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Essay Theologie

„Error 404“ oder Hoffnung neu programmieren

In einer Zeit fundamentaler Verunsicherung brauchen wir einen hoffnungsvollen Blick nach vorn. Aber was kann christliche Hoffnung in einer neuen technologisierten Machtordnung bedeuten?

Hope ist der Überraschungstrend bei den Mädchennamen des Jahres 2024. Von Platz 180 auf 20 katapultiert. In den USA gehört Hope (dt. „Hoffnung“) als christlicher „Tugendname“ zur Tradition, in Deutschland ist er als Erst- und Zweitname noch relativ neu – und im Aufstieg begriffen. Fast möchte man meinen: Je dunkler die Zeiten, desto hoffnungsvoller sollen die Namen strahlen.

Donald Trump ist wieder ins Weiße Haus eingezogen – das ist nicht einmal einen Monat her. Die AfD-Führung reiste stolz zur Amtseinführung, sprach von Trump als der „einzigen Hoffnung“ unter anderem auf ein Ende der Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine. Tech-Milliardäre wie Elon Musk und Mark Zuckerberg, einst Ikonen des digitalen Fortschritts, standen stramm an Trumps Seite. Sie leisteten hunderte Millionen Dollar Wahlkampfhilfe, die Abschaffung von Faktenchecks gab’s inklusive.

Der Buchmarkt reagierte wie ein nervöser Seismograph: Der Papst nannte seine Autobiografie Mitte Januar 2025 schlicht „Hoffe“. Der Historiker Philipp Blom suchte in seinem „Hoffnung“-Bestseller vom Herbst 2024 nach einem „klugen Verhältnis zur Welt“. Wie setzen wir uns denn verständig in Beziehung zur Mitwelt in dieser Zeit der fundamentalen Verunsicherung?

„Was es nun braucht, ist ein hoffnungsvoller Blick nach vorne“, schrieb die Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) im Journal für Internationale Politik und Gesellschaft am 15. Januar. Ein Blick, der die Tatsachen nicht verkennt, aber auch nicht als unveränderbar hinnimmt. Schön wär‘ es ja.

„America First“, so Schulze, „ist nicht bloß ein Slogan“. Die Idee hat sich verbreitet: Nationalstaat First scheint vielerorts ein erstrebenswertes politisches Ziel zu sein. Nationalistische Tendenzen sind in vielen weiteren Ländern zu spüren – in einigen mehr, in anderen weniger. Populismus ist wieder en vogue.

„Ich will eure Hoffnung nicht!“

Wenn ich aus der Perspektive des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt auf die gegenwärtige Situation schaue, begegne ich einer merkwürdigen Form des Verstummens. Nicht dass nicht gesprochen würde. Aber wird das Eigentliche wirklich benannt? Viele haben sich im Zynismus eingerichtet wie in einem Sessel, der zwar irgendwie drückt, aber doch zu bequem ist, um daraus aufzustehen (Oder wissen sie nicht, wohin sie aufstehen sollen? Weil sich ihnen keine andere Sitzgelegenheit bietet – oder sie jedenfalls von keiner wissen?).

In der Antike meinte Hoffnung schlicht Erwartung – im guten wie im schlechten Sinne. Wer hofft worauf? Der Optimist auf die nächste technologische (Er-)Lösung, der Zyniker auf den finalen Beweis, dass sowieso alles den Bach runtergeht? Und ich? Sitze dazwischen mit meinem theologischen Werkzeugkasten und soll Hoffnung liefern wie Amazon Prime: schnell, garantiert, kostenlos.

Zwischen der inflationären Beschwörung von Hoffnung einerseits – sichtbar in Buchtiteln, Vornamen und politischen Appellen – und dem realen Verstummen vieler Menschen andererseits. Zwischen dem Druck, als Kirche Hoffnung „absenden“ und „ausfahren“ zu müssen, und der Erfahrung, dass Hoffnung so ganz pauschal nicht trägt. Zwischen der Sehnsucht nach einfachen Antworten und der Komplexität der globalen Krisen.

Das Jahresthema meiner Kirche heißt „Hoffnung“. Klingt ja erst einmal naheliegend und gut. Hoffnung als Grundhaltung, die nicht trennt, sondern vereint. Aber was, wenn gerade das die Illusion ist? Wenn wir mit unserer gut gemeinten Hoffnungs-Predigt genau die ausschließen, die erst durch die dunklen Täler der anderen Gefühle müssen? Die Wut spüren, die Trauer angesichts verlorener Möglichkeiten, die Ohnmacht angesichts Veränderungen, auf die ich keinen Einfluss habe? Die Verzweiflung, dass es schon zu spät sein könnte?

Als Greta Thunberg vor sechs Jahren auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sagte „Ich will eure Hoffnung nicht“, meinte sie vielleicht genau das: Eine fertig konfektionierte Hoffnung, die alle Widersprüche zudeckt wie eine zu dünne Bettdecke im Winter. Warm nur scheinbar, in Wahrheit kalt und schutzlos. Es ist eine Hoffnung als Beruhigungspille, das tröstliche „Wird schon!“, das Verantwortung subtil delegiert: An eine Zukunft, deren Teil ich selbst nur noch bedingt bin.

Was also bedeutet Hoffnung, die nicht betäubt, sondern anspornt? Die nicht vertreibt, sondern die Realität des Leids nicht aus den Augen verliert? Die Frage drängt sich auf: Brauchen wir eine Hoffnung, die zunächst das Unbehagen aushält, die Wunden sieht, bevor sie heilt?

Worauf hoffen wir?

Auch Hoffnung partizipiert an gesellschaftlichen Entwicklungen: Humanitäre Werte, Klimaschutz und Perspektiven der Gerechtigkeit scheinen derzeit in der Defensive – zurückgedrängt von einer neuen Machtkonstellation. Tech-Milliardäre wie Zuckerberg und Musk transformieren dabei nicht nur Technologie, sondern unmittelbar politische Prozesse. Ihre Intervention reicht weit über unternehmerisches Handeln hinaus: Sie prägen gesellschaftliche Narrative, manipulieren demokratische Prozesse und definieren Fortschritt neu – weitgehend unkontrolliert von demokratischen Institutionen.

Ihre Plattformen wurden teils so gestaltet, dass sie politische Polarisierung verstärken und Desinformation begünstigen – von Facebooks Cambridge-Analytica-Skandal bis zu Musks direkter Instrumentalisierung von Twitter/X als persönliches Werkzeug geopolitischer Einflussnahme. Die Unterstützung Trumps durch diese Tech-Elite, mit hunderten Millionen Dollar Wahlkampfhilfe und dem systematischen Umbau der Plattformen, markiert dabei eine neue Qualität der Verschmelzung von Technologie- und Machtsphären.

Was bedeutet es für unsere Hoffnung, wenn sie in dieser technologischen Welt zu einer Variable im System wird, die man steuern will? Wo Algorithmen ohnehin unsere Sehnsüchte in Daten übersetzen und Optimierung des „Business as usual“ wichtiger scheint als soziale und ökologische Transformation? Die allgemeine Hoffnung landet im Nirgendwo – Error 404.

Pop-Up-Church-Advent auf dem Autohof Altenwerder (Foto: Thomas Hirsch-Hüffell)

Und die weniger allgemeine? Die Hoffnung, die einen konkreten Ort hat? Im Dezember trafen sich auf dem Autohof Altenwerder die Pop-Up-Church, der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA), ehrenamtliche Helferinnen und Berater von „Arbeit und Leben Hamburg“ – eine unerwartete Koalition. Ihr Ziel: 80 Fernfahrern begegnen. Aus Rumänien, Polen, Bulgarien, der Ukraine. Also jene Menschen, die unsere Warenwelt am Laufen halten, oft unsichtbar, immer unterwegs. 80 Geschenktüten. Mehr nicht.

Und doch alles: Ein Schoko-Nikolaus und Mandarinen. Ein Gespräch. Eine kurze Unterbrechung in einem System, das Menschen zu Funktionen reduziert. Hoffnung nicht als großes Versprechen, sondern als kleine Aufmerksamkeit. Als Geste, die sagt: Du bist mehr als deine Leistung. Du bist gesehen. Die Kunst des Zuhörens als politischer Akt – ist das nicht bereits eine andere Grammatik der Hoffnung? Ein Königreich, das nicht mit Macht, sondern mit Aufmerksamkeit regiert?

Ernst Bloch verstand Hoffnung nicht als technologische Progression, sondern als radikale gesellschaftliche Transformationskraft. Sein „Noch-Nicht“ meint die menschliche Fähigkeit, in den bestehenden Verhältnissen die Keime des Möglichen zu erkennen. Eine Hoffnung, die nicht kalkuliert, sondern imaginiert – und die wie das tägliche Brot im Schweiße unseres Angesichts erarbeitet werden muss (Genesis 3,19).

Die Frage ist: Wer definiert heute dieses Mögliche?

Da gibt es Hoffnungsnarrative, die ihre Kraft aus der Markierung von Grenzen ziehen. Manche sind zum 20. Januar mit ans Kapitol geflogen. Könnte es sein, dass in dieser Zeit der inflationären Hoffnungserzählungen nicht das Hoffen an sich, sondern der Gegenstand der Hoffnung wieder ins Zentrum rücken sollte?

Die Begegnung als Prüfstein der Hoffnung

Der technische Fortschritt kennt nur seine eigene Richtung: vorwärts, schneller, mehr. Eine Maschine, die läuft und läuft, taub für die Frage nach dem Wohin. Christliche Hoffnung könnte anders sein. Sie kann fragen: Wozu das alles, wenn am Ende nur die nächste Beschleunigung wartet? Sie sucht nach einem Grund, der nicht aus Beton ist – nennen wir ihn Gott. Aber was meint das?

Angelika Gogolin übergibt ein Geschenk an einen Fernfahrer bei der Pop-Up-Church (Foto: Thomas Hirsch-Hüffell)

Die theologische Tradition bietet unterschiedliche Zugänge: Paul Tillich spricht von Gott als der „Tiefe des Seins“, Albert Schweitzer erfährt ihn in der Ehrfurcht vor dem Leben. Die biblischen Texte sind ein Kaleidoskop von Gottesbildern – urwüchsig, widersprüchlich, lebendig. Da ist das Feuer im Dornbusch, das brennt und doch nicht verbrennt. Die Stimme der Stille. Der Atem, der über dem Chaos schwebt. Gott als Hebamme, die neues Leben ans Licht bringt. Als Künstlerin, die mit Farben und Formen spielt. Als Quelle in der Wüste. Als Frage, die keine Antwort braucht.

Im Gespräch mit einem Kollegen erfährt der eine von uns Gott vor allem in der biblischen Tradition als personales Gegenüber und betont, dass christliche Hoffnung nur im Gesamtpaket zu haben ist: Als Vertrauen, dass unser Leben nicht banal und zufällig, sondern bedeutungsvoll ist. Als Mut, die Linien dieser Welt über ihren Horizont hinaus zu verlängern. Der andere sieht Gott als die erneuernde Kraft in den Prozessen des Lebens selbst, die uns in Begegnungen mit der menschlichen und mehr-als-menschlichen Mitwelt widerfährt und für die uns die biblische Tradition Worte leiht. Unterschiedliche Sichtweisen, aber möglicherweise auch nur zwei Seiten einer Medaille?

Die konkrete Begegnung wird zum Prüfstein. Ich denke an Jesus am Jakobsbrunnen: Ein Gespräch mit einer Frau, die nach allen Konventionen nicht zu ihm gehört – eine Samariterin, sozial ausgegrenzt. Hier wird Hoffnung zur Unterbrechung: Sie durchkreuzt Grenzen nicht theoretisch, sondern in der konkreten Begegnung. Hoffnung als Arbeitsform bedeutet, solche Räume zu öffnen. Nicht als romantische Geste, sondern als radikale Praxis der Anerkennung

Es spielt eine Rolle, worauf wir hoffen (spes quae), und wie wir hoffen (spes qua). In der Begegnung auf dem Autohof wie am Jakobsbrunnen zeigt sich beides: Der Inhalt der Hoffnung – die Anerkennung der Würde meiner Mitwelt als Gottes Schöpfung – und die Art des Hoffens selbst – das Aushalten von Fremdheit, das Teilen von Zeit.

Was bedeutet es, auf Gott zu hoffen in einer Welt, die zwischen Beschleunigung und Ohnmacht oszilliert? Vielleicht heißt es: Aushalten. Nicht-Wegsehen. Und zugleich: die leise Ahnung nicht verlieren, dass diese Welt mehr ist als das, was ich gerade sichtbar wahrnehme. Eine Hoffnung, die nichts beschönigt, aber darauf vertraut, dass Bedeutung entsteht im Moment der Begegnung. Im Gespräch. In der Unterbrechung oder auch im gelegentlichen Systemabsturz. Hoffnung als Fehlfunktion. Unsichtbare Schnittstellen, an denen etwas durchsickert, was nicht berechenbar ist.

Error 404.


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Der Artikel basiert auf einem Impuls, den Constantin Gröhn bei der Jahresversammlung des Hauptbereichs Seelsorge und gesellschaftlicher Dialog der Nordkirche zum Jahresthema „Hoffnung“ am 15. Januar 2025 gehalten hat.

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