Erwartungsmanagement
Der Advent ist die Zeit großer Erwartungen. Doch gerade mit dem Erwartungsmanagement haben sich die Kirchen in diesem Jahr schwer getan.
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Wenn etwas so richtig schief gelaufen ist, höre ich in letzter Zeit statt einer Erklärung oder gar Entschuldigung oft, ich sollte doch einfach meine Erwartungen anpassen. Sicher, ein realistischter Erwartungshorizont ist eine feine Sache und bewahrt vor heftigen Enttäuschungen.
Warten im Advent
Um Erwartungen richtig anzuheizen bedienen wir uns im Advent verschiedener Instrumente: Da ist die künstliche Verknappung. Der Adventskalender weist jedem Tag ein kleines Stückchen Schokolade zu, obwohl die Schränke und Supermärkte von Süßigkeiten bersten.
Da gibt es das Herauszögern. Statt sich schon im Advent allen Wonnen hinzugeben, wird bewusst auf das Fest hin verschoben. Es werden Advents- statt Weihnachtsliedern gesungen. Geschenke werden nicht sofort nach dem Kauf weitergegeben, sondern verhüllt und versteckt.
Und natürlich ist die Adventszeit voll von Teasern und Spoilern. „Bald schon ist Weihnachtszeit“, „Morgen, Kinder wird’s was geben“. Zu Nikolaus gibt es schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf die große Bescherung. Und so manch eine*r hört schon im Advent das Weihnachtsoratorium, obwohl es ursprünglich für die weihnachtlichen Feiertage gedacht war.
Geschicktes Erwartungsmanagement im Advent steigert die Lust aufs Fest und womöglich sogar den Genuss. Doch kann sich jede*r auch an Weihnachtsfeste erinnern, an denen die geweckten Erwartungen enttäuscht wurden. Erwartungsmanagement sieht in Kinder- und Erwachsenenherzen unterschiedlich aus.
Kirchliches Erwartungsmanagement
Gerade 2019 fühlte es sich so an, als ob kirchliches Erwartungsmanagement sich allzu sehr von der Grundhaltung des Advents anstecken ließ. Im Vordergrund stehen häufig Ankündigungen, Teaser, vollmundige Versprechen. Vielleicht werden diese vom theologisch geübten Personal implizit mit einem eschatologischen Vorbehalt versehen – „so Gott will“, „Inschallah“? Ob die Rezeptient*innen der Botschaften das mitbedenken?
Seit Monaten nun wird in der röm.-katholischen Kirche am „Synodalen Weg“ gearbeitet. Am 1. Advent ist er offiziell gestartet. Die an ihn geknüpften höchst unterschiedlichen Erwartungen wird er nicht erfüllen, erfüllen können. Ist es nun realistisches Erwartungsmanagement, unter diesem Eindruck kräftig mitzuwirken, oder vielmehr es bleiben zu lassen?
Noch eines Reformprozesses ohne verbindliche Entscheidungen bedürfe man nicht, stellen die Reformer*innen klar. Und doch ist heute ebenso klar, dass der „Synodale Weg“ diese Entscheidungen den Ortsbischöfen überlässt. Nicht einmal eine freiwillige Selbstverpflichtung auch nur einiger Bischöfe auf die kommenden Ergebnisse gibt es. Man weiß ja nicht, was kommt. Ob auf den zweijährigen Advent auch ein Fest folgt, ist darum fraglich.
#WirschickeneinSchiff, später
Eine Petition auf dem Evangelischen Kirchentag in Dortmund forderte EKD und evangelische Landeskirchen auf: „Schickt selbst ein Schiff in das tödlichste Gewässer der Welt. Ein Schiff der Gemeinschaft, der Solidarität und Nächstenliebe. Ein Schiff von uns, von euch, von allen.“ #WirschickeneinSchiff wurde im Anschluss vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, aufgenommen.
Doch so einfach ist das alles nicht. Im Rat der EKD wurde schnell deutlich: Ein eigenes Schiff und dann noch gar aus Haushaltsmitteln der EKD wird nicht angeschafft. Nix mit #WirkaufeneinSchiff. Den Slogan, anfangs auch von EKD und Kirchentag genutzt, liest man nun nicht mehr. Aber ein Schiff wird fahren, irgendwann im kommenden Jahr. Darum geht es ja eigentlich.
Bedford-Strohm und seine Mitstreiter*innen haben ein „breites gesellschaftliches Bündnis“ organisiert, das Spenden für den Erwerb eines weiteren Schiffs für die Seenotrettung auf dem tödlichsten Meer des Planenten sammelt. Mehr hätte man mit ordentlich Kirchenbackground vielleicht nicht erwarten können, auch wenn dadurch eine befriedigende Lösung herausgeschoben wird. Mit mehr Mut und Geldeinsatz hätte man sich manch hakelige Debatte erspart.
Vor allem wäre man damit den Fans des Projektes entgegengekommen, die eben nicht nur typische Kirchenleute sind, wie der Ratsvorsitzende auf der EKD-Synode im November argumentierte. Durch die Aktion hätten sich gerade junge Menschen vom Verbleib in der Kirche überzeugen lassen. Sind deren Erwartungen schon enttäuscht? Bei den Hilfs- und Flüchtlingsorganisationen überwiegt noch die Dankbarkeit, in Bedford-Strohm und der EKD große und laute Partner gewonnen zu haben.
Doch schon das Spendensammeln erntet intern wenn nicht Widerstand, so doch wenigstens Missmut. Zu politisch ist das Anliegen nicht wenigen Kirchenmitarbeiter*innen und Theolog*innen, auch wenn sie darüber in der Öffentlichkeit schweigen. Dass der Ratsvorsitzende seine „öffentliche Theologie“ derart auf die Spitze treibt und die Kirche dafür in Mithaftung nimmt, macht einige wütend. Sich öffentlich dem Vorwurf auszusetzen, man hätte etwas gegen die Flüchtlinge will trotzdem kaum jemand.
Erwartungen kosten etwas
Schon deutlicher wird problematisiert, dass durch die Spendensammlung für das Rettungsschiff (#United4Rescue) die Spendenergebnisse für „Brot für die Welt“ hinter den Erwartungen zurückbleiben könnten. Die kirchlichen Hilfswerke sammeln traditionell im Advent für ihre zahlreichen und vielfältigen Projekte. Sind die Erwartungen der einen nur auf Kosten derjenigen der anderen zu erfüllen?
Der „Brot für die Welt“-Chefin Cornelia Füllkrug-Weitzel ist es darum wichtig, darauf hinzuweisen, dass mit den Spenden vor allem etwas gegen die Fluchtursachen unternommen werde. Man müsse bedenken, so Füllkrug-Weitzel im Interview mit Benjamin Lassiwe, „dass weltweit gegenwärtig rund 70 Millionen Menschen auf der Flucht sind“. „Brot für die Welt“, so der Teaser, kümmere ich sich halt richtig und nachhaltig um die Probleme.
Ich halte es gerne mit den Ungeduldigen und mit denen, die interne Gebräuche und Formalitäten für weniger wichtig halten als den Zweck. Ich halte das für protestantisch, auch wenn es um den „Synodalen Weg“ geht. Aber ich bin auch Realist und weiß, dass Kirchen nun einmal so sind, wie sie sind. Fehlbare, komplexe und kompliziert denkende Organisationen. Gemeinschaften von Menschen mit je eigenen Interessen, Hintergründen und Erfahrungen. Und eben auch unterschiedlichen Erwartungshorizonten.
Adventliches Erwartungsmanagement
Was den einen viel zu langsam geht, wird intern manchmal schon als zu schnell empfunden. Was für die einen nur oberflächliche Kosmetik bedeutet, rührt für andere an die Grundlagen ihres Glaubens. Was außenstehende Beobachter*innen als spitzfindige Wortklaubereien wahrnehmen, gilt Insidern als grundstürzender Wandel.
Zwei Handlungsempfehlungen für kirchliches Erwartungsmanagement lassen sich jedoch aus dem Advent ableiten, die sowohl die Ungeduldigen wie auch die Sesshaften herausfordern:
Erstens: Beim Anteasern und Moderieren von Erwartungen empfiehlt sich der Indikativ des Engels: „Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären … Der wird groß sein … und sein Reich wird kein Ende haben“. Wo der Indikativ nicht möglich ist, soll man das ordentlich transparent machen, und dabei beachten, dass die breite Öffentlichkeit vom „normalen“ Geschäft innerkirchlicher Meinungsbildung kaum etwas weiß. „Die“ Kirche macht nur höchst selten etwas, und schon gar nicht sofort. Christ*innen sind da viel flexibler.
Diese Komplexität ist den Menschen zumutbar. Komplexitätsreduktion gibt es auf dem Markt genug. Ja, mit Einschränkungen und Erklärungen bekommt man nicht jede*n mit ins Boot, aber ehrlicher ist es. Und gerade diese Aufrichtigkeit vermisse nicht nur ich in unserer Gesellschaft.
Die Betriebsprozesse der Kirchen verdienen eine bessere, gründlichere Darstellung für Außenstehende. Beim Darstellen kann es natürlich passieren, dass man ins Nachdenken über Sinn und Zweck mancher Arbeitsprozesse gerät: Sind die noch zeitgemäß? Oder drängender: Entsprechen sie unserer Sendung als Kirche Jesu Christi?
Zweitens: Erwartungen dämpfen produziert keine Schlagzeilen, schon klar. Erwartungen zu Unrecht schüren, aber verdirbt den Genuss. Das harte Schwarzbrot kirchlicher Wirklichkeit schmeckt nur halb so gut, wenn man den Braten schon gerochen hat. Kirchliches Erwartungsmanagement sollte sich darum nicht am reich gedecktem Gabentisch und am glitzerfunkelndem Fest der Fülle orientieren – auch wenn das den vermeintlichen Erwartungen unserer Gesellschaft zu entsprechen scheint -, sondern an der Krippe.