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Protest! – Die #LaTdH vom 15. Januar

Lützerath wird geräumt und unter den Aktivist:innen befinden sich auch Christen. Außerdem: Streit um ein vermeintliches Enthüllungsbuch, Islamfeindlichkeit und ein Lob des Zweifels.

Herzlich Willkommen!

Eine volle Ladung (Live-)Berichterstattung gab es diese Woche aus Lützerath. Das Dorf, das dem Braunkohleabbau weichen muss und für das unzählige Klimaaktivisten seit Monaten und Jahren kämpfen. Mitte der Woche die Räumung der sogenannten Eibenkapelle, in der viele Gottesdienste gefeiert wurden, gestern dann die Großdemonstration. Auch bei uns ist Lützerath und der Protest und Einsatz von Christ:innen ein großes Thema.

Andere Themen sind das neue Buch des ehemaligen Papst-Sekretärs Georg Gänswein, das diese Woche in Italien erschienen ist und vielleicht doch gar nicht so skandalös ist, wie gedacht; und ein Ministerpräsident, der die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche lobt.

Viel Spaß beim Lesen wünscht
Jacqueline Depta

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Debatte

Sie haben Häuser besetzt, sich in Tunneln verschanzt und Demonstrationen organisiert – die Klimaaktivisten haben in Lützerath einiges auf die Beine gestellt. Mit dabei waren auch viele Christ:innen. Hier soll es einen Überblick über die vergangenen Tag geben mit dem Schwerpunkt auf gläubige Aktivisten. Den WDR-Live-Ticker zur Räumung in Lützerath gibt es hier.

Polizei löst Gottesdienst in Lützerath auf: Darf sie das? – Barbara Krauße (Sonntagsblatt)

Mit Prozessionen, gemeinsamen Gebeten und Gottesdiensten haben Christ:innen in Lützerath versucht, der Räumung des Ortes entgegen zu wirken. Am Mittwoch wurde dann ein Gottesdienst der ökumenischen Initiative „Kirche(n) im Dorf lassen“ (@Kirche_an_Kante) von der Polizei unterbrochen. Die Begründung: Bei der Veranstaltung soll es sich um eine unangemeldete politische Versammlung gehandelt haben. Dass der Unterschied zwischen politischem Protest und Gottesdiensten klein sein kann, habe sich auch in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, schreibt Medienvikarin Barbara Krauße im bayerischen Sonntagsblatt (@sonntagsblatt).

Religiöse Gemeinschaften können sich also dem politischen Leben nur schwer entziehen. Es wundert also nicht, dass der ein oder andere Gottesdienst ernsthafte politische Themen beinhaltet. Oder das Friedensgebete abgehalten werden, wenn die Worte fehlen. Oder das der Einsatz und die Hilfe für Menschen am Rande der Gesellschaft zahlreiche ehrenamtliche Helfer*innen findet.

Schwierig wird es dann, wenn entschieden werden soll/muss, ob eine Veranstaltung ein Gottesdienst ist oder nicht. Denn egal ob das eine Kirche, eine Glaubensgemeinschaft oder der Staat festlegen würde, wahrscheinlich stößt man immer jemandem vor den Kopf. Krauße stellt klar: Der Staat darf nur festlegen, wo Gottesdienste gefeiert werden. Denn sie müssen beispielsweise gewisse Vorgaben erfüllen. Und so resümiert die Autorin: „Gottesdienst ist eben nicht gleich Gottesdienst und Demonstration ist nicht gleich Demonstration.“

Theologin mit „Laudato Si“ aus Lützerath getragen: „Wo wäre Gebet wichtiger als einem Ort wie diesem?“ –  Dagmar Peters (Domradio.de)

Gudula Frieling (@FrielingGudula) ist Theologin, Klimaaktivistin und u.a. Mitglied bei der Initiative „Kirhen(n) im Dorf lassen“. Sie wurde diese Woche aus der sogenannten Eibenkapelle in Lützerath getragen. Ihren Protest begründet sie mit ihrem Glauben und der damit verbundenen Verantwortung für „Mitmenschen und Mitgeschöpfe“.

Wir wollen eine Spiritualität leben, in der wir dankbar empfangen, was wir von Gott bekommen. Was aber in Lützerath gerade geschieht, ist die Zerstörung eines Dorfes, die Abbaggerung der Häuser, das Fällen der Bäume. Dort werden hinterher keine Vögel, keine Pflanzen, keine Tiere mehr leben können. Die Emissionen, die dann von dort aus ausgehen, werden das Leben unserer Mitmenschen zum Beispiel in Ostafrika noch stärker bedrohen, als es jetzt schon bedroht ist. Weil wir uns bereits jetzt mitten in der Klimakatastrophe befinden.

Frieling kann den Vorwurf nicht nachvollziehen, die Aktivisten würden Gottesdienste für politische Anliegen instrumentalisieren. In ihren Augen gäbe es keinen wichtigeren Ort um zu beten als Lützerath dieser Tage.

Die Klimakatastrophe ist zu weit fortgeschritten. Deswegen greifen wir auch jenseits solcher Gottesdienste zu Mitteln des zivilen Ungehorsams, zu Mitteln des zivilen Widerstands. Um der Gesellschaft vor Augen zu führen, in welch dramatischer Situation wir uns leider inzwischen befinden.

Immer wieder hat Frieling zusammen mit anderen Gläubigen in Lützerath protestiert und gebetet. Auch nach der Räumung will sie weiter vor Ort sein und demonstrieren. Bei der Initiative „Kirche(n) im Dorf lassen“ gibt es weiterführende Infos zu den Geschehnissen vor Ort.

Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich (@AnnaHeinr), hat auf Instagram ihre Solidarität mit den Klimaschützern ausgedrückt:

Danke! Allen, die sich gewaltlos für Klimaschutz, für Klimagerechtigkeit, für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Im Gebet, auf der Straße und in der Politik. Wir brauchen Orte wie die Eibenkapelle, die Hoffnung geben und Kraft zum beherzten Handeln gegen die Klimakatastrophe, auf die wir zurasen. Wir brauchen Menschen, die ihren Protest im Gebet, auf der Straße, in der Politik und manchmal auch in Baumhäusern stark machen.

Sie lobte auch die Initiative „Kirche(n) im Dorf lassen“, die in den vergangenen Monaten die Eibenkapelle als ökumenischen Ort des Widerstands genutzt hatte.

Weitere kirchliche Stellungnahmen

Auch aus den Reihen der leitenden Geistlichen wurde zur Situation in Lützerath Stellung bezogen. So hat die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus in ihrem Amt als Präses der Westfälischen Landeskirche (EKvW, @ekvw_online) diese Stellungnahme veröffentlich. Darin fordert sie alle Beteiligten zu einem friedvollen Umgang miteinander auf.

Kurschus bekundete „Respekt vor allen, die friedlich von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen und sich für einen ambitionierten Klimaschutz in NRW engagieren“. Richtig sei aber auch, dass der Staat die Aufgabe habe, bestehende Rechte durchzusetzen. Deshalb habe sie den gleichen Respekt vor Polizei und Behördenmitarbeitenden, die für diesen Grundsatz einstünden. Sie forderte die Aktivisten und Braunkohlegegner auf, „diesen Respekt auch im Protest gegen die Räumung zu wahren und zu zeigen“.

Weihbischof Rolf Lohmann ist bei der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für Umwelt- und Klimafragen zuständig. Er wird in einer Pressemitteilung in Bezug auf Lützerath wie folgt zitiert:

„Die Bewahrung der Schöpfung ist ein Kernbestandteil des christlichen Glaubens. Von daher sind Maßnahmen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die zum Klima- und Umweltschutz oder zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen, dringend notwendig und zu unterstützen.“

Und auch Thorsten Latzel (@Thorsten_Latzel), Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR, @ekir_de), auf deren Gebiet Lützerath liegt, ruft vor allem zur Gewaltlosigkeit auf. Er verstehe den Protest, weil sich seine Kirche „seit Jahrzehnten nachdrücklich für die Bewahrung der Schöpfung und eine konsequente Klimapolitik“ einsetze. Gleichzeitig warnt er vor „Spirale der Gewalt“ und hofft darauf, dass alle Menschen vor Ort sich gegenseitig wertschätzend begegnen.

„Friedliche Proteste sind ein grundlegender Baustein unserer Demokratie. Zu einem glaubwürdigen Rechtsstaat und einem respektvollen gesellschaftlichen Miteinander gehört aber auch, dass eingehalten wird, was in demokratischen Prozessen vereinbart worden ist.

Deswegen respektieren wir die rechtsstaatlich errungenen Entscheidungen. Der entsprechende Kompromiss wurde schmerzlich errungen. Es ist ein wichtiger Erfolg, dass der Ausstieg aus der Braunkohlewirtschaft vorgezogen und der weitere Abbau begrenzt werden konnte. Lützerath ist der letzte Ort, der abgebaggert wird.“

nachgefasst

Kretschmann lobt Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in katholischer Kirche – Henning Otte (SWR Aktuell)

Eine eher seltene Meinung dieser Tage vertritt der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann in der SWR-Sendung „Zur Sache Baden-Württemberg“. Er erklärte, dass die katholische Kirche die Aufarbeitung der sexuellen Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche „im Großen und Ganzen“ richtig mache: „Die meisten Bischöfe machen das wirklich sehr sorgfältig.“

Er appellierte an die Katholiken, sich nicht ganz von der Kirche abzuwenden. Wenn man sich etwa sehr daran störe, dass in der katholischen Kirche Frauen nicht zum Priester geweiht würden, könne man in die evangelische Kirche wechseln. „Man muss nicht einfach austreten, man kann auch in eine andere Konfession übertreten.“ Kretschmann stellte zugleich klar: „Ich bin ein ganz überzeugter Vertreter, dass Frauen Priester werden können. Das wir uns nicht missverstehen.“

Ob ein Wechsel von der katholischen zur evangelischen Kirche für viele Christen so einfach ist, sei mal dahingestellt. Die Unterschiede sind vielleicht doch größer als nur das Priestertum der Frauen. In der Sendung verglich Kretschmann die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche außerdem mit dem Holocaust. „Abstrus“ findet diesen Vergleich der baden-württembergische FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und kritisierte Kretschmann scharf.

Buntes

Religion und Regime unterscheiden: Der Islam ist nicht an allem schuld – Mohamed Amjahid (taz)

Gerade jetzt zu dieser Jahreszeit liest taz-Autor Mohamed Amjahid (@mamjahid) immer wieder von Demonstrationen in Nordafrika und im Nahen Osten. Zwischen Dezember und März jähren sich nämlich viele Ereignisse im Zusammenhang mit der Revolution in diesen Teilen der Welt. Das Problem: Die Artikel sind oft voll mit Vorwürfen und Islamfeindlichkeit.

Der Arabische Frühling (wie ihn Ahnungslose nennen) sei gescheitert, überhaupt seien die Motive der De­mons­tran­t*in­nen nicht gut gewesen, schon gar nicht feministisch oder emanzipatorisch. Es hat mich mehr als zehn Jahre gekostet, um in diese Denke einzusteigen und zu verstehen, was dahintersteckt.

Die Schlussfolgerung „Der Islam ist schuld“, die leider oft und schnell gezogen würde, sei einfach falsch und viel zu kurz gedacht, so Amjahid. „Radikale Auslegungen des Glaubens spielen freilich in der Region eine Rolle, es waren und sind aber weltliche Regime, die auf Menschen schießen lassen.“ Diese Auslegung ist vor allem hier in Deutschland ein Problem, so der Autor, denn vor Ort erzählen die Menschen ihre Geschichte weiter, so wie sie sie erlebt haben.

Erzbischof Gänswein: Ehemaliger Papstsekretär sorgt für Wirbel – Jürgen Erbacher (ZDF)

Diese Woche erschien in Italien das neue Buch von Georg Gänswein, dem Privatsekretär des gerade verstorbenen Papst emeritus Benedikt XVI. „Nichts als die Wahrheit“ heißt es und hat schon vorab für ordentlich Medienrummel gesorgt.

Vorab veröffentlichte Auszüge ließen eine Generalabrechnung mit dem amtierenden Papst erwarten sowie einen Beleg dafür, dass es erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Benedikt XVI. und Franziskus gegeben habe. Liest man die 336 Seiten, die bisher nur auf Italienisch vorliegen, wird deutlich, das Buch taugt nicht dazu, einen großen Keil zwischen die beiden Päpste zu treiben.

Gänswein wolle mit dem Buch vielmehr Entscheidungen von Benedikt verteidigen, erklärt der ZDF-Vatikankorrespondent Jürgen Erbacher (@JuergenErbacher). Zum Beispiel seinen Umgang mit dem Missbrauchsskandal oder seinen immer noch umstrittenen Rücktritt. Außerdem gibt es Einblicke in den Alltag des verstorbenen Papstes.

Nur an wenigen Stellen lässt er durchblicken, dass es einen offenen Dissens zwischen Ratzinger und seinem Nachfolger gegeben habe. Dazu gehört etwa die Einschränkung der Feier der Messe nach dem alten tridentinischen Ritus durch Franziskus, nachdem Benedikt XVI. hier Lockerungen verfügt hatte.

„Franziskus kommt gut weg, dafür erfahren Leser Details über Benedikt, die zumindest gewöhnungsbedürftig sind“, erklärt Benedikt Heider (@_DerHeidi_) bei katholisch.de und schreibt ein paar dieser Details auch auf. Sehr kritisch reagiert – wenig überraschend – der Theologe Paul Zulehner (@PaulMZulehner) beim ORF und auf seinem Blog auf Gänsweins Buch.

Zwei Kommentare wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten haben die Tagespost und der SWR zum Buch von Georg Gänswein veröffentlicht. Sieht Guido Horst von der katholischen Tagespost (@DieTagespost) Gänswein eher als Opfer, der von seinem italienischen Verlag benutzt wurde, um das Buch als Skandalbuch zu pushen, stellt Martin Rupps für den SWR Gänswein als rachsüchtigen Verräter dar. Gänswein selbst soll die frühe Veröffentlichung des Buches noch versucht haben zu verhindern, berichten übereinstimmend mehrere katholische Medien.

Predigt

Lob des Zweifels – Stefanie Schardien (Wort zum Sonntag, ARD)

In ihrem „Wort zum Sonntag“ spricht Stefanie Schardien ein Lob des Zweifels angesichts der Räumung von Lützerath. Wer sind denn eigentlich „die Guten“ bei diesem Konflikt: Die Aktivist:innen, die Politiker:innen oder gar die Polizei? „Alle“ meint Schardien und wirbt dafür, „einen Schritt von den eigenen Überzeugungen zurückzutreten“ und Zweifel zuzulassen.

Schardien, Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (@elkb) und seit 2019 Sprecherin beim „Wort zum Sonntag“, gilt als eine mögliche Kandidatin für die Nachfolge von Heinrich Bedford-Strohm im Amt des bayerischen Landesbischofs. Der Wahlvorschlag des Wahlvorbereitungsausschusses soll am 10. Februar der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Ein guter Satz

„Was passieren soll, wird passieren, was nicht, das eben nicht. Ich mache mich nicht verrückt und damit lebe ich sehr gut. Ich brauche deshalb auch keine Selbstliebe-Rituale. Ich habe meine Religion, die mich erfüllt.”

– Ismahan Ahmed, Model und Stylistin. In diesem Glamour-Artikel spricht die 26-jährige Wahlberlinerin über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung, ihre Entscheidung ein Kopftuch zu tragen und über ihre Religion.


Mitarbeit: Philipp Greifenstein