Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm auf der EKD-Synode 2020 (Foto: EKD)

Evangelische Kirche: Weniger müssen müssen

Die Evangelische Kirche hat sich verordnet, häufiger mal den Mund zu halten. Aber strategisch. Ein Kommentar.

Für die Evangelische Kirche ist klar, „dass wir manches in Zukunft nicht mehr tun werden“. Darüber, was in Zukunft nicht mehr getan werden soll, werden die Protestanten immer weiter streiten. Gut so. Zum Selbstverständnis der Evangelischen Kirchen gehört bisher, zumindest für die in ihr tonangebenden Theolog:innen, die Verwaltung eines „Wächteramtes“ über Politik, Staat und Gesellschaft. Man würde als Journalist:in sein Lebtag nicht fertig damit, all die Interventionen weiterzutragen, die die unzähligen Beauftragten, Arbeitsstellen, Arbeitsgruppen, Arbeitskreise, Arbeitsgemeinschaften und Kammern der evangelischen Kirchen gerne kommuniziert haben möchten.

Leider sind die meisten Akteur:innen dabei nicht so geschickt wie der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, dem es gelingt, in drei, vier Sätzen vom Synodenbeschluss für mehr Notebooks für Schüler:innen über das Schlagwort Bildungsgerechtigkeit zum Engagement der Kirche für die Armen und Schwachen zu gelangen. Da muss man auch als kritische:r Beobachter:in schmunzeln.

Weniger müssen müssen

Doch die Evangelische Kirche hat sich für die Zukunft verordnet, häufiger mal den Mund zu halten. Im dritten Leitsatz der „12 Leitsätze zur Zukunft einer aufgeschlossenen Kirche“, die von der EKD-Synode vergangene Woche beschlossen wurden, heißt es explizit:

„Wir […] nehmen zu gesellschaftlichen Prozessen öffentlich Stellung, wo dies vom Evangelium her geboten ist und sich in unserem kirchlichen Leben und Handeln praktisch und erkennbar niederschlägt.“

Die Synodalen verordnen ihrer Kirche also, in Zukunft weniger müssen zu müssen. Eine Sehnsucht, die vielen Akteur:innen aus der Werbung im ARD-Vorabendprogramm bekannt sein dürfte.

Auf Nachfrage der Eule beim Ratsvorsitzenden, wie sich die neuen Maßgaben mit seiner Gratulation an Joe Biden zur Wahl zum neuen US-Präsidenten am gleichen Wochenende vertragen („Wie sieht die praktische Konsequenz dessen in der kirchlichen Arbeit aus?“), muss sogar er schmunzeln. Überhaupt herrscht ob des Scheiterns an den eigenen guten Vorsätzen Heiterkeit, soviel evangelische Entspanntheit darf sein.

Die gleiche Nachfrage kann man in Bezug auf ihre zahlreichen Deklarationen auch an die Synode der Evangelischen Kirche richten, wenngleich sie als Forum der evangelischen Meinungsbildung größere Nachsicht einfordern darf. Präses Irmgard Schwaetzer gab denn auch am Rande der diesjährigen Synode zu Protokoll, dass der Beschluss ja erst gefasst wird und die Synode in einen „Lernprozess“ diesbezüglich eintrete. Gleichwohl wird man auch der kommenden Synode anmerken, dass in ihr viele Expert:innen zu vielen Themen versammelt sind – nur für den Missbrauch in der Kirche halt nicht.

Wortmeldung als Arbeitsnachweis

Denn es ist ja wirklich nicht so, dass die Kirche die Fresse halten sollte, weil sie keine Ahnung hat, wie es dereinst Dieter Nuhr forderte. Diakonie und Kirche haben ihre Fühler schon recht nahe an dem, was diese Gesellschaft beschäftigt. Zu vielen Themen wie Friedensarbeit, Bewahrung der Schöpfung und Gerechtigkeit haben sie über Jahrzehnte große Kompetenz aufgebaut. Es geht davon nur halt unter der Dauersendung so viel verloren, was bei etwas Konzentration – das Bauhaus lässt grüßen – sicher stärker ankommen würde.

Vielleicht ist das alles auch gar nicht für das große Publikum bestimmt? Den Synodalen geht es mit ihren Wortmeldungen und Antragstellungen, so wie mancher Pressemitteilung aus den Kirchen des Landes auch, eher darum, Themen innerkirchlich prominent zu platzieren. Wortmeldungen und Anträge als Arbeitsnachweise, Pressemitteilungen als Lebenszeichen einer sterbenden Institution.

Und was Bedford-Strohm betrifft: Man wird diesem Ratsvorsitzenden seine Definition von Öffentlicher Theologie nicht mehr austreiben können. Sein rhetorisches Geschick hilft ihm, die immanenten Widersprüche seines Konzepts zu überspielen. Es geht selbstverständlich nicht allein darum, was Christum treibet. Darauf zu kommen ist wenig schwer, schaut man sich einmal an, wozu der Ratsvorsitzende beharrlich schweigt.

Die geschickte Mediennutzung ist ihm erst recht nicht vorzuwerfen. Selbst seine Gegner benutzen, um ihren Widerstand kundzutun, selbstverständlich die Medien und erfüllen damit häufig erst das Versprechen des öffentlichen Theologisierens. Wenn sie auch noch die Traute hätten, ihren Dissens nicht im Stile einer Non-Mention vorzutragen, würde einem das sogar Respekt abnötigen. Ein gewichtiger Teil des Unmuts über die dauernden öffentlichen Einlassungen Bedford-Strohms verdankt sich allein dem Neid darüber, dass er das Spiel halt besser kann und als EKD-Ratsvorsitzender außerdem den größten Schläger in Händen hält.

Es geht also nicht einfach darum, dass die Kirche weniger sagen soll oder der Ratsvorsitzende bitte schweigen möge. Solch plattes Flehen erhebt sich mit betrüblicher Regelmäßigkeit vor allem aus dem rechten Lager. Es geht auch nicht darum, zu bestreiten, dass die Kirche die Aufgabe hat, sich für Schwache und Minderheiten einzusetzen. Das meine ich wohl. Es geht vielmehr darum, ganz im Sinne der EKD-Zukunftsprozesse, strategisch zu denken.

Strategisch reden

Man konnte in Abwandlung des berühmten Bonmots von Paul Watzlawick sagen: Kirche kann nicht nicht kommunizieren. Auch die Enthaltung von einer öffentlichen politischen Kommunikation ist eine politische Stellungnahme. Aber die Kirche hat es natürlich in der Hand, wie sie es tut. Wie klug sie dabei vorgeht, wie strategisch, wie effektiv und effizient. Mit Strategie, Effektivität und Effizienz sind wir genau bei den Schlagwörtern, die sich durch die Zukunftsprozesse aller Kirchen hierzulande ziehen.

Zu diesem strategischen Vorgehen gehören laut den „12 Leitsätzen“ vor allem zwei Dinge: Danach zu fragen, wie das eigene Engagement – am besten nicht erst in langen Argumentationsketten – mit dem Evangelium von Jesus Christus begründet werden kann, und sich kritisch selbst zu befragen, ob die kirchlichen Interventionen eine besondere Glaubwürdigkeit gewinnen, weil sie für die Institution Kirche handlungsleitend sind. Das haben die Autor:innen der Leitsätze und die Synodalen, die sie sich zu eigen gemacht haben, richtig erkannt. Ohne Bindung an den Kern der Botschaft und ohne Glaubwürdigkeit sendet die Kirche zwar betulich vor sich hin, kann aber nicht auf Resonanz hoffen.

Zu einer guten Strategie gehört außerdem: Den richtigen Zeitpunkt für eine Intervention zu finden, und – als wichtigste Zutat – das gemeinsame Handeln mit anderen Akteur:innen. Sowohl der Erfolg bei der Aussendung eines Schiffs zur Seenotrettung als auch das Scheitern an der Missbrauchskrise zeigen: Nur mit Hilfe von externen Expert:innen schafft es die Kirche.

Für die Kommunikator:innen in der Evangelischen Kirche ist nun die Aufgabe klar formuliert: Findet für eure Themen Partner:innen aus anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen! Das sorgt nicht nur für mehr öffentliche Schlagkraft, sondern schärft auch die eigene Argumentation. Von beidem kann die Evangelische Kirche nur profitieren.