Pfingsten naht und in den Zeitungen des Landes, in Pressemitteilungen der Kirchen sowie in digitalen und analogen Verkündigungsformaten heißt es wieder, Pfingsten sei der Geburtstag der Kirche. Es ist ja auch zu einfach, der eigenen Unsicherheit ob der Auslegung der Ausgießung des Geistes damit abzuhelfen, stattdessen über einen Geburtstag der Kirche zu sprechen. Manchmal ist dann sogar von unserer Kirche die Rede: “An Pfingsten feiern Christen den Geburtstag ihrer Kirche.” Nein!
Natürlich muss es irgendwann einmal begonnen haben, woraus sich bis heute die Vielfalt der christlichen Kirchen entwickelt hat. Irgendwann nach Jesu Tod. Zu Ostern vielleicht, nach der Himmelfahrt und warum dann eigentlich nicht zu Pfingsten? Solche Terminierungen laufen unter Ausblendung aller historischen Verwerfungen, die heutige Kirche steht dann zur Jesusgemeinde des Pfingstens aus der Apostelgeschichte in ungebrochener Kontinuität. Ja, sogar in Kongruenz.
Das erste Pfingsten
Doch die Jünger*innen Jesu versammelten sich zum Fest Schawuot in Jerusalem und folgten dem üblichen — jüdischen — Festablauf. Das von Lukas im 2. Kapitel der Apostelgeschichte erzählte Pfingstwunder ist eine spätere Erzählung darüber, wie aus der Verzagtheit der Jünger*innen Glaubenseifer für die Gemeinschaft mit dem Auferstandenen wurde und wie die Verkündigung über Jerusalem hinaus auch auf andere Regionen (Phrygien und Pamphylien usw.) übergriff und weitere Personenkreise erreichte (Diasporajuden und dann auch Heiden).
Schon eher hat die „Pfingstpredigt“ der Apostel, von der Lukas ebenfalls schreibt, wohl einen Ort in der Geschichte — traten doch die Christusgläubigen regelmäßig auch im Tempel und in den Synagogen auf. Daran entzündeten sich in der Frühzeit der Jerusalemer Gemeinde auch Konflikte mit der Mehrheitsgesellschaft jener Juden, die in Jesus aus Nazareth eben nicht den Messias sahen.
Die Ausgießung des Geistes
Ein Schlüssel zum Verständnis des tatsächlichen Pfingstwunders könnte daher Gerd Theißens These vom Gruppenmessianismus sein, der unter den Jesusleuten geherrscht habe. Im Zentrum der jungen Christus-Bewegung stand demnach nicht Jesus als messianische Gestalt, sondern das anbrechende Reich Gottes.
Ob sich Jesus selbst als Messias gesehen hat, wer weiß? Ganz sicher aber hat er seine Sendung nicht exklusiv verstanden, sondern sie mit seinen Jünger*innen geteilt. Weil sich die Nachfolger*innen Jesu als „messianisches Kollektiv“ wahrnahmen, „konnte nach Theißen die Jesusbewegung die Katastrophe des Karfreitag überdauern, und es konnte aus ihr Kirche entstehen.“
Das Konzept des Gruppenmessianismus birgt noch weitere Impulse, die für die Gestaltung von Kirche von grundlegender Bedeutung sind. Denn es bedeutet eine radikale Demokratisierung von Messiaserwartung und damit eine Aufwertung und Ermächtigung all der Frauen, Männer und Kinder, die sich auf die jesuanische Vision der neuen Welt Gottes eingelassen hatten.*
Pfingsten markiert also aus gutem Grund den — nicht nur kirchenjahrestechnischen — Übergang von der (vornehmlichen) Wirksamkeit Jesu zur Wirksamkeit seiner Gemeinde. Dafür ist die Ausgießung des Geistes ein mächtiges Symbol.
Die “ersten Christen” in Jerusalem feierten kein christliches Pfingstfest. Christ*innen haben weder Pfingsten, noch Gottes Geist erfunden. Ihre jüdische Geschichte begann lange vor dem Tage, da sich die Jesus-Nachfolger*innen zum ersten Mal Christus-Leute nannten. Wer vom “Geburtstag der Kirche” redet, läuft Gefahr die jüdische Herkunft des christlichen Glaubens unsichtbar zu machen, als ob es sich beim ersten Pfingsten um einen Evangelisierungs-Kongress gehandelt hätte.
Der jungen Christus-Bewegung fehlte, das wissen wir heute, zum „Kirche-Sein“ nicht nur ein eigener Kultus und eine von der Synagoge unterschiedene Sozialgestalt, sondern vor allem das Selbstverständnis als von Tempel, Synogoge – also vom Judentum – unabhängigen Religionsformation. Das verdeutlicht nicht zuletzt die Geschichte des christlichen Pfingstfestes selbst, das wohl erst im vierten Jahrhundert als solches gefeiert wurde.
Das Fest des Geistes
Es bleibt daher unsinnig, zu behaupten, zu Pfingsten würden wir den Geburtstag der Kirche feiern. Ärgerlich ist es vor allem deshalb, weil damit viel zu häufig nicht die Ermächtigung der vormals Nicht-Gemeinten und das freie Walten des Geistes gemeint ist. Vielmehr wird suggeriert, dass sich Nachfolge Christi in den bestehenden Formen und Hierarchien der Kirche abzuspielen hat, weil nur dort der Geist zu finden sei, der Jesus und seine Jünger*innen verbunden hat.
Wir können auch über Kirche reden, ohne sie vor allem als Institution zu betrachten, könnte man gegen mein Verdikt einwenden. Stimmt natürlich. Und nicht wenige Prediger*innen nutzen das Pfingstfest sicher dazu, unsere Kirchen aus der Perspektive der biblischen Texte und des unverfügbaren Geistwirkens Gottes heraus zu kritisieren. Genau dazu passt es eben nicht, das dritte große Fest des Kirchenjahres zu einer selbstbezüglichen Geburtstagsparty zu degradieren.
Es mag widersprüchlich klingen, aber ich meine, dass die Kirchen Pfingsten freigeben müssen, um es als Fest der Kirche wiederzuentdecken. Denn es ist das Fest des Geistes, der weht, wo er will, und das Fest derjenigen, die wir auch heute allzu häufig nicht als Teil der Kirche wahrnehmen.
* aus Sabine Bieberstein: “Gemeinde, Kirche, Amt” in “Neues Testament. Zentrale Themen”, Lukas Bormann (Hg.), 2014, Neukirchener Verlagsgesellschaft
4 Kommentare zum Artikel
Das ist eine sehr respektable Sicht aufs Pfingstfest. Große Anerkennung. Die Kirche erinnert sich als Gemeinschaft der Glaubenden an Ihre Entstehung, gerade weil man das nicht zeitlich so einfach festlegen kann. Allerdings bleibt sie das Gefäß, in der Glaube und Bekenntnis Ausdruck finden. Die Frage, ob man auch außerhalb der Kirche seinen Glauben leben kann, begleitet die Kirche seit Anbeginn. Viele Generationen haben das verneint. Der heutige absolute Individualismus stellt das gerne in Frage. Vielleicht genügt es ja, wenn Pfingsten auch als ein Wunder der Unverfügbarkeit von Gottes Geistverstanden wird.
Pfingsten ist das Fest des Geistes Gottes. Der weht, wo und wann er will. Ob aber alle, die darüber schreiben, auch davon berührt sind?
Haben sich jene, die, nach Himmelfahrt, in Jerusalem, zusammen saßen, wirklich als “messianisches Kollektiv” betrachtet? Oder waren es verängstigte Menschen, die zwar den Auferstandenen erfahren hatten, aber um den Hass der “Mehrheitsgesellschaft” wussten?
Plötzlich bricht es aus ihnen hervor. Plötzlich reden sie, öffentlich, von “den großen Dingen Gottes”. Belächelt, blöde angestarrt und verspottet. “Sie sind voll von süßem Wein.”
Es folgt die Petruspredigt, der das wieder gerade rückt. Sie zündet und Menschen wenden sich dieser Gruppe, diesem Jesus, zu.
Man muss es nicht Geburtstag der Kirche nennen. Aber, wie es Petrus sagt, beginnt etwas Neues.
Natürlich verbunden mit Tempel und Synagoge, denn das ist ja der Ursprung.
Dennoch wurde etwas daraus, das sich von den Wurzeln löste, bis Paulus sagen konnte: “Zur Freiheit hat euch Christus befreit.”
Ja, der Geist Gottes wird, in unserer Kirche, oft genug vermisst.
Wer aber meint suggerieren zu müssen, das er dort gerade nicht ist, der hat Unrecht. Denn immer, wenn in der Kirche das zur Sprache kommt, was ihre Grundlage ist, nämlich der lebendige Herr der Kirche, der weitaus mehr ist, als die Vision eines “messianischen Kollektivs”, ist auch Gottes Geist zu spüren und die Kraft, die über das ärmliche und erbärmliche Weltbild so mancher Leute hinaus weist in das, was ewig ist.
Gert Flessing
Danke – der Beitrag hat mich veranlasst, mein “Geistliches Wort” für die Zeitung noch einmal zu überarbeiten – auch wenn ich eigentlich schon wusste, dass das mit dem”Geburtstag” problematisch ist.
Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche. Basta.
Die Apostelgeschichte erzählt von Pfingsten im gleichen Sinne, in dem die Schöpfungsgeschichte von der Erschaffung der Welt, in dem das Buch Exodus von der Grunderfahrung der Israeliten, der Befreiung aus dem Joch Ägyptens, in dem die Evangelien von Jesus als dem Sohn Gottes erzählen: Als narrative Verdichtung von Glaubenseinsichten, die ohne Narrativ unbegreiflich wären.
Ja, zugegeben:
Der Bericht der Apostelgeschichte blickt mit einem Abstand von über 100 Jahren auf die ihm nur legendarisch und fragementarisch überlieferten Ereignisse rund um die übriggebliebenen Talmidim des gekreuzigten Rabbi Jeschua zurück – und er tut dies aus einer historisch veränderten Perspektive heraus.
Bis zur Auferstehung ging es den Talmidim des Jesus um die Erwartung des Reiches Gottes. Erst nach den erschütternden Ereignissen in der Karwoche und nach Ostern geriet die Rolle Jesu als Heilsrätsel und als Retter ins Blickfeld. – Der Hebräerbrief und die Paulusbriefe aber zeigen, wie schnell und gründlich dies verarbeitet wurde.
Und ja: Die spirituellen Phänomene rund um die Geistesausgießung scheinen sich zuerst außerhalb des Kreises der Talmidim, in den gesetzesfreien Gemeinden des Paulus manifestiert zu haben.
Vielleicht auch nicht. Die Quellenlage ist dürftig. Und abgesehen davon werden vermutete geistige Strömungen unter den Talmidim Jesu nicht dadurch wahrscheinlicher, dass sie unserem Demokratieverständnis entgegenkommen.
Ich sehe darum nur die Alternative, historisch-kritisch im Trüben zu fischen oder den Geburtstag der Kirche zu feiern – genauso, wie der Evangelist und Apostelgeschichte-Schreiber “Lukas” es tut, indem er in seinem Narrativ einige Kernaussagen über das Wesen der Kirche durchscheinen lässt:
Die zeitlich-endzeitliche Gemeinschaft Jesu ist
– eine Gemeinschaft der Heiligen, kein “Reich” im Sinne eines Staatswesens oder einer Hierarchie,
– eine be-geisterte, nationenübergreifende und -verbindende Gemeinschaft, die in vielen Zungen zu reden und Menschen in Liebe zu einen vermag,
– eine Gemeinschaft, verbunden durch das Gebet und das Wort und den Geist Gottes, nicht durch Weltanschauungen oder Meinungen
– eine Gemeinschaft, in der Güter geteilt werden und aus der Leute ausgeschlossen werden, die Güter für sich selbst horten.
– eine Gemeinschaft, in der die Verlorenen wiedergefunden und zum Vater geführt werden.
Das will ich an Pfingsten gerne feiern, auch wenn mich einiges daran ziemlich herausfordert.