Licht an – Die #LaTdH vom 23. September

Wieder eine evangelische Antisemitismus-Debatte. Außerdem: Reformdiskussionen in der röm.-kath. Kirche und Worte des lebendigen Gottes.

Debatte

In der Evangelischen Akademie Bad Boll findet an diesem Wochenende eine Tagung zum Israel-Palästina-Konflikt statt, die scharfe Kritik auf sich gezogen hat. Im Zentrum der Aufregung steht die Teilnahme mehrerer Referent_innen, die der BDS-Bewegung nahe stehen. BDS, das steht für „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“ und richtet sich direkt gegen den Staat Israel.

Durch den Boykott israelischer Waren und Dienstleistungen, aber auch von Künstlern soll die palästinensische Seite im Nahost-Konflikt gestärkt werden. Indem die BDS-Bewegung die Slogans palästinensischer Hardliner teilt, bestreitet sie das Existenzrecht Israels. BDS-Vertreter_innen propagieren antisemitische Vorurteile.

Die Kirche muss Stellung beziehen – Volker Beck (Jüdische Allgemeine)

Gegen die Tagung argumentiert Volker Beck (@Volker_Beck), der ehemalige Grüne-Bundestagsabgeordnete engagiert sich seit Jahrzehnten gegen Antisemitismus. In der Jüdischen Allgemeinen schreibt er über seine Vorbehalte gegenüber BDS und der Tagung in Bad Boll:

Das BDS-Happening soll in der Evangelischen Akademie heute Abend trotzdem beginnen. Selbst der Akademieleiter räumt ein: „Die Liste der Referent_innen wird in der Tat beherrscht von der BDS-Bewegung nahestehenden Verteter_innen.“ Keck teilt er allerdings mit: „Im Vorfeld der Tagung haben wir alles (!) versucht, Vertreter_innen der DIG bzw. ihres Umfeldes zur Teilnahme an der Auseinandersetzung zu gewinnen.“ Auf Nachfrage haben weder der Vorsitzende noch die Bundesgeschäftsstelle der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) von diesen Versuchen etwas vernommen.

Wenn schon unter dem Deckmantel der allseitigen Dialogbereitschaft diskutiert werden soll, dann wäre wenigstens auch für das Gehör der anderen Seite Sorge zu tragen gewesen. Im Falle BDS und des auch unter Christ_innen wieder virulenten Antisemitismus aber steht genau diese allzu offene Dialogbereitschaft selbst in Frage: Werden so nicht die Feinde Israels legitimiert? Muss nicht gerade die evangelische Kirche, die eine – vorsichtig formuliert – schwierige Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus hat, hier besonders gründlich agieren. Noch einmal Volker Beck:

Diskutieren kann man mit den abwegigsten Positionen. Und ich habe jedes Verständnis, wenn gerade christliche Einrichtungen an Umkehr durch Argument und Dialog als Hoffnung festhalten. Aber man darf sich dabei nicht vor den Karren anderer spannen lassen. In Bad Boll wurde eine rote Linie überschritten. Dies zeigt, dass die Leitungsorgane der Kirche Klarheit schaffen müssen und ihre Linie dann auch durchsetzen. Das sind die Christen ihren älteren Brüdern und Schwestern schuldig.

Evangelische Akademie Bad Boll: Das Happening der „Israelkritiker“ – Alex Feuerherdt (mena-watch)

Weitere Informationen zu den kirchlichen Überlegungen zur Tagung hält Alex Feuerherdt (@LizasWelt) in seinem Artikel zur Debatte auf mena-watch bereit:

In einer Erklärung von Landesbischof Frank Otfried July heißt es, die Kirchenleitung habe die Akademie „im Vorfeld eindringlich gebeten, weitere Stimmen zu gewinnen und in den Tagungsablauf einzubauen, die eine deutlich kritischere Einstellung zur BDS-Bewegung erkennen lassen als einige der bekannt gewordenen Referenten. Die Delegitimierung Israels durch die BDS-Bewegung lehnt die evangelische Kirchenleitung eindeutig ab.“ Die Akademie habe sich darum bemüht, weitere Referenten zu akquirieren. Man nehme zur Kenntnis, dass dies nicht gelungen ist, und hätte es deshalb „für angemessen gehalten, die Tagung zu verschieben und zu einem späteren Zeitpunkt in einer breiteren Aufstellung gerade auch die Stimmen der Kritiker in die Gestaltung der Tagung einzubinden“.

Nahostkonferenz in der Kritik – Frederik Schindler (taz)

Für die taz fasst Frederik Schindler (@Freddy2805) die Debatte zusammen, er weist noch einmal auf die Forderung des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Felix Klein hin, die Tagung abzusagen:

[Klein:] „Aber wenn dabei antisemitische Narrative verwendet werden, sollte das unseren Widerstand hervorrufen.“ Die Akademie-Leitung hält trotz der scharfen Kritik an der Tagung fest. […] An der Tagung nimmt niemand mit einer dezidiert proisraelischen Position teil. Lediglich der Antisemitismusbeauftragte der baden-württembergischen Landesregierung wird dort seine Ablehnung der Boykottkampagne begründen.

Dieser Antisemitismus-Beauftragte aus Baden-Württemberg ist der immens geschätzte Michael Blume (@BlumeEvolution), von dem wir sicher in den kommenden Tagen mehr zur Tagung und zum Thema hören werden.

nachgefasst

Wenn beten nicht mehr hilft – Matthias Drobinski (Süddeutsche Zeitung)

Erfolge und Probleme der immer noch unveröffentlichten Studie zum Missbrauch der Deutschen Bischofskonferenz erläutert Matthias Drobinski (@MatthiasDrobins) in der Süddeutschen Zeitung. Für alle, die sich bisher nicht mit der Diskussion um die Studie, die am kommenden Dienstag (25. September) endlich offiziell vorgestellt wird, befassen konnten, dient dieser Artikel auch als guter Überblick. Auch, weil er eine Antwort darauf gibt, warum beim Thema Missbrauch immer wieder die katholische Kirche in den Blick gerät:

Sexualisierte Gewalt kommt überall vor, in Sportvereinen wie auch der evangelischen Kirche – die Anfälligkeit katholischer Milieus ist jedoch auffällig. Der Essener Forensiker Norbert Leygraf untersuchte 2012 die Akten 80 einschlägig straffällig gewordener katholischer Priester und fand heraus, dass die große Mehrheit nicht fixiert pädophil war, wohl aber vereinsamt, alkoholabhängig, sexuell unreif, psychisch labil.

Durch die Missbrauchsdebatte sind auch die Top 3 der ewigen Rangliste von Reformforderungen in der katholischen Kirche wieder in der Diskussion: Abschaffung des Zölibats, Einführung der Priesterinnen-Weihe und stärkere Beteiligung von Laien an der Kirchenleitung (synodales Prinzip). Drobinski schreibt auch, warum diese Forderungen im Angesicht des tausendfachen Missbrauchs Sinn ergeben:

Der Zölibat kann ein Fluchtort sein für Männer, die nicht mit ihrem Leben, ihrer Sexualität zurechtkommen – und ihre Probleme heiligen wollen. Er befördert Männerbünde, die sich gegenseitig schützen. Und eine Kirche, die sich als Hüterin des Heils sieht, wird eher dazu neigen, Taten zu vertuschen, um unbeschädigt dazustehen.

Ex-Mönch Anselm Bilgri: Zölibat ist „Lüge der Kirche“ (BR24)

Ein eigenes Subgenre der Kirchenreformforderungen innerhalb der katholischen Kirche wird von ehemaligen Priestern und Mönchen gebildet. Sie wissen aus erster Hand von den Bedrängungen des Zölibats zu berichten. Gleichzeitig ist ihr Zeugnis innerhalb der katholischen Nomenklatur verpönt. Warum nur?

Ein Grund dafür, dass er kein Mönch mehr sein wollte, so sagt er heute, sei auch der Zölibat gewesen. „Es gibt eine Schätzung, die davon ausgeht, ein Drittel der Priester ist heterosexuell aktiv, ein Drittel homosexuell und ein Drittel versucht es redlich, sich daran zu halten“, sagte er. „Dabei sind es gerade die Konservativen, die besonders streng mit sich sind, die irgendwann merken, dass es nicht klappt – und das macht dann oft noch verbitterter, weil man unter einem ständigen Gewissensdruck steht.“

Bilgri konzediert, dass trotz aller Skandale und aller Lippenbekenntnisse von Bischöfen, die sich reformwillig zeigen, die Abschaffung des Zölibats nahezu ausgeschlossen ist. Schade, denn so trocknet sich die katholische Kirche z.B. beim Priesternachwuchs selbst aus. Die Differenz zwischen einer vielerorts stabilen bis steigenden Anzahl von Männern, die sich zu Diakonen der Kirche weihen lassen, und der seit Jahren auf extrem niedrigen Niveau stagnierenden, wenn nicht noch weiter sinkenden Zahl von Priesterkandidaten, sollte eigentlich Mahnung genug sein.

Ohne Männer mit Familienwunsch, ohne Leute die auf Sex nicht verzichten wollen und dann auch noch ohne Frauen klarkommen? Statt an den Rahmenbedingungen der Priesterberufung grundlegend etwas zu ändern, werden noch mehr „Zentren für Berufungspastoral“ eingerichtet. Ob’s das bringt?

Buntes

Moschee in ehemaliger Hamburger Kirche wird eröffnet (Die Tagespost)

Die Tagespost berichtet mit Rückgriff auf Agenturmeldungen über die anstehende Einweihung der ersten Moschee in Deutschland, die in einer ehemaligen evangelischen Kirche Platz gefunden hat.

Die 1961 erbaute Kapernaumkirche im Stadtteil Horn war 2002 entwidmet und an einen Unternehmer verkauft worden, der sie 2012 schließlich an die als gemäßigt geltende Al-Nour-Gemeinde veräußerte […] Die Kosten von rund fünf Millionen Euro finanzierte die Gemeinde eigenen Angaben nach aus Spenden sowie aus einem Zuschuss des Staates Kuwait in Höhe von 1,1 Millionen Euro. […] Zu einem offiziellen Festakt am kommenden Mittwoch werden zahlreiche Vertreter von Politik und Religionsgemeinschaften erwartet. […] Zu den Freitagsgebeten der Al-Nour-Moschee kommen regelmäßig 2.500 Teilnehmer. Sie finden bislang in einer Tiefgarage im Hamburger Stadtteil Sankt Georg statt.

„Weil ich das wollte und das Schicksal mitspielte“ – Jutta Olschewski (epd, EKD)

Am letzten Sonntag wurde Felizitas Böcher ordiniert. Sie ist damit die erste gehörlose Pfarrerin in Deutschland. Herzlichen Glückwunsch aus der Redaktion der Eule!

Die Gemeinde in Roth, in der sie ihre Ausbildung machte, „war schon auf dem Weg in Richtung Inklusion“, stellte sie fest. […] Die junge Pfarrerin flicht in ihre Predigten auch Gebärdensprache ein. Den göttlichen Schutz und seinen Segen hat jeder vor Augen, wenn sie auf der Kanzel den ganzen Arm hebt und ihre flache Hand über dem Kopf schweben lässt. Und diesen Schutz verteilt sie mit einer ausgreifenden Bewegung über die Gemeinde. Für ihre kurzen Predigten und die bildhafte Sprache bekomme sie immer wieder Lob, erzählt sie.

Bibel

„Wort des lebendigen Gottes“ – Gunda Brüske (reli.ch)

Lektor_innen und Gemeinden sind in Gottesdiensten immer wieder herausgefordert: Von den biblischen Texten und der gebräuchlichen Formel „Wort des lebendigen Gottes“, die sich an die Schriftlesung anschließt und sie für alle Teilnehmer_innen wahrnehmbar beendet. Was hat es damit auf sich? Und warum ist diese Erinnerung notwendig?

Vermutlich gilt das Unbehagen ja weniger der Formel als dem zuvor Gelesenen. Kann das Gottes Wort sein – für uns, für mich, hier und heute? Es gibt wirklich Lesungen, die stossen. Da gibt es nichts zu verharmlosen. Manches kann man erklären: Gottes Wort ist in eine geschichtlich viel frühere Zeit hinein ergangen, so dass sich kaum beim ersten Hören erschliessen kann, was sein Handeln und sein Wort in dieser Zeit bedeutete – und dann doch auch uns etwas sagen könnte. Vieles muss man im Kontext der ganzen Schrift sehen. Doch manches wird noch immer anstössig bleiben. Vielleicht muss es ausgehalten werden.

Ein guter Satz

„Aber glaubt mir, dass man Glück und Zuversicht selbst in Zeiten der Dunkelheit zu finden vermag. Man darf nur nicht vergessen ein Licht leuchten zu lassen.“

– A. P. W. B. D.