Foto: "Three Men in the Desert" von Alessandro Valli (Flickr), CC BY 2.0

Manna für Männer

Männer werden zum Problem, Männer haben Probleme. Richard Rohrs Ideen für eine befreite Männlichkeit sind ein Ausweg aus der Krise des männlichen Geschlechts.

Es bedarf kaum eines Aufwands und überhaupt keiner Phantasie, um in den großen Problemen unserer Zeit vor allem Probleme der Männer zu entdecken. Männer werden deutlich häufiger als Frauen straffällig, vor allem was Gewalttaten und sexuellen Missbrauch angeht. Männer haben häufiger mit Suchtproblemen zu kämpfen als Frauen, sie verüben häufiger Suizid. Der politische und religiöse Extremismus ist vor allem ein Männerphänomen. In unserem Bildungssystem scheitern Jungen überproportional  häufig.

Die vaterlose Gesellschaft

Die meisten Männerprobleme haben Jungen und junge Erwachsene. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem ein mangelndes Engagement der älteren Männer zu Grunde liegt. Stattdessen erleiden die eigentlich erfahrenen Männer hierzulande selbst häufig ein schlimmes Schicksal zwischen Passivität und depressiver Selbstaufgabe auf der einen Seite und Selbstradikalisierung auf der anderen.

Es mangelt an guten Vätern und Großvätern, nicht nur im leiblichen Sinn. In Deutschland hat dieser Mangel auch historische Ursachen. Die Kriegsgeneration und die der Kriegskinder konnten ihren Söhnen keine Väter im umfänglichen Sinne sein. Väter, die Schwäche und Stärke gemeinsam vorleben konnten. Die Generation der Kriegsenkel hat sich von der Möglichkeit guter Vaterschaft distanziert: Freie Menschen bedürften keiner (An-)Leitung. Sie haben gegenüber ihren Söhnen die eigene Verletzbarkeit glaubwürdig gelebt; zum Preise dessen, ihren Söhnen häufig zu wenig zugemutet zu haben.

Jungen haben Probleme, aber sie sind keines. Vom Begründer der Pfadfinder Robert Baden-Powell stammt der schöne Satz: „There’s no such thing as a bad boy, only bad influence.“ („Einen schlechten Jungen gibt es nicht, nur schlechte Einflüsse.“) Die von Simone de Beauvoir in „Das andere Geschlecht“ zusammengefasste Erkenntnis „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es.“ gilt ebenso für Männer. Man wird nicht als Mann geboren, man wird es. Nur, wie?

Richard Rohr zum 75. Geburtstag

Am 20. März 2018 feiert Richard Rohr seinen 75. Geburtstag. Der Franziskanerpater aus den USA hat mit seinen Vorträgen und Büchern Millionen Christen auf dem Weg zu einer neuen Spiritualität begleitet. Im Zentrum seiner Arbeit steht eine neue Männerspiritualität, die er in Büchern wie „Der wilde Mann“ und „Adams Wiederkehr“ beschreibt. Anlässlich seines Geburtstages bringen wir ein Richard-Rohr-Special.

Seit jeher bedürfen Jungen anderer Männer, die sie in das Erwachsensein, ins Mannsein, einführen. Wir haben das in unserer westlichen Gesellschaft vergessen. Es gibt dafür flächendeckend keine Institutionen mehr. Es passiert nurmehr nebenbei, unkontrolliert. Das Mannwerden ist gefährlich geworden. Richard Rohr schreibt:

„Viele Kulturen und Religionen betrachteten den Mann, wenn er sich selbst überlassen bleibt, als ein gefährliches oder gar zerstörerisches Element der Gesellschaft. Aus welchen Gründen auch immer – es scheint nicht in der Natur des Mannes zu liegen, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Unweigerlich und wie selbstverständlich sucht er seine eigene Sicherheit und seinen Vorteil. […] Männer haben anscheinend immer einen gehörigen Schlag auf den Hinterkopf gebraucht, den sprichwörtlichen Sturz vom hohen Ross […], bevor sie als positive, weise Mitglieder ihren Beitrag innerhalb der größeren Gemeinschaft leisten konnten.“ (aus „Adams Wiederkehr“)

Es braucht keine „Männerbefreiung“ wie es einer Befreiung der Frau aus Unterdrückung und Diskriminierung noch heute braucht. Jungen und Männer müssen sich nicht von etwas weg befreien, sondern sich zu etwas hin bekehren, ihre Rolle finden. Es geht nicht darum, überhaupt Macht über das eigene Leben zu erlangen, sondern mit dieser Macht verantwortlich umzugehen.

Nach Richard Rohr geht es für den Mann im Kern darum, seinen eigenen Platz im Spiel von Tod und Auferstehung zu finden. Mit dem Leiden, der eigenen Ohnmacht klar zu kommen. Darum, einen Platz für sich in der Welt und der Gesellschaft zu finden. Durch das Studium anderer Kulturen ist Richard Rohr zur Überzeugung gelangt, dass es dem westlichen Mann an Initiation fehlt, an einer Einführung in eine für ihn selbst und die Gemeinschaft gesunde Männlichkeit.

Wege der Initiation

Dieser Mangel wird gegenwärtig auf unterschiedliche Weise beschrieben. Sei es die erhebliche Zahl männlicher Schulabrecher oder die Angst vor jungen männlichen Geflüchteten oder Einwanderern. In ihrem Unbegleitetsein drückt sich das aus, was auch für viele bio-deutsche, eingesessene Männer Realität ist.

Wer begleitet junge Männer? Von wem und wie können sie eine gesunde Männlichkeit lernen?

Nicht wenige behaupten, die Probleme hätten damit begonnen, dass die jungen Männer nicht mehr zur Armee gehen. Doch in welche Männlichkeit wird man in Armeen initiiert? Ganz sicher bekommt man dort ein Gefühl für einen größeren Zusammenhang und für die eigene Ohnmacht. Die Orientierung an Befehl und Kommando kann aber sicher nicht allein zureichend sein für die Bildung von selbstbestimmten männlichen Bürgern, die sich in einer komplexen und pluralen Wirklichkeit zurecht finden können.

Deshalb sprach der verstorbene Verteidigungsminister und Bundeskanzler Helmut Schmidt – dem keine Abneigung gegen die Streitkräfte nachzusagen ist – gerne davon, dass nicht die Armee die Schule des Landes sei, sondern eben die Schulen.

Unsere Schulen leisten zu wenig der Persönlichkeitsbildung, ja, sie bieten Jungen selbst zu wenig Vorbilder gesunder Männlichkeit an. Die Wirkung eines guten Lehrers als Vorbild kann nicht überschätzt werden, gerade für solche Jungen, die eines solchen im eigenen Elternhaus entbehren müssen. Umso bedauerlicher, dass Lehrer häufig nicht „befreit aufspielen“ können, sondern sich durch Lehrpläne und Regularien gefesselt sehen. Wer zeigt jungen Männern sonst die Welt?

Urbilder des initiierten Mannes

Hier schließt sich der Kreis zur Männerspiritualität nach Richard Rohr, die missversteht, wer sie einfach für einen esoterisch angekitschten Glauben für Männer hält. Männerspiritualität meint einen Glauben, der Welt und Geist, Körper und Seele zusammenhält.

Auch die Kirchen bieten heute flächendeckend keinen Raum für Männer, einen solchen Glauben zu entdecken und zu leben. Sie könnten es aber. Wie Pfadfinder und Jungschar können kirchliche Gruppen Orte sein, an denen gereifte Männer Jungen den Weg weisen. Und die Kirche kann der Ort sein, wo Männer ihr Leben lang zusammenkommen, weil sie in ihrer Tradition Bilder und Geschichten mitführt, die Männern auch heute Orientierung geben können. Männer brauchen solche gemeinsamen Orte. Richard Rohr schreibt über den initiierten Mann:

„Sie sind in irgendeiner Weise „initiiert“. Initiiert in ihr wahres Selbst, initiiert in den Strom der Realität, initiiert in die großen, immer wahren Bilder, initiiert in das Leben Gottes […].“ (aus „Adams Wiederkehr“)

Für Richard Rohr sind es nicht allein andere, weise Männer, die andere begleiten und leiten können, es sind die Männer der Bibel, es sind Johannes der Täufer und vor allem Jesus, die er als Urbilder einer initiierten Männlichkeit vorstellt. Einer Männlichkeit, die mutig und demütig zugleich ist, kampfesbereit und aufopferungsvoll.

In „Der wilde Mann“ schreibt Richard Rohr:

„Männlichkeit heißt, unterwegs sein zu Neuem. Der „Mann“ muss Berge besteigen, Unbekanntes erforschen. Die Sicht des Mannes reicht immer weiter als bis zum eigenen Ich, zum eigenen Heim. Deshalb gehört in der Mythologie zum „Helden“ immer die Opferbereitschaft.  […] Das lateinische Wort für „Opfer“ ist „sacrificium“. Es kommt vom Verbum „sacrum facere“, was wörtlich heißt: „heiligen, heilig machen“. Opferbereitschaft, die Fähigkeit etwas aufzugeben und zu opfern ist etwas Heiliges. Die Heiligen sind Menschen, an denen wir sehen, was geschieht, wenn ein Mensch seinen Egoismus und sein Selbstinteresse opfert.“

Und weiter:

„Tiefe Männlichkeit braucht nicht mehr erfolgreich zu sein. Das aber lernt man nur bei Gott. Nur wer Gott findet, kann sein falsches Ich loslassen. Nur wer Gott Gott sein lässt, braucht selbst nicht mehr oben zu sein, recht zu haben, zu gewinnen. Heilige sind Menschen, die etwas tun, weil es richtig ist. Das klingt altmodisch und konservativ, weil es tatsächlich eine alte und ewige Wahrheit ist.“


Literatur

Zur Situation des Mannes:

Initiation und Männerbefreiung bei Richard Rohr:

Männerpfade – Initiationen nach Richard Rohr in Deutschland

Männerpfade ist die Gemeinschaft initiierter Männer aus ganz Deutschland, die ihre Erfahrungen auf ihrem individuellen und spirituellen Weg bündeln, um sie an andere Männer weiterzugeben. Sie wurde 2007 nach einer von Richard Rohr durchgeführten Initiation gebildet. Im Juni 2009 führte sie gemeinsam mit Verantwortlichen des Centers for Action and Contemplation („Zentrum für Aktion und Kontemplation“, s.u.) erstmals seit längerem wieder eine Männer-Initiation in Deutschland durch. Seitdem führen initiierte Männer von Männerpfade in Deutschland jeweils in Jahren mit ungerader Jahreszahl Initiationen durch. Vom 1. bis 5. August richten die Männerpfade eine Initiation für junge Männer aus (mehr erfahren).