Kirche und Hochzeit: Bis dass der Tod euch scheidet?
Die Hochzeit von Bundesfinanzminister Christian Lindner bewegt die Gemüter. Dabei gerät eine Menge durcheinander. Ein klärender Blick in die Kirchen- und Ehestatistiken:
Die Hochzeit von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und WELT-Journalistin Franca Lehfeldt bewegt die Gemüter – auch und besonders die von Christ:innen. Das Paar feierte seinen neuen Lebensbund auch in einer evangelischen Kirche auf Sylt. Bei der Feier sprach der Philosoph Peter Sloterdjik, die Braut trug ein schönes Kleid und die Haare offen, außerdem war auch ein Porsche im Spiel. Viel mehr ist der Boulevard-Presse eigentlich nicht zu entnehmen und so dreht sich die Debatte vor allem um Fragen, die eben offen sind.
In der Kirche vor allem darum, ob Paaren eine kirchliche Trauung zusteht, obwohl keine der beteiligten Personen Mitglied in der Kirche ist. Lindner ist als junger Mann aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten, Lehfeldt soll – so das Springer-Schwesterblatt BILD – aus der evangelischen Kirche ausgetreten sein. Beide identifizieren sich als „liberale Freigeister“, eine Zeremonie in einer pittoresken Kirche aber sollte es trotzdem sein.
Dafür ist die Genehmigung der Ortspfarrerin bzw./und des örtlichen Kirchenvorstandes nötig, die hier vorlag. Im Vorfeld einer kirchlichen Trauung oder eines Segnungsgottesdienstes zur Eheschließung findet immer ein sog. Kasualgespräch zwischen eine:r Pfarrer:in und dem Paar statt. Was Lindner/Rehfeldt bei diesem Gespräch erzählt haben, ist weitgehend unbekannt. Man kann sich, wie die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus mit deutlich vernehmbaren Bauchgrummeln festhält, an dieser Stelle nur auf die Kompetenz von Kirchgemeinde und Pfarrerin verlassen.
Und ehrlich gesagt: Was geht es uns auch an? Wie ein Paar die ohnehin kaum noch durch liturgische Vorgaben determinierte Segensfeier für sich gestaltet haben möchte, ist nun mal Angelegenheit des Brautpaares und derjenigen, die – ob als Pfarrer:in oder Ritualbegleiter:in – das Paar professionell begleiten. Nicht allein Prominente lassen sich das heutzutage eine Menge kosten. Im Vergleich zu freien Trauungen kommen kirchliche zwar wesentlich günstiger, aber auch hier ist es üblich, dass sich das Brautpaar für Raumüberlassung und den schönen Gottesdienst mit einer Spende erkenntlich zeigt. Was das Ehepaar Lindner nun in den Klingelbeutel gesteckt hat, weiß auch niemand.
Riesiges Theater um 100 „Trauungen“ im Jahr
Was allerdings bekannt ist: Segnungsgottesdienste in evangelischen Kirchen für Eheleute ganz ohne evangelische (!) Kirchenmitgliedschaft sind sehr, sehr selten. Zwischen 0,3 und 0,4 % aller evangelischen „Trauungen“ werden so geschlossen, informierte der epd.
„Trauungen“ steht hier nicht umsonst in Anführungszeichen: Die evangelische Kirche hält sich an die Maßgabe, dass in ihren Gottesdiensten nur diejenigen Ehen gesegnet werden, die zuvor staatlich korrekt geschlossen wurden. Und auch wenn die EKD-Statistik einfach alle unterschiedlichen Gottesdienste zur Eheschließung unter „Trauung“ summiert: In den meisten evangelischen Landeskirchen wird doch noch zwischen einer Trauung (zwei evangelische Partner:innen bzw. evangelische:r plus christliche:r Ehepartner:innen) und einer Einsegnung (ein:e christliche:r bzw. evangelische:r Partner:in) unterschieden. Hinzu kommt, dass die „Ehe für alle“, d.h. der kirchliche Segen für gleichgeschlechtliche Ehepaare, in den evangelischen Landeskirchen nicht einheitlich geregelt ist.
Aber keine Sorge: Für Besucher:innen einer kirchlichen Hochzeit ist das alles egal und den meisten Ehepaaren wohl auch schnuppe. Eine Einsegnung unterscheidet sich von einer Trauung nur marginal und ohnehin machen die evangelischen Pfarrer:innen sowieso viel nach eigener Überzeugung und den Wünschen der Ehepaare möglich.
Von den 38 115 evangelischen „Trauungen“ der EKD-Statistik für das Jahr 2019 entfallen 19 921 auf vollständig evangelische Paare und 18 093 auf solche mit eine:r evangelischen Partner:in. Man sieht also auch hier: Rein protestantische Biotope sind auf dem Rückzug. Es verbleiben von den 38 115 „Trauungen“ nur 101 kirchliche Hochzeiten, die 2019 von Paaren gefeiert wurden, bei denen keine:r der Partner:innen evangelisch war.
Das heißt allerdings nicht, dass es sich dabei zwangsläufig um Nicht-Kirchenmitglieder handeln muss, schließlich nehmen z.B. LGBTQI* aus anderen christlichen Kirchen das evangelische Angebot der Einsegnung gerne an. Auch könnten sich darunter Christen befinden, die formal einer anderen Kirche angehören, aber in der evangelischen Kirche eine (temporäre) Heimat gefunden haben, z.B. Geflüchtete.
Jedenfalls ist die Zahl der doppelt nicht-evangelischen „Trauungen“ so gering, dass eigentlich niemand sich über dieses Phänomen ereifern müsste. Den Pfarrer:innen und Kirchenvorständen ist es zuzutrauen, mit etwaigen Anfragen kompetent und freundlich umzugehen.
Wo sind all die Paare hin?
Eine ganz andere Zahl darf im Kontext der evangelischen Eheschließungen allerdings zum Nachdenken anstiften: Im Jahre 2019 wurden in Deutschland insgesamt nämlich 416 000 Ehen geschlossen. Nur noch 9 % von ihnen wurden evangelisch gesegnet.
Zum Vergleich: Im selben Jahr gehörten noch 24,9 % der Bevölkerung der evangelischen Kirche an. Natürlich ist die Mitgliedschaft in den älteren Jahrgängen stärker als in den jüngeren, aber selbst eingedenk dieser Dynamik ist eine evangelische Hochzeitsquote von unter 10 % bedenklich. Sie deutet darauf hin, dass viele evangelische Christ:innen auf eine evangelische Trauung oder Einsegnung trotz Kirchenmitgliedschaft verzichten. Den Gründen dafür nachzugehen, könnte eine sinnvollere Beschäftigung für ehren- und hauptamtliche Kirchenleute sein, als sich über die Lindner-Hochzeit zu erregen.
Mit frischen Ideen wie Segensaktionen und Kasualagenturen will die evangelische Kirche vor allem im urbanen Raum an ihren Mitgliedern dran bleiben und ihnen die lebensbegleitenden Rituale der eigenen Kirche nahe bringen. So sollen vor allem die Taufzahlen stabilisiert werden. Auch die Hochzeit als das letzte verbliebene große Fest im Erwachsenenalter (außer der Bestattung), spielt in den Überlegungen eine große Rolle. Wie kann es gelingen, dass evangelische Christ:innen, die den Kontakt zur Kirche verloren haben, bei ihrer Hochzeit wieder auf die Institution Kirche zurückkommen?
Bei den Bestattungen übrigens hält die evangelische Kirche, was sie verspricht: Kompetente Lebensbegleitung bis zum Schluss. Von den 939 520 Menschen, die 2019 in Deutschland verstarben, wurden 241 847 evangelische Christ:innen auch evangelisch bestattet (25 %). Hinzu kommen übrigens 13 481 evangelische Bestattungen von nicht-evangelischen Menschen. Das sind immerhin 5 % aller Bestattungen, die in der evangelischen Kirche 2019 durchgeführt wurden. Darunter befanden sich sicher wieder Menschen mit abweichender christlicher Konfession sowie Sozialbestattungen – aber sicher auch Menschen, die zuvor aus der Kirche ausgetreten waren.
Die Lindner-Hochzeit hat die Debatte darüber, ob allein Kirchenmitglieder das Recht auf kirchliche Amtshandlungen haben, neu entfacht. In der Diskussion wird auch verhandelt, wie sich die Kirche unter dem Eindruck sinkender Mitgliedschaftszahlen selbst versteht: Als Volkskirche, deren Angebote prinzipiell allen offen stehen, oder als Bekenntniskirche, die ein Mindestmaß an Commitment von ihren Nutzer:innen abverlangen kann.
Bis dass der Tod euch scheidet?
Die Debatte wird mit Sicherheit nicht ein für alle Mal und für alle evangelischen Gemeinden des Landes entschieden werden. Sie zu führen, erscheint allerdings vor allem im Blick auf diejenigen Menschen sinnvoll, die Kirchenmitglieder sind oder waren, aber nach Kindheit und Jugend den Kontakt zur Kirche verloren haben – und nun mit großer Unsicherheit vor der Entscheidung stehen, ob sie kirchlich heiraten oder ihr(e) Kind(er) taufen lassen sollen.
Dabei spielen neben der niedrigeren Kirchenmitgliedschaft im üblichen Heiratsalter auch andere demographische Entwicklungen eine Rolle. Heute heiraten Menschen in Deutschland nämlich gut 10 Jahre später zum ersten Mal als noch vor 50 Jahren, nämlich mit 34 (Männer) bzw. 32 (Frauen). Reichlich Zeit, um aus den profilierten Angeboten der Kirchen für Kinder und Jugendliche rauszuwachsen.
Und noch eine Zahl ist bemerkenswert: Im Jahr 2019 heiratete bei knapp einem Drittel der Ehen zwischen Mann und Frau mindestens eine:r der Eheleute nicht zum ersten Mal – ganz so wie unser Bundesfinanzminister. In den evangelischen Kirchen ist im Unterschied zur römisch-katholischen Kirche auch eine zweite Trauung problemlos möglich, im Hinblick auf die Ritualgestaltung und seelsorgliche Begleitung stellen sich gleichwohl neue Herausforderungen.
Man solle dem neuen Ehepaar einfach gratulieren und sich sonst nicht so haben, meinte anlässlich der Lindner-Hochzeit sein FDP-Parteifreund und Bundesminister der Justiz Marco Buschmann. Angesichts dessen, dass mehr als 35 % der Ehen, insbesondere frische, wieder geschieden werden, ein verständlicher Wunsch des aktiven Katholiken. In den letzten 30 Jahren waren bei 50 % Prozent aller Scheidungen minderjährige Kinder betroffen – mehr als vier Millionen. Es liegt also nicht fern, dass bei evangelischen Hochzeiten eindringlich darauf hingewiesen wird, dass zur Freiheit immer auch Verantwortung gehört.