Lasset die Kinder zu mir kommen

Eigentlich haben alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr Anspruch auf einen Betreuungsplatz in Kitas. Doch das System ist massiv überlastet. Auch kirchliche Kindergärten stehen unter großem Druck.

Seit zehn Jahren gibt es in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Jedes Jahr werden mehr Plätze für Kinder in Tageseinrichtungen geschaffen, und doch reicht es nicht: Der Bedarf wird insbesondere in Westdeutschland häufig nicht gedeckt. Expert:innen warnen zudem: „Bei sozial benachteiligten Familien ist messbar, dass sie ihren Anspruch seltener wahrnehmen oder durchsetzen.“

Die Bundesregierung investiert bereits massiv in den Ausbau und die Qualität der Kindertagesbetreuung. Noch in dieser Legislaturperiode soll das „KiTa-Qualitätsgesetz“ gemeinsam mit den Ländern zudem zu einem „Qualitätsentwicklungsgesetz“ mit bundesweiten Standards weiterentwickelt werden. Währenddessen werden Diskussionen über die frühkindliche Bildung häufig ideologisch oder als Stellvertreterdebatten für andere gesellschaftliche Missstände geführt.

Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände gehören zu den größten Anbietern von Betreuungsplätzen für Kinder im Vorschulalter. In Kindergärten von Kirchgemeinden, der Diakonie und Caritas nehmen auch viele Kinder aus nicht-kirchlichen Familien Angebote wahr, die der christlichen Prägung der Einrichtungen entsprechen. Familien und Kinder werden so Teil einer Kirche, die im Alltag der Menschen präsent ist – und bleiben will. Darum bauen auch die Kirchen die Angebote der Kindertagesbetreuung aus. Während die Kirchenmitgliedschaft in Deutschland schrumpft, gibt es immer mehr kirchliche Kita-Plätze. Es lohnt sich also, die Kindergärten als gesellschaftliche Herausforderung und als kirchliches Handlungsfeld einmal näher zu betrachten:

Welche Probleme gibt es derzeit? Wie sollen sie gelöst werden? Wie ist die Kirche als Anbieterin von Kita-Plätzen aufgestellt? Und vor welchen Fragen steht sie bei der Weiterentwicklung des Angebots?

Von allem zu wenig …

In Deutschland steht die Kindergartenbetreuung vor drei großen Problemen, die miteinander verbunden sind: Es fehlen viele Betreuungsplätze. Es fehlt an Erzieher:innen. Und der Personalmangel wirkt sich empfindlich auf die Betreuungs- und Arbeitsplatzqualität aus. Die zum Teil schlechten Rahmenbedingungen sind mitursächlich für seelische oder körperliche Gewalt gegen Kita-Kinder, wie z.B. der Bayerische Rundfunk recherchiert hat.

Der „Ländermonitor frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann-Stiftung hat berechnet, dass in diesem Jahr in Deutschland insgesamt 384.000 Kita-Plätze fehlen. Der Mangel fällt je nach Region und nach Alter der Kinder unterschiedlich drastisch aus: 362.400 Kita-Plätze fehlen im Westen und 21.200 im Osten. Für unter dreijährige Kinder fehlen in Westdeutschland ca. 250.300 Kita-Plätze, in Ostdeutschland (mit Berlin) sind es nur rund 20.700. Mit 112.100 fehlenden Plätzen gibt es im Westen auch einen erheblichen Mangel bei den Kita-Plätzen für Kinder ab drei Jahren, während im Osten der Bedarf im Grunde gedeckt ist (nur 500 fehlende Plätze).

Für viele Eltern bedeutet der Mangel an Betreuungsplätzen nervenaufreibendes Ausharren auf Wartelisten oder eingeschränkte Berufstätigkeit, weil überhaupt kein Platz gefunden werden kann. „Trotz des massiven Kita-Ausbaus in den vergangenen Jahren finden noch immer zu viele Eltern keinen Platz für ihre Kinder. Das ist in doppelter Hinsicht untragbar: Die Eltern müssen die Betreuung selbst organisieren, während den Kindern ihr Recht auf professionelle Begleitung in der frühen Bildung vorenthalten wird“, kritisiert Anette Stein, Expertin für frühkindliche Bildung bei der Bertelsmann-Stiftung.

… und ungerecht verteilt

Vor allem für Kinder aus „sozial schwachen Familien“ stellt der Platzmangel bei den Kindergärten ein Problem dar. Kinder von Eltern mit einem höheren Bildungsabschluss besuchen häufiger eine Einrichtung als Kinder von Eltern mit niedrigeren Bildungsabschlüssen. „Gut informierte und vernetzte Eltern sind hier im Vorteil, bei sozial benachteiligten Familien ist messbar, dass sie ihren Anspruch seltener wahrnehmen oder durchsetzen“, stellt die Interministerielle Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ in ihrem Abschlussbericht fest. Der Mangel an Betreuungsplätzen könne „zur Folge haben, dass die Zugangschancen zu früher Bildung nicht gleich verteilt sind“. Die Autor:innen beziehen sich damit auf den National Bildungsbericht (S. 105).

Beobachter:innen diagnostizieren auf dem Feld frühkindlicher Bildung eine Spaltung der Gesellschaft in Familien, die sich hochengagiert und reich an Ressourcen um die Betreuung und Bildung ihrer Kinder auch in Kindergärten kümmern können, und Familien, deren Kinder – wenn überhaupt – auf weniger profilierte Betreuungsmöglichkeiten zurückgreifen. Das ist besonders tragisch, weil genau diese Kinder von Fördermöglichkeiten im Vorschulalter besonders profitieren könnten. Die Interministerielle Arbeitsgruppe der Bundesregierung empfiehlt daher, stärker auf sozial benachteiligte Familien zuzugehen, „um über die Vorteile der frühkindlichen Bildung in der Kindertagesbetreuung aufzuklären, bei der Suche nach Kitaplätzen aktiv zu unterstützen und bürokratische Hürden aus dem Weg zu räumen“.

Seit 2013 gibt es in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz nach Vollendung des ersten Lebensjahres, für Kinder ab drei Jahren besteht ein solcher Anspruch schon seit 1996. Ob Kinder zu ihrem guten Recht kommen, hängt aber von ihrem Wohnort und Elternhaus ab.

Auf dem Weg zu guten Kitas?

Seit 2019 gibt es das „Gute-KiTa-Gesetz“. Schon bei dessen Einführung durch die damalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) wurde vor allem über die emphatische Überschrift des Gesetzes geunkt. Frühkindliche Bildung steht nach wie vor unter dem Verdacht, „Gedöns“ zu sein (SPD-Kanzler Gerhard Schröder 1998). Dabei macht Deutschland aus seinen immer selteneren Kindern viel zu wenig. Langfristig wirkt sich der Mangel an Bildung im Vorschulalter auf die Schulabschlüsse von Jugendlichen und damit ihre Chancen auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt aus. Die Versorgungskrise im Vorschulalter ist mitursächlich für den Arbeits- und Fachkräftemangel in Deutschland.

Der Bund nimmt daher durch eine Fülle an Programmen an der Förderung frühkindlicher Bildung teil, die zunächst im Verantwortungsbereich der Bundesländer liegt. Das „Kita-Qualitätsgesetz“ sieht z.B. vor, dass der Bund in diesem und im kommenden Jahr jeweils bis zu zwei Milliarden Euro für die frühkindliche Bildung bereitstellt. Die Ampel hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass der Bund dauerhaft in die Finanzierung des Kita-Systems einsteigen soll.

Doch mit Geld allein ist es nicht getan. Als größtes Problem bei der Verbesserung des Angebots gilt der Fachkräftemangel beim pädagogischen Personal: Es gibt schlicht zu wenig Erzieher:innen. Aufgrund des hohen Drucks am Arbeitsplatz (besonders während der Corona-Pandemie), der vor allem durch die niedrige Personaldecke entsteht, gibt es unter Erzieher:innen einen erhöhten Krankenstand und nicht wenige von ihnen suchen sich andere, weniger stressige Beschäftigung, beides verstärkt wiederum den Personalmangel.

Teufelskreis Fachkräftemangel

Erzieher:innen kann man nicht backen. Das ist auch den Ländern aufgefallen. Deshalb rückt die Ausbildung des pädagogischen Personals in den Fokus: In bayerischen Kitas zum Beispiel machen Kinderpfleger:innen fast 50 % des pädagogischen Personals aus, während in Brandenburg nur 62 Kinderpfleger:innen auf 20 099 Erzieher:innen kommen. Kinderpfleger:innen und sozialpädagogische Assistent:innen absolvieren je nach Bundesland eine zwei- oder dreijährige Ausbildung, die auch Praktika in Einrichtungen enthält. Staatlich anerkannte Erzieher:innen haben hingegen eine Ausbildungszeit von bis zu fünf Jahren absolviert, inklusive ausgedehnter Praxisphasen.

Die Eingangsvoraussetzungen zu den Ausbildungen variieren stark zwischen den Bundesländern, das Feld ist mehr als unübersichtlich, gemeinsam ist allen: Während der Ausbildung wird nichts oder nur wenig verdient, teilweise muss sogar Schulgeld bezahlt werden. Zwar arbeiten die Bundesländer an der Verbesserung der Ausbildungssituation, aber im Vergleich zu anderen Berufsfeldern bleibt sie wenig attraktiv.

Weil pädagogisches Personal nicht auf Bäumen wächst und im Hinblick auf die Qualität der Betreuung und auch den Kinderschutz an der Ausbildung nicht gespart werden sollte, empfehlen Expert:innen andere Entlastungsstrategien: Die Bertelsmann-Stiftung rät zur Einstellung von Hauswirtschaftler:innen, die das pädagogische Personal bei fachfremden Tätigkeiten entlasten sollen. Es gibt Quereinsteiger:innen-Programme für Absolvent:innen anderer (pädagogischer) Fächer. Die Interministerielle Corona-Arbeitsgruppe der Bundesregierung empfiehlt ausdrücklich, auf „das Potenzial von Quereinsteigenden aus Gesundheitsberufen zurückzugreifen“, und erinnert an den Ampel-Koalitionsvertrag, der die Entwicklung einer „Gesamtstrategie zur Sicherung der Fachkräftebedarfe im Bereich der Kindertagesbetreuung“ in Zusammenarbeit mit den Ländern vorsehe.

Insgesamt fehlen laut Ländermonitor der Bertelsmann-Stiftung fast 100.000 pädagogische Fachkräfte, für die zusätzliche Personalkosten von 4,3 Milliarden Euro pro Jahr entstehen würden. Weil die Not regional unterschiedlich stark ist, jagen sich die Bundesländer zunehmend gegenseitig Erzieher:innen ab, denn im Osten fehlen „nur“ ca. 5.000, im Westen hingegen 93.700 Fachkräfte. Allerdings kritisieren Expert:innen, dass im Osten landläufig niedrigere Personalschlüssel angesetzt würden als wissenschaftlich empfohlen.

Foto: Diakonie / Kathrin Harms

Der Mangel ist gefährlich

Die dünne Personaldecke und die häufige Überlastung der Mitarbeiter:innen sind aber nicht allein ein Problem für die Arbeitsplatzattraktivität, ihnen wohnt ein Gefährdungspotential für die Kinder inne. Eine Recherche des BR im Dezember 2022 hat zum Beispiel ergeben, dass in Bayern während des vergangenen Jahres fast doppelt so viele Verdachtsfälle gemeldet wurden als noch im Kalenderjahr davor. Die Zahl von Verstößen gegen die Aufsichtspflicht hat sich demnach mehr als verdoppelt, aber auch die Fallzahlen bei seelischer und körperlicher Gewalt sind stark angestiegen.

Lisa Pfeiffer vom Verband Kita-Fachkräfte Bayern e.V. erklärt den Zuwachs der Verdachtsfälle gegenüber dem BR mit dem durch den Personalmangel erzeugten hohen Druck, unter dem die Mitarbeiter:innen stünden. Ursächlich wären allerdings auch „mangelndes Wissen und Prägungen aus der eigenen Kindheit“ bei den Mitarbeiter:innen: „Wir sehen eine Gefahr darin, um jeden Preis Personal in die Einrichtungen zu holen, wir brauchen gutes und gut ausgebildetes Personal, das auch mit Stress-Situationen umgehen kann.“

Ein zentrales Problem beim Kinderschutz im Bildungssystem ist der mangelnde Ausbildungsstand. Obwohl jede:r Absolvent:in einer Ausbildung in Sozialberufen davon ausgehen muss, mit Kindeswohlgefährdung konfrontiert zu werden, ist der Kinderschutz in den Lehrplänen bisher kein grundständiges Fach, sondern wird häufig „nebenher“ vermittelt. Erst langsam kommt hier, auch auf Betreiben der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung (UBSKM), Kerstin Claus, Bewegung in die Fachwelt. Hans Zollner, katholischer Kinderschutzexperte und Direktor des IADC an der Universität Gregoriana (Rom), fordert in der taz, „dass für alle Ausbildungs- und Studiengänge, in denen es um die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geht, das Pflichtfach Kinderschutz eingeführt wird“.

Prävention von sexualisierter Gewalt

Seit Juni 2021 gilt bundesweit das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG), das für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ein Gewaltschutzkonzept vorschreibt. In den einzelnen Bundesländern gab es für deren Erarbeitung unterschiedliche Fristen. Über Schutzkonzepte für unterschiedliche Handlungsfelder informiert eine Website der Universität Hildesheim in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie die UBSKM.

Die Einführung von Gewaltschutzkonzepten hat die Gefahr von seelischer, körperlicher und sexualisierter Gewalt an Kindern in vielen Einrichtungen auf die Tagesordnung gesetzt: Pädagogische Mitarbeiter:innen besuchten in den letzten Jahren häufig zum ersten Mal während ihrer Berufstätigkeit eine entsprechende Fortbildung. Über den Kinderschutz wird auf Elternabenden aufgeklärt. Das Themenfeld kindliche Sexualität ist in den Fokus von Mitarbeiter:innen und Eltern gerückt. Diese Fortschritte bieten jedoch auch immer wieder Anlass für Konflikte und fordern die Einrichtungen zusätzlich heraus.

Den Kindertagesstätten kommt beim Kinderschutz in unserer Gesellschaft eine doppelte Rolle zu: Zunächst kann es auch in den Einrichtungen selbst zu Grenzüberschreitungen und Gewalt gegenüber Kindern kommen. Weitaus häufiger ist seelische, körperliche und sexualisierte Gewalt allerdings im familiären Nahbereich, worauf die UBSKM zuletzt mit einer aufwendigen Medienkampagne hingewiesen hat. Mitarbeiter:innen in Kindergärten könnten Gewalt in Familien früher als bisher erkennen und Kindern Hilfe zukommen lassen, wenn sie durch Aus- und Fortbildungen für Anzeichen von Gewalt sensibilisiert wären und im Arbeitsalltag Zeit und Kraft für die individuelle Betreuung von Kindern fänden.

Welche Rolle spielen die Kirchen?

Im Grunde ist es ganz einfach: Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände Diakonie (evangelisch) und Caritas (katholisch) gehören zu den größten Anbietern von Kindertageseinrichtungen in Deutschland. Die Probleme des Gesamtsystems sind auch ihre.

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Quelle: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe des Statistischen Bundesamtes (enthalten sind auch evangelische Horte)

Die Tagesbetreuung von Kindern in kirchlichen Einrichtungen wurde in den vergangenen Jahren stark ausgebaut. Obwohl Kitas in Deutschland ein Wachstumsmarkt sind, bleibt der Anteil kirchlicher Einrichtungen nahezu stabil: Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände nehmen am allgemeinen Aufwuchs von Kindertagesstätten teil. 2010 betrug der Anteil katholischer und evangelischer Kitas 36 % (19 % Caritas und kath. Kirche, 17 % Diakonie und ev. Kirche), 2019 immer noch 32,1 % (16,3 % Caritas und kath. Kirche, 15,8 % Diakonie und ev. Kirche).

Quelle: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe des Statistischen Bundesamtes (enthalten sind auch evangelische Horte)

Auch während der Corona-Pandemie, die zum ersten Mal seit Jahrzehnten einen kleinen temporären Knick bei der Nachfrage nach Betreuungsplätzen mit sich brachte, steigerte sich die Zahl evangelischer Kitas, der dort beschäftigten Mitarbeiter:innen und der angebotenen Betreuungsplätze (s. Grafiken). Im Jahr 2022 gab es 9 278 evangelische Tageseinrichtungen, in denen 131 629 Menschen angestellt waren. In den vergangenen beiden Jahren wurde die Zahl der angebotenen Betreuungsplätze noch einmal um 21 000 auf jetzt 643 425 (2022) erhöht. Zum Vergleich: Laut amtlicher Statistik liegt die Zahl der Kinder im Alter von 1-5 in Deutschland bei 4 Millionen. Die Mitarbeiter.innenzahl und das Angebot von Betreuungsplätzen evangelischer Einrichtungen nehmen am Beginn der 2020er Jahre sogar noch stärker zu als während des Kita-Booms in den 2010er Jahren.

Quelle: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe des Statistischen Bundesamtes (enthalten sind auch evangelische Horte)

Für die schrumpfenden Großkirchen sind die Kindergärten mehr als ein Beitrag zur allgemeinen Wohlfahrt. Sie bieten in Zeiten, in denen weniger Menschen als früher aktiv am Leben der Kirchgemeinden teilnehmen, einzigartige Kontaktflächen zu Familien und Kindern. Trotzdem wird in katholischen Bistümern und evangelischen Landeskirchen darum gerungen, wie mit den Kindergärten in Zukunft umgegangen werden soll. Kann sich die Kirche die Kindergärten weiter leisten? Sollte sich die Kirche vor allem auf ihr „Kerngeschäft“ der Verkündigung beschränken? Für welche Leistungen sind Kirchenmitglieder auch in Zukunft bereit, Kirchensteuer zu zahlen?

Vorteile für Kirchenmitglieder?

Gerade im Kontext der immer wieder aufkochenden Debatte um die Kirchensteuer wird auch darüber nachgedacht, Kirchenmitgliedern Vorteile gegenüber Nicht-Mitgliedern in kirchlichen Einrichtungen einzuräumen. Vor vier Jahren sprach sich Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und Mitglied im Rat der EKD, für die Einführung einer „Churchcard“ aus, deren Inhaber:innen z.B. bei der Vergabe von Betreuungsplätzen bevorzugt werden sollten. „Das bedeute nicht, die Offenheit für alle anderen Religionen und Weltanschauungen einzuschränken“, erklärte Jung 2019. Sein Vorschlag traf auf wenig Gegenliebe.

Wer sich Inklusion auf die Fahne schreibt, kann schwerlich auf Mitgliedschaft bestehen, allzumal kirchliche Kindergärten in aller Regel keine Privatveranstaltungen sind, sondern für jeden Betreuungsfall staatlich kompensiert werden. Allein schon deshalb müssen sich die kirchlichen Kindergärten an den staatlich vorgegebenen Gleichbehandlungsgrundsatz halten. Aber mit ihrer prinzipiellen Offenheit gegenüber allen Familien und Kindern stellen die kirchlichen Kindergärten in unserer Gesellschaft auch einen Wert an sich dar. Die Frage bleibt jedoch, ob sich die Kirchen das weiter leisten wollen.

Neue Lösungen für drängende Probleme

In den Unterhalt kirchlicher Kindergärten fließt neben den staatlichen Kompensationen und weiteren Fördermitteln nämlich auch Geld aus den Kirchenkassen, das aus der Kirchensteuer stammt. Die Gebäude zum Beispiel befinden sich häufig im Besitz einer Kirchengemeinde und können allein aus dem laufenden Betrieb heraus nicht erhalten werden. Die energetische Sanierung der Liegenschaften auf dem Weg zur Klimaneutralität stellen eine weitere große Herausforderung dar. Die Kirche springt mit ihrem Geld vor allem da ein, wo vom Staat deutlich zu wenig gezahlt wird, z.B. bei Weiterbildungen und in der Supervision. Nicht zuletzt engagieren sich die Kirchen auch mit eigenen Ausbildungsstätten für Erzieher:innen und andere pädagogische Berufe. Auch das ein Zuschussgeschäft, doch wegen des Fachkräftemangels unverzichtbar.

Die gesetzlichen und unternehmerischen Pflichten, die aus der Trägerschaft einer Kindertageseinrichtung resultieren, überfordern viele Kirchgemeinden – besonders wenn die Verantwortung für die Kita-Geschäftsführung bei der Ortspfarrer:in und dem örtlichen Kirchenvorstand / Gemeindekirchenrat liegt. Dann sollen häufig fachfremde Haupt- oder Ehrenamtliche Entscheidungen von großer Tragweite treffen, die mit dem unmittelbaren Gemeindeleben nur im losen Zusammenhang stehen. Gleichzeitig kritisieren Pfarrer:innen und Gemeindepädagog:innen, es bliebe immer weniger Zeit, um in den Einrichtungen katechetische Angebote zu machen, Feste und Gottesdienste zu feiern.

Eine Lösung könnte sein, die Gemeindekindergärten an die Diakonischen Werke, also die Unternehmensdiakonie, abzugeben. Damit aber, so die Befürchtung, würden sie sich aus dem unmittelbaren Wirkungskreis der Ortsgemeinde entfernen. Diakonie und Kirche arbeiten vor Ort eben doch nicht so eng zusammen, wie sich das die Kirchenentwicklung („Gemeinwohlorientierung“) seit Jahrzehnten wünscht. Ein anderer Weg ist die Zentralisierung des Personal- und Gebäudemanagements, der Fördermittelakquise usw. in regionalen Zweckverbänden auf Kirchenkreis- oder Dekanatsebene. Dann kümmerten sich professionelle Geschäftsführer:innen und ihre Mitarbeiter:innen um das Tagesgeschäft und hielten den Erzieher:innen und ihren Seelsorger:innen am Ort den Rücken frei. Einer heilen Bullerbü-Welt gleicht das Management von Kindergärten schon lange nicht mehr.

An vielen Orten braucht es neue, kreative Lösungen. Dazu muss in den Kirchgemeinden vor allem der Sorge begegnet werden, man verlöre durch Veränderungen den liebgewonnenen Gemeindekindergarten, den vielleicht schon die Eltern oder gar Großeltern als Kinder besucht haben. Spätestens dann, wenn die Schließung einer Einrichtung oder ihre Übergabe an einen anderen, nicht-kirchlichen Träger droht, entdecken viele Kirchenmitglieder den Wert der Kindergärten als Anker in der Gesellschaft.


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