Foto: Maximilian Kolbe (gemeinfrei) & Auschwitz II-Birkenau (Alexey Soucho (Unsplash))

Maximilian Kolbe: Schwieriges Gedenken in Auschwitz

In Auschwitz erinnert der Erzbischof von Bamberg, Ludwig Schick, an den Märtyrer Maximilian Kolbe, der in Auschwitz ermordert wurde. Ein bestenfalls halbes Gedenken.

„Persönlich bin ich ein großer Verehrer des hl. Maximilian Kolbe! Er inspiriert mich als Christ und für meine Aufgaben als Bischof der katholischen Kirche“, erklärte heute der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick bei einer Eucharistiefeier am Fest des 1982 von Papst Johannes Paul II. heilig gesprochenen Maximilian Kolbe in Auschwitz. Dort findet gegenwärtig der 13. Europäische Workshop „Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit von Auschwitz“ der Maximilian-Kolbe-Stiftung statt, der vom katholischen Hilfswerk Renovabis und vom Auswärtigen Amt gefördert wird.

Die Verehrung Kolbes verbindet polnische und deutsche Katholik:innen. In seiner kurzen Ansprache erklärte Erzbischof Schick Kolbe zum „Initiator der deutsch-polnischen Versöhnung“. Die deutsch-polnische Aussöhnung ist eines der Anliegen der 2007 mit Unterstützung der Polnischen und der Deutschen Bischofskonferenz gegründeten Maximilian-Kolbe-Stiftung, deren Stiftungsratsvorsitzender der Bamberger Erzbischof ist. Ausdrücklich auch im Namen der Deutschen Bischofskonferenz und für die katholische Kirche in Deutschland sprach Schick den polnischen Gastgebern Dank und Anerkennung für die Aufnahme von Flüchtlingen des Ukraine-Krieges aus.

Interessanter noch ist, was der Erzbischof in seiner Ansprache verschweigt.

„Der hl. Maximilian Kolbe ist heute so aktuell wie 1941 bei seinem Märtyrertod in Auschwitz, wie 1971 bei der Seligsprechung und 1982 bei seiner Heiligsprechung“, erklärt Schick. Der Heilige habe „viele kostbare Botschaften und Mahnungen für uns Christen und auch für die Nichtchristen“. In seiner Ansprache (kompletter Text als PDF) fasst Schick in vier Punkten zusammen, was Papst Johannes Paul II. bei der Heiligsprechung Kolbes vor 40 Jahren ausführte. „Gott liebt alle, Gott schützt alle, Gott will Leben in Fülle für alle Menschen! Das war seine Überzeugung und ist eine wichtige Botschaft des hl. Maximilian Kolbe an uns“, ist sich der Erzbischof sicher.

Keine Erwähnung finden die judenfeindlichen Aktivitäten Kolbes vor seiner Verfolgung durch die deutschen Besatzer. Wie der Historiker Götz Aly in „Europa gegen die Juden“ (S. 261 ff.) schreibt, hing Kolbe wie zahlreiche polnische Katholiken seiner Zeit und die Spitze seiner Kirche nationalistischen und antisemitischen Ideen an. Die von ihm mitbegründete Vereinigung Militia Immaculatae, von Schick in seiner Ansprache lobend erwähnt, „weihte sich dem Kampf gegen den säkularen Zeitgeist, gegen Freisinnige und Sozialisten“. In das Statut der „Ritterschaft der Unbefleckten“ schrieb Kolbe:

„Sich bemühen um die Bekehrung der Sünder, Häretiker, Schismatiker, Juden etc., besonders der Freimaurer; und um die Heiligung aller unter dem Schutz und durch die Vermittlung der Unbefleckten Jungfrau.“

Hetze gegen Juden und Freimaurer

In Teresin bei Warschau gründete Kolbe 1927 das Kloster Niepokalanów, „gemeinsam mit mehreren hundert Laienbrüdern schuf er dort den größten katholischen Pressekonzern Polens“. Nach einer kurzen Unterbrechung wegen seiner missionarischen Tätigkeit in Japan übernahm Kolbe ab 1936 erneut die Leitung von Kloster und Pressehaus. Dort erschien die reichweitenstarke Tageszeitung Maly Dziennik. „Im Stil moderner Boulevardblätter gehalten, war sie 1935 auf den Markt gebracht worden, um Juden, Freimaurer und Liberale zu bekämpfen“, analysiert Götz Aly.

In der Zeitung wurde gegen Juden gehetzt. „Kein Wort verlor die Zeitung über das Pogrom in Deutschland“, beschreibt Aly den Umgang der Zeitung mit den Novemberpogromen 1938, stattdessen ordnete man den Tod des deutschen Legationssekretärs Ernst vom Rath, der am 9. November verstorben war, weil „er in Paris von einem polnischen Juden niedergeschossen worden war“, so ein: „Man erwartet, dass Kanzler Hitler jetzt die sogenannte »finale« Politik gegen die Juden durchsetzen wird.“

„Einer der zahllosen klerikalen Antisemiten, Prälat Stanislaw Trzeciak, fand 1939 in derselben Zeitung diese Rechtfertigung für die deutsche Judenpolitik: »Hitler schöpft seine Gesetze aus den päpstlichen Enzykliken […], er folgt dem Beispiel berühmter Päpste.«“ (Götz Aly, Europa gegen die Juden, S. 262)

Auch in der von Kolbe bereits 1922 gegründeten Monatsschrift Rycerz Niepokalanej wurde gegen Freimaurertum und Juden gehetzt. Laut Aly schrieb Kolbe selbst gerne für die Zeitschrift und verantwortete sie als Chefredakteur. 1938 stand in der Zeitschrift: „Im Kampf gegen die Front der Freimaurer hat die Kirche einen Verbündeten gewonnen: den Faschismus.“ In der Fachliteratur hat Aly noch weitere Beispiele für „das alltägliche Ausmaß an Vorurteil und Hass“ gefunden, u.a. hieß es 1939, das Judentum habe sich „wie ein Krebsgeschwür in den Volkskörper“ gefressen.

„Erinnerung, Wahrheit und Versuchung“

Schmälert Kolbes polnisch-katholischer Antisemitismus sein Opfer in Auschwitz? Dort wurde er am 14. August 1941 ermordet, weil er sich „gegen einen polnischen Mithäftling und Familienvater austauschen“ ließ, der aus „Vergeltung“ von den Deutschen ermordet werden sollte. Diese Heldentat steht zu Recht im Zentrum der Kolbe-Verehrung.

Doch muss das nicht bedeuten, Kolbes sicher zeittypischen Antisemitismus zu verschweigen. In seiner Ansprache zum heutigen Gedenken in Auschwitz aber hat Erzbischof Schick genau das getan. Mehr noch: Schick stellt Kolbe als „Kosmopoliten“ (als solche wurden insbesondere die Juden von europäischen Antisemiten unterschiedlicher Nation verunglimpft) und Kämpfer für universelle Menschenrechte dar. Er mag damit der deutsch-polnischen Aussöhnung, überhaupt dem guten Verhältnis zwischen der polnischen und deutschen katholischen Kirche – das zuletzt sehr gelitten hat – helfen wollen, doch kann eine solche Verständigung, allzumal am historischen Ort der Vernichtung von fast einer Million Juden, nicht ohne eine ehrliche Erinnerungsarbeit von Polen und Deutschen gelingen.

Das Programm des 13. Kolbe-Workshops sieht in diesem Jahr unter anderem einen Vortrag von Bischof Joseph-Marie Ndi-Okalla aus Kamerun über „Remembrance, truth and temptation” („Erinnerung, Wahrheit und Versuchung“) als „Reflexion über die Rolle der Kirche in der Auseinandersetzung mit der gewaltvollen Vergangenheit“ vor. Zu einer solchen Reflexion muss die Auseinandersetzung mit dem europäischen Antisemitismus unbedingt gehören, der vor und auch nach der Shoah auch in der Kirche anzufinden war/ist: Der Antisemitismus im christlichen Gewand ist nicht tot.

Eindringliche Warnungen vor Freimaurern und antisemitische Versatzstücke hören wir derzeit vor allem von katholischen Verschwörungsideologen wie Erzbischof Carlo Maria Viganò oder Weihbischof Athanasius Schneider (Astana, Kasachstan). Sie erhalten allerdings immer wieder Unterstützung von weiteren katholischen Reaktionären wie dem ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation Kardinal Gerhard Ludwig Müller sowie rechts-katholischen deutschsprachigen Medien wie Kirche in Not und kath.net. (Über rechte Katholiken im Kontext des Ukraine-Krieges berichtete vor kurzem das ARD-Magazin „Monitor“).

Sicher will sich Erzbischof Ludwig Schick solche Verschwörungstheorien nicht zu eigen machen. Gerade darum wäre es angebracht gewesen, seine Ansprache zum Gedenken nicht für ein durch die Historie ungetrübtes Lob Kolbes, sondern für eine wirklich aktuelle Einordnung zu nutzen. So jedoch handelt es sich bei der Ansprache Schicks bestenfalls um ein halbes Gedenken.