Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt
Für die 1 % gelten andere Regeln als für das gemeine Volk. Wer weniger Moral will, soll mehr zahlen. Eine Glosse.
Quod licet Iovi, non licet bovi – „Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt“: Das lateinische Sprichwort gehört zu den enervierendsten Sätzen, die ich aus dem Munde eines Lehrers je gehört habe. Für Lehrer:innen und Schüler:innen sollen unterschiedliche Regeln gelten? Seriously?
Dass in der Welt mit zweierlei Maß gemessen und dabei auf den Status der handelnden Personen geachtet wird, ja, ein besonderer vom „einfachen Volk“ unterschiedener Status angenommen und zementiert wird, gehört zu den Learnings, die man als Kind und Jugendlicher schnell macht. Ob die eigentliche Handlung gerecht und gut ist, tritt vollends in den Hintergrund. Die Handelnden werden den für alle geltenden Regeln enthoben, Machtpositionen rhetorisch verbarrikadiert.
Nun gibt es in unserer Demokratie zum Glück keine Adelsprivilegien mehr, die Menschen qua Geburt höheren oder niedrigeren Status zuschreiben. Nicht nur in der römisch-katholischen Kirche tobt derzeit eine (Meta-)Diskussion über „Klerikalismus“: Die letzten an den Priesterstand gebundenen Vorrechte werden infrage gestellt. Es fühlt sich für viele Menschen einfach nicht mehr richtig an, dass Geburt oder Weihe über den Wert von Menschen bestimmen.
Statusunterschiede sind vollständig säkularisiert: Göttliches Geblüt und religiöse Weihen zählen nicht mehr. Was uns in der Breite der Gesellschaft noch geblieben ist, ist das von vielen achselzuckend zur Kennntis genommene „Wer hat, der kann“. Denn natürlich gelten für die high society, die oberen 10 000, die 1 % andere – vornehmlich weniger – Regeln als für den gemeinen Plebs. Freiheit und Verantwortung – gell?
In Zeiten des Überflusses leistet sich der Demos gern eine unterhaltsame Oberschicht, deren lustiges Treiben man in den Klatschmedien nachverfolgen kann. Die verbliebenen europäischen Königshäuser legen viel Wert darauf vorzurechnen, was sie für die ihnen gewehrten Apanagen alles leisten: Sie betreiben Wirtschaftsförderung, spielen Maskottchen für Gemeinsinn und ehrenamtliches Engagement, symbolisieren „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ und legitimieren staatliche Prozesse. Legitimiert aber sind sie nicht mehr (allein) durch Gottes Gnaden, sondern weil der großzügige Plebs ihnen diese Rolle zuweist.
Die Währung in diesem Tauschgeschäft ist moralisches Wohlverhalten, weshalb moderne Dynastien in die Krise geraten, wenn sich ihre Vertreter:innen nicht vorbildlich, sondern verwerflich benehmen. Das gilt sowohl für den römischen Klerus als auch für das britische Königshaus – und auch für den Landadel der Demokratie, den wir uns in Deutschland kultivieren: Die „Leistungsträger“ aus Politik und Wirtschaft, die in Ermangelung eines eigenen Blutadels neben den importierten Royals die Klatschspalten des Landes beherrschen.
In längst vergangenen Zeiten rettete sich das Volk bei Krieg und Hungersnot in die Burgen seiner Herren oder hinter Klostermauern. „Ich bin froh, dass wir bombardiert worden sind. Jetzt können wir den Leuten im East End in die Augen sehen“, kommentierte die damalige Queen Consort des britischen Empire, die spätere Queen Mum Elizabeth Bowes-Lyon, die von ihr als großen Gleichmacher richtig identifizierte teilweise Zerstörung des Buckingham Palastes im deutschen Bombenhagel. Heutige Royals verpacken Hilfspakete für Obdachlose oder Kriegsflüchtlinge: „Wir sitzen doch alle im selben Boot!“
Nope. Es gibt in der Welt Luxusyachten, Fähren und die Schlauchboote der Flüchtlinge. Wir sitzen nicht alle im selben Boot. Tatsächlich sind während der Corona-Jahre die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer geworden, die deutsche Mittelschicht ist sowieso prekär. Das liegt vielleicht auch daran, dass sich die Deutschen für reicher halten, als sie es tatsächlich sind. Oder wie erklären Sie sich, dass es in Deutschland keine solide politische Mehrheit für die gerechte Besteuerung extrem hoher Einkommen und Vermögen gibt? Die Mittelschicht lässt die Royals davonkommen, weil sie Angst hat, mitgemeint zu sein.
In der Krise müssen wir alle die Gürtel enger schnallen. Blöd nur, wenn man schon auf dem letzten Loch pfeift. Dann muss halt die gute alte Gürtellochzange wieder ran! Oder aber – ein verwegener Gedanke – wir beteiligen wirklich alle, auch die Jupiter, an den entstehenden Kosten. Solidarprinzip und so. Ein Angebot an den Geldadel des Landes: Wenn alle ihren fairen Anteil zahlen, dann können wir uns auch den moralischen Furor sparen.