Ganz weit #unten: Merz und der Mammon
Während unter dem Hashtag #unten über Ungleichheit und Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft diskutiert wird, regen sich Menschen über Friedrich Merz auf, der sein vieles Geld mit schmierigen Geschäften verdient hat.
Beide Diskussionen hängen miteinander zusammen: Unter #unten schildern Betroffene ihre Armutserfahrungen. Manchmal sind die existenzbedrohend, manchmal geht es um Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe. Es sind Geschichten von materieller Not und – dem Medium geschuldet – häufig solche von Menschen, die trotz wenig Geld phantasievoll und kreativ mit ihrer Lage umgehen. Was ist eigentlich mit denjenigen Armen, die keinen Twitteraccount haben?
Den Zeitungen des Landes schilderte wiederum Friedrich Merz seine Überzeugung, dass man als mehrfacher Millionär weder reich noch Oberschicht sei. Bei Fragen nach seinen kapitalgeilen Arbeitgebern wirkt der Sauländer sauertöpfisch. Klar, in den 1990er-Jahren hatte sich in Merzens Politikblase eine yuppieske Einfalt im Umgang mit dem lieben Geld Bahn gebrochen: Mehr, viel mehr sollte es sein und ganz, ganz schnell!
Das zu kritisieren ist nicht nur erlaubt, sondern geboten. Auch wenn sich die konservative Presse ereifert, hier würde eine typisch deutsche „Neiddebatte“ forciert. Vielleicht ist Deutschland gar nicht das Land der Neiddebatten, sondern derjenigen, die solche unbedingt verhindern wollen? Dann würde nämlich auch über die ungerechte Verteilung des Wohlstands gesprochen.
Gier ist geil?
Wenn sich auch am kapitalistischen Wirtschaftssystem seit Merzens Abschied aus der Politik wenig getan hat, so doch durchaus in der Mentalität der Bevölkerung. Dazu haben Börsencrashs und Finanzkrise beigetragen. Denn, let’s face it, so richtig fucking rich wird man erst, wenn man es sich leisten kann, sein Geld für sich „arbeiten“ zu lassen. Shareholder value, so haben wir gelernt, lässt sich auch mit „Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich“ übersetzen.
Ob sich der grün-angekitschte bürgerliche Gesinnungswandel in Sachen Geld schon jetzt auf die Vorsitzendenwahl der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) auswirkt?
Unbändige Gier ist jedenfalls nicht (mehr) geil. Das Prinzip Nachhaltigkeit hat in alle Arbeitsfelder Einzug gehalten. Umweltschutz und Ressourcenschonung (old school: Bewahrung der Schöpfung) sind nicht nur Themen von Personalkonferenzen. Überall in Deutschland, auf dem Land und in der Stadt, fragen sich Menschen, wie wir noch in zehn, zwanzig Jahren gut und gerne da leben können, wo Flüsse austrocknen, Brände wüten, Wohnraum knapp wird, Luftverschmutzung zunimmt.
Für Merz sind solche Fragen grüner Pippifax. Diese Umweltfragen aber bilden sich immer mehr zu neuen sozialen Fragen aus, auf die Antworten gefunden werden müssen, sollen nicht gerade die wirtschaftlich Schwachen unter den Folgen des Klimawandels und Wirtschaftens am meisten leiden. Dazu braucht es die Verantwortung derjenigen, die Geld haben.
„zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“
In der Verfassung mag stehen, dass die Verwendung des Eigentums „zugleich dem Wohle der Allgemeinheit“ zu dienen hat, christliche Politiker aber sind noch durch eine schärfere Forderung herausgefordert. In der Bergpredigt heißt es:
Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. […] Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
Der Jesus der Evangelien lässt keinen Zweifel daran: Wer reich ist, hat’s eher schwer ins Reich Gottes einzuziehen. Man kann nicht gleichzeitig auf Profit und die allgemeine Wohlfahrt schielen. Höchstens abwechselnd. Sonst verliert man beides aus dem Blick.
Gott dienen heißt, dem Leben dienen. Oder mit Herbert Marcuse: „Der Mensch ist nicht zum Kämpfen geboren, sondern zum Leben – und zum Kämpfen nur verurteilt.“ Darum soll der Mensch sein Herz nicht an den schnöden Mammon hängen und jederzeit bereit sein von seinem Eigentum alles fortzugeben, was sein Nächster braucht. Das heißt zuerst einmal mit offenen Augen durch die Welt zu gehen:
Auch diejenigen Armen zu sehen, die sich nicht an Hashtag-Kampagnen beteiligen, Obdachlosen eher kein signiertes Buch von sich selbst zu schenken, die Probleme wirtschaftlich Schwacher zur Kenntnis zu nehmen. Überhaupt einen Unterschied zu machen zwischen sozialer und wirtschaftlicher Schwäche. Nicht nur im Neuen Testament sind die Rollen von der Weihnacht in Bethlehem bis zum letzten Abendmahl vertauscht: Wer wenig hat, ist nicht asozial. Und wer viel hat noch lange kein Heiliger. Gerade nicht.
Dass reiche Leute sich weniger um andere Menschen scheren, ja, sie überhaupt nicht mehr wahrnehmen, ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen. Dacher Keltner, Psychologieprofessor in Berkeley (USA), hat herausgefunden, dass „die Armen, verglichen mit den Reichen, stärker auf zwischenmenschliche Aufmerksamkeit in alle Richtungen eingestellt sind“, während die Reichen sich nur um ihr eigenes Wohl oder das von Gleichgestellten scheren.
Was zwischenmenschlich gilt, hat konkrete politische Folgen, wenn reiche US-Präsidenten die Steuern für Reiche senken und dadurch die Gesundheitsversorgung der durchschnittlichen Bevölkerung aufs Spiel setzen. Welche Konsequenzen hätte ein Yuppie-CDU-Vorsitzender und Bald-Kanzler Merz? Kann sich Europa noch mehr soziale Kälte und wirtschaftliche Ungerechtigkeit leisten?
Keltners Forschung weist darauf hin, dass die Wahrnehmung der Nöte und Gefühle einer anderen Person grundlegend für Empathie ist, die wiederum zu gegenseitigem Verständnis führt und dazu, dass mich das Schicksal des Anderen etwas angeht.
Nicht geschickt für das Reich Gottes
In der Sorge um den Anderen tritt nach christlichem Verständnis die Liebe Gottes zu Tage. Justice is what love looks like in public, so das Mantra von Cornel West. Oder in der deutschen Übersetzung von Fulbert Steffensky: Gerechtigkeit ist strukturell gedachte Liebe.
Wer sich und sein Geld für andere verwendet, der hat mit dieser Sorge Anteil am Werk Gottes in dieser Welt. Bekenntis hin oder her. Indem ihn das Schicksal des Anderen etwas angeht, hat er Teil an dem was Paul Tillich den ultimate concern nennt: Das, was uns unbedingt angeht. Also das, was letztlich über unser Sein oder Nichtsein entscheidet.
Wer sich nur für sich selbst und die eigene Mischpoke einsetzt und sein Geld „in die Scheunen“ sammelt, der ist – traditionell formuliert – nicht geschickt für das Reich Gottes. Er lebt am eigentlichen Sinn des Lebens vorbei. Er hat noch nicht begriffen, worum es geht und wozu wir eigentlich da sind. Wer sein Herz ans Geld hängt, ist ein alter Götzendiener. Für den CDU-Vorsitz könnte das reichen.