Newsletter #LaTdH

Mehr als versagt – Die #LaTdH vom 21. Oktober

Neues von der schlimmsten Krise der röm.-kath. Kirche seit der Reformation. Außerdem: Missbrauch bei den Evangelen, dreckige #digitaleKirche & biblische Bewegtbilder.

Debatte

Bischof Wilmer: Mein Vorgänger hat bei Missbrauch mehr als versagt (katholisch.de)

Heiner Wilmer, der frisch berufene Bischof des Bistums Hildesheim, kritisiert seinen (inzwischen verstorbenen) Vorvorgänger scharf. Das ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil es eines der immer noch seltenen Schuldeingeständnisse von Seiten des Episkopats ist, sondern weil sich die röm.-kath. Kirche strukturell außer Stande sieht, Irrtümer der Vergangenheit zu korrigieren. An der Kontinuität der (Lehr-)Überzeugungen darf nicht gerüttelt werden. Welchen Sturm wider den Klerikalismus würde es im Katholizismus entfachen, wenn der Bischof von Rom seine Vorgänger derartig kritisierte (Grund genug hätte er), statt sie reihenweise heilig zu sprechen?

Substanz erhält das klare Statement Wilmers auch dadurch, dass er die Archive seines Bistums für unabhängige Untersuchungen öffnen will. Unter der mangelnden Bereitschaft dazu hat die vor kurzem veröffentlichte MHG-Studie zu den Missbrauchsfällen in den deutschen Bistümern vor allem gelitten.

Bischof Wilmer kündigte im NDR darüber hinaus an, Missbrauchsfälle in seinem Bistum mit Hilfe von außen aufklären zu wollen: Dies sei notwendig, „um Betroffene zu finden, um hier auch adäquat vorzugehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wir brauchen externen Sachverstand. Es ist unmöglich, dass Kirche hier nur eine Binnenkultur pflegt.“

Die Frage, was denn zur allgegenwärtigen Vertuschung von Missbrauchsfällen in der Kirche führt, treibt viele Menschen um. Das Stichwort Klerikalismus fällt derzeit besonders häufig. Inzwischen ist es fast schon zu einer vorgeschobenen Floskel degeneriert, die es den Verantwortlichen ermöglicht, sich hinter großen und frommen Reformwünschen zu verstecken.

Was ist wichtiger: Treue oder Ehrlichkeit? – Christiane Gelitz (Spektrum)

Was steckt hinter dem Schweigekartell rund um den Missbrauch in der Kirche? Einer naheliegenden Erklärung sind us-amerikanische Wissenschaftler nachgegangen. Wir lügen, um unsere Gemeinschaft zu schützen.

Wenn die Versuchspersonen über das Verhalten anderer Spieler urteilen sollten, hielten sie das loyale Lügen für die Gruppe durchaus für unmoralischer als ehrliches Verhalten. Aber wenn sie selbst „loyal motiviert“ logen, fanden sie das moralisch legitimer, als die Wahrheit zu sagen. Das lag offenbar nicht daran, dass sie sich selbst grundsätzlich wohlwollender bewerteten, wie die Autoren zeigen. Denn wer sich ehrlich, aber illoyal verhielt, urteilte über sich selbst sogar strenger als über andere Menschen in derselben Lage.

Die Doppelmoral des Klerus als zwangsläufige Folge von Gruppenzugehörigkeit? Was wohl Jesus dazu zu sagen hätte?

Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er streckte die Hand über seine Jünger aus und sagte: Siehe, meine Mutter und meine Brüder. Denn wer den Willen meines himmlischen Vaters tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter. (Matthäus 12, 48b-50)

The Catholic Church’s Biggest Crisis Since the Reformation – Massimo Faggioli (Foreign Affairs, englisch)

Ein viel gelesener und diskutierter, seit einigen Tagen auch frei im Netz verfügbarer Artikel zur Situation der röm.-kath. Kirche von Massimo Faggioli (@MassimoFaggioli):

Like the Reformation, the current crisis unfolds against a backdrop of pervasive institutional corruption. Then and now, the institutional church, specifically the papacy, had pushed back against key reform proposals in the decades before the crisis broke.

Wie schon die Reformation spielt sich die aktuelle Krise vor dem Hintergrund allgegenwärtiger, institutioneller Korruption ab. Heute wie damals hat die institutionelle Kirche, besonders das Papstamt, entscheidende Reformvorhaben in den Jahrzehnten vor Ausbruch der Krise verhindert.

Zu viel Papst in den Medien! – Theresia Kamp (katholisch.de)

Theresia Kamp (@TheresiaKamp) kritisiert die Allgegenwart des Papstes in den Medien, deren Ursache vor allem die umfängliche Social-Media-Präsenz des Bischofs von Rom ist. Bei so viel Scheinwerferlicht fiele nämlich auch auf, wozu der Papst schweigt:

Leider führt diese mediale Überpräsenz auch dazu, dass allzu schmerzlich deutlich wird, bei welchen Themen der Papst plötzlich schweigt: beim Missbrauchsskandal oder dem fehlenden Stimmrecht für weibliche Synodenteilnehmerinnen – und es wird der ganzen Welt vor Augen geführt, wenn er sich unpassend äußert.

Die Konsequenz daraus aber kann unmöglich, wie Kamp es sich wünscht, darin bestehen, das Licht einfach wieder auszuknippsen. Im Gegenteil: Die neuen Medien leisten als Aufmerksamkeitsmaschinerie hier einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung von bisher geflissentlich verschwiegenen Umständen (#ChurchToo).

Ne, der digitale Schweinwerfer kann Kirche nur so zeigen, wie sie ist, nicht wie man sie gern hätte. Um Kirchenreform kommt man mit Medienentzug nicht drumrum. Statt „Zu viel Papst in den Medien!“ zu beklagen, weil es das Bild einer zugewandten Kirche stört, muss man gründlicher schimpfen: Zu viel Papst!

nachgefasst

„Viele Opfer sind fertig mit der Kirche“ – Christine Bergmann im Interview (Christ & Welt)

Hannes Leitlein (@hannesleitlein) befragt für die Christ & Welt Chrstine Bergmann, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Es geht um den Missbrauch in den Evangelischen Kirchen, ein bisher sträflich vernachlässigtes Thema.

Frage: Ärgert Sie, als Protestantin, dass Ihre Kirche bei der Aufklärung ihrer eigenen Schuldgeschichte hinterherhinkt?

Bergmann: Es war schon klar, dass die katholische Kirche nicht allein schuldig geworden ist. Mich ärgert vor allem, dass bisher eine Aufarbeitung aber immer nur dann passiert ist, wenn Betroffene nicht lockergelassen haben. Dabei wäre die Aufklärung doch auch im Interesse der Kirche! Zuerst natürlich, um den Opfern Anerkennung zu verschaffen, aber natürlich auch, um herauszufinden, wo Veränderung geschehen muss, damit so etwas nicht wieder passiert.

Und gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd) fordert der Kirchenjurist, Oberlandeskirchenrat der Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers und EKD-Synodale Rainer Mainusch die Kirchen auf, in Fällen von sexuellem Missbrauch die Täter zur Not auch gegen den Willen der Opfer anzuzeigen:

„Die Kirchen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Als solche stehen sie in einer besonderen Verantwortung, den Rechtsstaat bei der Strafverfolgung zu unterstützen, wenn kirchliche Mitarbeitende als Täter verdächtigt werden.“ […] „Wo auch nur ein Anflug von Zweifel besteht, ob eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung vorliegen könnte, sollte der Fall zur Anzeige gebracht werden“, […]

Vordenker der Neuen Rechten – Klaus Mertes (Stimmen der Zeit)

Klaus Mertes warnt in den Stimmen der Zeit vor den geistigen Herausforderungen der Neuen Rechten für den Katholizismus und zitiert den Historiker Volker Weiß, der anhand seiner Forschungen zur Neuen Rechten daran erinnert, dass der gemeinsame Feind der politisch Rechten und religiösen Extremisten die liberale Gesellschaft ist.

Eine Lesung aus seinem Buch „Die autoritäre Revolte“ von Volker Weiß ist als Audio auf Youtube (68 Min) zu finden. Hörenswert und ein Tipp für alle, die sich mit der Neuen Rechten beschäftigten wollen / sollten.

WhatsApp in der Gemeindearbeit? Oder: Wer keine Daten verarbeitet, kann auch keine Verstöße begehen – Ralf Peter Reimann (TheoNet)

Die Kirche und der Datenschutz ist eine dieses Jahr begleitende never ending story, die ungefähr so erotisch ist wie ein sterbender Regenwurm. Ralf Peter Reimann (@ralpe) aber befördert auch diese #digitaleKirche-Debatte mit einem Schuss Realismus und der Erinnerung daran, dass kirchliches Handeln auch im Digital immer eine Aussage ist über das Bild, das wir uns von Kirche überhaupt machen (Scheinwerfer, s.o.).

Am besten keine Kinder im Gemeindehaus, dann wird es auch nicht schmutzig. Diese unausgesprochene Botschaft strahlte einer der Küster in meiner Vikariatsgemeinde aus. […] In Bezug auf den Datenschutz erlebe ich oft eine ähnliche Einstellung. […] Wer keine Daten verarbeitet, kann auch keine Verstöße begehen. Statt zu erkunden, unter welchen Umständen WhatsApp gesetzeskonform zu nutzen wäre, am besten die dienstliche WhatsApp-Nutzung generell verbieten, denn dann kann niemand wegen WhatsApp gegen das EKD-Datenschutzgesetz verstoßen. Statt über das meistgenutzte Netzwerk zu kommunizieren, kaprizieren wir uns lieber auf Messengerdienste, die auf jeden Fall datenschutzkonform sind, aber in der Breite nicht genutzt werden.

Buntes

Danke, Bayern! – Bernd Ulrich (Die Zeit)

Einer der besseren der unzähligen Kommentare zur Landtagswahl in Bayern am vergangenen Sonntag. Die Wahl ist im besten Sinne ein Arbeitsauftrag an alle Parteien: Im Sieg steckt Anspruch, dem Vertrauen der Bürger_innen gerecht zu werden. Und auch die Niederlage muss nicht endgültig sein, werden die richtigen Schlüsse gezogen. Skeptisch sollte man darum all jene Wahlanalysen betrachten, die statt einer Melange in Grau starke Schwarz-Weiß-Gegensätze bemühen.

[Die CSU] hatte zwischenzeitlich das hetzerische Vokabular der AfD übernommen und damit den humanitären Minimalkonsens dieses Landes verlassen, sie hat mit dem Kreuzerlass die christliche Religion zum Instrument im Wahlkampf herabgewürdigt und damit die Trennung von Staat und Kirche aufgeweicht. Sie hat die Stabilität ihrer eigenen absoluten Mehrheit mit der Stabilität der Demokratie gleichgesetzt, sie hat in Gestalt von Horst Seehofer beim Masterplan Migration Staat und Partei in eins gesetzt und das eigene Mandat auf Zeit als hoheitliche Ermächtigung verstanden, […]. Hätten die bayerischen Wählerinnen und Wähler all das belohnt und ratifiziert, dann wäre der Weg zu einer anderen Republik frei, […].

Und das Original?

Mit Vorsicht zu genießen – Albert Funk (Tagesspiegel)

Ein wichtiges Werkzeug für die Wahlanalyse (besonders in den Sozialen Netzwerken) sind die Wählerwanderungs-Zahlen. Damit lassen sich auch gut Schuld und Verantwortung für Wahlergebnisse dort abladen, wo es einem grad in den Kram passt. War ja klar, dass die CSU massiv an die AfD verlieren wird, da sie sich auf ihre Parolen eingelassen hat! Das mag gut stimmen und es spricht jedenfalls mehr dafür als die Zahlenspielerei am Wahlabend, trotzdem sind gerade die Wählerwanderungs-Zahlen mit großer Vorsicht zu genießen, weiß Albert Funk (@afkberlin) vom Tagesspiegel:

Warum weiß das ARD-Institut Infratest dimap, dass 240 000 der 630 000 Toten seit 2013 bei der vorigen Wahl CSU gewählt haben? Nachwahlbefragung ist ja schlecht möglich. Und Séancen gehören nicht zum Instrumentarium der Meinungsforschungsbranche. Nun ja, es wird halt die amtliche Statistik eingesetzt. Die Gesamtzahl stimmt. Der Rest ist eine mehr oder weniger plausible Annahme. […] tatsächlich taugen die Wählerwanderungsanalysen der Demoskopen nur als gröberes Indiz. Man sollte sie daher, wie Daumenpeilungen, mit der gebotenen Vorsicht genießen.

Wie hättet ihr’s denn gern?

Unser Eule-vernetzt Partnerprojekt Cursor_ fragt derzeit auf Twitter, wie zeitgenössische Leser_innen sich theologischen Debatten denn am liebsten widmen wollen. Bisher liegt das analoge Buch vorn. Mitmachen kann jede_r mit einem Twitteraccount.

Bibel

Die Bibel zusammengefasst in GIFs:

Ein guter Satz

„Persönliche Entwicklung und Komfort gibt es nie gleichzeitig!“

– Ginni Rometty, Chefin von IBM, von hier