Für den Frieden beten – aber mit wem?

Juden, Christen und Muslime wollen gemeinsam für den Frieden beten. Auch während des Hamas-Terrors und des Gaza-Krieges? In Erfurt, Ulm und München werden die Grenzen des interreligiösen Dialogs deutlich.

(6. November 2023, 11:40 Uhr) In Reaktion auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober und den neuen Gaza-Krieg finden in Deutschland derzeit wieder vermehrt Friedensgebete statt. Für die Kirchen sind diese Veranstaltungen eine wichtige Säule ihres öffentlichen Zeugnisses. Auch Vertreter von Kommunen, Politik und anderen Religionsgemeinschaften nehmen an den Friedensgebeten gerne teil, um ihren Einsatz für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu dokumentieren. Die Interreligiösität der Friedensgebete stellt jedoch nicht allein den jüdisch-christlichen Dialog vor Herausforderungen.

Mit wem machen sich Politiker:innen und Kirchenvertreter:innen gemein, wenn sie mit muslimischen Akteuren gemeinsam für den Frieden beten? Friedensgebete sind öffentliche Gottesdienste und politische Demonstrationen zugleich. Sie sollen in die Gesellschaft ein Zeichen senden, dass die Zivilgesellschaft in Deutschland angesichts des Hamas-Terrors und von Antisemitismus in unserer Gesellschaft zusammensteht. Doch ist das gemeinsam mit Vertretern von muslimischen Verbänden überhaupt möglich? Drei aktuelle Beispiele lassen daran zumindest Zweifel aufkommen:

Keine „internationale Politik“: Konfliktthemen aussparen

Die Jüdische Landesgemeinde Thüringen hat ihre Mitarbeit beim Runden Tisch der Religionen in Erfurt aufgekündigt, berichtet der epd. Hintergrund sei, dass der Runde Tisch sich „nicht mit internationaler Politik beschäftigen“ will und darum auch kein Statement veröffentlichen, das den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober verurteilt. Das geht aus der internen Kommunikation der Beteiligten des Runden Tisches hervor. Unterzeichnet haben das entsprechende Rundschreiben als Vertreter des katholischen Bistums Erfurt, Eckehart Schmidt, sowie der muslimische Vertreter Pirusan Mahboob.

Den Runden Tisch der Religionen in Erfurt gibt es erst seit April diesen Jahres. Er soll als Ansprechpartner für die Stadt und andere zivilgesellschaftliche Akteure fungieren. In vielen deutschen Städten gibt es ähnliche Runde Tische, Koordinierungsräte und Organisationen der interreligiösen Zusammenarbeit. Damit reagieren die Religionsgemeinschaften zum einen auf den erhöhten Beratungsbedarf auf Seiten von Kommunen und Politik, zum anderen bringen sie gemeinsame Anliegen so auch unter den Bedingungen schrumpfender Mitgliedzahlen und einer sich säkularisierenden Gesellschaft in die Öffentlichkeit.

Der Senior des Evangelischen Kirchenkreises Erfurt, Matthias Rein, bedauerte gegenüber der Eule das Ausscheiden der Jüdischen Landesgemeinde aus dem Rat der Religionen der Stadt. Sie habe als Initiatorin des Rates erheblichen Anteil an der Entstehung dieses Forums gehabt. Der Kirchenkreis sei Mitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Thüringen, in deren Stellungnahme vom 20. Oktober zu den terroristischen Angriffen auf Israel fände sich „genau unsere Position“ wieder, erklärte Rein gegenüber der Eule weiter. In der Stellungnahme heißt es u.a.: „Unsere volle Solidarität gilt Israel und seinem Volk. In Israel lebt, nach christlicher und jüdischer Überzeugung, das auserwählte Volk Gottes. In Israel hat es Heimat und Schutz gefunden. Daran darf international nicht gezweifelt werden!“

Mit viel Mühen: Gemeinsames Friedensgebet in Ulm

In Ulm hat man es „mit viel Mühe geschafft“, dass sich die Mitglieder des örtlichen Rates der Religionen auf ein „gemeinsames Zeichen für den Frieden geeinigt haben“, erklärte Shneur Trebnik, Rabbiner der Ulmer Ortsgemeinde der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW), gegenüber dem SWR. Im „Haus der Begegnung“ standen am Sonntag „Vertreter der Ditib-Gemeinde, der Aleviten und Boskniaken, der jüdischen sowie der evangelischen und katholischen Gemeinden zusammen auf der Bühne“ eines Friedensgebetes, an dem gut 300 Besucher:innen teilnahmen.

Auch in Ulm betonten die Organisatoren, dass es sich beim Gebet nicht um eine „politische Veranstaltung“ handele. Ein Sprecher der DITIB-Gemeinde, Ücler Canli, erklärte, dass trotz immer neuer Konflikte versucht werden müsse, in Ulm gemeinsam zu leben: „Wir müssen immer versuchen, hier in Ulm zusammenzuarbeiten.“ Der Imam der Ulmer DITIB-Gemeinde, Osman Yankun, verweigerte jedoch ein öffentliches Statement, sondern betete allgemein für „die zivilen Opfer des Krieges und die Zusammenführung getrennter Familien“.

Im Vorfeld der gemeinsamen Veranstaltung hatte Rabbiner Trebnik die muslimischen Gemeinden in die Pflicht genommen: „Ich habe mir klare Worte von den muslimischen Verbänden gewünscht, gerade in den letzten zwei Wochen, ganz klar gegen Terror und die brutalen, barbarischen Massaker. Die habe ich nicht gehört.“ Als Sprecher des Rats der Religionen in Ulm fungiert der katholische Dekan Ulrich Kloos. Er hatte vor dem Gebet die Harmonie unter den Beteiligten des Rates ins Zentrum gerückt und davon gesprochen, man sei „gewohnt, niemanden direkt herauszufordern“. Im Rat der Religionen sei man seit zehn Jahren im Gespräch, erklärte er gegenüber dem SWR. Dazu gehöre auch, dass man „manche andere Meinung auch mal stehen lässt oder einfach aushält.“

Die DITIB ist die deutsche Organisation der türkischen Religionsbehörde Diyanet. DITIB-Gemeinden werden von Geistlichen geleitet, die vom türkischen Staat bezahlt werden. Die deutschlandweite Verbandsarbeit wird stark von der Regierungspolitik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan beeinflusst. Für Kritik sorgten zuletzt die Predigtvorschläge des Verbandes für die Freitagsgebete im Nachgang des 7. Oktober. Akteur:innen aus Landes- und Kommunalpolitik, Kirchen und Zivilgesellschaft aber arbeiten trotz der Abhängigkeit der DITIB von der Türkei und ihrer türkisch-nationalistischen Ausrichtung weiterhin mit diesem größten Moscheeverband in Deutschland zusammen. Die DITIB gilt ihnen im Vergleich zu anderen muslimischen Verbänden als gemäßigt.

Friedensgebet mit Muslimbrüdern und Islamisten?

Wie weit geht das Aushalten „anderer Meinungen“, wenn es um Antisemitismus und Islamismus geht? Vor dieser Frage stehen Religionsvertreter derzeit auch in München. Für den Montagabend (6. November, 18 Uhr) wird zu einem „Friedensgebet der Religionen“ auf dem Marienplatz eingeladen.

Aktualisierung, 6. November 2023, 13:35 Uhr: Das Friedensgebet in München wurde inzwischen abgesagt. Erklärung von Oberbürgermeister Dieter Reiter dazu am Ende dieses Artikels.

Nach einer Begrüßung durch Sokol Lamaj vom Muslimrat München sollen Rabbiner Jan Guggenheim von der Israelitischen Kultusgemeinde und Imam Benjamin Idriz vom Münchner Forum für Islam sowie Vertreter der römisch-katholischen und evangelischen Kirche Gebete sprechen. Für das Erzbistum München und Freising nimmt Dompfarrer Klaus Peter Franzl teil. Ursprünglich war auch der neue bayerische evangelische Landesbischof Christian Kopp als Sprecher vorgesehen. Aus „organisatorischen Gründen“ muss er jedoch auf eine Teilnahme verzichten, teilte die Landeskirche auf Nachfrage der Eule am Montagmorgen (6. November) mit. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) wird nun von Dekan Christoph Jahnel vom Prodekanat München-West vertreten. Zum Schluss der Veranstaltung soll der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sprechen.

Zu dem gemeinsamen Gebet unter dem Motto „Muslime, Juden und Christen beten für Frieden im Heiligen Land und für das Miteinander in München“ laden die Landeshauptstadt München und der Muslimrat der Stadt ein. Darauf haben sich Reiter und die Imame der Stadt in mehreren Gesprächen seit dem 7. Oktober geeinigt. Es gelte darüber hinaus: „Keine Flaggen, keine Schilder, keine Parolen“, berichtet der BR. Gegenüber dem BR verwies eine Sprecherin der Stadt auch auf eine Pressemeldung des Muslimrates München, in der dieser „den Terror gegen die Zivilbevölkerung in Israel durch die Hamas“ verurteile. Diese Pressemitteilung ist auf der Website des Muslimrates allerdings nicht zu finden.

Wie das „Linke Bündnis gegen Antisemitismus München“ in einem Gastbeitrag in der linken Wochenzeitung Jungle World deutlich macht, bestehen bezüglich des Muslimrates in der Stadt große Zweifel: So seien u.a. das Islamische Zentrum München (IZM) und die Al-Ahibba-Moschee Mitglied, die „über eine große Nähe zur Muslimbruderschaft (MB) verfügen“. Die Muslimbruderschaft ist eine islamistische Bewegung, die in vielen arabischen Ländern tätig ist. Die islamistische Terrororganisation Hamas ist die Vertretung der Muslimbrüder im Gazastreifen. Größte Unterstützer der Muslimbruderschaft in der Region sind die Türkei und Katar. In Deutschland werden die sunnitischen Muslimbrüder von Expert:innen dem „politischen Islam“ zugerechnet, regional gelten ihre Vertreter als radikal-islamistisch. Im Jungle World-Gastbeitrag werden die personellen Überschneidungen zu islamistischen Antisemiten dargestellt, von denen sich Vertreter der Gemeinden nicht distanzieren (oder lossagen).

Neben Gemeinden, die im Kontakt mit der Muslimbruderschaft stehen, sind auch die örtlichen Moscheegemeinden der DITIB und der Islamischen Gemeinschaft Millî-Görüş (IGMG) Mitglied im Muslimrat München. Die IGMG hält weiterhin ihren Gründer Necmettin Erbakan in Ehren, der ein glühender Antisemit und Propagandist von entsprechenden Verschwörungsmythen war. In die Solidaritäts-Aktionen für Palästinenser, die von den muslimischen Gemeinden immer wieder gestartet werden, mischt sich immer wieder Judenhass. Der Antisemitismus fungiert dabei als Klammer und verbindet sogar muslimische Bewegungen, die sich wie z.B. die „Grauen Wölfe“ und die IGMG sonst feindlich gesinnt sind.

„Gaza als Schlachthaus für Menschen“

Besonders bedenklich erscheint im Kontext des Münchener Friedensgebetes die Rolle von Imam Benjamin Idriz vom Münchner Forum für Islam, der ein Gebet während der Veranstaltung sprechen soll. Seine Islamische Gemeinde Penzberg verfügte laut dem bayerischen Verfassungsschutz über Kontakte zur Muslimbruderschaft und zur IGMG. Idriz teilte am 3. November auf Facebook einen Beitrag, in dem der bosnische Großmufti Husein Kavazović Gaza als „Schlachthaus für Menschen“ bezeichnete, Tiere würden humaner behandelt als die Palästinenser von Israel.

Der islamistische Hintergrund von muslimischen Religionsvertretern des Muslimrates ist in der Stadt München seit Jahren bekannt. Den Akteur:innen von Kommune und anderen Religionen aber dient der Muslimrat weiterhin als Ansprechpartner. Dabei ist fraglich, in wie weit die im Muslimrat zusammenarbeitenden Gemeinden überhaupt für die Muslime in München sprechen können. Dieses Problem existiert in Deutschland generell im Blick auf muslimische Verbände: 57 % der für die Untersuchung „Muslimisches Leben in Deutschland 2020“ befragten Muslime fühlen sich nicht durch die Verbände vertreten, „sei es, weil sie diese nicht kennen oder weil sie deren Arbeit explizit ablehnen“. Die Studie (PDF) wurde im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz durchgeführt.

Angesichts dieses Befundes steht nicht nur in Frage, inwieweit die ca. 5,3 Millionen in Deutschland lebenden Muslime ihre gesellschaftspolitische Repräsentanz organisieren: Für den Dialog mit Communities mit Migrationshintergrund aus mehrheitlich muslimischen Ländern greifen Staat, Politik und auch die Kirchen auf die Verbände als Ansprechpartner zurück, unter anderen auch für die Organisation des Islamischen Religionsunterrichts in Hessen und Nordrhein-Westfalen (DITIB). Dabei findet der geringe Organisationsgrad der Muslime in Deutschland kaum Berücksichtigung und religiös Distanzierte, liberale Muslime und Angehörige muslimischer Minderheiten werden an den Rand gedrängt.

Die größeren islamischen Verbände jedoch versagen beständig, wenn es um die konsequente Ächtung von Antisemitismus in ihren Reihen und die Bekämpfung von Islamismus und (türkischem) Nationalismus geht. Der aktuelle Gaza-Krieg ist hier nur ein weiteres Brennglas, unter dem die vielfältigen Probleme im Dialog mit dem Islam in Deutschland sichtbar werden. Wie werden sich staatliche, politische und kirchliche Akteure positionieren? Kann es Dialog „auf Augenhöhe“ zum Preise der Wahrhaftigkeit geben? Zu welchem Handeln verpflichtet die Zusicherung „gegen jeden Antisemitismus“ aufzustehen die Vertreter von Staat und Kirchen?

Aktualisierung, 6. November, 13:35 Uhr:

Das Friedensgebet in München wurde von der Stadt abgesagt, nachdem die Israelitische Kultusgemeinde von einer Mitwirkung zurückgetreten ist. Oberbürgermeister Reiter erklärte dazu:

„[…] Mir ging es darum, als Münchner Oberbürgermeister zu deeskalieren und den Zusammenhalt unserer Stadtgesellschaft zu stärken. Deswegen habe ich es begrüßt, dass auf Initiative von Münchner Imamen auch spontan Vertreter der jüdischen, katholischen und evangelischen Religionsgemeinschaften ihre Teilnahme an einem gemeinsamen interreligiösen Friedensgebet zugesagt haben. Es war Voraussetzung für die Übernahme meiner Schirmherrschaft, dass auch ein Vertreter der jüdischen Glaubensgemeinschaft ein Gebet spricht. Das ist nun leider nicht mehr der Fall. Das bedauere ich, habe aber auch Verständnis dafür. Die Zeit ist derzeit offenbar nicht reif, um in und für München ein gemeinsames Friedensgebet zu ermöglichen. […]“


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