N wie Nathan – Die #LaTdH vom 20. Oktober

Antisemitismus überall im Land und in unseren Herzen. Außerdem: Schwesterliche Halbzeitanalyse zur Amazonien-Synode, letzte Strohhalme und Worte für die Sprachlosen.

Debatte

„Diese lächerlichen Mahnwachen vor Synagogen“ – Richard C. Schneider (Die Zeit)

Der Anschlag in Halle ist nun 10 Tage vergangen und man könnte den Eindruck haben es bewegt sich was. Richard C. Schneider (@rc_schneider) war zum Zeitpunkt der Anschläge in Paris, um Jom Kippur zu feiern. Aber nicht in der Synagoge, er ist nicht angemeldet.

Jüdische Realität in Europa ist es, dass man sich aus Sicherheitsgründen als Nichtmitglied einer Gemeinde im Vorfeld anmelden muss, um in der Synagoge beten zu können. In Europa, in Deutschland, wo Religionsfreiheit im Grundgesetz steht. Wie frei ist es bitte seine Religion auszuüben, wenn man am höchsten Feiertag nicht spontan in der Synagoge beten kann?

Seit Jahren schreibt Schneider über den Antisemitismus in Europa. Wer von Alarmzeichen spricht ignoriert, dass wir schon mittendrin sind. Schneider langweilen die Mahnwachen und die ach so großen Worte, die bei Staatsritualen gesprochen werden. Im Grunde sind sie Teil eines Sprachbaukastens und zu leeren Phrasen geworden.

Deutschland, wo ich geboren und aufgewachsen bin, wäre eigentlich meine Heimat. Aber ich musste leider schmerzhaft einsehen, dass mein Heimatland immer noch nicht begriffen hat, dass „deutsch zu sein“ nichts mehr mit ethnischen Zugehörigkeiten zu tun hat. Und wie kann Deutschland meine Heimat sein, wenn es „seine“ Juden plötzlich als Minderheit gegen eine andere Minderheit missbraucht?

Wenn selbst seriöse Politiker von einer „judäo-christlichen“ Kultur schwafeln, die es so nie gegeben hat? Es gab eine christliche Kultur, die uns Juden Tausende von Jahren verfolgt, verbrannt, ermordet, vergast hat. Sonst nichts. „Judäo-christlich“, das bedeutet nicht, dass Juden nun dazugehören, es heißt vielmehr: Der Islam gehört nicht zu Deutschland.

„Jetzt stehst du ganz alleine da“ – Steffi Unsleber (taz)

Wie sehr wir mittendrin sind, wie sehr die Vernetzung Rechtsextremer trotz NSU-Wissen weiter voranschreitet und eben nicht zerstört ist, davon erzählt Martina Angermann der taz-Journalistin Steffi Unsleber (@SteffiUnsleber). Die Bürgermeisterin von Arnsdorf. Den Namen des Dorfes kennt man, seit dort eine rechte Bürgerwehr einen psychisch kranken Iraker an einen Baum gefesselt hatte.

Der darauffolgende Prozess wurde nach kurzer Zeit mit der Begründung eingestellt, dass das Opfer kurz vorher tot aufgefunden worden sei und das öffentliche Interesse an dem Fall nicht so groß sei.

Schon damals, 2016, hatte Martina Angermann befürchtet, dass sich in ihrem Ort eine rechte Zelle bildete. Die darauffolgende Zeit war für sie eine sehr einsame. Sie wurde beschimpft, erhielt Hassmails, war Angst ausgesetzt, fühlte sich verfolgt. Bis sie Anfang dieses Jahres mit einem Nervenzusammenbruch dem BurnOut erlag. Seither ist sie krankgeschrieben.

Ich werde dem Innenminister einen Brief schreiben und ihm sagen: Herr Professor Wöller, Sie haben etwas Wesentliches in Ihrem Schreiben vergessen. Sie fordern die Bürgermeister auf, Angriffe anzuzeigen. Bitte prüfen Sie bei Ihren nachgeordneten Einrichtungen, welche Anzeigen unbeantwortet blieben.

„Antisemitismus steckt ganz tief in unserem Denken“ – Michael Blume im Gespräch mit Andreas Main (DLF)

Michael Blume (@BlumeEvolution) meint, dass man Antisemitismus nicht bei anderen suchen muss, sondern dass er schon tief in unserem Denken ist. Ein anschauliches Beispiel ist das Buchstabieralphabet, aus dem 1934 alle jüdischen Namen ersetzt worden waren. Um den Antisemitismus zu bekämpfen, müssen wir bereit sein „auf die dunklen Seiten unseres eigenen Herzens zu schauen.“, wie Blume den Holocaustüberlebenden und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel zitiert.

Aus der Vorurteilsforschung und der Hirnforschung heraus weist Blume darauf hin, dass der Antisemitismus und also die Vorurteile nicht getilgt werden können, indem man nicht darüber spricht. Schlechte und unwahre Geschichten müssen durch wahre und bessere Geschichten ersetzt werden.

Wenn Sie der Auffassung sind, dass Menschen gleichberechtigt sind. Das wird in der Bibel und in der jüdischen Überlieferung am Noah-Bund festgemacht mit dem Regenbogen. Alle Menschen sind gleich. Alle Menschen sollen Bildung erfahren. Wir können der Welt vertrauen. Wir sollen einen Rechtstaat aufbauen, das sind die Urüberzeugungen. Sieben noachidische Gebote soll der Sem gelehrt haben – nicht morden, keine Tiere quälen, nicht die Ehe brechen – und ein positives Gebot – einen Rechtstaat aufbauen. Wenn Sie diese Überzeugungen haben, dann sind Sie sozusagen in der besten semitischen Tradition.

nachgefasst

The Synod for the Amazon: from faith to politics, all is connected – Antonio Spadaro SJ (medium.com)

Zur Halbzeit der Amazonien-Synode lohnt ein Blick dahin: Dass es recht bunt werden wird war schon vor Beginn anzunehmen. Immerhin kommen zur Zeit Vertreter aus neun Nationen Südamerikas zusammen.

Im Januar 2018 hatte Franziskus Peru und Chile besucht und sich auch mit Vertretern indigener Völker in Puerto Maldonado getroffen. Während dieser Reise wurde manchem klar, dass er deshalb zum wiederholten Male nicht sein Heimatland Argentinien besucht, um den Blick auf ganz Südamerika und damit auch auf die indigenen Völker zu lenken. Einige Vertreter sind nun auch zur Synode eingeladen worden.

Es gibt also viele Anliegen, für die drei Wochen im Grunde viel zu wenig Zeit sind, aber ein Anfang.

The Church seeks prophecy by dislocating the center of gravity from the Euro-Atlantic area and pointing straight toward a land where gigantic contradictions of a political, economic and ecological character are concentrated. Here the Church experiences a people that does not coincide with a national state, a group of people, persecuted and threatened by many forms of violence. And they are peoples who are carriers of an enormous wealth of languages, cultures, rites, ancestral traditions.

Die Synode und die Rolle der Frauen: Dabei sein ist alles? – (Vatican News)

Zur Halbzeit der Amazonien-Synode haben bei einer Pressekonferenz zehn Ordensfrauen, die an der Synode teilnehmen, über ihre Erfahrungen berichtet. Die Redaktion der Vatican News sprach im Anschluss mit Mary Agnes Njeri Mwangi. Sie ist Missionsschwester in Roraima, Brasilien und als Fachfrau für indigene Theologie und interreligiösen Dialog liegt ihr besonders die Seelsorge für die Urvölker im Land am Herzen.

Die Diskussion über neue Ämter für Frauen in der Amazonasregion, die in der Synodenaula geführt wird, kann mit der Realität der Amazonasregion kaum Schritt halten, meint Schwester Mary Agnes, denn „was wir hier als neue Ämter bezeichnen“, sei etwas, „was die Frauen bereits tun“.

Die aktive und oft auch entscheidende Teilhabe der Frauen am Leben der Pfarreien werde jedoch in der allgemeinen Wahrnehmung nicht so sehr als Amt, sondern als Dienst betrachtet: „Es ist aber jetzt an der Zeit, dass sich in der Organisation etwas tut, dass die Talente jedes einzelnen in der Kirche gleich geschätzt werden, man ihnen denselben Stellenwert beimisst“, zeigt sich Schwester Mary Agnes überzeugt.

Buntes

Der letzte Strohhalm – Matthias Albrecht (Kreuz & Queer, evangelisch.de)

Aktuell bereitet das Bundesgesundheitsministerium einen Gesetzesentwurf zum Verbot von Konversionstherapien vor. Ein wichtiger Schritt, der längst überfällig ist. Es ist immer wieder erschreckend, wenn irgendwo erwähnt ist, dass Homosexualität erst 1992 aus dem ICD-Katalog der WHO entfernt worden ist, das ist jetzt erst 27 Jahre her. Trotzdem gibt es immer noch Stimmen gegen das Vorhaben des Bundgesundheitsministeriums.

Matthias Albrecht weist die Haltlosigkeit der Argumente auf und weist dabei auf die „pathologisch anmutenden Zustände“ in vielen Gemeinden hin.

Auch, wenn diese sogenannten Konversionstherapien ihren Zweck nicht erfüllen, könnten sie dennoch trotzdem jenen, die sie wünschen, zugänglich gemacht und von ihrem Verbot abgesehen werden. Manch eine_r mag hier einwenden, dass sich Gesundheitsminister Spahn schließlich auch für eine gesetzliche Finanzierung der Homöopathie ausspricht, obwohl diesen Mitteln auch keine empirische Wirksamkeit nachgewiesen werden kann. An dieser Stelle sollten wir einen Blick auf 1. Korinther 10 werfen, wo es im 23. Vers heißt: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten“.

Dieser katholische Pastor lebt mit Frau und zwei Kindern in Hamburg – Julia Fischer (Welt)

Solche Überschriften klick ich ja eigentlich gar nicht mehr an, wer weiß was sich da wieder hinter versteckt? Wie oft habe ich auf dem Heimweg schon erfolgreich Zeit ins Prokrastinieren investiert. Diese – wie angegeben – drei Minuten Lesezeit sind nicht vertan.

Julia Fischer (@JuFiHamburg) trifft Pavlo Vorotnjak. Er ist einer von etwa 20 verheirateten katholischen Priestern der Ostkirche in Deutschland. Und er ist der einzige, der nicht exlusiv für in Deutschland lebende Ukrainer zuständig ist. Pavlo Vorotnjak ist Priester in Hamburg St. Antonius, zusammen mit zwei anderen Priestern, die zolibatär leben.

„Sein ungeteiltes Herz steht der Gemeinde zur Verfügung.“ Nicht immer lägen berufliche Termine günstig in Hinblick auf sein Familienleben. Generell sei aber das Verständnis da, und er erlebe große Unterstützung, findet Vorotnjak.

„Es ist wichtig, der Person klarzumachen, dass sie Würde hat“ –  Interview mit Anna-Sofie Gerth (SZ)

Die junge Diakonin Anna-Sofie Gerth (@AnnaHBTC) erzählt Miriam Dahlinger (@midahli) von ihrer Arbeit in der City-Station in Berlin. Dort bekommen Menschen in Not soziale Beratung, Seelsorge, ein gutes Essen mit Nachtisch, der macht was mit der Psyche. Dort hat sie Achim kennengelernt, einen Mann, der seit 30 Jahren obdachlos ist.

Achim ist ein richtiger Charmeur. Wenn er mal nicht meine volle Aufmerksamkeit bekommt, wird er eifersüchtig: »Ach komm, Anna-Sofie, setz dich zu mir. Ich bin jetzt dran!« Achim ist um die 60, trägt eine Tüte mit sich herum und ist nicht sehr gepflegt. Er freut sich, mal ein Bierchen ausgegeben zu bekommen und ist immer gut informiert, wann Christopher Street Day ist, wann Karneval der Kulturen und wann der Coca-Cola-Truck zur Weihnachtszeit nach Berlin kommt.

Predigt

Sternenkind – Lea Zeiske (REFlektionen)

Die junge Studentin Lea Zeiske (@REF_lektionen) trifft auf einen Opa eines Sternenkinds. Das beschäftigt sie im Nachhinein so sehr, dass sie ins Gespräch geht. Mit Lea, dem Sternenkind.

Denn über Kinder, die nicht mehr da sind, tote Kinder, spricht man wenig.

Ein guter Satz

„Das Judentum ist die erste Bildungsbewegung der Weltgeschichte“

– aus dem DLF-Gespräch mit Michael Blume (s.o.)