Prozessual – Die #LaTdH vom 8. September

#SchickteinSchiff oder doch nicht? Die EKD und die Kanzlerin am Scheidepunkt. Außerdem: Nachrichten aus der US-amerikanischen katholischen Kirche und zwei Präsidenten auf Reisen.

Debatte

#SchickteinSchiff

Am Wochenende beriet der Rat der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) darüber, ob nun tatsächlich ein Schiff zur Seenotrettung im Mittelmeer mit Mitteln der EKD beschafft wird. Beim Kirchentag wurde dies gefordert. Zum aktuellen Stand wird der EKD-Ratsvorsitzende @landesbischof Heinrich Bedford-Strohm am Donnerstag in der Bundespressekonferenz informieren, wie er auf Facebook bekannt gab.

In den vergangenen Tagen hatten sich tausende Christ*innen mit aufmunternden Nachrichten an ihn und die anderen Mitglieder des Rates gewendet. Und tatsächlich: Dass die EKD ein Rettungsschiff (co-)finanziert ist würdig und recht. „Put your money, where your mouth is“, Seenotrettung ist praktische Verwirklichung der evangeliumsgetreuen Mahnungen, die beide Kirchen seit Jahren in Richtung der Politik senden.

Die „private“ Seenotrettung und der damit verbundene Druck auf die EU-Regierungen muss solang aufrechterhalten werden, bis die Regierungen Europas sich endlich auf eine menschwürdige Einwanderungspolitik verständigt haben und selbst die Rettung und Überführung von Flüchtlingen und Migranten übernehmen.

Stunden der Entscheidung: Angela Merkel und die Flüchtlinge

Ein Spielfilm des ZDF behandelt die Entscheidung der Bundeskanzlerin, im Sommer 2015 die Grenzen des Landes nicht vor ankommenden Flüchtlingen zu schließen. Unter der Woche wurde daran anknüpfend wieder heiß über die Termine „Grenzschließung“ und „-öffnung“ diskutiert. Eine Grenze, die offen ist, kann man nicht öffnen, sondern ggf. nur schließen. So viel dazu.

Eine andere Debatte dreht sich um das schwierige Verhältnis von Realität und Fiktionalität historischer Ereignisse, besonders wenn sie eben gar nicht so lange zurück liegen und die Protagonisten sehr lebendig sind. So scheint der Film bei Angela Merkel selbst nicht sonderlich gut angekommen zu sein.

Begleitet wurde die Austrahlung auch von einer seltsamen Debatte, die den 4. September 2015 mit dem 11. September 2001 und anderen zum Symbol gewordenen Daten parallelisierte. Schaut nur alle her, hier wird Geschichte zum Ereignis! Ja, es gibt Daten die Wendepunkte der Geschichte werden. In der Rückschau. Seit 2015 aber haben die von Angela Merkel geführten Bundesregierungen das Asyl- und Einwanderunsgrecht x-mal verschärft, ist die Debatte in Deutschland unter dem Einfluss von Rechts völlig gekippt. Für was also soll ein einzelnes Datum vor vier Jahren stehen?

Nein, Geschichte entfaltet sich immer im Prozess. An noch so unscheinbaren Daten und Orten wäre und ist Widerspruch nötig (gewesen). Der Emphase von Jahrestagen muss sich entziehen, wer stetig und immer wieder an der Verbesserung der Zustände arbeiten will. Denn sie gereichen vor allem zur Ablenkung.

prozessual

Ob die EKD nun mit Kirchenmitteln ein Schiff (co-)finanziert, ist nicht die historische Frage der Stunde. Sondern, ob es Europa gelingt, seine Werte mit Taten zu füllen, oder ob es sich an seinen Grenzen weiterhin verfehlt. Darum geht es. Christ*innen sollten für eine menschwürdige Grenz- und Migrationspolitik eintreten, jeden Tag.

Nicht zuletzt tragen wir vom Evangelium her Rüstzeug mit, dass uns prozessuales Denken und Handeln lehrt. Das Reich Gottes ist in Jesus Christus angebrochen und harrt doch seiner vollständigen Entfaltung. Mit der Auferstehung ist neues Leben in die Welt gekommen, das erst noch blühen wird.

nachgefasst

Ein polnischer Tag – Rosalia Romaniec (Deutsche Welle)

Vom Gedenken an den Beginn des 1. Weltkrieges am vergangenen Sonntag berichtet Rosalia Romaniec für die Deutsche Welle und arbeitet die Unterschiede zwischen dem persönlichen Gedenken inkl. Bundespräsident in der Stadt Wielún am Morgen und dem Staatsakt am Nachmittag inkl. Bundespräsident und US-Vize-Präsident heraus.

„Ich verneige mich vor den Opfern des Überfalls auf Wieluń. Ich verneige mich vor den polnischen Opfern der deutschen Gewaltherrschaft. Und ich bitte um Vergebung“, sagte der Bundespräsident und wiederholte die drei Sätze auf Polnisch. Dieser Wechsel von der für polnische Ohren hart klingenden deutschen Sprache in das vertraute Polnisch, so dass alle auf dem Platz die Botschaft des Gastes verstanden – das war womöglich der ergreifendste Moment des Gedenktages.

Im Theologischen Feuilleton feinschwarz.net schreibt die Redakteurin Birgit Hoyer über ihr persönliches Kriegsende 2019.

Frieden

Die kommende Synode der EKD wird sich mit dem Frieden in der Welt befassen. Dazu hat die EKD ein wirklich sehr umfangreiches Lesebuch gemeinsam mit der Evangelischen Verlagsanstalt (EVA) zur Verfügung gestellt, in dem zahlreiche Forscher*innen und Praktiker*innen des Friedens aus dem Raum der evangelischen Kirchen zu Wort kommen.

The Viganò Letter, One Year Later – Massimo Faggioli (Commonweal Magazine, englisch)

Ein wirklich klassisches nachgefasst hat Massimo Faggioli (@MassimoFaggioli) im Commonweal Magazine über die Nachwirkungen des Briefs von Erzbischof Viganò geschrieben. Der Erzbischof hatte vor einem Jahr Papst Franziskus zum Rücktritt aufgefordert. Es entspann sich eine leidenschaftliche Debatte zwischen den Verteidiger*innen des Papstes und seinen (us-amerikanischen) Gegnern. (In der Eule dazu ein faktenreiches Contra zum Viganò-Schreiben von Andrea Tornielli.)

So, we’re still in the middle of things, with no way of knowing what will transpire five or ten years from now. Formal separations in the Catholic communion do not occur overnight. But in a sense, the U.S. Catholic church is already fragmented, with parts of it further separated from the papacy of Francis, and some of those also separated from one another. There’s another Synod coming up, this one on the pan-Amazon region. Might it provide the occasion for the rifts to widen more?

Buntes

Sommerreise durch den Osten Deutschlands – Ulrich Lilie (Ulrich Lilie bloggt.)

Der Präsident der Diakonie ist ein fleißiger Blogger und schreibt Eindrücke von seiner Sommerreise durch den Osten der Republik. Das ist auch nach den Landtagswahlen von letzter Woche instruktiv und lesenswert.

In Sachsen und Brandenburg durfte ich erleben, wie schwierig das Ringen um das demokratische Gemeinwesen ist, und wie aufwändig die Arbeit mit einzelnen Menschen, damit sie nicht abrutschen. Statt oberflächlicher Schlagzeilen durfte ich an diesen Orten in die vielschichtige Tiefe der Problemlagen blicken.

Theodore McCarrick Still Won’t Confess – Ruth Graham (Slate, englisch)

Die Reporterin Ruth Graham hat sich den Rückzugsort des geschassten Ex-Kardinals Theodore McCarrick genau angeschaut und ganz zuletzt in ihrem langen Artikel den Verfemten selbst gesprochen. Gestehen will der Kardinal bis heute nicht, er erscheint im Bericht trotzdem auch als Opfer seiner selbst. So geht ein vormals glamouröses Leben im Zentrum religiöser Macht zu Ende.

In the summer of 2018, McCarrick also suddenly became the country’s most well-known accused perpetrator of clerical sexual abuse. In June of that year, the Vatican abruptly removed him from public ministry, citing a credible accusation of sexual misconduct against a teenage altar boy in the 1970s. (The statute of limitations for the crime he is accused of had expired.) McCarrick resigned as a cardinal, the first in history to do so over allegations of sexual abuse.* Meanwhile, it emerged that some in the church hierarchy had known for decades about some of the accusations, that at least two accusations had resulted in settlements, and that rumors about him were widespread in Catholic circles.

Ein guter Satz

„Der Augenblick ist jenes Zweideutige, darin Zeit und Ewigkeit einander berühren.“

– Søren Kierkegaard