Erlebt die FDP ein Ostern im September?

In den Umfragen vor der Bundestagswahl steht die FDP prächtig da: Was hat diese Auferstehung verursacht – und wie steht es um das Verhältnis der Partei zu den Kirchen?

Ein bisschen hat es etwas von Auferstehung. Von permanenter Auferstehung, um genau zu sein. Unzählige Male schon wurde die FDP totgesagt, etwa 2013, als die Liberalen aus der Regierungsbeteiligung heraus direkt aus dem Bundestag flogen und vier Jahre in der außerparlamentarischen Opposition zubringen mussten.

Oder 2017, als Christian Lindner mit der frisch wieder ins Parlament gewählten Fraktion die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition abbrach. Wofür, wenn nicht fürs Regieren, braucht man denn die FDP? Bis heute werfen ihm Gesprächspartner von damals vor, nur über die Abschaffung des Solidaritätszuschlags verhandelt zu haben, und in allen anderen Punkten gar nicht diskussions-, geschweige denn kompromissfähig gewesen zu sein.

Und auch in den Meinungsumfragen dieser Legislaturperiode schien es lange so, als würde sich die FDP wieder Richtung Fünf-Prozent-Hürde bewegen. Ende 2020 maß Infratest dimap noch sechs Prozent für die Liberalen, heute steht die Partei plötzlich, je nach Umfrageinstitut, zwischen 11 und 13 Prozent. Was hat diesen Aufschwung verursacht?

Geschickte Positionierung während der Corona-Krise

Viel spricht dafür, dass enttäuschte CDU-Wähler nach der Kür von Armin Laschet zum Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten das Lager gewechselt haben – oder ist es vielleicht doch der Umgang mit der Corona-Pandemie gewesen? Getreu ihrer Vergangenheit als Bürgerrechtspartei fand die FDP in der zweiten Welle der Pandemie zu einer Linie, die die Potsdamer Bundestagsabgeordnete, frühere FDP-Generalsekretärin und EKD-Synodale Linda Teuteberg in einem Interview einmal so zusammenfasste:

„Als Freie Demokraten hinterfragen wir kritisch, welche Maßnahmen verhältnismäßig sind und einen Effekt für den notwendigen Infektionsschutz haben und welche Maßnahmen zu tief in die Freiheitsrechte der Bürger eingreifen – und dabei machen wir konstruktiv eigene Vorschläge.“

Damit positionierte sich die FDP als eine Partei, die auf Menschen zuging, die manchen Corona-Maßnahmen kritisch gegenüberstanden – ohne dabei freilich die Gefährlichkeit des Virus zu dementieren, oder es gar zu leugnen, wie es die rechtsextreme AfD im Grunde seit Beginn der Pandemie unternommen hatte.

„Freiheit, die ich meine“: Dissens und Konsens mit der Kirche

Der Begriff der Freiheit jedenfalls ist und bleibt einer der wichtigsten Begriffe im Parteiprogramm der Liberalen – auch wenn sie nicht, wie in der evangelischen Kirche, als Gottesgeschenk verstanden wird, sondern eher ein Ausdruck der Eigenverantwortung ist. Manche Aussagen im aktuellen Wahlprogramm der FDP könnten indes so auch von der EKD kommen: „Für uns ist Familie überall dort, wo Menschen dauerhaft und verbindlich füreinander Verantwortung übernehmen“, etwa.

In anderen Punkten dagegen vertritt die Partei Positionen, die zwar bei einzelnen Kirchenmitgliedern, mit Sicherheit aber nicht in der Gesamtkirche mehrheitsfähig sind. So wird das von den Kirchen geforderte Lieferkettengesetz unter Verweis auf die gelebte Eigenverantwortung von Unternehmen und Konsumenten auf die europäische Ebene delegiert. Ob es eine „einheitliche europäische Regelung zur menschen­rechtlichen Sorgfaltspflicht“ in der Lieferkette allerdings je geben wird, ist angesichts der Art und Weise, in der das Thema Menschenrechte in Ländern wie Ungarn und Polen abgehandelt wird, wohl eher fraglich.

FDP für eine moderne Religionspolitik

Und die Kirchen? In den 1970er- und 1980er-Jahren hatte die FDP noch lebhafte Kirchenkritik in ihren Programmen. Im Wahlprogramm zur diesjährigen Bundestagswahl ist davon nicht mehr viel zu spüren:

FDP-Chef Christian Lindner überstrahlt auch im Wahlkampf den Rest seiner Partei. (Bild: Montage, Fotos Christian Lindner & FDP-Logos: Robin Krahl, CC-BY-SA 4.0, Wikimedia Commons & Wikimedia Commons)

Die Forderung, das Staatskirchenrecht zu einem modernen Religionsverfassungsrecht weiterzuentwickeln, in dem sich dann auch Raum etwa für islamische Verbände findet, dürfte auch in weiten Teilen der Kirche konsensfähig sein. Nur die Frage, wie man so etwas in der Praxis umsetzen will, wird sich die Partei gefallen lassen müssen. Denn bislang fehlte es den islamischen Verbänden meist an der Stabilität und Mitgliederstärke, um ein angemessenes Gegenüber des Staates zu sein.

Dass als Teil eines modernisierten Verhältnisses von Religionen und Staat auch die Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen abgelöst werden sollen, ist eine logische Konsequenz der zu Ende gehenden Legislaturperiode: Hier war es maßgeblich der evangelische hessische FDP-Bundestagsabgeordnete Stefan Ruppert, der dieses Thema vorantrieb – und sich für eine auch von Kirchenvertretern als durchaus fair angesehene Lösung einsetzte, um das leidige Dauerthema der seit Beginn des 19. Jahrhunderts andauernden, aus Entschädigungen für enteignetes Kirchenland herrührenden Zahlungen endlich beiseite zu räumen.

Ein Ostern im September?

Einen Messias allerdings hat die FDP für sich noch nicht gefunden: Christian Lindner, der die Partei durch ihre schwärzesten Jahre geführt und in den Bundestag zurückgebracht hatte, fehlt dafür noch der maximale Erfolg: Die Rückkehr in das Bundeskabinett. Doch da Dreierkoalitionen in Deutschland mittlerweile zur politischen Realität gehören, ist selbst das in den Wochen nach dem 26. September nicht mehr ausgeschlossen:

Sieben Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag könnte die FDP an ihren alten Wirkungsstätten wieder einmal in die höchsten politischen Sphären dieses Landes zurückkehren. Auferstehen, sozusagen.

Coram Mundo: Eule-Serie zur Bundestagswahl 2021

In einer siebenteiligen Serie von Analysen und Kommentaren widmen wir uns in diesem Jahr der Bundestagswahl am 26. September. Unsere Autor:innen beleuchten verschiedene Aspekte der politischen Landschaft vor dem Urnengang. Dabei schreiben sie aus unterschiedlichen politischen und thematischen Perspektiven. Diskutiert gerne mit, hier in den Kommentaren und auf unseren Social-Media-Kanälen!