Bild: Montage (Frank Vincentz, Wikipedia, CC BY-SA 3.0 & Rüdiger Müller, Wikipedia, CC BY-SA 4.0)

„Gott mit uns“: Die Theologie der Neuen Rechten

Die Neue Rechte instrumentalisiert das Christentum für ihre Zwecke, doch findet sie in Theologie und Kirchengeschichte auch Anknüpfungspunkte, die noch zu wenig reflektiert sind.

Seit Wochen wird in Deutschland über die selbsternannten „Reichstagsstürmer“ diskutiert. Eines der Bilder, das nach dem Einbruch in das Parlamentsgebäude durch die internationale Presse geisterte, blieb in dieser Diskussion unbeachtet. Es zeigt einen jungen Mann vor den Stufen der Eingangstreppe, der sich eine rote Flagge mit dem Eisernen Kreuz wie einen Umhang um die Schultern gelegt hat. „Gott mit uns“ prangt darauf.

Spätestens seit PEGIDA mit einem großen schwarz-rot-goldenen Kreuz durch Dresden marschiert, müssen sich die Kirchen mit der Neuen Rechten auseinandersetzen. Obwohl sie sich damit zunächst schwer taten, wurde den „Spaziergängern“ – nicht nur an der Dresdner Frauenkirche – schließlich doch noch das Licht ausgeknipst.

Als Vertreter der beiden großen deutschen Kirchen hoben Heinrich Bedford-Strohm und Reinhard Marx hervor: Mit dem Christentum hat die Neue Rechte nichts zu tun. „Wir müssen ganz klar sagen“, legte Bedford-Strohm in einem Interview nach, „dass die christliche Religion nichts ist, was mit Abwertung anderer Menschen verbunden werden kann.“

Beachtet man aber, dass die Neue Rechte in Europa schon seit Jahrzehnten das Christentum für sich in Anspruch nimmt, dann schleichen sich Zweifel an der klaren Kante der Kirchen ein. Gerade auf Gemeindeebene häufen sich Berichte über zunehmende Vereinnahmungsversuche des Christentums durch neurechte Kräfte. Gibt es vielleicht so etwas wie eine Theologie der neuen Rechten?

Nicht nur in den Kirchen wird gerne davon gesprochen, dass die Neue Rechte das Christentum „gehijackt“ habe. Die Metapher der Entführung – bei „hijacking“ denkt man an ein von Terroristen entführtes Flugzeug – wird bemüht, um einen Unterschied zwischen einem authentischen und einem inauthentischen Christentum zu etablieren. So soll die Neue Rechte vom Traditionsschatz des Christentums ferngehalten werden. Theologische Themen werden von Rechten wie dem Reichtagsstürmer nämlich nicht interpretiert, sondern instrumentalisiert.

Daran, dass die Kirchenvertreter diesem Gedankengang folgen, gibt es gar nichts auszusetzen. Klare Kante ist genau das, was in vielen Gemeinden gebraucht wird. Nur hat die Christentumsgeschichte schon so manche klare Kante zerfressen.

Ulrich Schmiedel und Hannah Strømmen

Ulrich Schmiedel ist an der University of Edinburgh Lecturer für Theologie, Politik und Ethik. Hannah Strømmen ist Senior Lecturer für Bibelwissenschaft an der University of Chichester. Gemeinsam haben sie im Buch „The Claim to Christianity: Responding to the Far Right“, das im Juni 2020 erschienen ist, eine Analyse der Theologie der extremen Rechten in Europa vorgelegt.

Vordenker der Neuen Rechten in der Theologie

Das „Gott mit uns“ des Reichstagsstürmers hatte sich das Christentum schon während der Kreuzzüge auf die Fahnen geschrieben: „Deus vult“, „Gott will es“. Der Kampf gegen den Islam, den die Neue Rechte quer durch Europa schürt, findet in der Theologie viele Vordenker, die das Motto dogmatisch und ethisch variieren.

Während spätestens seit 9/11 jeder um die Gefahren eines politischen Islam weiß, der Menschen radikalisiert und terrorisiert, fürchten sich nur wenige vor einem politischen Christentum. Und genau das will die Neue Rechte ausnutzen. In ihrer Theologisierung der Vorstellung des Kampfes der Kulturen ist das Christentum freundlich und friedlich. Damit steht es dem Islam unversöhnlich gegenüber. Und deshalb hat der Islam für sie keinen Platz in Europa.

Natürlich kann man sich über die mangelnde Traditions- und Textsicherheit lustig machen, die etwa bei PEGIDA dazu geführt hat, dass Weihnachtslieder während der Proteste manchmal nur gesummt wurden. Auch der Reichtagsstürmer mit der Flagge wusste vielleicht nicht ganz so genau, was es mit dem „Gott mit uns“ auf seinem Rücken auf sich hatte. Umso erstaunlicher ist es, dass er die Theologie, die in diesem Motto zum Ausdruck kommt, für sich in Anspruch nimmt.

Abendland statt Morgenland

Dieser Theologie geht es um die Bedeutung des Christentums für die europäische Kultur, Abendland statt Morgenland. Kreuzzugschristentum und Kulturchristentum passen wie die Faust aufs Auge. Organisationen wie „Christen in der AfD“ suchen dann den Schulterschluss mit denen, die ins Apostolische Glaubensbekenntnis einstimmen, das sie in ihrer Grundsatzerklärung in Gänze zitieren. Und dann fliegen die Fäuste.

Man kann einwenden, dass die Theologisierung des Kampfes der Kulturen in der Neuen Rechten historisch nicht unbedingt schlüssig und hermeneutisch nicht unbedingt schlau ist. Das stimmt auch. Manche Auslegung der Bibel, die sich in den Pamphleten der Neuen Rechten findet, ist aberwitzig – man denke an Beatrix von Storchs Stellungnahme zum barmherzigen Samariter, nach der das Gleichnis gerade nicht zur Unterstützung von Flüchtlingen aufruft.

Trotzdem muss man sich mit ihnen auseinandersetzen. Die Theologie der Neuen Rechten – das macht das „Gott mit uns“ deutlich – kommt nicht aus dem Nichts, sondern aus einer Christentumsgeschichte, die sich mit der Anerkennung der Anderen, der Häretiker und der Schismatiker, immer schwer getan hat. Islamfeindlichkeit ist zwar nur ein Ausdruck und nur ein Auswuchs dieser Geschichte, aber gegenwärtig sicher einer der bedrohlichsten.

Die Theologie der Neuen Rechten ist so gefährlich, dass man sie nicht unkommentiert stehen lassen darf. Wer sagt, dass das „Gott mit uns“ des Reichstagsstürmers nichts mit dem Christentum zu tun hat, läuft Gefahr, sich seiner Verantwortung zu entziehen. Dabei muss es angesichts des Erfolgs der Neuen Rechten doch gerade darum gehen, sich der christlichen Islamfeindlichkeit zu stellen. Nur so kann eine Stellungnahme wie die, „dass die christliche Religion nichts ist, was mit Abwertung anderer Menschen verbunden werden kann“, überzeugen.