Klima-Aktivisten: Lasst sie gehen!

Kirchenvertreter:innen sollten sich für die Freilassung der Aktivist:innen der „Letzten Generation“ einsetzen, die in Bayern im Präventivgewahrsam eingesperrt sind – und sie im Gefängnis besuchen. Ein Kommentar.

Bei einer Protestaktion in München wurden am Mittwoch erneut Aktivist:innen der „Letzten Generation“ in den sog. „längerfristigen Gewahrsam“ genommen. Das Amtsgericht München bestätigte eine entsprechende Anordnung gestern. Sie werden das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel also im Gefängnis verbringen. Die zehn Aktivist:innen hatten sich auf einer Münchener Straße festgeklebt und dadurch den Verkehr blockiert. Damit verstießen sie gegen eine Allgemeinverfügung der Stadt, die bis zum 8. Januar derartige Proteste verbietet.

Über den bayerischen Präventivgewahrsam, der zunächst vor allem bei Ausländer:innen Anwendung fand und in den letzten Monaten der Bekämpfung von Klimaaktivist:innen dient, wurde in den vergangenen Wochen viel geschrieben und diskutiert. Die Frage, ob eine solche Regelung mit dem Grundgesetz wirklich zu vereinbaren ist, mag eine für Jurist:innen sein, ganz sicher ist allerdings, dass der Staat hier mit Kanonen auf Spatzen schießt.

Schon die EKD-Demokratiedenkschrift von 1985, an der u.a. der spätere Bundespräsident Roman Herzog und der spätere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber mitschrieben, hält fest, dass „das Gewissen in Widerspruch zu staatlichen Regelungen und Maßnahmen geraten“ kann. Zwar fände „auch ein Handeln unter Berufung auf die Gewissensfreiheit am Recht eine Grenze“ und der Staat wende daher auf begangene Rechtsverstöße seine Gesetze an, „ein solcher Gewissenskonflikt zwingt aber auch die staatlichen Organe zu der gewissenhaften Überprüfung, ob die angewandte staatliche Regelung wirklich erforderlich und verhältnismäßig ist“.

Weder ist ein Freiheitsentzug ohne Prozess und Urteil verhältnismäßig noch wird er sein Ziel erreichen, weitere Proteste der „Letzten Generation“ zu verhindern. Natürlich werden sich diese und andere Aktivist:innen weiter festkleben. Das Einsperren der Aktivist:innen ist also hochgradig ineffektiv und außerdem geeignet, das Gefüge unseres Rechtsstaates ins Wanken zu bringen.

Unerträgliche Doppelmoral

Denn die Aktivist:innen der „Letzten Generation“ begeben sich nicht in den Widerstand gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik, sondern machen mit ihren Protesten gerade auf deren Verletzung durch das Nicht-Handeln von Politik und Gesellschaft beim Klimaschutz aufmerksam. Ihr Protest, auch wenn er gelegentlich die Grenzen des unmittelbar Erlaubten überschreitet, ist eine Erinnerung an die gesetzlichen Zusagen und völkerrechtlichen Vereinbarungen, die Deutschland zum Schutz des Klimas eingegangen ist. Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang hält die Protestgruppe darum ausdrücklich auch nicht für „extremistisch“.

Nicht nur ist das Rechtsmittel eines Präventivgewahrsams, das zukünftige Straftaten (!) verhindern soll, in einem demokratischen Rechtsstaat zweifelhaft, sondern erst recht dessen Anwendung auf eine Gruppe Protestierende, die sich im höchsten Maße affirmativ zur formulierten Staatsräson verhält. Daran ändert auch der Eifer nichts, mit dem die Aktivist:innen von Rechtsradikalen und enthemmten Konservativen beschimpft werden.

Es wird Zeit, dass sich der vernünftige Teil der Öffentlichkeit von deren Druck emanzipiert und der Kriminalisierung legitimen Protests in unserer Gesellschaft entgegentritt. Die Doppelmoral gerade von Seiten konservativer Politiker:innen ist unerträglich, die im Protest der „Letzten Generation“ eine Staatsgefährdung sehen wollen, demjenigen von Querdenkern und Rechtsradikalen aber immer wieder in selbstgewählter Ohnmacht und gar mit stillschweigendem Einverständnis gegenüberstehen.

Dass nach Jahren des staats- und demokratiefeindlichen Protestes auf den Straßen des Landes nun ausgerechnet derjenige von Klimaschützer:innen kriminalisiert wird, die doch eine Umsetzung geltenden Rechts verlangen, ist ein Skandal, der auch von Kirchenvertreter:innen lautstark kritisiert werden muss.

Genug ist genug!

Es wird Zeit, die Aktivist:innen gegen den Mob zu verteidigen, bevor sich „gewaltbereite Einzeltäter“ legitimiert fühlen, in Selbstjustiz gegen die „Letzte Generation“ vorzugehen. Deshalb braucht es jetzt nicht nur Solidarität mit den Zielen der Klimaschutzbewegung, sondern auch ein deutliches (verbales) Einschreiten gegen Willkür und Rechtsdehnung. Darum sind nicht allein Politiker:innen gefordert, sondern Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, also auch der Kirchen.

Die Gesprächsangebote des bayerischen Landesbischofs Heinrich Bedford-Strohm an Landesregierung und Klima-Aktivist:innen sind ehrenwert, aber sie genügen nicht. In einem Gespräch mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und Aktivist:innen der „Letzten Generation“ Anfang Dezember hatte sich Bedford-Strohm eine „Weihnachtspause“ bei den Protesten gewünscht, berichtete der epd. Ziel des Gespräches sei es gewesen, „in einer hörbereiten Atmosphäre“ zu sprechen. Was davon öffentlich sichtbar übrig bleibt: Die Aktivist:innen werden gebeten, von ihren Protesten abzulassen, während die Behörden an ihrer Maßlosigkeit festhalten.

Vom Reden und der Berichterstattung über die Vermittlungsangebote des Landesbischofs profitiert bisher nur die Landesregierung. In seiner Weihnachtsbotschaft nun fragt Bedford-Strohm: „Wie soll denn die Verzweiflung der Klimaaktivisten, die sich auf Straßen festkleben, überwunden werden, wenn man nicht miteinander redet, sondern der Zorn über ihre Aktionen alles bestimmt?“ Der Landesbischof selbst hatte die Aktionen der „Letzten Generation“ noch im November als „komplett kontraproduktiv“ bezeichnet. Der richtigere Adressat von Forderungen ist jedenfalls die Politik: Die Verzweiflung der Aktivist:innen würde sicher Linderung erfahren, fände die Regierung beim Klimaschutz in glaubwürdiges Handeln hinein.

Respekt und Schutz für die Aktivist:innen

Es wird Zeit, dass sich Kirchenvertreter:innen für die Entlassung der Aktivist:innen aus dem Präventivgewahrsam einsetzen. Bedford-Strohm, aber auch der römisch-katholische Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, haben dafür das gesellschaftliche Standing. Sie haben die Möglichkeit, eine gewissenhafte Überprüfung der gewählten Rechtsmittel durch die zuständigen Behörden zu fordern.

Zumindest sollten die Bischöfe die Aktivist:innen zum Weihnachtsfest im Gefängnis besuchen. Zum Christfest besuchen (leitende) Geistliche der Kirchen Menschen, die am Rand unserer Gesellschaft leben: Auch verurteilte Straftäter:innen in den Gefängnissen. In die Gefängnisse zu gehen, hat Jesus selbst seinen Jünger:innen aufgetragen: „Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen“, heißt es im Matthäus-Evangelium.

Sollte dies nicht auch für die im bayerischen Präventivgewahrsam ohne Urteil eingesperrten Klima-Aktivist:innen gelten? Denn eine evangelische Kirche wird „Respekt und Schutz gerade denen nicht verweigern können, die nach gewissenhafter Prüfung auch persönliche Risiken auf sich nehmen, um vor Entwicklungen zu warnen, die sie für verhängnisvoll halten“.