“

Der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose hat ein Buch über das politisch engagierte Christentum geschrieben. Wir haben mit ihm über junge Prophet_innen, die Diskursverschiebung nach Rechts und bayerische Politiker gesprochen.

Eule: Herr Hose, mir ist beim Lesen aufgefallen, dass es in vielen Kapiteln ihres neuen Buches eine ganz starke Thematisierung der Generationenfrage gibt. Haben die Babyboomer, die Eltern der Millennials, uns in diese Misere geführt?

Hose: Ich habe zumindest auch Zeiten einer ausgesprochen unpolitischen Generation in Erinnerung. Wobei es immer auch gefährlich ist, ein Urteil über eine andere Generation zu fällen. Es war jedenfalls schon schwieriger, Menschen für politische Themen zu interessieren, gerade unter denen, die sich für kirchliche Themen interessieren oder gar Theologie studieren.

Dass wir in dieser politischen Situation sind, hat verschiedene Ursachen: Eine ist aber schon, dass es mehrere Generationen gab, die Demokratie für etwas Selbstverständliches gehalten haben, die gerne die Errungenschaften und Privilegien mitgenommen haben, aber vielleicht gar nicht mehr wahrgenommen haben, dass die Demokratie auch persönlichen Einsatz, ja, Pflege braucht. Und, dass es auch eine Infragestellung dieser Privilegien braucht.

Das hat sich wieder klar gewandelt. In meiner Jugendzeit in den 1980er-Jahren habe ich das so erlebt, mit der Nachrüstungsdebatte und der Gründungszeit der Grünen. Davon erlebe ich jetzt ein Revival und dazwischen gab es schon eine Zeit, in der man die Demokratie für selbstverständlich hielt.

Eule: Von Bertolt Brecht stammt der Satz: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“ Wenn wir uns umschauen und feststellen, dass wir wieder Menschen brauchen, die laut werden, heißt das dann, dass es ganz schlecht um unsere Demokratie bestellt ist?

Hose: Zumindest verändert sich die Demokratie. Wir erleben im Moment, dass es Kräfte gibt innerhalb der Demokratie, die sie ausnutzen, z.B. Parteien wie die AfD, um ein anderes, ein autoritäres und antiliberales demokratisches System herzustellen. Also vielleicht wird nicht die Demokratie als Staatsform abgelöst, aber die Füllung ändert sich doch drastisch.

Wir sehen eine massive Diskursverschiebung nach Rechts. Es werden Dinge für selbstverständlich erachtet – quer durch alle Parteien -, die noch vor wenigen Jahren völlig undenkbar waren. Parteien graben Begriffe wie „Patriotismus“ und „Heimat“ aus, in Reaktion vor allem auf die AfD, weil man denen nicht das Feld überlassen will. Die Themen werden von Rechts vorgegeben, die anderen versuchen das einzuholen. Ich möchte nicht in einer Demokratie leben, in der bewiesen werden muss, wer der größere Patriot ist. Da ist noch nicht unmittelbar die Staatsform in Gefahr, aber sehr wohl das, was die liberale und offene Demokratie ausmacht.

Eule: Sie benutzen im Buch häufig den Begriff der Prophet_in. Ein alttestamentlicher Begriff, der nicht zum normalen Sprachgebrauch junger Menschen gehört. Gerade unter ihnen finden sie die Prophet_innen unserer Zeit.

Hose: Und genau deshalb passt der Begriff, weil im Alten Testament immer wieder beschrieben wird, dass gerade diejenigen zu Propheten erwählt werden, die sich selber nie als solche begriffen hätten. Es werden ja gerade nicht die berufen, die Religion verwalten, sondern Gestalten, die aus ganz anderen Kontexten kommen. Da gibt es eine Ähnlichkeit zu vielen Leuten in der jüngeren Generation.

Das Prophetische zeichnet sich für mich dadurch aus, dass da Menschen auftreten, die Sätze formulieren, die über die eigene Person und die eigenen Bedürfnisse hinaus gehen. Wenn ich mir z.B. die Proteste in den USA als Reaktion auf die Schulmassaker anschaue: Da höre ich immer wieder Sätze, in denen es um ein neues Bild von der Gesellschaft und von der Zukunft geht, um kommende Generationen. Das finde ich sehr prophetisch! Also, nicht nur eigene Bedürfnisse zu formulieren, sondern darüber hinaus weiterreichende Formulierungen zu wählen.

Eule: Und die gibt es auch in Deutschland?

Hose: Ja, ich erlebe das immer wieder. Sei es hier in der Hochschulgemeinde oder auch in anderen Kontexten, wo ich auf Jugendliche treffe. Auch auf der Straße, bei der Antifa. Da gibt es ja nicht nur Steinewerfer, sondern auch Leute, die Gewalt sehr kritisch sehen. Da sehe ich viele Leute, mit denen ich in Kontakt stehe, die sich bewusst als Antifaschisten in einem sehr weiten historischen Kontext verstehen.

Eule: Mich erinnert das an das Konzept der latenten Kirche bei Paul Tillich, der meint, dass es gerade jene Gruppierungen sind, die der Institution Kirche vielleicht sogar feindlich gegenüber stehen, von denen sie zu lernen hat.

Hose: Ja, sowas gibt es wirklich. Mir fallen solche theologischen Konzepte dabei auch immer ein. Auf der anderen Seite ist es nicht mein Ansinnen, die jetzt irgendwie in die Kirche zurückzuholen. Warum auch, wenn die Leute eigentlich schon so handeln, wie ich es mir manchmal von den Kirchen wünschte?

„Seid laut! – Für ein politisch engagiertes Christentum“

In seinem neuen Buch entwirft Burkhard Hose das Bild eines politisch engagierten Christentums, das an der Seite der Schwachen, Ausgegrenten und Geflüchteten laut seine Stimme erhebt.

Das Buch richtet sich an die abertausenden Engagierten in der Flüchtlingshilfe, an diejenigen die nach Jahrzehnten der Arbeit für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung ernüchtert und ausgelaugt sind und an junge Leute, denen ein Glaube ohne politische Konsequenzen für das eigene Leben nichts mehr sagt. „Seid laut!“ ist ein kurzes, großes Mutmach-Buch.“(Zur vollständigen Rezension.)

Eule: Sie haben mit Jörg Alt und Beatrice v. Weizsäcker einen offenen Brief an den bayerischen Ministerpräsidenten geschrieben. Was ist die Hoffnung dahinter, dass Herr Söder den Brief liest?

Hose: Die Hoffnung dahinter ist zunächst einmal, auch andere zu ermutigen: Erhebt eure Stimmen und nehmt das nicht einfach so hin! Wir wollen ein Stopp-Signal setzen, weil wir erleben, z.B. beim Kreuz-Erlass, dass religiöse Themen immer häufiger politisch verzweckt werden. Wir wollen nicht mehr zuschauen, wenn das Kreuz als Abwehrwaffe gegen Muslime und Zuwanderer missbraucht wird.

Meine Hoffnung ist natürlich, dass die Abwehrkräfte ein Stück gestärkt werden und die Widerstandskräfte bei denen, die sich das leidend mit anschauen: Die Brutalisierung und Enthemmung der Sprache, die Feindseligkeit gegenüber Menschen, die als Geflüchtete zu uns kommen. Ein offener Brief ist ein vielleicht auch hilfloses Instrument, um sich selbst Gehör zu verschaffen. Im Moment aber habe ich nicht den Eindruck, dass Herr Söder auf Dialog setzen würde.

Eule: Ihr Buch trägt schon im Titel die Aufforderung „Seid laut!“. Was kann ich als Einzelne_r denn heute oder morgen konkret tun, um laut zu sein?

A: Es ist tatsächlich schwierig sich als Einzelner wirksam zu erleben. Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns verbinden. Das erlebe ich auf Lesungen, aber auch auf Facebook, dass man sich mitteilt „Ich kann das auch nicht mehr mit anschauen“, „Lasst uns etwas tun“.

Sucht euch Verbündete! Redet mit Leuten! Wer denkt so ähnlich wie ihr? Und sucht dann nach gemeinsamen Aktionsformen. Da sind dann der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Erst vor ein paar Tagen haben sich hier in Würzburg Studierende mit einem riesigen Transparent von einer Brücke abgeseilt, um gegen Abschiebungen nach Afghanistan zu protestieren. Ich glaube, es braucht eine Vielfalt von öffentlich wirksamen Aktionen. Was nicht mehr geht, ist einfach zu zuschauen, wie die Rechtsverschiebung immer weiter voranschreitet.

Wenn ich heute sehe, dass es ein legitimes Mittel der Politik ist, Menschen auf einem Schiff auf dem Mittelmeer sitzen zu lassen, das jederzeit in einen Hafen einlaufen könnte, und ein deutscher Innenminister bewusst in Kauf nimmt, dass Menschen zu Schaden kommen, dann ist doch eine Verschiebung im Gange, zu der man nur sagen kann: Wenn irgendwo christliches Abendland untergeht, dann da.