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Gefährliche Nachbarschaft – Die #LaTdH vom 8. Juli

Auf in den Urlaub, weg von den Nachbarn. Denkste! Um unheimliche Nachbarschaften geht es in der Debatte dieser #LaTdH. Außerdem: Utopien zur Zukunft Europas und der Kirchen, bisschen Tratsch & ein cheesy Song.

Debatte

Gefährliche Nähe – Antje Schrupp (beziehungsweise weiterdenken)

Wenn ein Text, wie dieser von Antje Schrupp (@antjeschrupp), eine Idee vorstellt und entfaltet, die innovativ ist und das Potential hat unsere Debatten nachhaltig zu verändern, dann genügt es nur diesen einen Text zu lesen und zu diskutieren.

Antje Schrupp identifiziert anknüpfend an eine Wochenendtagung von Diotima, einer Gemeinschaft italienischer Differenzfeministinnen, mehrere Beispiele aus ihrer eigenen feministischen und politischen Arbeit, die das dort vorgestellte Konzept der „Gefährlichen Nähe“ bzw. „Gefährlichen Nachbarschaft“ widerspiegeln. Sie ist auf dem Pfad, ein neues Erklärungsmodell zu finden für ein Phänomen, das inzwischen alltäglich geworden ist: Dass sich Menschen, die sich für klassische „linke“ Ideen einsetzen immer häufiger „auf einer Seite“ mit Rechten wiederfinden.

Das Modell der „gefährlichen Nachbarschaften“ hingegen bietet einen anderen Zugang: Wenn der Übergang zwischen Links und Rechts […] nicht so vonstatten geht, dass man eine weite Entfernung zurücklegt, um vom einen zum anderen zu kommen, sondern dass man ganz in der Nachbarschaft quasi durch eine falsche Tür geht, dann erklären sich beide Phänomene. […]

Die relevante politische Unterscheidung wäre dann nicht „links“ und „rechts“, sondern vielleicht „freiheitlich“ und „repressiv“: Es gibt eine freiheitliche Art, Apfelkuchen zu backen, und eine repressive. Es gibt eine freiheitliche Art der Globalisierung und eine repressive. Es gibt eine freiheitliche Art der Wertschätzung regionaler und lokaler Eigenheiten und eine repressive. […]
Der Unterschied ist gewissermaßen qualitativ groß, aber quantitativ klein.

Mein rechter Nachbar ist also nicht unendlich weit von mir entfernt, sondern nur eine Tür entfernt sogar unheimlich – im doppelten Sinne – nah. Was bedeutet das für politische Debatten? Für Antje Schrupp zweierlei: Erstens ermöglicht die neu festgestellte Nähe den Dialog, weil nicht mehr unendliche Unterschiede, sondern die verbindende, wenn auch zugeschlagene Tür (um im Bild zu bleiben), thematisiert werden kann. Zweitens lenkt die wiedergewonnene Nähe den Blick auf die eigene Person und Verführbarkeit.

Am Konzept der „gefährlichen Nachbarschaften“ finde ich besonders erotisch, dass es den Blick auf das Moment der Entscheidung zurückführt. Den Rechtsdrall in unserer Gesellschaft erklärt man sich in den Feuilletons und Leitartikeln gerne mit einer irrationalen Angst, die von Menschen und Gruppen, ja, Nationen Besitz ergreift. Mir gefällt an dieser Erklärung nicht, dass damit gegen den rechten Bocksgesang angeraunt wird, als ob es eine unpersonale Macht des Bösen gäbe, die einem Schatten gleich über den Landen schwebt – Europa ist nicht Mordor.

Nein, Menschen haben sich bewusst dafür entschieden, repressive Lösungen freiheitlichen vorzuziehen. Sie favorisieren den Nationalstaat gegenüber der Europäischen Einigung, die Ausgrenzung und Abschiebung von Ausländern gegenüber der Integration und Unterstützung von Einwanderern und Geflüchteten. Sie gehen „durch die Tür“ und sind dafür voll verantworlich, zumindest historisch haftbar zu machen und es gibt einen Weg zurück: Sie können sich selbstverständlich auch wieder umentscheiden.

Das scheint mir – nebenbei gesagt – auch eine wesentlich christlichere Sicht auf die Sache als die übliche Angst-Beschau, weil darin so traditionelle Begriffe wie Sünde, Umkehr, Buße und Vergebung Platz finden – und ja, auch die eigene Verführbarkeit überhaupt erst einmal „ungestraft“ thematisiert werden kann.

Wir haben in unserer Kultur eben wenig Kompetenz und Übung darin, mit diesen „gefährlichen Nachbarschaften“ umzugehen. Ganz im Gegenteil: Normalerweise wird ja so getan, als ob politische Positionen umso weiter voneinander entfernt sind, je unterschiedlicher sie sind.

nachgefasst

Was wäre, wenn … alle Grenzen offen wären? – Christoph Koch (brand eins)

Bleiben wir mal bei der schönen Übung, das eigene Denken durch Gedankenexperimente und Synapsendehnungen herauszuforden. Christoph Koch (@christophkoch) stellt in der brand eins eine lohnenswerte Frage, nebst lesenswertem Antwortversuch:

Kaum eine Wahlkampfrede, kaum eine Talkshow, die nicht irgendwann bei den immergleichen Fragen landet: Wie viele sollen kommen dürfen? Wie viele Zuwanderer verkraftet die Gesellschaft? Wann muss Schluss sein? Wie sichert die Europäische Union ihre Außengrenzen? Wenn so lange in eine Richtung gedacht wurde, sollte man die Frage vielleicht einmal umdrehen: Was wäre, wenn alle Menschen kommen könnten, die wollen? Wenn alle Grenzen offen wären?

Mittelmeer: Es schreit zum Himmel – Manfred Rekowski (Präsesblog)

Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland @ManfredRekowski denkt nicht in Utopien, er schimpft aus vollem Herzen über die leibhaftige Kriminalisierung der Seenotrettung im Rahmen des Ausbaus der Europäischen Union zur Festung:

Es sterben ja nicht weniger Menschen, nur weil es keine Bilder und Berichte mehr davon gibt. Was hier den Menschenrechtsorganisationen widerfährt – willkürliche Verbote oder Beschlagnahmungen – kenne ich sonst nur aus anderen Teilen der Welt. Mitten in Europa, im Rechtsraum der Europäischen Union, ist das für mich ein Skandal – ein himmelschreiender.

Für mehr 4.0 in der Sozialethik – Felix Neumann (y-nachten)

Bei den Kolleg_innen von y-nachten schreibt Felix Neumann (@fxneumann, sonst katholisch.de & Digitale Lebenswelten) über die #digitaleKirche. Er fordert – selbst von der katholischen Fakultät der großen christlichen Geschwister_innenschaft – eine Digitalenzyklika aus dem Vatikan. (Im Text stehen allerding noch mehr, auch praxisnähere Ideen.) Höchste Zeit wäre es jedenfalls:

43 Jahre lagen zwischen Kommunistischem Manifest und Rerum Novarum. Seit der „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“ sind 22 Jahre vergangen – nach kirchlichen Maßstäben also: etwas über Halbzeit für die Digitalenzyklika. Umso wichtiger, dass die akademische Sozialethik wie die katholischen Sozialverbände darauf nicht warten und sich endlich umfassend der Rerum Novissimarum annehmen, die heute so wenig die neuesten Dinge sind, wie 1891 die Soziale Frage eine neue Sache war.

Buntes

Kein geschützter Raum – Hanna Jacobs (Christ & Welt)

Hanna Jacobs (@hannagelb) Kolumnen für die Christ & Welt umweht nicht selten eine gewisse Leichtigkeit, die sie zu einer ungemein angenehmen Lektüre machen. Diesmal aber gibt es bei Hanna Butter bei die Fische: Warum gelingt es „der Kirche“ nicht, dass wenigstens in ihren Räumen über psychische Erkrankungen offen und heilsam geredet werden kann?

Das scheint zunächst paradox, denn die Kirche stellt wertvolle Ressourcen wie die Telefonseelsorge oder kirchliche Beratungsangebote kostenlos zur Verfügung. Den Mühseligen und Beladenen beizustehen ist Christenpflicht, doch scheinbar kann das nur, wer selbst stets ausgeglichen ist. […] Und ich kann es verstehen – die Sorge, für schwach, also ungeeignet befunden zu werden, ist groß. Zumindest über Burnout redet man inzwischen zum Glück. Denn wer Burnout hat, hat zu viel gearbeitet, und viel arbeiten, ordentlich was schaffen, das ist gesellschaftlich anerkannt. Doch Kirche ist nicht nur für die Anerkannten da oder die, die bis zum Umfallen arbeiten.

Umbau der Tebartz-Suite kostet Dombaumeister den Job – Wolfgang Türk (hessenschau.de)

Wenn man(n) im Bistum Limburg Mist baut, dann kann man(n) sich getrost den nächsten Karibikurlaub leisten (und das neue Cabrio dazu):

Ein Vergleich, den Bistum und Baumeister am Donnerstag vor dem Arbeitsgericht in Wiesbaden eingegangen sind, sieht nun vor: eine ordentliche Kündigung des Baumeisters, seine Freistellung und 8.600 Euro monatlich bis zum Ausscheiden Ende September. Dazu ein gutes Zeugnis und 100.000 Euro Abfindung.

Macht gute (!) Werbung – Sebastian Baer-Henney (#RLVNZ)

Sebastian Baer-Henney (@luthersoehnchen) mit guten Argumenten, Tipps und Beispielen für eine zeitgenössische Gestaltung kirchlicher Werbung. Er empfiehlt, den Artikel Gemeinden und Pfarrer_innen weiterzureichen, die ihn dringend lesen müssten. Wir reichen ihn hier mal digital weiter. Und wenn es ihm auch hauptsächlich um Flyer und Plakate geht, einen wichtigen Gedanken zur Arbeitseffizienz im digitalen Zeitalter nimmt er auf:

Ich sage jetzt was Kontroverses: Whatsapp und Facebook sind gute Werbeträger für Gemeinden. Newsletter ebenfalls – wenn sie gut aussehen. Flyer können hier auch digital verarbeitet werden, der crossmediale Einsatz potenziert sich sogar.

Recht hat er: Die Ansprüche an die Gestaltung von Werbeträgern sind gestiegen. Und: An jeder Ecke gibt es Werkzeuge, die Design einfach machen wie nie. Untenstehendes Beispiel einer Postkarte (und Bilddatei für digitale Kanäle) habe ich z.B. mit dem Editor zusammengeschoben, den das Druckhaus auf seiner Website selbst zur Verfügung stellt (die Rückseite gibt es hier aus Datenschutzgründen nicht). Nichts Weltbewegendes, aber wertiger als das, was viele Gemeinden ihren Leuten noch immer zumuten.

Kein Halleluja! – Tobias Sauer (In Ya Face!, Podcast)

In einer neuen Folge des In Ya Face-Podcasts (zur #Abgehört-Vorstellung) legt uns Tobias Sauer (@sigmahlm) ans Herz, doch in Zukunft auf den alten Leonard-Cohen-Schinken zu verzichten. Bei Trauungen und anderen Kasualien handelt es sich doch eher selten um die Feier zerbrochener Beziehungen.

Auffällig bei diesen Interpretationen des Liedes: Der Hauptaugenmerk liegt auf dem langsam, schnulzig, zuckersüß gezogenen Halleluja. Bitte merken: Nur weil Halleluja ganz oft wiederholt wird, ist es noch lange nicht die wichtigste Botschaft im Text.

Cohens „Hallelujah!“ ist vielmehr der Soundtrack der von der ehemaligen Ratsvorsitzenden und nun beruhestandeten Margot Käßmann erneut ins Spiel gebrachten „Scheidungs“-Kasualien.

Vielleicht versucht ihr es bei freudigen Anlässen (und zur Sommerszeit ganz allgemein) mal mit diesem Halleluja von Andy Grammer (Klick aufs Bild führt zu Youtube):

„I’ve been grinding so long, been trying this shit for years and I got nothing to show, just climbing this rope right here and if there’s a man upstairs, he kept bringing me rain, but I’ve been sending up prayers and something’s changed: I think I finally found my Hallelujah.“

#Seehofersongs:

Der letzte Tag des Herrn zog sich für den CSU-Vorstand ja bedenklich hin, an den Monitoren verfolgten zahlreiche Bürger_innen das Spektakel wie ein WM-Spiel – Public Viewing reziprok zur Darstellung von Politik. Den Kommentar zu diesem recht eigentlichen Politikversagen der Konservativen hat Christian Bangel (@christianbangel) auf ZEITonline geschrieben. Und ein lustiges Meme hat Heimatminister Seehofers erneuter Abstecher in die Gefilde politischer Unanständigkeit auch hervorgebracht:

Ein guter Satz

„Denn wer nirgendwo zuhause ist,
der kann auch keine Nachbarn haben.“

– aus des verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Raus Gedanken zum Reisen, hier der vollständige Text bei den Kolleg_innen von feinschwarz.net