Der Care-O-bot 4 in Aktion, Foto: Fraunhofer IPA Stuttgart

Sind Pflegeroboter in der Diakonie eine gute Idee?

Immer mehr Menschen sind in unserer Gesellschaft auf professionelle Pflege angewiesen. Können Roboter dabei helfen – und welche Grenzen gibt es beim Einsatz von Pflegerobotern in Diakonie und Caritas?

Seit über 50 Jahren steigt die Lebenserwartung der deutschen Bevölkerung statistisch verlässlich und kontinuierlich an. Darüber darf man sich freuen. Wir leben gesünder und länger. Doch leben wir auch zufriedener? Angesichts der prekären Lage im Pflegesektor mag vielen die Aussicht, länger zu leben, wie ein Pyrrhussieg erscheinen. Denn wer möchte zwar lange leben, das aber in unterfinanzierten Pflegeeinrichtungen mit einem Personal, das chronisch unterfinanziert, überarbeitet und überlastet ist?

In Japan, wo die Bevölkerung noch gravierender mit der Überalterung der Gesellschaft konfrontiert ist, versucht man diesen drei Herausforderungen – körperliche Überlastung, Unterbezahlung von Pflegekräften und ungesunde Arbeitszeiten – mit technischer Innovation zu begegnen. Wie im Restaurant, in der Schule oder bei Wartungsarbeiten sieht man in Maschinen die Lösung für den Pflegenotstand. Das ist zunächst einmal nicht verwunderlich, denn Roboter leiden nicht unter Rückenschmerzen, fordern keine Lohnerhöhung und fahren nicht in den Urlaub. Zwar kosten Roboter in Herstellung und Instandhaltung Geld, doch möglicherweise lassen sich nicht nur Personalprobleme lösen, sondern sogar Kosten drücken.

Kein Wunder also, dass auch europäische Pflegeeinrichtungen aufmerksam beobachten, welche Innovationen die Technik bereithält. Konfessionelle Einrichtungen können es sich schon aus ökonomischen Gründen, und weil sie mit demselben Pflegenotstand konfrontiert sind wie alle anderen auch, nicht leisten, die Augen vor Pflegerobotern zu verschließen. Und wollen dies auch nicht: Auf der Tagung der Diakoniewissenschaften diesen Frühling machten einige Stimmen aus der Praxis deutlich, dass die Diakonie sich eine Steigerung der Lebensqualität in ihren Einrichtungen erhofft, wenn die Robotik dort Einzug hält.

Was Roboter in der Pflege (nicht) können

Dass Hoffnung und Bedenken bei Robotern oft in einem Atemzug genannt werden, ist kein Wunder. Die Potenziale sind riesig, doch zugleich haben uns unzählige Dystopien von George Orwell und E. M. Forster bis Wall-E und Kubricks HAL 9000 gelehrt, allzu autonome Technik zu fürchten.

Vielversprechend sind zunächst die Anwendungsbeispiele und versprochenen Erleichterungen, die Roboter bieten. Sie geben zuverlässig Medikamente, sie können Mobilität fördern als Begleiter wie auch als maschinelle Muskelverstärkungen. TUG und Care-O-Bot kann man dabei beobachten, wie sie Medikamente und andere Güter durch die Einrichtung transportieren. HelpMate unterstützt Pflegekräfte beim Heben, Umlagern und Umsetzen. Roboter wie Pearl halten Informationen bereit und tun dies Tag und Nacht und ohne Wartezeit. Cody und Robear helfen Patient:innen beim Waschen und unterstützen sie bei physischen Aufgaben. Roboter spielen, unterhalten, lassen sich drücken und fördern mentale Fitness. Paro, eine plüschige Roboterrobbe, reduziert nachweisbar Stress und Unwohlsein bei Bewohner:innen von Pflegeeinrichtungen.

Manche Menschen haben einen natürlichen Beißreflex, wenn sie hören, es könnten eines Tages Roboter durch die Flure von Pflegeeinrichtungen rollen. Bei allen berechtigten Bedenken empfiehlt es sich, dem Impuls nicht nachzugeben, Roboter kategoriell als nicht-Menschen für unmenschlich zu halten. Es wäre gar ein kategorialer Fehler vom Einen aufs Andere zu schließen. Umsichtig eingesetzt gefährden sie nicht die Menschlichkeit, sie könnten sie in umfänglichem Maße fördern. Es empfiehlt sich daher zunächst einmal festzuhalten: Roboter haben das Potenzial Freiheit zu vergrößern, Einsamkeit zu lindern, Pflegenden das Leben zu erleichtern und das Leben aller Beteiligten zu bereichern.

Ebenso unklug wäre es, der Techindustrie den Pflegenotstand als besonders kniffliges Problem vorzulegen, das sie uns doch bitte lösen möge. Besonders schuldig haben sich Entwickler:innen in den letzten Jahren an der Datensouveränität ihrer Benutzer:innen gemacht. Vor diesem Hintergrund autonome, mit Kameras, Mikrophonen und anderen Sensoren ausgestattete Technik in der Intimsphäre unserer vulnerabelsten Mitmenschen zu platzieren, ist eine beängstigende Vorstellung und daher jede Sorge berechtigt.

Um zu funktionieren, müssen Roboter aber über Daten verfügen, die sie in Echtzeit analysieren. Wo sie alte und demente Menschen vor Unfällen und Verletzungen schützen sollen, ist ein beträchtliches Maß an Sensordaten notwendig. Doch wer bekommt diese Daten? Wo und wie lange werden sie gespeichert? Werden sie analysiert, um das Produkt besser zu machen? Wer hat Zugriff auf die medizinischen Akten, die Roboter bereithalten sollen? Der Grat zwischen Funktionalität und Datenmissbrauch ist ein schmaler und es ist bisher unklar, inwieweit das Eine überhaupt ohne das Andere möglich ist.

Ein automatisierter Pflegewagen, der von der Pflegekraft per Smartphone gerufen wird. Er benutzt eigenständig Fahrstühle. Foto: Fraunhofer IPA

Der Pflegeroboter als soziales Gegenüber?

Ein ganz grundsätzliches Problem stellt sich mit der Frage nach Social Robotics in der Pflege. Anders als hydraulische Arme, die Pflegenden beim Umbetten helfen, oder autonome Tablettenträgern, weisen Social Robots Eigenschaften auf, die sie als eigenständiges, soziales Gegenüber qualifizieren. Sie ermöglichen eine soziale Bindung, manche fordern sie sogar.

So ist es unmöglich, zu dem Plüschroboter Paro nicht eine irgendwie geartete emotionale Bindung aufzubauen. Ein sozialer Roboter muss sich als vertrauenswürdig und glaubwürdig qualifizieren, auf die Emotionen des Gegenübers reagieren und eine Persönlichkeitsstruktur suggerieren. Während nicht-soziale Roboter technische Assistenz anbieten, betreten soziale Roboter ein Feld, das zuvor Menschen und zu einem gewissen Grad spezialisierten Assitenztieren vorbehalten war.

In der Pflegelogik empfiehlt es sich daher mit Arne Manzeschke zwischen menschlicher Hilfe und technischer Assistenz zu unterscheiden. Pflege ist ein hochkomplexer und sozial vielschichtiger Prozess, der auf der Lösung von profanen technischen Herausforderungen genauso wie auf zwischenmenschlichen Beziehungen beruht. Während die Frage, ob Roboter für Ersteres geeignet sind, zweifellos mit Ja zu beantworten ist, scheint mir Letzteres noch völlig ungeklärt.

Die Integration von sozialen Robotern in die Pflege von Demenzpatient:innen zeigt, wie gravierend und diskussionsbedürftig dieser Schritt ist. Damit nämlich robotisierte Haustiere und Kuscheltiere, die dazu erdacht wurden, Aggressionen zu mindern und Einsamkeit zu lindern, akzeptiert werden, müssen Angehörige und Professionelle ein fragwürdiges Spiel spielen:

Umso mehr das soziale Umfeld suggeriert, man habe es hier mit einem ernstzunehmenden und bedeutungsvollen Gegenüber zu tun, umso wahrscheinlicher wird der soziale Roboter auch angenommen. Auch im Wissen, dass der Roboter Sozialität und Resonanz nur simuliert, wird eine Illusion geschaffen, um damit die demenzkranke Person ruhig zu stellen. Kritiker:innen fragen zurecht: Ist es vertretbar kranke Menschen derart zu infantilisieren? Welches Menschenbild kommt hinter einem solchen Umgang mit Demenzpatient:innen zum Ausdruck?

Der Serviceroboter erkennt Personen und bietet ihnen an, ein Getränk zu bestellen. (Projekt SeRoDi) Foto: Fraunhofer IPA

Herausforderung für das Selbstverständnis von Diakonie und Caritas

Diese Fragen gehören zum Professionsethos einer Institution. Das heißt: Mit welchen Augen werden Bewohner:innen ihrer Einrichtungen oder diejenigen, die zuhause gepflegt werden, gesehen? Darin stecken auch Einstellungen, ab wann ein Mensch gesund und krank ist, was für ein würdevolles Leben notwendig ist. Ob ein Mensch als Pflegefall und damit als ein Problem betrachtet wird, das es zu lösen gilt, oder im Sinne Antonovskys als ein unvollkommenes Wesen, das sich permanent auf einem weiten Spektrum von partieller Gesundheit und Gebrechlichkeit befindet, steht hier zur Debatte.

Konfessionellen Pflegeeinrichtungen wie Diakonie und Caritas stellen sich in dieser Hinsicht andere Fragen als ihren säkularen Pendants. Nicht weil sie irgendwie moralischer wären oder Sonderwirklichkeiten bedienen müssten, sondern weil ihr Selbstverständnis ein anderes ist und an christliche Traditionen und Institutionen sowie biblische Menschenbilder anknüpft.

Nach einer langen Phase, in der man in der Diakoniewissenschaft nach dem Proprium der diakonischen Pflege suchte – also nach etwas, das so nur die christliche Diakonie habe, und den säkularen Pflegeträgern fehle – spricht man heute vom Spezifikum der diakonischen Pflege. Es geht nicht mehr darum zu zeigen, wie man sich von der nicht-christlichen Pflege positiv abheben kann, vielmehr tritt die Diakonie mit einem starken Selbstbewusstsein auf, das sie auch aus dem Zuspruch der zunehmend nicht-konfessionellen Zivilgesellschaft gewinnt.

Unabhängig davon ob säkulare Träger diese Spezifika aufweisen oder nicht, verpflichtet sich die Diakonie in Deutschland in ihrem Leitbild auf ganz allgemeine menschliche Tugenden wie die Bereitschaft, Ausgegrenzten Gehör zu verschaffen, die Würde aller zu wahren, Menschen in Not beizustehen, den Sozialstaat zu gestalten und mitzutragen. Dieses Selbstbild leitet sie aus einem christlichen Selbstverständnis ab, ohne dabei jedoch selbst ein Proprium zu formulieren. Dass die Diakonie ihr Handeln nicht immer erst theologisch begründen oder überhöhen muss, liegt darin begründet, dass das Helfen per se christlich ist, und dieses Handeln nicht erst aus einem christlichen Bewusstsein heraus geschehen muss, um gutes Helfen zu sein.

Diese Minimalposition des Diakonischen, wie sie Christian Albrecht oder Herbert Hasslinger vertreten, geht manchen nicht weit genug. Heinrich Bedford-Strohm formuliert demgegenüber, dass es zum diakonischen Profil gehöre, prinzipiell und jederzeit Raum und Gelegenheit für spezifisch seelsorgliches Handeln zu eröffnen. Diakonie zeichnet demnach aus, dass ich hier immer erwarten darf, geistliche Angebote wie Seelsorge, Andachten, Abendmahl, etc. zu erhalten. So gesehen ist diakonische Pflege immer auch um die seelische und geistliche Verfassung bemüht und nicht allein darum, körperliches Leid zu mindern.

Pflegeroboter in der Diakonie: Eine gute Idee?

Können Roboter vor diesem Hintergrund einen Platz in konfessionellen Pflegeeinrichtungen finden? Immerhin sind diese bei allem Idealismus von derselben Pflegenot betroffen wie nicht-konfessionelle Träger.

Meine Antwort ist ein bedingtes: Ja. Ihre Chancen, unsere alternde Gesellschaft vor einer menschenunwürdigen Pflegesituation zu bewahren sind unübersehbar. Gerade im Blick auf diejenigen, die auf Pflege angewiesen oder in der Pflege beschäftigt sind, wäre es beinahe zynisch, notwendige Innovationen vorschnell zu diffamieren. Ich empfehle den Einsatz von Pflegerobotern in diakonischen Einrichtungen unter drei wesentlichen Gesichtspunkten zu erwägen:

Erstens ist aus diakonietheoretischer Sicht unerheblich, welche Gesinnung Roboter tragen. Wie auch bei menschlichen Pflegenden ist es unerheblich, ob sie ihr helfendes Handeln christlich begründen. Wir müssen diakonische Roboter also nicht biblische Verse rezitieren lassen, bevor sie ihrer notwendigen und christlichen Arbeit nachgehen können.

Zum zweiten geht es in der Diakonie immer zuerst um Würde und dann um Wertsteigerung. Das mag man als einen Grundsatz jeder Pflege verstehen, die Diakonie ist aber durch ihre Anbindung an die Gesellschaft durch ihr kirchliches Erbe und ihre bestehende Bindung an die Institution Kirche in anderer und privilegierter Weise am öffentlichen Pflegediskurs beteiligt. Die Idee, dass der Wert eines Menschen nicht kalkulierbar ist, sondern seine Würde in jeder Unzulänglichkeit bestehen bleibt, weil er in einer unzerbrechlichen Beziehung zu Gott steht, durchzieht ihr Selbstbild. Damit fordert die Diakonie sich in besonderer Weise selbst heraus. Bleibt sie dabei und nimmt sie diesen Auftrag ernst, darf man von ihr erwarten, dass sie zuerst nach der Würde fragt, und dann nach der Rentabilität, auch wenn das nicht das vornehmliche Argument im Pitch der Robotics-Industrie sein dürfte, mit der sie in Verhandlung geht.

Maßgeblich ist zuletzt das Credo: Roboter ersetzen keine Menschen. Auch wenn Roboter nicht besonders religiös sein müssen, um in der Diakonie eingesetzt zu werden, bleiben sie doch Teil dieses konfessionellen Pflegesystems der Diakonie. Dieses zeichnet sich eben durch eine besondere Anthropologie aus und versteht Seelsorge und Liturgie als obligatorischen Teil ihres Wirkens. Roboter sind vorerst nicht in der Lage, dieses Spezifikum adäquat zu ersetzen.

Doch auch in nicht spezifisch religiösen Zusammenhängen darf nicht aus den Augen verloren werden, dass Diakonie immer auch ein zwischenmenschliches Beziehungsgeschehen ist, das über die medizinisch-pflegerische Intervention hinausgeht. Die bloße Präsenz von Menschen darf schon als diakonisches Helfen verstanden werden. Wer in seiner Einrichtung alle Pflegekräfte durch Saugroboter ersetzt, unterbindet damit die Möglichkeit informeller Begegnung zweier Menschen, die vor dem sozialen Tod bewahrt. Den sozialen Tod zu verhindern, ist keinesfalls weniger zentral als das Leben zu verlängern. Oder mit den Worten Cicely Saunders: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“

Das lässt sich auch und besonders nicht dadurch verhindern, dass man Robotern möglichst anthropomorphe Züge verleiht. Wenn Pflegeroboter Menschen ähneln und wir versuchen Social Robots in die Pflege zu integrieren, was aus Gründen der Akzeptanz und Nahbarkeit wünschenswert erscheinen mag, laufen wir Gefahr, das zu unterbieten, was diese Roboter darzustellen ursprünglich konstruiert wurden: Soziale Bindung. Die wichtigste Frage scheint daher: Fördert dieser Roboter Sozialität oder trägt er versehentlich dazu bei, dass Pflegebedürftige noch einsamer werden, als sie es in vielen Fällen ohnehin schon sind?