Foto: Tuncay (Flickr), CC-by-2.0

Ich wähle die Religion meiner Kinder – sie dürfen (noch) nicht mitreden

Erik Parker ist lutherischer Pastor in Kanada. In seinem Gastbeitrag erklärt er, warum es richtig ist, die Religion der eigenen Kinder zu bestimmen.

Ob Kinder religiös erzogen werden sollen, wird kontrovers diskutiert. Begibt man sich auf eine entsprechende Google-Suche, findet man tonnenweise Artikel, die erklären, dass es schlecht sei, die Religion der eigenen Kinder zu bestimmen.

Entgegen der vorherrschenden Mehrheitsmeinung da draußen, möchte ich eine kühne Behauptung aufstellen: Die Idee, dass man die Wahl der Religion für die eigenen Kinder aufschieben kann, bis sie alt genug sind, selbst zu wählen, ist falsch.

Als Eltern wählen wir so oder so, egal ob wir uns für eine Religion entscheiden oder nicht, wir treffen eine Entscheidung für sie. Wir verschieben die Entscheidung nicht, wir wählen etwas oder eben nichts für sie. Es ist so, als ob ich sagen würde: Ich möchte nicht, dass meine Kinder lesen lernen, sie können ja später für sich selbst entscheiden, Leserinnen und Leser zu werden, wenn sie wirklich wollen. Ich würde keine Entscheidung verschieben, sondern sie der wirklichen Möglichkeit berauben, lesen zu können.

Natürlich ist jede Familie und jedes Kind einzigartig und eine Regel aufzustellen, die für alle gilt, unmöglich. Doch bin ich überzeugt, dass es eine gute Sache ist, eine Religion für eure Kinder zu wählen.

Fremdling in einem fremden Land

Ich taufe viele Babies und Kleinkinder. Die meisten Taufen finden in Familien statt, die nur nominell oder gerade noch so zur Kirche gehören. Großmutter hat bestimmt, das Kind gehöre getauft, sonst lande es in der Hölle. Üblicherweise melden sich dann zaghafte und verunsicherte Eltern per Telefon oder Email bei der Kirche, um nach einer Taufe für ihr heißgeliebtes Kind zu fragen. „Ich wurde in dieser Kirche getauft und konfirmiert“, sagen sie häufig. „Wir denken darüber nach, wieder häufiger zu kommen.“

(Ich weiß nicht, was ihr darüber denkt: Die Idee einer signifikanten Lebensveränderung, wie die Aufnahme regelmäßiger Gottesdienstbesuche, kurz nach der Ankunft eines neuen Kindes halte ich für verrückt.)

Wir treffen uns dann, um darüber zu sprechen, was die Taufe bedeutet, und wir planen die Taufe an einem Sonntagmorgen. Ich versuche durchaus in die Tiefe zu gehen, was das Verständnis und die Symbolik der Taufe angeht, und auch darüber zu sprechen, was die Kirche zur Taufe sagt und was wir glauben, wie Gott in der Taufe wirkt. Aber im Grunde kann kein noch so ausführliches Gespräch diese Familien darauf vorbereiten, vor einer Gemeinde von regelmäßigen Kirchgängern zu stehen, gemeinsam mit diesem komischen Kerl in einem Kleid, der Gebete aufsagt, Fragen stellt und Wasser über das Köpfchen ihres Kindes schüttet.

Ich habe eigentlich immer Mitleid mit diesen Familien und kann ihr offensichtliches Unwohlsein gegenüber einer Gruppe von überwiegend Fremden gut nachvollziehen.

Es braucht Jahre, bis man sich in der Liturgie und den Ritualen der Kirche wohlfühlt. Für diejenigen, für die Kirche kein Teil ihres alltäglichen Lebens ist, und die quasi für die Taufe einfliegen, kann sie eine komische und befremdliche Erfahrung sein. Ich stelle mir das so vor, als ob ich als Kandidat in eine Miss Universe-Wahl geworfen würde. Ich kenne mich nur sehr rudimentär mit Schönheitswettbewerben aus, das meiste weiß ich aus „Miss Undercover“ mit Sandra Bullock … und ich untertreibe, wenn ich bekenne, dass es sich wohl sehr seltsam anfühlen würde!

Ich zweifle nicht an den guten Absichten derer, die zur Taufe kommen oder ihre Kinder bringen, und ich werde jeden taufen, der danach verlangt, aber ich frage mich, warum sich Menschen einem Ritual aussetzen, mit dem sie nichts verbindet und dem sie nur widerwillig nachgehen.

Religionswahl vs. Wahl des Glaubens

Meine Eltern haben die Religion für mich gewählt. Der Sonntagsgottesdienst war ein wöchentlicher Fixpunkt, zusätzlich zum Musikmachen, Jugendgruppe, Konfirmation, Bibelstunden und Gemeindeveranstaltungen in der Woche. Die Kirche war ein wichtiger Teil unseres Familienlebens und es war völlig klar, dass wir als Kinder keine Wahl hatten, was unsere Teilnahme daran anging.

Sicher gab es auch nervende Aspekte, z.B. dass ich alle Wertungskämpfe von Sportturnieren verpasste, weil sie alle auf dem Sonntagmorgen zu liegen kamen. Oder, dass der Samstagabend im Grunde wie ein Abend vor einem gewöhnlichen Schultag war, weil ich am Morgen ja fit sein musste.

Doch wenn ich so zurückschaue, war da nichts anderes, dass mir Erfahrungen vermittelt hätte, wie es die Kirche tat. Es gab keine andere generationenübergreifende Gemeinschaft voller Erwachsener (mit denen ich nicht verwandt war), die meinen Namen kannten, mich nach meinem Leben fragten und sich für mich interessierten. Es gab keinen anderen Ort, an dem die schwierigen Fragen des Sinns – Leben und Tod – ohne gedämpften und ängstlichen Ton besprochen werden konnten. Da war kein anderer Ort, an dem ich Ritualen, Symbolen, Metaphern, Musik und Geschichte begegnete, die so viel unserer westlichen Welt ausmachen.

Während ich in der Kirche aufwuchs, wurde mir klar, dass umso intensiver ich der Religion ausgesetzt war, desto weniger meine Eltern die Wahl für mich trafen. Der Glaube war meine Wahl und meine Kirchenerfahrung ermöglichte es mir, zu wissen, auf was ich mich da einließ.

Ein Einwand: Es ist mir klar, dass nicht jede Kirche oder Glaubensgemeinschaft ein sicherer und gesunder Ort ist. Tatsächlich drehen sich viele um Angst, Verurteilung und Scham. In vielen wird nicht zu Fragen und Gespräch ermutigt, noch sind sie Orte, die ihren Mitgliedern eine tiefe Sinnsuche ermöglichen. Manchmal sind Kirchen Orte des Missbrauchs. Diese Kirchen bieten keine religiösen Erfahrungen, für die ich werben möchte, und ich habe Mitleid mit denen, deren Begegnung mit Religion dadurch geprägt wurden.

Liturgie und Rituale als Teil unserer DNA

Vor kurzem wurde unsere drei Monate alte Tochter getauft. Sozusagen auf der anderen Seite des Taufsteins, als Elternteil und nicht als Pastor, war ich mitgenommen von der Erfahrung. Ich habe so viele Taufen durchgeführt, dass ich mich nicht mehr an alle davon erinnern kann, aber als Vater war ich nur bei zwei.

Während der Bischof, die Paten, meine Frau und ich um den Taufstein herum standen, gesellte sich mein zweijähriger Sohn dazu und stellte seinen Trinkbecher und sein Goldfischglas auf dem Taufstein ab. Er muss wohl gedacht haben, es wäre der natürliche Platz, um sein Zeug abzustellen. Dann rannte er Runden um den Taufstein herum, während der Bischof uns durch die Taufliturgie führte. Keiner von uns war besorgt oder ängstlich, alle fünf Erwachsenen, die da standen, waren seminargeschult (wen sonst als Freunde aus dem Pfarrseminar wählen Pastoren als Paten!). Wir lachten sogar darüber, dass er seine Hände in das Wasser tauchte, um etwas Wasser auf seinen Kopf zu spritzen (um sich wiederzutaufen?).

Ich war überrascht, wie wohl er sich in dieser Situation fühlte. Er befand sich nicht an einem ihm fremden Ort. Der Taufstein und Altar und die nahen Kirchenbänke waren keine ihm fremden Möbelstücke. Mit uns im Gottesdienst und vor der Gemeinde zu sein war nichts Unübliches.

Mein Sohn war zu Hause.

Ich war nicht nur überrascht, wie sehr er sich wohlfühlte, ich war davon bewegt. Ich konnte sehen, dass er schon im Alter von zwei Jahren begann, sich durch die Erfahrung des Gottesdienstes, von Religion und Gemeinschaft zu verändern . Liturgie und Rituale werden seiner DNA eingeschrieben, sein Alltag ist verbunden mit der Praxis des Weitererzählens der Jesus-Geschichte.

Wenn die Zeit kommt, dass er sich seinen Glauben selbst wählt, dann weiß ich, dass ihm, was auch immer er wählt, vertraut ist. Er wird wissen, wie es sich anfühlt, eine Religion zu leben. Er wird wissen, was es heißt, ein geliebter Teil einer Gemeinschaft zu sein. Er wird eine Ahnung davon haben, wie es sich anfühlt, eine andere Religion zu leben.

Meine Frau und ich wählen die Religion für unsere Kinder, weil wir ihnen Erfahrungen vermitteln möchten, die es ihnen ermöglichen, später in ihrem Leben ihren Glauben selbst zu wählen. Wir wählen die Religion, weil es (falls überhaupt) nur wenige Orte in unserem Leben gibt, an denen sie Teil einer vielfältigen, generationenübergreifenden Gemeinschaft sein können, die uns hilft, unser Leben zu deuten und Sinn zu stiften. Und wir wählen Religion für unsere Kinder, weil „ihnen selbst die Wahl zu lassen“, tatsächlich hieße, bewusst „nichts“ für sie zu wählen.


Mit diesem Beitrag beginnen wir unseren Schwerpunkt zum Thema Taufe. In den kommenden Wochen werden weitere Beiträge erscheinen, die sich dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven nähern. Wir wollen auch die Erfahrungen und Meinungen unserer Leserinnen und Leser in die Diskussion herein holen: Wie hältst Du es mit der Taufe? Welche Probleme gibt es in Theorie und Praxis der Taufe? Was hast Du Schönes, Schwieriges, Kurioses mit Taufen erlebt? Unsere Kommentarspalte ist geöffnet und es gibt auch die Möglichkeit, mit einem Gastbeitrag an der Diskussion teilzunehmen!