Friedrich Merz: Mach End, o Herr, mach Ende!

Es liegt an den aufrichtigen Christdemokraten, dem Notstand ihrer Partei entgegenzutreten und Schaden vom Land abzuwenden. Friedrich Merz‘ Trumpismus muss schnell ein Ende finden. Ein Kommentar.

Friedrich Merz hat in einer Fernsehsendung beim Sender WELT gelogen. Es ist der letzte Vorfall in einer inzwischen stattlichen Reihe von verbalen Ausfällen des CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzenden, die sich gegen Flüchtlinge und Migranten richten. Inzwischen läuft die Maschine wie geschmiert, die aus Merz‘ „provokanten Äußerungen“ Kapital schlägt:

Die CDU-Bundestagsfraktion stellt sich auf ihren Medienkanälen hinter ihren Vorsitzenden. Parteifreunde verteidigen ihn vor Mikrofonen, die ihnen entgegengestreckt werden. Politische Gegner verurteilen die Aussagen als „AfD-Niveau“. Journalist:innen geben die Lügen unkommentiert wieder und stellen konkurrierende Statements von anderen Politiker:innen daneben. Im DLF traut sich am Morgen danach niemand, das Wort „Lüge“ auch nur in den Mund zu nehmen. Findige Kommentator:innen erlauben sich den Hinweis, Merz‘ „Rhetorik“ sei „nicht die eines konservativen Demokraten“, sondern „die eines Rechtspopulisten“.

Dabei geht es gar nicht mehr darum, ob Merz mit seinen rechtsradikalen Lügen der AfD nutzt. Er macht die CDU selbst zum Werkzeug seines Trumpismus. Und wie im Vorfeld der so überraschenden Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten 2016 versagt die organisierte Öffentlichkeit. Politik und Journalismus haben ein erschreckend kurzes Gedächtnis: Müssten wir nicht wissen, dass es nichts bringt, lügenden Politiker:innen mit „Faktenchecks“ und Hinweisen auf Gesetzestexte entgegenzutreten, als ob es sich bei ihrer Hetze um versehentliche Falschaussagen handelte? Ist denn nicht ausreichend klar geworden, dass es nicht genügt, Lügen und Widerspruch gleichermaßen weiterzuverbreiten, als ob es sich bei beiden um legitime Meinungsäußerungen handelte? Müssten nicht Beobachter:innen und Journalist:innen endlich von ihrem Modetrip runterkommen, stink normalen Rechtsradikalismus als „Rechtspopulismus“ zu verharmlosen?

Es ist nicht die AfD, die in der jüngeren Vergangenheit zuerst mit solchen Vorurteilen gegenüber Flüchtlingen und Migranten in der Öffentlichkeit reüssiert. In der zweiten Hälfte der 2000er Jahre saß mit der NPD eine neo-nazistische, rechtsextreme Partei u.a. im Sächsischen Landtag. Und genau von solchen Leuten ist man das „Niveau“ von Merz‘ Aussagen gewöhnt. Im Unterschied zu Chrupalla, Weidel, Höcke und Merz aber ist damals niemand auf die Idee gekommen, Holger Apfel, den NPD-Chef Sachsens, in Talksendungen, zur Soiree der Industrie- und Handelskammer oder zum Sommerinterview einzuladen. Apfel hatte damals auch kein Twitter und die Medien haben seine Lügen auch nicht einfach abgedruckt.

In Deutschland wird gegenwärtig viel über das „Kippen“ nach Rechts geraunt, als ob es sich dabei um eine Naturgewalt handelte, unaufhaltsam, nicht vorhersehbar, schicksalshaft. Diesem Bullshit muss man wehren: Nichts an der Diskursverschiebung ist zufällig und sie ist – selbstverständlich – auch zu stoppen. Politik und Journalismus müssen dazu die Lehren aus den Trump-Jahren erinnern: Lügen müssen Lügen genannt werden, Grenzen des Anstands gewahrt und die Unterhaltungs-Spirale unterbrochen werden. Dazu gehört insbesondere zu realisieren, dass der (eigene) X-(Twitter)-Feed nicht die Wirklichkeit abbildet, sondern selbst schon durch den Rechtsruck vorgeformt ist. Es geht darum, rechter Hetze Aufmerksamkeit zu entziehen, nicht draufzuhalten um jeden Preis.

Im Moment aber lassen sich alle treiben. Wenn die Bundesministerin des Innern, Nancy Faeser (SPD), Merz widerspricht, dann nicht ohne den Hinweis darauf, wie angemessen schlecht in Deutschland ja mit Flüchtlingen bereits umgegangen wird. Andere geben zu, man könne „Pullfaktoren“ durchaus kritisieren, solange man bitte schön ein „System, das zur Ausnutzung einlädt“ kritisiert, nicht „die Menschen, die das in Anspruch nehmen“. So viel „Anstand und Respekt“ sollte doch bitte „selbstverständlich“ sein. Dass Forscher:innen die Wirkung von sog. „Pullfaktoren“ bis heute nicht stichhaltig nachweisen können, wird ebenso ignoriert wie das eigene Pharisäertum. Hass und Hetze werden Ausschnitte aus dem Asylbewerberleistungsgesetz entgegen gehalten und natürlich auch Anektdoten über migrantische (Zahn-)Ärzte, ohne die unser Gesundheitssystem längst absolut am Boden läge.

Die richtigen Lehren ziehen

Nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten haben sich viele Menschen gefragt, wie das eigentlich hat alles kommen können: Ein Quereinsteiger aus der Wirtschaft, der immerzu erkennbare Lügen erzählt, die doch beständig enttarnt werden, wird zum Medienphänomen und hat überraschenden Erfolg an der Wahlurne. Trotz seines Bullshits und seiner Lügen halten die Medien weiter drauf. Nach Jahren der Analyse wissen wir: Es ist ein schleichender Prozess. Und wir sind mittendrin.

Wenn alle Regierungsparteien sich für „schnelle und konsequente Rückführungen“ – also Abschiebungen aus dem Schulunterricht, aus Kirchenasylen und bei Nacht – stark machen, dann rückt Merz im Ekel noch weiter nach rechts und dort wartet die AfD, bereit die Spirale noch ein wenig weiterzudrehen. Bisher adressieren die Warnungen vor Merz‘ Rechtskurs vor allem die Bedrohung unserer Demokratie durch die rechtsradikale AfD, aber was ist eigentlich mit der Merz-CDU?

Die AfD ohnehin zum Fetisch der organisierten Öffentlichkeit geworden, als ob sie eine Meisterin von Strategie, PR und Politik wäre. Dabei braucht sie seit jeher nur feixend zu ernten, was andere gesät haben. Deutsche Polit-Influencer:innen kommunizieren auf X (Twitter), als hätte es Trump nie gegeben. Redaktionen und Politiker:innen springen auf. Wahrscheinlich würden sie inzwischen unter dem Anschein aufklären zu wollen auch Höcke-Reden weiterverbreiten. Erkenntnisse darüber, wie die digitale Öffentlichkeit (auch im Unterschied zum richtigen Kampf gegen Rechts auf den Straßen) funktioniert, werden beharrlich ignoriert, zu groß ist das eigene Geltungsbedürfnis.

Im Berliner Tagesspiegel kommentierte Daniel Friedrich Sturm (€) zu Beginn der Woche, eine Kanzlerkandidatur Friedrich Merz‘ gleiche einem Geschenk an die SPD. Als Argumente dafür werden ins Feld geführt: Seine „Pleiten, Pech und Pannen“ stünden ihm im Weg und er hätte so gar keine Regierungserfahrung, die in krisenhaften Zeiten aber doch wohl nötig wäre. Es ist exakt diese Mischung aus stupender Wiederholung von Botschaften, die sich dem engen Mindset des Berliner Politikbetriebes verdanken, und bildungsbürgerlicher Verachtung, mit der 2016 bereits Sturms verduzte US-Kolleg:innen den Wahlkampf Donald Trumps begleiteten. Was hat es ihnen und uns genutzt?

Schaden vom Land abwenden

Ja, im Willy-Brandt-Haus wird man sich die Hände reiben, sollte Friedrich Merz die Union tatsächlich als Kanzlerkandidat in die nächste Bundestagswahl führen. Er ist die vielleicht am stärksten polarisierte Figur des deutschen Politiktheaters und mobilisiert womöglich gut in Richtung Sozialdemokratie und ihres Kanzlers, der sich in seinem Stoizismus so gut selbst gefällt. Aber welchen Schaden nähme das Land auf dem Weg zu einer neuen SPD-geführten Ampel, die sich mit Ach und Krach durch die Jahre schleppt? Wer kann heute sagen, dass Merz die Wahl nicht gewinnen könnte, um anschließend mit FDP, Grünen und/oder SPD zu regieren? Glaubt jemand ernstlich, dass sich auch nur eine dieser Parteien dem verwehren würde?

Donald Trump ist US-Präsident geworden, weil er die Republikanische Partei übernommen hat. Vor einem Merz-Erdrutsch bewahrt uns in Deutschland das Mehrparteiensystem. Er wird auch mit noch so viel Hetze gegen Flüchtlinge die verlorengegangenen AfD-Stimmen nicht wieder „in die Mitte“ holen können. Eine Koalition mit der AfD aber würde die CDU nicht überleben (denkt man). Es ist jetzt wirklich an allen CDUlern in den Kommunen und Ländern gelegen, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen. Es geht darum, sich nicht so verführen zu lassen wie die Republikaner in den USA.

Eine CDU als entfesselte Rechtspartei fügt dem Land schweren Schaden zu. Es ist konservatives Mindestmaß, zuerst ans Land dann an die Partei zu denken. Es ist gut konservativ, die Folgen des eigenen (Nicht-)Handelns gründlich zuvor zu erwägen. Es ist christdemokratisch, Würde und Rechte von Menschen unter allen Umständen zu achten.

Mach End, o Herr, mach Ende

Vor ein paar Tagen forderte der Evangelische Arbeitskreis (EAK) in der CDU/CSU, es müsse „bei der klaren Abgrenzung zur AfD bleiben“, es dürfe „kein politischer Strategiewechsel im Umgang mit der AfD“ probiert werden. Damit nahm man Bezug auf Äußerungen des Historikers Andreas Rödder, der den Vorsitz der CDU-Grundwertekommission inne und sich für Gelegenheitszusammenarbeit mit der AfD stark gemacht hatte. Der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises, Thomas Rachel (CDU), forderte Rödders Rücktritt. Rachel ist Mitglied des Deutschen Bundestages und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Inzwischen ist Rödder von seinen Aufgaben bei der CDU zurückgetreten.

Rachel und gleichgesinnte Christdemokraten müssen jetzt begreifen, dass die größte Gefahr für die Christdemokratie unter dem eigenen Dach wohnt. Eingedenk der Rücktrittsforderung in Richtung Rödder darf man sich fragen, was ihnen jetzt zu den Zahnarzt-Lügen des eigenen Partei- und Fraktionsvorsitzenden einfällt. Bei allem Gottvertrauen: Es liegt an ihnen, dem Notstand in ihrer Partei entgegenzutreten, solange noch Zeit ist.


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