Fotos: Notre Dame (Wagner51, CC BY-SA 2.0 FR) & Frauenkirche (DCB, CC BY-SA 3.0)
Kultur

Ist Notre Dame die französische Frauenkirche?

Der Brand von Notre Dame bewegt die Menschen. Das Unglück in Paris wird mit der Zerstörung der Dresdner Frauenkirche parallelisiert. Ein gefährlicher Narrativ.

Singende und betende Menschen begleiten die Löscharbeiten am französischen Nationalheiligtum. Sie beten für die Rettungskräfte, dass ihnen bei ihrer Arbeit nichts Schlimmes zustoßen möge. Sie beten auch für die Kirche und ihre Schätze. Sie singen sich Mut in ihrer Trauer zu. Trauer auch um ihre ganz persönlichen Erinnerungen mit diesem Ort. Im Netz werden tausendfach private Erinnerungsfotos von Besuchen in Notre Dame gepostet.

Notre Dame ist mehr als eine Kirche. Sie ist, wie Silke Horstkotte (@shorstkotte) im Interview mit der FAZ einordnet, Gedächtnisort nicht nur für den katholischen Glauben, sondern auch für die französische Nation. Die Ereignisdichte vom Mittelalter, über die Kaiserkrönung Napoleons, bis hin zum Te Deum der schlussendlich siegreichen Patrioten nach der Befreiung von Paris gegen Ende des 2. Weltkriegs ist atemraubend.

Noch am Abend des Unglücks wurde das Geschehen mit anderen Kirchenbränden verglichen. Weil Kirchen in Europa „oft den Mittelpunkt einer Stadt“ bilden und zumindest einmal „wichtig für die Identität des Ortes“ waren, gibt es für Kirchenbrände- und -Zerstörungen zahlreiche Beispiele aus Geschichte und Gegenwart. Im Angesicht eines brennenden Gotteshauses scheint auch heute noch viele Menschen ein (un-)heiliger Schauer zu ergreifen: Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu!

Gefährliche Vergleiche

So verständlich diese Vergleiche sind, so gefährlich können sie auch sein. Das trifft insbesondere auf den Vergleich mit der Dresdner Frauenkirche zu, die nach dem Bombardement Dresdens in sich zusammen fiel. Als Ruine war die Frauenkirche 60 Jahre lang ein Mahnmal gegen den Krieg. Und schon damals Projektionsfläche für andere, zeitgenössische Anliegen.

An der Ruine der Frauenkirche zum 13. Februar eine Kerze anzuzünden war während der DDR auch ein Zeichen dafür, sich nicht auf die offizielle Erzählung des SED-Regimes über Krieg und Wiederaufbau einzulassen, die weder Platz für die Opfer der Deutschen hatte, für die man im Osten keine Verantwortung übernehmen wollte, noch für die deutschen Opfer, die es schon aus Bündnistreue zur Sowjetunion nicht gegeben haben durfte.

Seit 2005 ist die Frauenkirche offiziell ein Symbol der Versöhnung zwischen den alten Kriegsfeinden. Die in all ihrer Pracht wiederaufgebaute Kirche wird aber – nicht nur von Dresdnern – auch als Symbol für das Wiedererstarken und Wieder-Schönwerden ihrer Stadt nach der Wiedervereinigung gelesen. Der barocke Prunk soll auch die Wunden heilen, die das 20. Jahrhundert dieser Stadt geschlagen hat. Rund um die Frauenkirche wurde der Versuch unternommen, einen „historischen Neumarkt“ zu bauen, der neben den Folgen der Zerstörung durch den 2. Weltkrieg auch die seither vergangene Zeit unsichtbar machen sollte.

Blick auf die Ruine der Frauenkirche, 1987, Foto: Netsrak, CC BY 3.0

Entstanden ist ein Kulissen-Disney-Land, das nahezu ausschließlich von Touristen und gelegentlich von reaktionär-rassistischen Demonstranten genutzt wird. Stadt als Lebensort von Menschen ist um die Frauenkirche herum nicht entstanden. Und die Hausherren mühen sich seit Oktober 2005 darum, neben die touristische und folkloristische, auch eine genuin religiöse Verwendung zu stellen – mit wenig Erfolg.

Wiederaufbau als konservativ-identitäres Projekt

Erst durch die Scham- und Schuldgeschichte im Wechselschritt zwischen offizieller Erinnerungskultur und subversiver Okkupation des Gedächtnisortes konnte die Frauenkirche zu einem Prisma werden, das bis heute an jedem 13. Februar im Zentrum einer leidenschaftlich geführten Debatte über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Landes steht.

Dabei ist ihre Perfektion und äußerliche und innerliche Abgeschlossenheit der größte Hinderungsgrund für eine erneute subversive Umwidmung hin in die Zukunft. Die Reinterpretation als Versöhnungort verlangt nach einer umfassenden Öffnung, die nicht geleistet werden kann, wenn man die Kirche als Schmuckkästchen missversteht.

Missverstehen wir nicht die Wiederherstellung von Räumen mit tatsächlicher Heilwerdung! Jeder Wiederaufbau im historischen Gewand ist kein Projekt des Blicks nach vorn, wie jetzt nach dem Brand in Paris allenthalben behauptet wird, sondern ein Anliegen, das dem Blick in die Vergangenheit geschuldet ist. Es soll ja nur alles so bleiben, wie es war – oder wieder so werden. Das ist konservativ, identitär und trägt den Keim der Exklusion derer in sich, die an der traditionellen Erinnerungsgemeinschaft nicht teilhaben.

Silke Horstkotte hat Recht, wenn sie meint: „Gerade sehr alte Gebäude symbolisieren eine gewisse Permanenz. Wenn sie untergehen, werden wir mit unserer eigenen Vergänglichkeit konfrontiert und mit der unserer Kultur. Alles kann sich ändern. […] Wir leben in einer Zeit, die eine sehr starke Vergangenheitsorientierung hat und eine schwache Zukunftsorientierung.“

Kein nationales Einigungswerk

Notre Dame ist durch eine bewegte Geschichte ein nationaler (und europäischer) Erinnerungsort. Die Frauenkirche ist es erst durch Zerstörung und Wiederaufbau geworden. Es waren aber nicht, wie Stefan Trinks in der FAZ schreibt, „gesamtdeutsche Spenden“, die den Wiederaufbau ermöglichten. Es ging nicht darum, ein gespaltenes Land zusammenzubringen. Der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche war kein nationales Einigungswerk, zu dem es rechte Narrative stilisieren wollen. Ihr Wiederaufbau war ein internationales Projekt, dessen versöhnende Kraft mit Abschluss der Arbeiten fast erloschen ist.

Durch die leichtfertige Parallelisierung beider Kirchen, des Wiederaufbaus der einen mit dem erwünschten Wiederaufbau der anderen, wird der nationale Narrativ en passant verstärkt und ins Recht gesetzt. Doch wenn die Frauenkirche tatsächlich ein nationaler Gedächtnisort sein soll, dann muss dort auch an 1933 erinnert werden. An das Jahr, in dem neben dem Christenkreuz das Hakenkreuz von den Kirchtürmen grüßte, der deutschchristliche Landesbischof Friedrich Coch in der Frauenkirche eingesegnet wurde und die verhängnisvolle Geschichte des Gotteshauses mit der Selbstverleugnung der Christengemeinde begann.