Kirchentag 2025

Preacher vs. Poetry Slam

Beim „Preacher vs. Poetry Slam“ auf dem Kirchentag 2025 traten Prediger:innen gegen Poet:innen an. Dabei entstanden mutige und starke Texte. Der „Preacher vs. Poetry Slam“ zum Nachlesen:

Auf dem 39. Deutschen Evangelischen Kirchentag trafen im Schauspielhaus Hannover Poet:innen und Prediger:innen beim „Preacher vs. Poetry Slam“ aufeinander. Wir dokumentieren hier die Beiträge des Abends, der von „Macht Worte!“ aus Hannover vorbereitet und von Henning Chadde und Jan Sedelies moderiert wurde. Bei der „Dichter:innenschlacht“ zur Losung des Kirchentages 2025 „mutig – stark – beherzt“ traten zwei Teams gegeneinander an:

Das „Team Preacher“ bestand aus Lotta Egbert, Gewinnerin des „Preacher Slam 27“, und den Pastor:innen Axel Kawalla (Hannover), Ragna Miller (Bremen) und Nils Petersen (Hamburg). Im „Team Poetry“ waren die Poetry-Slammer:innen Antonia Josefa (Hannover), Sven Kamin (Wedel), Matti Linke und Tanja Schwarz (beide Hannover) angetreten.

Den Abend eröffnete Tash Hilterscheid von der Queersensiblen Bildungsarbeit der Nordkirche außerhalb der Konkurrenz mit einem Slam über „Macht hoch die Tür“. Im „Wettbewerb“ wechselten sich die Beiträge aus den Teams ab. Ihr findet die Texte hier in der Reihenfolge, wie sie auch im Schauspielhaus Hannover vorgetragen wurden.

Die höchste Einzelwertung des Abends im Publikumsvoting hatte Ragna Miller mit 98 Punkten (im Finale: 92 Punkte). Im finalen Stechen war sie mit Sven Kamin (Vorrunde: 93 Punkte und Finale: 97 Punkte). Beide erreichten jeweils 180 Punkte im verdient-schönen Gleichstand. Gewonnen hat den „Preacher vs. Poetry Slam“ auf dem Kirchentag übrigens das „Team Poetry“ mit 447 Punkten äußerst knapp vor dem „Team Preacher“ mit 433 Punkten.


Macht hoch die Tür – Tash Hilterscheid

Tash Hilterscheid ist seit Anfang 2025 Pfarrperson für Queersensible Bildungsarbeit in der Nordkirche. Mehr über Tashs Arbeit erfährst Du auf Instagram unter @queere_nordkirche und @und_alles_dazwischen .

Tash Hilterscheid eröffnete den „Preacher vs. Poetry Slam“

Macht hoch die Tür die Tor macht weit
Ich seh‘ Josef tanzen in ‘nem Kleid
Doch erst kommt der Herr der Herrlichkeit
Das Patriarchat braucht seine Zeit

Doch ich warte schon so lang
Und weiß nicht mehr, ob ich noch kann
Ich bin den alten Mann so leid
Und spüre deutlich: Jetzt ist die Zeit

Ihr redet von Prävention und Toleranz
Doch versteht es noch nicht ganz
Schwenkt queere Flaggen, reden viel
Und sagt die Liebe sei das Ziel

Doch meine Liebe ist nicht lieb und still
Sie sagt jetzt laut was sie nicht will
Sie geht hinaus zum demonstrieren
Und wird keinen Streit kaschieren

Denn ich sehe queere Flaggen brennen
Und meine Herzensmenschen rennen
Und höre euch noch diskutieren
Ob Trans Menschen existieren?!

Macht hoch die Tür die Tor macht weit
Und es topft das Blut auf Josefs Kleid
Es kommt der Herr der Herrlichkeit
Vielleicht doch in einem Kleid?!
Ich trau‘ mich in nen G*ttesdienst hinein
Will G*tt spüren und einfach weinen
Suche Schutz und hör dann Worte
Von der ganz besonderen Sorte

Ein Psalm soll jetzt gesprochen werden
Und ich möchte auf der Stelle sterben
Denn der wird jetzt getrennt binär gelesen
Als wäre ich nie da gewesen

Der Mensch da vorn dreht sich jetzt um
Er ist der Schlaue, wir die Dummen
Er steht vorn wir sitzen hinten
Wir müssen unseren Weg noch finden

Dann wird gebetet und geklagt
Und das eigne Handeln wird vertagt
Denn G*tt der Herr ist unser Mann
Auf den Mann immer bauen kann

Macht hoch die Tür die Tor macht weit
Und es tropft das Blut auf Josefs Kleid
Die Geschwister haben sie geschlagen
Doch das darfst Du nicht weiter sagen!

Josef wird weggeschickt, für tot erklärt
Denn ein Mann im Kleid das ist verkehrt
Das steht ja schon im Testament
Ungebildet, wer das nicht kennt

Doch vielleicht wird hier verkehrt gelesen
Und der erste Mensch ist männlich und weiblich gewesen
Und während wir Hebräisch lernen
Hör ich den Faschismus lärmen!

Macht hoch die Tür die Tor macht weit
und es tropft das Blut auf Josefs Kleid
Doch ich weiß, dass Josefine überlebt
Weil they wirklich jeden Traum versteht

Und so werd‘ ich weiter demonstrieren
Und auch Verletzungen kassieren
Ich stehe ein für einen Traum
Denn G*tt stellt uns auf weiten Raum!

Ihr meint: „Liebe tut der Seele gut“
Aber diese Liebe die braucht Mut
Und sie hat keinen geschützen Raum
Aber ich – ich hab ‘nen Traum!

Und ich weiß ich bin nicht allein
Da gibt’s noch mehr, die mit mir weinen
Die sich lieben und transzendieren
Die sich küssen und transitionieren

Macht hoch die Tür die Tor macht weit
Denn G*tt ist schwarz und trägt ein Kleid
Und Josef war wohl nicht binär
Und das zu sehen ist nicht schwer

G*tt schuf den Tag und auch die Nacht
Doch habt ihr schon mal bedacht
Wann endet Nacht beginnt der Tag?
Doch wohl nicht mit einem Schlag

Dazwischen gibt’s die Dämmerung
Die Skala der Veränderung
Das Licht, das bricht in tausend Farben
Dem Dualismus geht’s an den Kragen

Und das – das ist dann Befreiung pur!!
Von Herero und Norm ist keine Spur
G*tt ist anders als wir denken
Lebendigkeit lässt sich nicht lenken

Macht hoch die Tür die Tor macht weit
Und ich tanz mit Jesus als mein Kleid
Denn G*tt selbst hat es mir angezogen
Und mich zu leugnen – das wär verlogen!


Zwillinge – Tanja Schwarz (Team Poetry)

Tanja Schwarz, Jahrgang 1988, lebt in Hannover und hat in dieser Stadt den Poetry Slam kennen und lieben gelernt. Da das Schreiben schon immer Teil ihres Lebens war, hatte sie ihr Debüt im Juni 2016 und hat seit dem nicht mehr aufgehört.

Poetry-Slammerin Tanja Schwarz (Foto: Alina Kripko)

Poetry-Slammerin Tanja Schwarz (Foto: Alina Kripko)

Vor langer Zeit, als die Welt jüngst erwacht,
wurden im schöpferischen Schoß,
dem Quell der Macht,
Zwillinge geboren, in schimmernder Pracht,
und sie wurden mit den Namen
„die Hoffnung“ und „der Glaube“ bedacht.

Die beiden waren unzertrennlich, ein Licht in der Nacht,
haben den Menschen stets Trost und Kraft gebracht.
Wo Verzweiflung keimte, streckte die Hoffnung ihre Hand,
aus dem vom Glauben gewebten starken Gewand.

Sie standen ihnen zur Seite in tiefster Not,
als Seuchen zogen durch Städte und Land.
Ein schwarzer Schatten brachte vielen den Tod,
doch die Hoffnung stets neue Kräfte verband.

Der Glaube hallte in den Gebeten weit,
ermutigte sie, standhaft zu sein.
Durch dunkle Zeit in seinem Geleit,
denn wer glaubt, ist nie allein.

Und als die Welt neue Horizonte erblickte,
im Zeitalter, das Entdecker schickte,
folgten sie jenen, die die Reise wagten,
damit weniger Ängste an ihnen nagten.

In seinem Wort, tief und weit,
lebten harmonisch der Glaube und die Hoffnung
für eine lange Zeit.
Gemeinsam trugen sie Licht und Mut
und stärkten Herzen mit innerer Glut.

Dann wandelten sich die Tage schwer,
Prüfungen von großer Härte kamen her.
Kriege wurden im Namen Gottes erklärt,
das Vertrauen der Hoffnung blieb nicht unversehrt.

Könige kämpften um Macht, Ehre und Glanz,
das Reich zerbrach in ihrem blutigen Tanz.
ihre Soldaten fielen wie Blätter im Herbst,
hinterließen Leid und tiefsten Schmerz.

„Bruder“, sprach die Hoffnung traurig zum Glauben,
„wie kann das Göttliche Kriege erlauben?
Warum müssen wir Unschuldige sterben sehen,
wenn diese Taten in seinem Namen geschehen?“

„Liebste Schwester“, entgegnete er, „Gott gab dem Menschen freien Willen,
er zwingt sie nicht, Gutes oder Böses zu erfüllen.
Die Kriege sind nicht sein Werk,
sondern der Mensch entscheidet über sein Augenmerk.“

Hier endet meine kleine Geschichte.

Die Zeit hat seitdem ein paar tausend Jahre geschrieben,
in der Zivilisation ist vieles neu entstanden, aber auch Altes geblieben.
Gesellschaftsformen und Weltvorstellungen waren vergänglich,
und der Glaube und die Hoffnung sind nicht mehr unzertrennlich.

Es ist nicht so, als hätten sie sich gespalten,
sie können zusammen, aber auch alleine walten.
Für viele sind die Zwillinge immer fest vereint,
aber der Glaube ist nicht mehr grundsätzlich religiös gemeint.

Er ist vielschichtiger geworden, nicht mehr starr und festgelegt,
sondern individueller, und jeder entscheidet selbst, ob und wie er ihn trägt.

Der Grundstoff meines Glaubensgewands besteht aus Ethik,
stark und beständig,
und auf diesem Fundament sind Erfahrungsmuster,
klein und wendig,
dazwischen wissenschaftliche Formen,
flexibel oder stabil,
umgeben von spirituellem Garn,
nur etwas, nicht viel.
Es sind auch Symbole für Familie und Freunde
darauf gewebt, da ihre Liebe mir oft beiseite steht.

Dieses Gewand ist kein Schild, kein Schutz vor Schmerz oder Not,
doch es gibt mir Struktur, wo so vieles formlos scheint,
hält mein Inneres, falls es von außen nichts mehr vereint.
Es wärmt mein Herz, wenn kalter Wind vorbeizieht,
die Hoffnung dann flackert oder vor Weltschmerz fast versiegt.

Denn auch in dieser Epoche gibt es Prüfungen großer Härte,
wir bekriegen uns mit modernen Waffen, nicht mehr mit dem Schwerte.
Vor aktuellen Krisen können wir uns kaum noch retten,
obwohl wir mit dem Klima schon genug zu tun hätten.
Dürren, Überschwemmungen, Stürme und Hitzewellen –
gleichzeitig müssen wir uns Pandemien und der Wirtschaftskrise stellen.
Die Globalisierung ist beides, Fluch und Segen,
weltweite Vernetzung bringt Wohlstand –
warum muss es die Kluft zwischen Arm und Reich geben?

Zusätzlich existieren wir in zwei Welten,
nicht nur in der realen, sondern auch der digitalen,
und müssen uns dort orientieren
und dürfen nicht den Überblick zwischen Fake News und KI verlieren.

Solange wir aber immer wieder neue Fäden finden,
um am eigenen Gewand zu nähen,
kann ich etwas zuversichtlicher in die Zukunft sehen.
Denn unsere Textur ist, so lange wir leben, nicht fertig, und
noch habe ich das Gefühl, dass die meisten Menschen ihr Augenmerk
auf ein gutes gemeinschaftliches Gedankenkleid legen.
Wahrscheinlich müssen wir noch mehr Garn aus Mut verweben,
um schlechte Stoffbahnen, die sich tief in die Gesellschaft eingenäht haben,
zu erneuern und Fadenscheinwerken beherzt entgegenzusteuern.

Denn all unsere einzelnen Gewänder ergeben in der Summe das Weltgewand,
und egal, woran wir glauben oder was uns Hoffnung gibt –
wenn wir diesen Stoff verändern wollen, braucht es wirklich jede mutige Hand.


Am Anfang ist das Wort – Nils Petersen (Team Preacher)

Nils Petersen (Wikipedia), Jahrgang 1970, ist Pfarrer und Schriftsteller. 2023 veröffentlichte er den Fantasyroman „Veljkos Café“ (Wortschatten-Verlag). Seit einigen Jahren ist er als Poetry- und Preacher-Slamer in ganz Deutschland unterwegs.

Preacher-Slammer Nils Petersen

Am Anfang ist das Wort
Am Anfang war das Wort
Und das Wort war bei Gott
Und Gott war das Wort
Und mein Mund war sein Hort.
Ich sprach es aus,
O Schreck
Nun ist es weg!
Mein Mund war der Hort
Und nun ist es fort.

Das gedachte Wort, das gesagte Wort, das gelachte Wort, das verzagte Wort, das gesummte Wort, das betörte Wort, das gebrummte Wort, das gestörte Wort, das verliebte Wort, das verletzte Wort, das betrübte Wort und das letzte Wort. Wo sind sie alle hin, wo ist ihr Ort, wo sind sie dort, wo ich gerad‘ nicht bin.

Ist der Wort-Ort ein Friedhof gestorbener Gedanken? Oder eine Partymeile ohne Grenzen und Schranken, wo die Worte sich singen, sich brüllen, sich Flüstern, sich diskutieren und streiten mit Wörtergeschwistern?
Oder ist der Wort-Ort ein Zettelkasten in dem jedes Wort registriert wird, gezählt wird, wie oft es gesprochen, wie oft es gedacht, wie oft es gesungen und wie oft es gelacht, verwaltet vom Oberwortverwalter, seit ewigen Zeiten, ohne Raum und ohne Alter, eine Wort-Zählzentrale gigantischer Weiten eröffnet vor allen Ewigkeiten. Zwei Worte prangen geschrieben über seinem Büro, solo verbo, denn nur das macht ihn froh.

In der Wort-sende-Zentrale wird dann beschlossen, welche Worte zu denken sind, dann werden sie abgeschossen, in die Gedanken und Träume. „Inspirierte Räume, frei assoziiert“, glauben wir, doch letztlich bloß ein Verwaltungsakt aus der Wort-Zentrale. Banale Umlaufmappen mit Worten bepackt, von Wort-Verwaltern gemeldet und registriert, am Ende mit Aktenzeichen verziert.

Oder schwirrt mein Wort, mein kleines, das ich so unbedacht sprach, nun ziellos herum, hat kein Dach über dem Kopf, es hat kein Ort sich zu Betten und wir können wetten, es suchte die Partymeile, um mit den anderen Worten aus vielen anderen Mündern und Orten noch eine gute Zeit zu habe, bevor es dann verwaltet und lahm, vom Oberwortverwalter eine Aktennummer bekam.

Ach, es ist so still um das verwaltete Wort, das geschriebene Wort, das veraltete Wort, das verschwiegene Wort. Das verbotene Wort, das verfolgte Wort, das bedrohte Wort, das besorgte Wort. Das Wort hinter der Hand, das Wort wurde gebannt, das Wort hinter der Wand, das Wort im gefangen Land. Das Wort, das man nicht sprechen darf, das Wort das man nicht denken darf, das Wort das man nicht schreiben darf, denn das Wort ist eine scharf geschliffene Waffe, das in der Scheide der Wahrheit steckt, doch das schmeckt nicht allen und so verhallen die Worte hinter Gefängnisgittern und es zittern Diktatoren, deren Ohren angefüllt mit Worten vibrieren, die Unrecht und Habgier unentwegt kritisieren. Man bringt die Münder zum schweigen, man nimmt den Augen das Licht, doch was die Wörter und uns zeigen: Ein Wort schweigt sich nicht!

Das geschrieene Wort, das geliehene Wort, das warnende Wort und das tarnende Wort. Das offenbarende Wort und das verklarende Wort, sie sind auch nicht neu, doch niemals veraltet, nur schon unzählige Male verwaltet. Über Generationen gesprochen, von Generationen gedacht, werden mit der Zeit stärker und gewinnen an Macht. Sie verlassen die Umlaufmappen der Wortverwalter und werden zum Werkzeug der Zukunftsgestalter. Es sind alte Bekannte, die uns schon ewig begleiten, wie Freiheit und Gleichheit seit ewigen Zeiten. Worte wie Emanzipation, eher ein Sauerteig-Wort, aber Revolution. Es sind neue Worte, „Willkommenskultur“, sie bestimmen das Denken, rund um die Uhr. Doch der Ober-Wort-Verwalter schließt kein Wort weg. Es gibt keinen Ordner, „dies Wort ist Dreck“. Alles, wie oft sie gesprochen, wie oft sie gelacht, wie oft sie geschrieen und wie oft sie gedacht, bekommt eine Nummer, ein Zeichen, ein Ort, nun ist es verwaltet und geht nie wieder fort. Das gilt auch für Worte wie Überfremdung, Durchmischung, Verjudung und Neger, für jedes Wort gibt’s einen Aktenableger. Jedes Wort wird beachtet und schwebt durch die Zeit und fällt in die Umlaufmappen der Ewigkeit.

Oder ist der Wort-Ort ein Stadion? Die Worte in Gewichtsklassen einteilt, für lange Worte ein Marathon, kurze Worte ein Sprint, schwere Worte eingekeilt, zwischen ähnlich schweren Gegnern seit sehr langer Zeit. Und Worte rennen gegen einander, bekämpfen sich schwer, schlage die Köpfe aneinander und ringen so sehr, um die Vorherrschaft im Ring, doch für mein kleines Wort ist, das nicht so sein Ding. Es sitzt erschrocken im Schatten der Tribüne und sieht wie ein Hüne von Wort, ein andres verdrischt und schon ist es fort. Und mein Wörtlein zittert, das unbedacht von mir gesprochen, in die Welt gebracht. Welches Wort setzt sich durch und bestimmt unser Denken? Sind es jene, die schmerzhaft die Gedanken verrenken, und ausgrenzen, und ausmerzen, und Schmerzen bringen und Tränen. Worte für die wir uns schämen? Wie oft werden diese Worte, gesprochen, geschrieen, geschrieben und gelacht, wie oft werden sie noch ohne Bedacht in diese Welt geworfen, ohne Liebe und Demut, in Zorn und im Hass? Doch der Oberwortverwalter wertet nicht, er nummeriert jedes Wort, doch er spricht nicht Gericht, das müssen wir tun, immer zu ohne auszuruhen.

Denn es ist so still um das verwaltete Wort, das geschriebene Wort, das veraltete Wort, das verschwiegene Wort. Das verbotene Wort, das verfolgte Wort, das bedrohte Wort, das besorgte Wort. Das Wort hinter der Hand, das Wort wurde gebannt, das Wort hinter der Wand, das Wort im gefangen Land. Das Wort, das man nicht sprechen darf, das Wort das man nicht denken darf, das Wort das man nicht schreiben darf, denn das Wort ist eine scharf geschliffene Waffe, das in der Scheide der Wahrheit steckt, doch das schmeckt nicht allen und so verhallen die Worte hinter Gefängnisgittern und es zittern Diktatoren, deren Ohren angefüllt mit Worten vibrieren, die Unrecht und Habgier unentwegt kritisieren.

Man bringt die Münder zum schweigen, man nimmt den Augen das Licht, doch was die Wörter uns zeigen: Ein Wort schweigt sich nicht!


Puzzle – Sven Kamin (Team Poetry)

Sven Kamin (Website), Jahrgang 1979, ist Beobachter, Zuhörer, Schreiber, Sprecher, Moderator und Poetry Slammer. Er war der erste Niedersächsisch-bremische Poetry-Slam-Meister. Der gelernte Journalist arbeitet heute als Wissenschaftskommunikator und teilt auf Instagram regelmäßig lyrisch seine Erlebnisse von unterwegs.

Poetry-Slammer Sven Kamin (Foto: Tom Roeler)

Ein bisschen Struktur, ein bisschen Farbe, ein bisschen Schatten
und nie genug, und nie komplett
Ein A ohne B bis Zett
ein Bruchstück, ohne Halt, nie heil
bin ich doch nur ein Puzzle-Teil.

Aber ich hab Angst, nicht zu passen
Wo ist denn dieser eine Platz an den ich hingehör,
wo ich eingebettet bin, und wo ich bleibe,
weil ich mit denen um mich vibe
und die Harmonie nicht stör.

Ja diesen Platz zu finden, das wird heut zunehmend schwer,
Denn wir waren doch mal ein Puzzle
Wir zeigten Landkarten, Schiffe, und Architekturen
wir zeigten Gemälde und Alpen und Disney-Figuren

Und das ging nur zusammen, nur komplett warn wir heile.
Das ging nicht alleine – Das Bild war die Summe der Teile
Aber ganz oft fühle ich mich nicht gebraucht,
Im Teile Puzzle untergetaucht
Als erstes wollen doch alle nur Ecken und Kanten
Ich war nur Ein bisschen Struktur, ein bisschen Farbe, ein bisschen Schatten
ich kam oft erst dran, wenn sie alle anderen schon hatten
Das fühlte sich nicht gut an, und ich begann,
das Spiel zu hassen:
Ich war wie ein Poker-Spieler mit schlechtem Blatt
ich musste passen.
Wo ist denn die Freiheit in einem so festen Gefüge?
Kann ich ein Top-Teil werden wenn ich in so vielem nicht genüge?

Und so lang ein Teil wie ich noch nirgendwo gepasst hat
da merke ich – das ist ja auch nicht schlecht –
wenn man noch gar nicht eingerastert
festgeklemmt an seinem Ort verschraubt ist
so lange kann ich alles tun,
was eingereihten Puzzleteilen so leicht nicht erlaubt ist

ICH kann mich frei bewegen ICH bin nicht an einen Ort gebunden
und so hab ICH etwas über MICH heraus gefunden:
ICH bin einzigartig – WEIL
ICH bin ein ganz besonderes Teil, Geil

Die die sich einreihen sind doch nur treudoofe Ärsche
Ein Caesar braucht Freiheit, divide et impera: Teile und herrsche
Heil Teil! Und Sie kennen John Lennon, in letzter Konsequenz
Gilt doch: All we are saying, is give PIECE a chance.

Steig auch aus dem Raster, entklemm dich, wie wär’s
Hier sieht ja niemand ganz gleich aus – wir sind alle divers
Wir sind alle was ganz besonderes, zum Glück ein Einzelstück
und weil mich ANDERE zu selten loben
hab ICH MICH als Kunstwerk meiner selbst
SELBST auf einen Sockel gehoben

ICH bin etwas ganz besonderes
Wer wär schon so wie ICH? Keiner!
ICH bin so klar und rein, WER wär da reiner?
Da müsste schon was schlimmes passieren,
dass ICH zu EUCH runter ginge
Ja schaut mich an, schaut nach oben, Ihr Unterlinge!

Und so stehen wir heut alle auf unsern Podesten
und weil da sonst niemand ist, sind wir hier oben natürlich die Besten
doch der Wind weht kalt durch kahle Stehlen und Steine
ja hier oben sind wir herrlich besonders – und schrecklich alleine.

Wenn wir nur auf die Unterschiede schauen,
dann sind wir alle einsam
Aber schaun wir uns um, dann könnten wir erkennen
wir haben viele Unterschiede, doch noch viel mehr gemeinsam:
Einen Kopf, zwei Arme zwei Beine
und alle ein Herz
wir teilen staunende Augen
das Lachen, den Schmerz
Wir sind ein Teil des Ganzen und ohne uns geht es nicht
das ganze Bild braucht die Augen UND Mund UND Nase für ein Gesicht.
in das große Ganze fließt alles mit ein
Ein buntes Mosaik und mit Ecken und Kanten
niemand kann das hier allein.

Und ja, wir brauchen Ecken und die Ränder aber vor allem eine große Mitte
Und wenn ich im Großen Meer der Teile mal verschwimme
dann sage ich: Sehr gerne bitte

Wir leben in diesen Straßen, und in dieser Stadt Wir tun das zusammen
Wir sind nicht allein, Wir müssen uns nicht lieben – und das ist gut so.
Aber ganz allein gehts nicht und genau deshalb tuts so
gut zu sehen: wir kriegen das hin
Egal welche Farbe DU hast egal wie bunt ICH bin

Wir sind alle das Puzzle das vollständige Set
und wenn jemand fehlt, dann sind wir nicht komplett
und deshalb lasst uns ein bisschen Platz für andere lassen,
und uns trotzdem enger connecten.
Wir finden den so oft versteckten Zusammenhalt nur, wenn wir uns
öffnen und uns die Hände reichen
und uns nicht schauen wo wir uns unterscheiden,
sondern schaun, wo wir uns gleichen
Und wenn ihr mögt, könnt in nun dem Menschen neben Euch die Hand reichen
dann sind wir alle zusammen ein großes Puzzle. Heile.
Die Summe der Teile.
Jede ein bisschen Struktur, ein bisschen Farbe, ein bisschen Schatten
SO genug, zusammen SO komplett
Ein A mit Anschluss von B bis Zett
Das vollständige Set
und wenn jemand fehlte, wären wir nicht komplett.
Wir sind ein Mosaik – ein Puzzle der Teile
Und erst durch JEDES Mosaikstück, JEDES Puzzle-Teil heile.


Mutig! Stark! Beherzt! – Ragna Miller (Team Preacher)

Ragna Miller ist Pastorin in Bremen. Sei dem 1. Mai 2025 ist sie Landesjugendpastorin der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) im Landesjugendpfarramt. Seit 2017 ist sie immer wieder bei Slams dabei und häufiger auch bei säkularen Slams in und um Bremen zu finden. Miller sucht neue Worte für alte Wahrheiten.

Preacher-Slammerin und Landesjugendpastorin Ragna Miller

Preacher-Slammerin und Landesjugendpastorin Ragna Miller

Mutig. Stark. Beherzt.
Das klingt schön. Einfach schön.
Kraftvoll in der Welt stehen.
Unter Fahnen der Hoffnung, die im Wind wehen.
Von der neuen Welt erzählen.
Die Zuversicht stählen und aus vollen Kehlen gemeinsam singen.
Ein kraftvolles Motto in gelähmter Zeit.
Wie weggewischt sind Bitterkeit und Sorgen.
Für den Moment.
Fühl mich verbunden mit so vielen anderen.

Doch dann sind die Worte verklungen.
Kommt der Alltag. Das ganz normale Leben.
Die Lage der Welt und die Schmerzen, die meine Seele verkleben.

Mutig. Stark. Beherzt.
Klingt dann nach –
Hochglanzpostern in einer zerfledderten Welt.
Glitzernder Segen, über Trümmern verteilt.
Warme Worte, die im Dunst verwehen.
Und Ideen werden zu kitschiger Folklore.

Mutig. Stark. Beherzt.
Klingt in meinen Ohren nach einer Botschaft, die verhallt.
Keins dieser Worte erreicht ein trauriges Herz.
Das Motto prasselt wie Schläge auf mich ein.
Mutig. Stark. Beherzt. Sollt du sein.

Klingt wie ein Motivationscoach auf Youtube, der von meinem Mindset spricht.
Mein Gewicht, mein Gesicht, mein inneres Licht – es ist nur an mir, meine Ziele zu erreichen.
Höher, schneller, weiter – ich darf nicht abweichen von diesem Weg.
Das Motto schreit mich an:
Sei mutig. Sei stark. Sei beherzt.
Visualisier deine Ziele und BÄMM – es klappt.
Frisch. Fromm. Fröhlich frei.
Sei – allzeit bereit.
Du bist deines eigenen Glückes Schmied.
Und was, wenn nicht?

Mutig. Stark. Beherzt.
Ich hadere mit dem Motto. Ich zweifle an den Worten und an mir.
Bin ich denn selber schuld, wenn ich sie nicht versteh?
Sie kommen nicht an.
Sei mutig? So groß die Angst nicht zu genügen.
Zu tief die Wunden, die wir einander zufügen.
Sei stark? So müde am Morgen.
Und der Blick in die Welt macht mich stumm.
Beherzt? Vielleicht bin ich dumm,
aber ich weiß nicht mal, was das heißen soll,
dieses alte Wort.

Fühl mich: Ängstlich. Schwach. Träge.
Erwäge, die Hoffnung einzustellen.
Dieses Motto macht mich klein
Dieser Wonderwomanumhang der Zuversicht und die breite Batmanbrust des Glaubens.

Dieses Motto lernt doch Japanisch kurz vor dem Schlafengehen.
Macht Yoga auf Bundesliganiveau.
Kann sich astrein die Augen schminken und winken die Herausforderungen sagt es:
Ich nehme sie an.
Mit einem Selleriesmoothie sein Tag beginnt – nach dem 5km Morgensprint.
Mich erschöpfen schon diese Gedanken.

Mutig. Stark. Beherzt.

Was soll das denn heißen?
Sei ein Glaubensheld? Sei die Heldin deiner Geschichte?
Von Helden habe ich wahrlich genug.
Von starken Männern, die die Welt ordnen.
Schwadronieren von Einfluss. Macht.
Und Gottes Willen.
Drillen nach Gas bis die Erde brennt.
Schließen Grenzen und schüren den Hass.
Und was auch immer geschieht, an schlimmen Dingen hier bei uns –
wir hören stets von ungelenkter Migration.
Es ist blanker Hohn. Migration ist wenig Erklärung für irgendein Problem.
Populisten schreiben die Geschichte um.
Und warum Dinge anders sind, als wir es glauben, das interessiert irgendwie keinen mehr.

Ein sehr kleiner Teil der Menschen ist reich und wird immer reicher.
Die einen führen Kriege gegen Kinder und Zivilisten.
Wir anderen drehen neuen Content auf Skipisten und haben Angst vor den Fremden.
Heldinnen und Helden?
Das eigene Leben fest im Griff?
Ich danke. Nein.

Sei mutig. Sei stark. Sei beherzt?
Der Mann am Kreuz ist kein Held.
Er zweifelt und hadert und kämpft mit dem Tod.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
So schreit er in seiner Not und er sagt den Frauen unterm Kreuz nicht:
Sei mutig! Sei stark! Sei beherzt!
Sagt nicht: Maria, lach doch mal.
Der Mann am Kreuz, Sohn der Gerechtigkeit,
erzählt übrigens überhaupt keine Heldengeschichten.
Er wählt die Kleinen und die, die versagen,
die Schuld auf sich laden an seinen Tisch.
Der Mann am Kreuz, Fürst des Friedens,
braucht keine Heldinnen an seiner Seite.
Es sind Menschen wie du und ich.
Mit Zweifeln und Fragen und sie zittern und zagen –
selbst neben dem Gottessohn.
Was würde er sagen?
Zu all meinen Fragen, WAS würde er sagen?

Mutig. Stark. Beherzt.

Vielleicht etwas wie dieses:
Mut wächst nicht im Wohlfühlgarten.
Nicht da, wo Blumen und Tomaten gut geraten.
Stärke wird nicht im Fitnessstudio der Gefühle trainiert.
Beherztheit ist kein Deko-Accessoire fürs Leben.
Mut, Stärke, Beherztheit – nichts davon ist schillernd schön und locker leicht.
Dreh alles um.
Häng die Weisheit der Welt ans Kreuz und sieh dann hin.

Mutig. Stark. Beherzt.
Es geht nicht um dich.
Es geht nicht darum, dich zu polieren und deinen Glauben zu perfektionieren.
Dein Glaube ist gut, so wie er ist.

Du bist genug.
Auch wenn da an manchen Tagen in dir nichts zu finden ist von Vater, Sohn und Heiligem Geist.
Sei’s drum.
Es geht nicht um mehr und auch nicht um besser.
Ich starb am Kreuz und keinen Heldentod.
Es geht um die Welt und die Menschen darin.
Such die Antwort nicht in dir, sondern in der Welt.
Da, wo es stinkt und trauert und die dunkle Leere lauert.
Da, wo alle ängstlich, schwach und träge kauern.
Gerade da, da suche nach

Mutig. Stark. Beherzt.

Die Welt braucht Mut, der Angst hat.
Die Welt braucht Stärke, die zittert.
Die Welt braucht beherzte Menschen, die kraftlos sind.

Denn Glaube ist kein rosa Zuckerguss über diese Welt.
Kein schimmernder Glitzer auf den Trümmern.
Kein schöner Schein.
Glaube ist Widerstand gegen die allzu frohen Botschaften dieser Tage.

Wo du nicht weiter weißt, da bist du beherzt.
Du blickst in die Welt und liebst die Menschen.

Wo Zweifel quält, hockt die Stärke.
Und wenn du scheiterst, bist du stark.

Wo die Angst wohnt, wohnt der Mut.
Und du atmest unter Tränen weiter.

Mutig! Stark! Beherzt!


Die Frucht der Erkenntnis – Antonia Josefa (Team Poetry)

Antonia Josefa (Instagram), Jahrgang 1997, ist seit 2021 regelmäßig als Bühnenpoetin auf kleinen und großen Bühnen im gesamten deutschsprachigen Raum aktiv. Als Veranstalterin hat sie die queerfeministische Lesebühne „Womansplained“ und das Format „Beyond Slam“ ins Leben gerufen. Ihre mal ernsten, mal humorvollen Texte sind ehrlich, bewegend, unbequem, meist politisch und immer explosiv.

Poetry-Slammerin Antonia Josefa (Foto: Lukas Büsse)

es lebte einmal, vor vielen Jahren,
als hier noch keine anderen Menschen waren,
als Pioniere der Menschheit, sozusagen:
ein Heteropaar.
der Mann hieß Adam, die Frau Eva,
die übrigens vorher seine Rippe war,
und sie lebten glücklich im Paradies –
bis Gott sie eines Tages verstieß.

denn obgleich Gott sie geboten,
nicht die Frucht der Erkenntnis zu fassen,
hat die Neugier überwogen,
und natürlich war’s Eva –
sie konnt’s halt nicht lassen.

die Moral, die die Geschichte dir bringt,
damit Gott nicht auch dich vertreibt:
iss nicht vom Baum der Erkenntnis, mein Kind!
bleib lieber glücklich in der Unmündigkeit.

iss nicht die Frucht der Erkenntnis, mein Kind.
das wird dich nur unglücklich machen.
denn klar gibt es hier viel Ungerechtigkeit,
doch in deiner Geschichte bist du der Hauptcharakter.
alles das, was hier passiert, liegt doch in nicht in deiner Macht,
das kannst du sowieso nicht ändern.
also nutz doch lieber deine Zeit,
halt dich selbst nicht auf, mit all dem Leid auf dieser Welt,
und mach aus deinem Leben, was dich glücklich macht –
zum Beispiel ganz, ganz, ganz viel Geld.

man sagt: die Freiheit eines Menschen endet dort,
wo die eines anderen eingeschränkt wird.
doch blicken wir einmal hinter die Kulissen,
stehen Freiheiten doch meist in Verhältnissen
zu Repressionen, die ihnen dienen:
wie Stränge, die in verschiedene Richtungen ziehen,
liegt jeder Freiheit eine Kehrseite zugrunde –
und unsere Freiheiten werden zu Fesseln,
sind doch anderen durch sie die Hände gebunden.

und die Seiten sind voneinander abhängig,
denn ohne die Armen gäb‘ es die Reichen nicht,
kein Privileg ohne Ausgrenzung,
keine Milliardäre ohne Ausbeutung.

doch all das müsste dich gar nicht tangieren!
würdest du diese Frucht einfach nicht probieren.
wenn du gar nicht erst in das Fruchtfleisch beißt,
dann siehst du hier nur Chancengleichheit!
denn in Deutschland wird niemand ausgegrenzt,
nach Geschlecht oder Hautfarbe, hier zählt der Mensch.
alles was hier zählt, ist dein Talent,
und irgendwie musst du’s halt finanzieren,
aber dann kann hier wirklich jeder studieren!

jeder Mensch hat das Recht auf eine Ausbildung,
zumindest jeder, der das Geld auftreibt,
für das unbezahlte Praktikum,
denn ohne das kannst du ja keine Erfahrung sammeln –
ist doch logisch.

ich habe das Gefühl, da ist irgendetwas komisch,
diese Rechnung scheint nicht so ganz aufzugehen,
doch du musst das auch gar nicht so genau verstehen,
denn du kannst das alles ganz einfach verdrängen,
lässt du die Frucht einfach am Baum dranhängen.

ja, würdest du es gar nicht hören,
wie die Verteilung auseinanderklafft,
dann müsste es dich ja auch nicht stören,
wie viel Vermögen so ein klitzekleiner Anteil hat,

und sie haben es sich doch auch verdient,
schließlich haben sie es – geerbt!
so ist das nun mal im Kapitalismus,
hier kämpft man für sich allein,
es mag zwar oft nicht fair erscheinen,
doch dafür sind wir schließlich
– frei!

und für die Freiheit im Kapitalismus
danken wir dem Kolonialismus,
und allen, denen man die Besitztümer stahl!
ja, der Kapitalismus ist ein tolles System
für die Menschen mit Kapital!
jede Freiheit hier steht in Relation
zu den Personen,
die dafür mit Unterdrückung bezahlen.

und wo wir schon bei Relationen sind:
diese Theorie, für die man Einstein kennt,
hat seine Frau mit ihm gemeinsam geschrieben.
doch wie so oft ist sie im Schatten ihres Mannes geblieben,
denn wie es uns der Stammbaum lehrt,
haben Frauen damals noch nicht existiert!

Wissenschaft
ist von und für weiße Männer gemacht,
zumindest so, wie wir sie kennen.
die Geschichte wird seit Jahren von denselben erzählt,
doch heute sprechen neue Stimmen.

denn die Geschichte, die wir kennen,
mag nicht falsch sein –
doch sie ist einfach nicht vollständig.
und eine Erzählung, mit neuen Stimmen
und einem neuen Narrativ längst überfällig,

und wenn ihr dafür jetzt noch ein Beispiel sucht,
dann nehmt doch einfach dieses Märchen
von dem Paradies und dieser Frucht.

denn wisst ihr, ich habe Gott getroffen.
und Sie hat zu mir gesprochen:
das mit der Frucht ist eine Metapher,
und es liegt an uns, sie zu interpretieren,
das Paradies ist nur ein Käfig,
und der Ausbruch ist das Ziel,

denn ein Käfig bleibt ein Käfig –
auch wenn die Gitterstäbe golden sind.
und auch, wenn wir gerne darin leben,
sind wir nicht weniger gefangen darin.

denn solang du von Stäben umgeben bist,
bekommst du nichts vom Leben mit,
und auch, wenn es bequemer ist:
vom Käfig aus bewegst du nichts.

also nehm ich die Frucht
und beiße hinein.
damit Gott auch mich vertreibt,
und mir die Wahrheit offenbart.
an dieser Stelle möcht ich Eva danken,
weil sie echt ein gutes Vorbild war.

und es ist vielleicht nicht leicht zu ertragen,
denn die Frucht ist bitter und liegt schwer im Magen,
doch auch im Paradiesversteck
wird sie doch nur von Geschmacksverstärkern überdeckt,
und so schmeck ich lieber die Bitterkeit,
als auch nur einen weiteren Tag
in diesem verlogenen Paradies zu sein.

und ja, es ist ein Privileg
allein hier auf dieser Bühne zu stehen,
doch wo wir stehen
suchen wir uns oft nicht aus.
du wirst halt irgendwo geboren,
suchst dir deinen Weg hinaus,
ein Privileg ist nichts Verwerfliches,
denn du kannst ja nichts dafür!
doch was du damit machen wirst:
das liegt am Ende doch an dir.

und deshalb spreche ich heute für mich
doch auch für die, die das nicht können.
für die, denen man den Weg verwehrt,
die nicht auf solche Bühnen kommen,

für die, denen der Zugang fehlt,
zu Bildung, Klasse oder Geld,
für die, die noch gehalten sind,
von all dem Unrecht dieser Welt.

ich will, dass ihr wisst,
dass euer Kampf auch meiner ist,
und wir kämpfen, um gemeinsam zu gewinnen –
denn keine:r von uns hier ist frei,
solange wir es nicht alle sein können.

und deshalb werden wir die leeren Phrasen
endlich in neue Sprache hüllen,
an Fahnen in den Himmel zeigen,
die Welt mit unseren Worten füllen,
und keinen Tag mehr länger schweigen.

werden jede Wand beschmieren,
mit all dem, was uns empört,
vor Schreien zur Not unsere Stimme verlieren,
bis uns auch die letzte Reihe noch hört,

und wir brauchen keine andere Stimme,
als die, die wir in uns selber fanden.
Denn keine Frau auf dieser Welt

ist jemals
aus der Rippe
eines Mannes
entstanden.

Ja, Wissenschaft
ist aus Homogenität gemacht,
zumindest so, wie wir sie kennen.
Und um sie neu zu definieren,
braucht diese Zeit nun neue Stimmen.

wenn nur die Alten sie erzählen,
wird alles auch beim Alten bleiben.
doch diese Geschichte gehört uns –
und es liegt an uns,
sie neu zu schreiben.


Ich habe mein Kreuz verloren – Lotta Egbert (Team Preacher)

Lotta Egbert ist 17 Jahre alt und macht gerade ihr Abitur. Sie hat beim Vorentscheid im Dezember 2024 die Wildcard für den Auftritt auf dem Kirchentag gewonnen.

Preacher-Slammerin Lotta Egbert (Foto: Antje Egbert)

Hallo, Ich bin Lotta. Und
Ich habe mein Kreuz verloren, ohne es zu merken

Und ich glaube,
ich habe meinen Weg verloren.

Ich stolpere nur noch nach vorne.
Gehe ohne das Ziel zu sehen.
Ohne Sicht,
auf Gottes Licht
wirkt der weg, unwegbar …

Nicht nur mein Kreuz ist verloren,
sondern auch meine Richtung, mein Weg.
Mein Ziel.

Das Kreuz an meiner Halskette habe ich von meinem Vater bekommen.
Jetzt ist es weg.
Wir haben es in einem kleinen Geschäft im Hamburg gekauft.
An einem Wochenende mit

Eiscreme an der Alster,
Ausruhen im Stadtpark
und vor allem mit viel Zeit für meine Fragen.
Fragen nach Kindheit und Zukunft,
nach Sinn und Perspektive
und nach Gott und der Welt.
Mein Kreuz als Symbol nach Gott Fragen zu können,
Mein Kreuz als Symbol, das alle Fragen eine Antwort haben.
Und nun ist das Kreuz weg, die Antworten fehlen
und auch die Fragen sind gegangen.

Ich habe mein Kreuz verloren.
Jetzt sind meine Fragen weg.
Wenn ich nicht mehr frage, kann Gott nicht mehr antworten.
Wenn ich meine Fragen vergesse, verliere ich mein Kreuz.
Wenn ich mein Kreuz verliere, spüre ich keinen Gott.

Ich habe mein Kreuz verloren, ohne es zu merken
und
ohne es zu merken ist Gott auch irgendwie verschwunden.

Ich habe mein Kreuz verloren
Und
Ich habe noch nie meine Kerze angezündet

Ich habe zu meiner Konfirmation eine wunderschöne,
wirklich schöne Kerze bekommen.

Auf der Vorderseite steht mein Taufspruch,
auf der Rückseite mein Konfirmationsvers.

Ich habe mich auf meine Konfizeit gefreut.
Ich wollte eine Grundlage für meinen eigenen Glauben.
Nicht mehr mein Vater fragen, sondern

selber denken,
selber Antworten finden,
selber Erfahrungen machen,
selber beten,
selber glauben.

Ich habe meine Kerze noch nie angezündet,
weil ich mich an meine Konfirmation nicht erinnern möchte.

Wieso muss ich ganz hinten in der Kirche sitzen,
wenn ich nur vorne richtig lernen kann?
Wieso dürfen andere Konfirmanden feiern,
während ich Corona fürchten musste?
Wieso dachtet ihr das zwei Stunden Konfiunterricht
reichen um alles zu verstehen?

Ihr wolltet Euch sicher vor Corona fühlen,
ich wollte einfach Gemeinschaft erleben.
Ihr wolltet Abstand halten,
ich Nähe zu Gott finden,
Ihr wolltet Masken tragen,
ich kann Euch nicht verstehen.

Ich wollte meine Konfirmation wichtig machen
mit meiner ganzen Familie feiern.
Ihr hatte nicht einmal die Zeit mir Pslam 23 beizubringen,

Was ist mit:

Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.

Ich hätte das hören müssen.
Ich hätte das gebracht.
Ich hätte das Verbleiben im Haus des Herrn erleben müssen.

Auch eine tolle Konfirmationskerze macht das nicht wieder gut.

Ich wollte meine Konfirmation so richtig feiern,
aber ihr wart auf Abstand.
Ich durfte nur 5 Leute einladen.

Nein ich will meine Kerze nicht anzünden.

Ich habe mein Kreuz verloren,
Ich habe noch nie meine Kerze angezündet
Und
Ich kann meinen Pulli nicht mehr tragen

Glaube, Jugend und Hoffnung gibt’s bei mir im Ort nicht.

Bei uns kann ich nur in den Gottesdienst gehen und zuhören.
Bei euren Predigten geht es immer nur um Geschichten von vor meiner Geburt.
Um Fragen und Antworten die nichts mit meinem Leben zu tun haben.
Es geht darum, wie sich Erwachsene gerade fühlen.

Meine Gedanken,
Meine Probleme,
Meine Hoffnungen
kommen in euren Predigten nie vor.

Mein Pastor ist schon so lange mit Gott unterwegs,
ich bin gerade erst am Anfang
und muss erst einmal lernen
die ersten Schritte zu gehen.
Er will nicht vom Weg abkommen,
ich will den Weg erst einmal finden.

Ich brauche Leute die neben mir stehen,
anfangen auf Gott zuzugehen,
nicht schon meilenweit voraus sind.
Bei Euch verstehe ich Gott nicht.
In eurem Gottesdienst fühlt sich die Kirche leer an.

Wenn ich Glaube – Jugend – Hoffnung spüren will,
muss ich eine Stunde weit nach Bramsche fahren.
In der Evangelischen Jugend gibt es Leute die neben mir stehen,
mit mir auf dem Weg sind und sich die gleichen Fragen stellen.

Dort habe ich einen Ort gefunden,
wo Gemeinschaft lebendig ist:

Gemeinschaft die bedeutet
nach der Andacht noch zwei Stunden weiter zu reden
Gemeinschaft die bedeutet
nicht nur Fragen zu stellen, sondern Antworten zu geben,
Gemeinschaft bedeutet dort,
eine Umarmung statt 1000 Worte,

Liebe, Wärme, und Verständnis.
Einfach so ein warmes Gefühl.

Das alles steckt in meinem Teampulli,
in meinem Alltag habe ich keine Zeit mehr
eine Stunde für Glaube Jugend Hoffnung zu fahren.
Das letzte mal war ich im Oktober dort.
Jetzt hält der Pulli mich nicht mehr warm,
Jetzt kann ich meinen Pulli nicht mehr tragen,
Jetzt verstaubt er in der Ecke.

Ich habe mein Kreuz verloren,
Ich habe noch nie meine Kerze angezündet
Ich kann meinen Pulli nicht mehr tragen
Und
Ich habe das Vaterunser vergessen

Ich habe zuuuuu viel zu tun.
Ich habe zuuuu viele Gedanken.
Ich habe zuuuu viel Wichtiges.

Ich muss zur Schule. Fahrschule. Klavierschule
Schreibe Abitur, Theorieprüfung, Klavierstücke.
Ich will Hörbücher hören, Freunde sehen,
Zeit haben für soooo viel Wichtiges.
Zeit zum Lachen, Zeit zum Trösten,
Zeit für Milchshakes von Mc Donalds. Zeit für Konnzerte.
Zeit für Familie, Zeit für Kunst, Zeit für Pause.

Und ich muss
mein Zimmer aufräumen.
Ich muss
mit dem Hund gehen.
Ich muss
ein Studienfach finden.
Theologie schon mal nicht.
Aber selbst dann muss ich
zwischen so vielen Fächern entscheiden.

Mein Kopf ist voll mit viel zu wichtigen Gedanken,
so dass ich keinen Platz für Gott habe.
Mein Kopf ist voller viel zu wichtiger Gedanken,
dass ich sogar die Worte des Vaterunsers vergesse.
Das Vaterunser ist in meinem Alltag untergegangen.
Den Anfang krieg ich hin:

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde Dein Name,
vergib uns unsere Schuld,
dein Reich komme,

irgendwie
weiß ichs nicht mehr so genau.

Ich konnte das Vaterunser sprechen,
wenn ich keine eigenen Worte mehr hatte.
Jetzt habe ich nicht mal mehr die Worte des Vaterunsers.
Wenn ich die Worte lese, geht mir kein Licht mehr auf.
Wieso habe ich das vergessen?
und
Wieso ist es nicht mehr wichtig?
Wieso spüre ich Gott nicht mehr?

Denn
Ich habe mein Kreuz verloren,
Ich habe noch nie meine Kerze angezündet,
Ich kann meinen Pulli nicht mehr tragen,
Ich habe das Vaterunser vergessen.

Ich bin mir bei vielem was Gott angeht
gerade nicht sicher
aber
Ich glaube an einen Gott, der mich liebt

Einen Gott der sagt:
Niemals werde ich Dich verlassen,
Niemals werde ich Dir meine Hilfe entziehen.

Einen Gott der sagt: Sei mutig, stark, beherzt.

Ich glaube an einen Gott,
der mich selbst dann noch liebt,
wenn mir die Worte fehlen.

Ich glaube an einen Gott,
der mich selbst dann noch liebt und
bei mir ist, wenn ich keine Zeit für ihn habe.

Ich glaube an einen Gott,
der mich so sehr liebt,
dass ich sauer auf seine Kirche sein darf,
oder auf Ihn.

Ich glaube an einen Gott,
der mich soo sehr liebt,
dass
er
einen
Weg zurück in mein Leben findet.

Ich habe das Vaterunser vergessen
Aber um zu glauben muss ich nicht jeden Tag beten

Fühle ich mich stumm im Kopf,
höre ich neue Worte auf dem Kirchentag
Lasst es in Liebe geschehen,
Das schenkt mir Stärke

Ich kann meinen Pulli nicht mehr tragen,
Fahre viel zu selten zur Evangelische Jugend
Aber heute ist meine evangelische Jugend gekommen
und sitzt hier im Publikum.
Das schenkt mir Hoffnung

Ich habe noch nie meine Kerze angezündet,
Und vermutlich werde ich das auch nie,
Aber ich kann das akzeptieren,
weil Gott mich auch ohne große Worte und große Feiern feiert
Ganz ohne Abstand
grenzenlos
Das schenkt mit Mut für alles was noch kommt

Ich hab mein Kreuz verloren
Ich weiß nicht genau, wie mein Weg so aussieht
Ich ziehe bald nach Hamburg, in die Nordkirche
alles verändert sich und mich.
Werde ich Gott dort wieder finden?
Wird Gott mich finden?
Vielleicht finde ich ja mein Kreuz wieder.

Ich habe mein Kreuz verloren,
aber Gott findet mich schon.

Ich habe noch nie meine Kerze angezündet,
aber ich kann auch ohne große Feiern feiern.

Ich kann meinen Pulli nicht mehr tragen,
aber ich habe Hoffnung.

Ich habe das Vaterunser vergessen,
aber für heute reicht mir ein Amen.
Amen.


Eine besondere Begegnung an einem besonderen Ort – Matti Linke (Team Poetry)

Matti Linke (Website) ist seit 2016 auf den großen Slambühnen im deutschsprachigen Raum unterwegs. 2022 war er Landesmeister im Poetry Slam für Niedersachsen und Bremen, 2023 zusammen mit Theresa Sperling außerdem Landesmeister in der Team-Disziplin. Mit seinen gesellschaftskritischen und lyrischen Texten gilt er seit Jahren als einer der feinsinnigsten und performativ stärksten Slammer Niedersachsens.

Poetry-Slammer Matti Linke (Foto: Matthias Stehr)

Eines Tages, es war abends,
noch zu früh, um schon zu schlafen,
lag ich da und dann geschah es,
dass meine Stimmung plötzlich wechselte,
sich der Gedankenweltkomplex in meinem Kopf noch mehr verästelte.
Ich fing an zu grübeln.
Und ich sann den Dingen nach,
als wär ich 80 Jahre alt
und ich befand mich in der Tat
in einem gedanklich dunklen Wald,
in dem ich mich, für den Moment, beinahe drohte zu verirren.

Doch dann sah ich, aus weiter Ferne, ein kleines Lichtlein zu mir schwirren.
Rötlich schimmernd, so behaglich,
kam es näher und dann sah ich,
dass eine Fee sich zu mir setzte.
Wer sie sei, war, was ich fragte.
Doch die Fee, dem Anschein taub,
ging nicht drauf ein, als sie dann sagte:
„Ist es Mut oder schon Leichtsinn
ganz allein hier rumzustreifen?
Wenn’s genehm ist, wär ich frei, um dir Gesellschaft hier zu leisten.
Denn weißt du…
Mal ist der Ausweg aus dem Dickicht hier schon fast zum Greifen nah
und ich sah andere, die es beinahe schafften, bis es dann geschah,
dass sie an irgendeiner Gabelung sich verirrten und entschieden,
dass es zwecklos ist und dort, wo sie dann waren, einfach blieben.
Denn dieser Ort, das ist die Reue.
Hier kommt man hin, wenn man sich fragt,
warum man manches niemals wagte oder manche Dinge tat.
Und du, mein lieber Freund, steckst wohl gehörig in der Klemme,
weil ich die Art der Last, die du herumträgst, nur zu gut erkenne.
Du bist im Zwiespalt, ob man die Zeit, die dir der liebe Gott vergönnte,
so wie du sie dir gefüllt hast, auch gelungen nennen könnte.
Ich meine, würdest du nicht so viele Dinge,
obgleich du noch so viel verwettest,
in einem neuen Leben anders machen,
wenn du die Chance dazu hättest?
So gabeln sich des Menschen Wege,
die das Leben ihm beschert,
also, sag, was würdest du ändern?
Und vor allem, was wär’s dir wert?“

So sprach die Fee, während ich mich fragte, was das alles wohl bedeutete,
Und das Augenlicht der Fee so verlockend rötlich leuchtete.

„Also gut“, sagte ich einvernehmlich,
und war im Bann der Fee gefangen,
„Ich werd dir sagen, was du hören willst,
Wir gehen ein kleines Stück zusammen.

Was würde ich also machen“, so begann ich, und fing an den Blick zu schärfen,
„könnt ich ändern, was ich wollte und die Würfel noch mal werfen?

Erstens. Ich würde von Beginn an ganz, ganz viel von mir halten.
Und nicht so oft so schrecklich wenig,
Würde lachen, wenn ein anderer zu mir sagt: ‚Das schaffst du eh nicht.‘
Dann wär ich endlich nicht mehr Schwarzmaler,
dann wär ich halt in Sachen Selbstkritik ein bisschen sparsamer.
Ja bestimmt etwas lethargischer
und vielleicht wär’s mir dann schnuppe,
ob ich mich am Ende doch zu einem Schmetterling entpuppe.
Denn wenn ich keinen Grund mehr sähe,
an mir zu arbeiten, zu reifen,
dann blieb ich einfach im Kokon,
anstatt der Welt was zu beweisen.
Ich müsste nicht mehr hoch hinaus,
zu keinen Sternen müsst ich greifen.
Ich wär mit Freuden Egoist,
müsste ich dafür nie mehr zweifeln.“

Und die Fee sagte: „Nur recht, du bist nicht dumm, weil du schon weißt:
Im Leben geht’s um die Balance, und jeder Wunsch hat seinen Preis.
Mach weiter.“

Und ich sagte:
„Zweitens. Ich würde mein Herz an allererste Stelle setzen.
Ich würde niemandem erlauben es zu treten, zu verletzen.
Und um das zu erreichen, schotte ich mich ab.
Jeder Anflug einer Schwärmerei wird schonungslos gekappt.
Wehe jedem Drang in mir noch einen Liebesbrief zu schreiben!
Ich würde alle, die ich liebte,
einfach prophylaktisch meiden.
Das macht mich bestimmt nicht glücklicher,
aber vielleicht ein bisschen produktiver,
vielleicht ein bisschen weniger negativ, halt positiver.
So wär mein Herz noch ganz verschlossen
und so schnürte ich es fest.
Wär nicht mehr der, den man verließ,
ich würde der sein, der verlässt.
Es wäre ein steingraues Leben ohne Höhen oder Tiefen,
ich wär zufrieden, statt die Liebe eines Menschen zu genießen.
Ich würd mich langweilen bis zum Tode, aber ich würde nicht mehr weinen.
Ich würd Gedichte nicht verstehen, in denen andere Menschen leiden.
Ich würd auf all den Kram verzichten,
für ein Leben ohne Glanz.
Ich würde lieber niemals lieben,
Wär mein Herz dafür noch ganz.“

Da musste selbst die Fee kurz schlucken.
Aber nur, weil ihr der Speichelfluss im Mund bereits zusammenlief.
Ich holte aus zum letzten Punkt, auf den hier ich am Ort der Reue stieß:

„Drittens. Generell würde ich immer alles richtig machen.
Mir würden niemals wieder irgendwelche Fehler unterlaufen.
Ich würde mir mit größter Strenge keine Fehlschritte erlauben.
Dann muss ich mich nicht mehr schämen, weil ich irgendwas verbaute,
Nicht ein falsches Wort und keine Tat, die ich jemals versaute.
Alle wären auf mich stolz und niemand hielte mich für schlecht.
Ich würde tun, was jeder will, und käme mit jedem gut zurecht.
Ich wär ein Vorzeigegeschöpf,
weil ich niemanden enttäuschte.
Ich wär ein Abziehbild, Erfüllung der Erwartung anderer Leute.
Ich würde alles abnicken, durchwinken,
Jeder hat meinen Segen.
Es wär ein ultimativ passives und fremdbestimmtes Leben.
Doch dafür hätt ich meine Ruhe,
Trotz diesem inneren Betrug.
Ich wär mir lieber selbst zu wenig,
Aber der Welt dafür genug.“

Die Fee sah mich durchdringlich an mit wunscherfüllten Augen.
Sich selbst als Sieger sehend konnte sie ihr Glück kaum glauben.
Sie hat vertraglich alles festgehalten und sie sagte, um zu werben:
„Mein liebes Kind, was noch nicht ist, das kann mit meiner Hilfe werden.
Unterschreib und es wird wahr, in der Kürze des Moments.
Ich leg sogar noch eine Schippe drauf, und zwar mit Transparenz:
Hier kommt das Kleingedruckte.“

Und als die Fee dies sprach, schob sich ein Meer aus Wolken vor das Mondlicht.
Ihre Augen blitzten auf in einem teuflisch dunkeln Rotstich.
Und sie sagte:
„Ob du mich wahrnimmst oder nicht, ich bin immer an deiner Seite,
weil ich die Menschen stets bei all ihren Entscheidungen begleite.
Ich bin die süßeste Verführung,
wenn ein Weg sich vor dir teilt.
Ich bin die kürzeste Vergnügung
und der Nachteil, der verweilt.
Ich bin die Rücksichtslosigkeit,
durch die kein Zweifel dich betrübt.
Ich schenke dir ein Herz aus Stein,
das niemals bricht und niemals blüht.
Ich bin Beliebtheit und Beliebigkeit,
bin giftbenetzte Gabe.
Ich bin üppig satter Honig
aus getrocknet hohler Wabe.
Ich verbreite meinen Schleier,
lege Trübung über Klarheit.
Ich bin die Schwelle, die bevorsteht
zwischen Selbstbetrug und Wahrheit.“

Und als die Fee dies sprach, verstummte sie, da wir auf eine helle Lichtung trafen.
Und dort Sonnenstrahlen schleichend durch die Wolkendecke stachen.
Das rötlich dunkle Leuchten in den Fee-Augen ließ nach,
und im Gegenteil zu dem, was sich die Fee von mir versprach,
sagte ich:
„Du scheinst dich zu vergnügen, mich zu täuschen und zu trüben,
mich durch Irrwege und ständige Versuchungen zu prüfen.
Aber jedes deiner Worte, die du trügerisch verwendest,
ist die Chance auf einen Schritt in Richtung eigener Erkenntnis.
Deine Kraft liegt tief im Schatten, nicht im Licht, wo du jetzt stehst.
Du brauchst Masken, da du sonst an deinem eigenen Honig klebst.

Und so stehst du an der Gabelung, die die Reue für uns schafft,
und aus faustischen Vertragsabschlüssen ziehst du deine Kraft.
Und du redest von Balance, jeder Wunsch hat seinen Preis,
und das stimmt, doch hast du hier kein Monopolrecht wie du weißt.
Also wähle ich einen anderen Deal, den könntest du mir niemals bieten,
du brauchst gar nicht erst zu feilschen, ich habe mich bereits entschieden.

Ich wähle Selbstzweifel. Mit Absicht tragen meine Schultern Lasten,
die mich schwanken lassen, doch mir auch die Chance geben zu wachsen.
In dem Kokon wird’s mir zu stickig, ich will meine Flügel strecken,
trotz den Schnitten scharfer Kanten beim Versuch dort auszubrechen.
Und ich möchte nicht verbittern, bin ich dadurch auch verletzlich.
Für die Liebe ist das Risiko zu leiden unerlässlich.
Deshalb sperr ich nicht mein Herz weg, doch ich werde es auch beschützen.
Vielleicht wird es mir, gebrochen, wie es ist, noch etwas nützen.
Und auch wenn ich mich durch Fehltritte als unperfekt entblöße.
Trag ich stolz und voller Reue im Gesicht die Schamesröte.
Und sind Erwartungen enttäuscht und dadurch andere nicht wohlgestimmt,
mit haufenweise Ansprüchen, die oft so überzogen sind,
dann ertrage ich den Dissens mit der folgenden Hypothese:
All die Flutlichter der Welt sind nicht das Leuchten meiner Seele.“

Und ich erwachte aus dem Tagtraum, und die Fee war wieder fort,
doch ich weiß, sie ist geduldig und sie wartet an dem Ort,
der nicht zufällig geschaffen ist, sondern mit Bewandtnis,
nicht als finsteres Tal mit Einbahnstraße tief in die Verdammnis,
doch als Kreuzung, die dir aufzeigt, wenn du irgendwann dort bist,
wo dein inneres Leuchten sein könnte, wenn du es mal vermisst.
Und wenn die Fee mich wieder aufsucht, und setzt an zu neuer List,
kann sie meinetwegen mitkommen, denn ich weiß jetzt, wer sie ist.


nun seid ihr in Hannover – Axel Kawalla (Team Preacher)

Axel Kawalla, Jahrgang 1968, ist Pastor an der Dreifaltigkeitskirche in Hannover (EVLKA). Er ist mit Musik und Sprache, Kunst und Kirche aufgewachsen.

Preacher-Slammer Axel Kawalla

Preacher-Slammer Axel Kawalla

nun seid ihr in Hannover
Kann ja mal passieren
geht’s euch trotzdem gut?
es gibt Menschen, die wohnen hier
ich zum Beispiel.
Ich bin Axel und ich hab euch einen Text mitgebracht der heißt
„mutig – stark – beherzt“

an die Küchentür gelehnt finde ich die Kirchentagslosung auch ganz gut.

ich weiß ja nicht wie es euch geht mit dieser Losung
Ob ihr nun ganz fein seid damit mit und immerzu summt
mutig-stark-beherzt
oder anderes summt oder denkt, nu is aber auch mal gut
das können wir jetzt ja nicht in Kleingruppen austauschen

deshalb erzähle ich euch mal wie geht es mir damit geht.
Kurz gesagt: so mittel
lang: ich habe zwei Probleme mit dieser Kirchentagslosung
das eine ist Losung
das andere ist : diese Losung
nun: Probleme will ich ernst nehmen, auch meine eigenen,
ich hoffe, ihr geht da mit

zuerst also: Problem Losung.
Wie gesagt, vielleicht geht es dir anders.
Du hörst so ein Wort, und
summm – alles klar!
Bei mir eben eher: bämm – hä?

So eine Losung – ist für viele, also für manche, also für mich
also für Axel zum Beispiel: ein kleines blaues Büchlein
die „Losungen“
Frühstückstisch, 6.30 h
ich 16 Jahre, kaue stumm am Müsli
Brot war, . . . verschimm-, ach is egal
also Müsli
mein Vater, denkt sich nichts Böses
holt das blaue Büchlein hervor, das immer neben dem Toaster liegt
ich denk mir auch nichts Böses
denk mir auch nicht Gutes
denke eigentlich gar nicht so viel
6.30 h ist genau die richtige Zeit, um gar nichts zu denken.
und damit fühl ich eigentlich genau richtig,
eben bis auf 6.30 h
und dann bämm
mitten ins Müsli hinein. Und ins ganze nicht-denken und mich-richtig-fühlen
die Losung, Tageslosung
einfach rausgehauen
so einen wie – mutig-stark-beherzt

Egal wie es gerade schmerzt
mein Zahnfleisch, weil eine Haselnuss sich unter die Zahnspange geschoben hat
oder mein Herz , weil ich gerade mal wieder schon seit 6 Tagen von Anna getrennt war
obwohl wir doch schon unser Vierwöchiges gehabt hatten

ihr merkt: da ist nicht so viel mit summm – alles klar!
sondern eher wie Bämm – hä?

das zweite Problem ist für mich an dieser Losung
eben das mutig-stark-beherzt
weil ich bin eher feige

und für einen feigen Menschen wie mich ist es nicht so hilfreich,
wenn mir jemand zuruft: sei : mutig-stark-beherzt
ich habs versucht
hab sie mir vorgesagt, die drei Worte, ich kann die jetzt auch auswendig
macht nicht summmm, macht mich nicht mutig.

Nun, dachte ich, bin ich eben nicht gemeint
100.000 evangelische Christ*innen kommen her und ich bin als einziger nicht gemeint
auch nicht sooo super, das Gefühl

deshalb hab ich gedacht
vielleicht hat Paulus es auch anders gemeint
Denn der schreibt ja auch für mich diesen Satz und für dich und so
er schrieb´s zwar für Korinth.
Wusste aber: wenns dort flutscht und klappt
im Hafen Korinth, wo´s für mutige starke Liebe oft ziemlich doof war
dann klappts überall – selbst bei dir und mir, sogar sorry, in Hannover

und als ich noch so nachdachte, ob und wie diese Losung nun auch für mich gilt
da ist´s passiert
auch wieder nicht so summm
aber immerhin an die Küchentür gelehnt.
Letzte Woche Dienstag ist mir das passiert
ich leb mit einer Person zusammen
Nennen wir sie Nicki
und da war eine richtige Scheiße passiert
genauer, die Scheiße war mir passiert
und irgendwie war ich jetzt
in den Augen von Nicki auch schon,
ihr wisst schon
und in meinen Augen, sah ich nicht viel besser aus
jedenfalls dachte ich: jetzt bin ich wohl dran
die Geschichte wenden, und den Krieg beenden,

und suchte meinen Mut
und ihr könnt´s euch denken, feige und so – Fingerhut voll Mut
nicht viel, aber das bisschen mutig-stark-beherzt
brauchte ich jetzt, um zu sagen:

leih mir
dein Ohr und verzeih mir

solange ich noch dachte, schnippelte Nicki Möhren
das zu stören traute ich mich nicht, denn
Sorry seems to be the hardest word

Schön doof kannst du sagen, wenn du das machst
um Verzeihung zu fragen
gibt’s du was zu – bist du schuld
benutz deinen Ellenbogen
um durch die Wellen des Alltags zu gleiten
dann kommst du durch und nach oben
so sagt es die Welt und das Geld sagt es auch

mutig-stark-beherzt – nein, dumm ist das nicht von Paulus
denn das Mutigste Stärkste Beherzte ist nicht der Bizeps
eine Gym müsst es geben um zu vergeben
sorry seems to be the hardest word, sang schon Joe Cocker
der sang es zwar locker gelehnt an den Hocker, ist aber wahr
eine Geschichte stark gegen den Wind zu drehn und zu wenden
und den Mut, Hass zu beenden
zu sagen
leih mir
dein Ohr und verzeih mir

das ist das Schwerste
da will niemand der erste
sein die Liebe, die weiß das eigentlich

also du und du und du und manchmal auch ich
Wir ahnens, nein wissens
Doch ich wunder mich täglich über den Dissens darüber
Denn den Liebes-Nobel-Preis gibt’s nicht für Gazas Zerstörung
auch nicht für Sprüche der Menschenverhöhnung
aus weißen Häusern und Kreml-Fluren, mehr blutig als mutig
allerdings, die Mut-Meisterschale bekommt auch nicht,
wer Pazifist*innen aerrät und ein ganzes Zentrum des Friedens auslädt
sorry, lieber Kirchentag, seems to be the hardest word
nicht nur für mich sondern auch für dich

wo also gilt diese Losung, summmm für mich und dich?
eine Geschichte stark gegen den Wind zu drehn und zu wenden
und den Mut, Hass zu beenden?

jetzt also zurück zur Küchen-Tür
versetzt dich kurz rein in meine Lage
denn, stell dir vor:
da sitzt vor dir am Küchentisch
oder sonstwo im echten Leben
nicht die ganze Welt und ihre Probleme und Kriege
Sondern ein kleinster Bruchteil der Menschheit
bei mir Nicki
bei dir eben wer anders, kannste ja übertragen, oder?
und du stehst angelehnt an die Küchentür
sitzt also vor dir
Dein Freund, Deine Partnerin, beste Freundin, Mann, Frau
und schippelt
Möhren
und du weißt jetzt geht’s um Ganze, es ist kurz vor Aus,
es ist etwas nicht gut, gar nicht und du bist das Zentrum dieses Nicht-Gut
Die Luft zittert und du zitterst auch, deshalb ja – Küchentür
hier und jetzt
liegt das Vertrauen in Scherben.
Und du weißt und ahnst – es bräuchte mutige Liebe und liebevolle Stärke
das zu sagen

bitte lass mich die Geschichte stark gegen den Wind drehn
leih mir dein Ohr
und verzeih mir

und weißt, es kostet dich was
nämlich nichts oder alles.
jedenfalls kein Geld, wenn du das meinst
Aber dies Wort zu sagen, kann alles kosten, was du hast
weil du dich fürchtest vor ihren Augen und seinem Blick
die komplette Menschheit dir gegenüber in einem Gesicht
und das Wort zu wagen, das schaffst du allein
mit deinem Fingerhut voll Herz Stärke und Mut
daran brechen musst du dir deine eigene Zunge.
Und dann kommt´s vor, dass du´s sagst

leih mir dein Ohr
und verzeih mir

und du hyperventillierst und kippst fast um
doch es ist raus, das Wort hat die Lippen verlassen
und schwebt in der Küche wie ein Kringel aus Zigarettenrauch
und du spürst im Bauch und drunter und drüber und auch Gegenüber
wie die See ruhig wird, der Wind sich legt
die Wolken? die hat irgendwer hinter den Horizont gefegt

und du lehnst noch immer an der Küchentür
in dieser Sekunde wird dir klar
dort am Tisch
sitzt die Menschheit dir gegenüber
und hat´s gehört – dein
leih mir dein Ohr und verzeih mir

lehn dich an, die Küchentür nen Hocker oder vier Kästen Bier
und liebe: mutig und stark
wenn du nur liebst was macht es schon,
dass dein Handy kaputt, das Brot verschimmelt und deine Frisur zerrüttet ist
oder dein Handy zerrüttet, das Brot kaputt und deine Frisur verschimmelt ist
wenn du nur liebst, mutig und stark, ist´s egal, was du machst
and the winner is:
Love


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