Warum der Esel Martin heißt, Coverdetail (Gütersloher Verlagshaus)
Rezension Kultur

Fourschbar!

Der Kabarettist Uwe Steimle schreibt über Luther. Die Lektüre von „Warum der Esel Martin heißt“ gerät zur Besichtigung eines Geschäftsmodells.

In der Lutherstadt, in der ich wohne, gibt es einen Buchladen. Ein Schaufenster ist den Erscheinungen rund um Luther und das Reformationsjubiläum gewidmet. Darin befindlich, so mancher Bestseller der letzten Monate und eben auch dieses Büchlein, Uwe Steimles „Warum der Esel Martin heißt“ überschriebene Neuigkeiten vom Reformator.

Dass es sich dabei weder um ein (poupulär-)wissenschaftliches Werk, noch um einen nachdenklichen Beitrag zur Wirkungsgeschichte der Reformation handelt, vermittelt schon das Cover. Meine Erwartung war vielmehr, dass hier der Versuch unternommen wird, dem Reformator etwas Witz abzuringen und auf der Welle des Jubiläumsbetriebs zu surfen.

„Es wird hier alles vermarktet. Es wird alles zu Geld gemacht. Das ist mir aufgefallen. Sehr schön wird die Stadt [Wittenberg] hergerichtet, aber was die alles hier zu Geld machen, meine Fresse, wenn das der Luther wüsste …“ – Uwe Steimle

Der ohnehin schon übervolle Büchermarkt wird derzeit von Luther-Büchern überschwemmt. Noch jede und jeder, so scheint es, hat etwas zum Reformator beizutragen. Da darf es gerne auch menscheln, persönliche Zugänge sind gefragt.

Und die Bücher scheinen sich, allen Unkenrufen aus dem Verlagswesen zum Trotz, doch anständig zu verkaufen. Mit Luther lassen sich Geschäfte machen. Daran ist nichts Ehrenrühriges, entspricht das Produkt der werbenden Beschreibung.

Steimles Werk hat mit einem Buch allerdings nur gemein, dass es sich dabei um zwischen zwei Buchdeckel geheftetes Papier handelt. Der Autor lobhudelt, ja beschwört die Schönheit der deutschen Sprache fortlaufend, er erweist sich jedoch als unfähig oder unwillens, auch nur einen schönen deutschen Satz in sein Büchlein hineinzuschreiben. Das Geschriebene hat überhaupt keine Form. Gelegentlich hat man das Gefühl, eine nur versehentlich ausgelieferte Druckprobe in den Händen zu halten.

Während das Werk in meinem Bücherregal der Lektüre entgegenwartete, gärte in mir die Befürchtung, bei der kommenden Rezension allzu schnell ins Fach der Gesinnungskritik abzurutschen. Genährt wurde diese meine Sorge durch die zahlreichen Auftritte des ehemaligen Polizeiruf-Kommissars in seinem Haussender MDR.

Dort befleißigt er sich in eigenen Sendungen der Heimatliebe und des Kalauervertriebs. Legendär sein Auftritt in der hiesigen Freitagabendtalkshow Riverboat, den er zu einer PEGIDA-Apologie nutzte. Der anständige Rezensent, so viel habe ich gelernt, hält sich bei der Kritik der Gesinnung des Autors zurück, er orientiert sich an litarischen Maßstäben. Also:

Das Werk beinhaltet eine lose Sammlung unterschiedlicher Texte, von denen die meisten als Begleitkommentar zu einer Fernsehsendung Steimles zu verstehen sind. In diesen kurzen Glossen rekapituliert Steimle Besuche bei Menschen, die er mit seiner Fernsehmannschaft (bei Steimle selbstredend „kleines Fernsehkollektiv“ genannt) besucht hat.

Es ist ein einziges Geschwätz, ja selbst mit der Zuschreibung Plauderton täte man dem Geschriebenen zu viel der Ehre an. Auch die Plauderei hat eine Form, Anfang, Ende und Sinn und Richtung. All das geht den sich selbst als Reportagen missverstehenden Textchen ab. Sich mit Steimles Geschriebenem zu beschäftigen, bedeutet eine reziproke Zeitverschwendung. Unmöglich kann in die Herstellung solcher Texte Mühe und Zeit, gar Bedacht und Sorgfalt geflossen sein.

Außerdem im Werk enthalten ist eine „Predigt“, oder vielmehr Wutrede, die Steimle auf der Kanzel der Wittenberger Stadtkirche im Juni 2015 gehalten hat. Doch selbst um eine Rede handelt es sich dabei nicht. Eine Rede stellt die in ihr verwendeten rhetorischen Mittel in den Dienst eines, am besten für den Hörenden und Lesenden wahrnehmbaren, Interesses. Nüscht.

Steimle würgt und speit die Wörter nur so aus. Sollte da der von den Lutherkanzeln sattsam bekannte Luther-Flash im Spiel gewesen sein? Selbst dann dürfte man doch wohl erwarten, dass Steimle sich an den großen Predigern und nicht zuletzt Luther selbst ein Beispiel nähme, und die „Kanzelrede“ für den Druck bearbeitet. Ein Lektorat ist im Buch nicht ausgewiesen. Dabei kann es sich nur um eine gesichtswahrende Auslassung von Seiten des Verlags handeln. Nur so am Rande: So schlecht kann die evangelische Predigtkultur gar nicht werden, dass man durch derlei Gast-„Reden“ gewönne.

Den größten Raum des Gedruckten nimmt das Wort-für-Wort-Protokoll eines Gesprächs des Autors mit dem Theologen und Pfarrer i.R. Friedrich Schorlemmer ein. Dort angekommen, hatte ich das dringende Bedürfnis nach ein paar schorlemmerischen Sätzen. Viel ist über Schorlemmer gesagt und geschrieben worden, doch nie, dass er es nicht vermag, das Wort zu führen. Davon kündet nicht zuletzt sein eigenes litarisches Werk, das aus mehreren lesbaren und lesenswerten Büchern besteht. Dass er seine Zustimmung zu diesem Abdruck gegeben haben soll oder könnte, unbegreiflich.

Auch hier verzichtet Steimle auf jeden redaktionellen Eingriff, noch jedes „So.“ und jedes emphatische Ausrufezeichen (aller drei Sätze) ist im Text verlieben, genauso wie die kreuzdämlichen und den Gesprächs- und Lesefluss störenden Einwürfe Steimles, von dem man während der Lektüre den Eindruck gewinnt, er wäre überhaupt nicht im Stande, an einem normalen Gespräch teilzunehmen, geschweige denn es zu führen. Sind das die Nachwirkungen dessen, dass seine Zielgruppe im Sendegebiet vom Parkett herauf bis heute treulich seinen Kabarettprogrammen lauscht?

Der Autor stellt seinem Werk reichlich pathetisch eine eigene These als Widmung voran, die im Verlauf des Werks, wie so vieles, noch mehrmals wiederholt wird (striche man die Widerholungen innerhalb des Geschriebenen heraus, gewönne man mehrere Seiten wertvollen Papiers). Sie lautet: „Meine Kirche ist der Mensch. Meine Religion ist der Zweifel.“ und ist der von Steimle verfasste Psalm 97 mit dem Titel „Demut“.

Eben jene geht dem Autor in jeder Zeile ab. Warum überhaupt etwas sagen? Und dann auch noch zu Luther, von dem der Autor erkennbar nichts weiß und nichts wissen will? Warum auch dann noch schnattern, wenn diejenigen, die er zum Gespräch geladen oder besucht hat, dran wären? Warum nicht einfach einmal die Klappe halten?

Diese Konsumententäuschung lässt sich zureichend aus dem Bedürfnis nach Umsatzbeteiligung am Jubiläumsgeschäft und der dem Autor eigenen narzistischen Kränkung erklären. Doch ist dieses Werk ja nicht im Selbstverlag erschienen, sondern in einem renommierten Verlag, der vor allem christliche Publizistik betreibt. Und es baut auf einer Sendereihe des Mitteldeutschen Rundfunks auf, eines öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramms, das durch den Rundfunkbeitrag finanziert wird.

Deshalb komme ich nicht umhin, doch noch auf einige im Werk vertretenen Positionen zurückzukommen. Die Medienlandschaft, der Steimle sein Auskommen verdankt, bezeichnet er gleich zu Beginn in Form einer These als so „gleichgeschaltet“, wie sie zu DDR-Zeiten nie gewesen sei. Überhaupt empfindet er die Demokratie der BRD-Gesellschaft als weitaus schlimmer als die vormalige Diktatur der Arbeiterklasse.

Seine Kollegen von den Öffentlich-Rechtlichen nennt er „kapitalistisches Staatsfernsehen“, eine Kollegin gar „Besatzungsmoderatorin“. Englisch gilt ihm als „Besatzersprache“, Großbritannien und die USA sind folgerichtig „Sprachbesatzer“.

Überhaupt: „Bis 1989 wurde die Welt noch verändert, jetzt wird sie nur noch interpretiert“, schreibt er in Anlehnung an Marxens 11. These über Feuerbach. Wo und wie hat der Mann das letzte Vierteljahrhundert gelebt? Einen solchen Satz kann nur schreiben und meinen, wer von den Veränderungen seit der Wende keine Ahnung hat und nicht haben will. Und so geht es in einem fort, gut verquirrlt mit jenem Dialektderivat („Dor Sachse sagt …“, „Fourschbar!“), das nicht nur Steimles Geschäftsgrundlage in den Kulturhäusern und Fernsehstuben des Landes ist.

Ich habe mich bei der Lektüre gelegentlich gefragt, ob mir nur einfach der Witz des Geschriebenen nicht aufgeht? Kabarett soll doch wohl lustig sein, auch seine pädagogische, deutsche Variante? Mit viel gutem Willen kann man der Lektüre dieses Werkes kathartische Wirkung zuschreiben. Dieses Werk gleicht Pegida nicht nur inhaltlich, sondern auch ontologisch. Hier findet der Pegidist Bestätigung für das, was er schon immer wusste.

Zu den körperlichen Schmerzen, die sich mir auf Grund der Schreibe einstellten, trat zunehmend absolute Fassungslosigkeit darüber, wie so ein Werk überhaupt entstehen und erscheinen konnte. Bitte nicht falsch verstehen: Selbstverständlich darf man das alles sagen und schlecht aufschreiben. Aber warum sollte man es? Nein, der Körper nimmt hier gar nichts gut an, die gut 17 € sind in Luther-Knackern besser angelegt.

(Dem Autor wurde vom Verlag ein kostenloses Rezensionsexemplar zu Verfügung gestellt.)


Warum der Esel Martin heißt –
Neues von Martin Luther
Uwe Steimle
Gütersloher Verlagshaus
160 Seiten
16,99 €