Bild: Karikatur von Gerhard Mester für dieKirche

Handlungsmuster des Bedauerns

Karikaturen und Artikel in deutschen Zeitungen bedienen antisemitische Ressentiments. Unser Gastautor analysiert den mangelhaften Umgang der Redaktionen mit Antisemitismusvorwürfen.

„In diesem Jahr ist doch manches anders“, resümiert Christoph Markschies in seinem Beitrag zum Israelsonntag 2018 in der Evangelischen Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg und die schlesische Oberlausitz dieKirche die letzten Infragestellungen des christlich-jüdischen Dialogs, von den Einlassungen des emeritierten Papstes, bis hin zur Missachtung des Alten Testaments in der Pfarrerschaft:

„Und dann schlägt man noch seine Kirchenzeitung auf und findet eine ganz trübe Karikatur darin.“

Markschies bezog sich auf eine Karikatur, die die Kirchenzeitung am vorhergehenden Sonntag gedruckt hatte (s. Titelbild). Anlass war das vom israelischen Parlament, der Knesset, verabschiedete Nationalstaatsgesetz. Bischof Markus Dröge sah sich umgehend zu einer Distanzierung veranlasst:

„Eine solche Karikatur in unserer Kirchenzeitung ist für mich vollkommen inakzeptabel! Hier wird mit Bildern suggeriert, es seien ,die Juden‘, die ,die Araber‘ in Israel beiseite drücken, aushungern, zerquetschen wollen. Gut und Böse sind klar verteilt.“

Verlag und Redaktion erkannten denn auch sofort, dass ihnen mit der Veröffentlichung „ein schwerer Fehler unterlaufen“ ist:

„Der Abdruck ist in kritischer politischer Absicht gegenüber dem neuen Nationalstaatsgesetz geschehen – und bedeutet in der fatalen Annahme, dass es eine rein politische Karikatur in unserer Zeitung zu diesen Themen geben könnte, eine nicht zu entschuldigende Geschmacklosigkeit.“

Mit dieser Wertung ist der Vorgang zutreffend bezeichnet. Gerade angesichts der Urteile des Bundesverfassungsgerichtes in dieser Woche ist zu betonen, dass die Karikatur von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, die, wie das Gericht schon 1958 feststellte, „eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt“ und für unser freiheitlich-demokratische Staatsordnung „schlechthin konstituierend“ sei.

Das oberste Gericht beeilte sich jetzt aber zugleich zu betonen, dass deshalb nicht jede nicht strafbare Äußerung gleich akzeptabel sei. Die Auseinandersetzung mit den Grenzen der Freiheit und des Anstandes ist daher Aufgabe aller und kann nur im öffentlichen Diskurs geführt werden.

Bild: Ausschnitt der Süddeutschen Zeitung mit Karikatur von Ernst Krahl

In der Debatte um Kritik am Handeln der israelischen Regierung und insbesondere an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist besonders darauf zu achten, ob und wie antisemitische Klischees, etwa in einer Karikatur, wiederaufgenommen und aktualisiert werden. Hier gab es in den vergangenen fünf Jahren durchaus einen roten Faden, den der Zeichner in dieKirche fortgesponnen hat.

Im Juni 2013 missbrauchte die Süddeutsche Zeitung eine Zeichnung von Ernst Kahl, indem sie diese in einen völlig neuen Kontext setzte, über den der Zeichner damals sich nur „entsetzt“ äußern konnte, weil sie mit der Unterzeile „Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt. Israels Feinde halten das Land für einen gefräßigen Moloch“ nun wie eine antisemitischen Hetzzeichnung auf Stürmer-Niveau wirken musste.

Der nationalsozialistische „Stürmer“ hat den hässlichen, gefräßigen Juden, einen Moloch in Menschengestalt, der im Begriff ist, sich die Welt einzuverleiben, so fest ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt, dass er jederzeit abrufbar ist – nur tritt heute „Israel“ an die Stelle des „Juden“.

Nur wenige Wochen später war es die Stuttgarter Zeitung, die ein bestehendes Werk in einen neuen und antisemitischen Kontext setzte – diesmal Georg Kreislers Moritat vom „Tauben vergiften“. Ministerpräsident Netanjahu sitzt auf einer Bank und wirft einer bedröppelt dreinblickenden Friedenstaube vergiftete Brotstückchen hin.

Bild: Karikatur des Zeichners Luff aus der Stuttgarter Zeitung

Damit wird erneut eine Erinnerung des antisemitischen kulturellen Gedächtnisses reaktiviert: das Bild der Juden als „Brunnenvergifter“, das in der Geschichte mehrfach Pogrome gegen jüdische Gemeinden auslöste.

Unnötig hervorzuheben ist, dass Israel mit Netanjahu natürlich alleine auf der Anklagebank im Park sitzt; Palästinenser, arabische Staaten oder der Iran bleiben unsichtbar, sie stehen ja auf der Opferseite.

Und wieder gab es heftigen Protest für die vorgenommene Umdeutung. Georg Kreislers Tochter Sandra Kreisler schrieb an die Redaktion:

„Wie kann man nur eine Zeichnung veröffentlichen, die den Namen und die Arbeit meines Vaters in Zusammenhang mit einer Meinung stellt, die erstens deutlich NICHT die seine war, zweitens KEINERLEI Verbindung mit dem zitierten Lied hat und drittens rein inhaltlich ebenso antisemitisch wie inhaltlich falsch ist.“

Der stellvertretende Chefredakteur Michael Maurer antwortete, er

„bedauere es, dass Sie sich durch die Karikatur verletzt fühlen. Das war weder die Absicht des Karikaturisten noch die der Redaktion.“

[Anm. d. Red.: Ebenfalls als „Friedensvergifter“ wurde Netanjahu in einer weiteren Karikatur in der Badischen Zeitung dargestellt. Ausgerechnet am 9. November 2013. Die Ruhrbarone berichteten.]

Mehr als Bedauern?

Immerhin nicht nur ein Bedauern, sondern das Eingeständnis eines Fehlers, „für den wir um Entschuldigung bitten“, äußerte der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Wolfgang Krach, nachdem sein Blatt im Mai diesen Jahres eine Karikatur ihres Zeichners Dieter Hanitzsch gedruckt hatte, die Benjamin Netanjahu in Gestalt der israelischen Gewinnerin des Eurovision Song Contest, Netta, zeigte: Er hält eine Rakete in der Hand und in der Sprechblase steht: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“ Auf der Rakete ist ein Davidstern abgebildet, im Schriftzug „Eurovision Song Contest“ ersetzt ein Davidstern das „v“.

Bild: Karikatur von Dieter Hanitzsch in der Süddeutschen Zeitung

In der Folge der Proteste, in die sich sogar der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, einfügte, beendete die Süddeutsche Zeitung ihre Zusammenarbeit mit Hanitzsch. Klein hatte kritisiert:

„Hier werden Assoziationen an die unerträglichen Zeichnungen der nationalsozialistischen Propaganda geweckt. Auch wenn Karikaturen ironisieren und provozieren sollen, ist hier eine rote Linie überschritten worden.“

Im Juni 2018 beschied der Deutsche Presserat die eingereichten Beschwerden: Die Karikatur „ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Die Grenze zur Diskriminierung von Juden sei nicht überschritten worden.“

Variante der „Auschwitzkeule“

Die Diskussion um Antisemitismus in der Zeitungspresse schwappte im Juli auch nach Thüringen. Am Montag, den 23. Juli 2018, nahm Rezensentin Dr. Ursula Mielke ihren Bericht in der Thüringer Allgemeinen und der Thüringischen Landeszeitung über ein Konzert des deutsch-israelischen Kadya-Jugendchores im Rahmen des Yiddish Summer Weimar zum Anlass, mit dem Festival jiddischer Lebenswelten insgesamt abzurechnen: „Künstlich muss man nichts, aber auch gar nichts am Leben erhalten.“

„Künstlich“ war ihr die Finanzierung der Festspiele, „weil alle Welt glaubt, dass wir Deutschen immer noch humanitäre Schulden aus dem Zweiten Weltkrieg zu begleichen hätten“ und darum bei uns „das Geld für allseits sehr gut begründbare Projekte noch locker fließt“. Das sei auch der Grund, warum der Festivalmacher Alan Berg sein Projekt „nicht in seinem großen, reichen Herkunftsland USA ansiedelt, sondern im kleinen Deutschland“.

Johannes Heil, Rektor der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, urteilte anschließend zutreffend: Die Redakteurin schaffe es,

„binnen weniger Zeilen das gesamte Repertoire modern gewendeter Antisemitismen einzuspielen. Ihre Codes lauten Schuld, Geld, Jude; im Subtext klingen Ostküste, Wall Street, Hochfinanz, Blutsauger und auch Höckes Schandmal an. Das ist mehr als die Rede von »klein« gegen »reich«. Hier erklingt eine musikalische Variante der »Auschwitzkeule«, mit am Ende stets demselben Refrain: dass der Holocaust den Juden immer noch gut genug sei, um damit Kasse zu machen.“

Auch hier ähnelten die Reaktionen den zuvor beschriebenen. Chefredakteur Johannes M. Fischer bat für die Thüringer Allgemeine „alle, die sich verletzt fühlen“ um Entschuldigung. Der „Artikel mit antisemitischen Äußerungen … hätte nie erscheinen dürfen.“ Und die Funke-Mediengruppe, zu der die Thüringer Zeitungen gehören, äußerte, „die Autorin dürfe in Zukunft nicht mehr in den Zeitungen der Gruppe publizieren“.

Handlungsmuster des Bedauerns

Angesichts der Karikaturen und Texte, deren Vorstellung hier keine vollständige sein will, wird ein Handlungsmuster erkennbar. Redaktionen und Chefredakteure vermögen das antisemitische Potential der von ihnen gedruckten Beiträge nicht zu erkennen. Warum eigentlich nicht?

Hinterher, wenn „das Kind in den Brunnen gefallen“ ist, drückt man eilfertig Bedauern aus oder bittet um Entschuldigung. Angesichts der Häufung der Vorgänge kam es zuletzt zunehmend zur Aufkündigung der Zusammenarbeit mit Autorin oder Zeichner. Die Frage nach der Verantwortung und dem journalistischen Handeln der Redakteure aber bleibt und wartet auf glaubwürdige Antwort.