Foto: Solen Feyissa (Unsplash), Cover: midi

Sinnfluencer-Studie: Followerinnen sind schon Christinnen

Eine neue Studie über christliche Influencer:innen auf Instagram zeigt, worin sich digitale und analoge Kirche ähnlich sind – und welche Herausforderungen für die Kirche im Netz bestehen.

Eine neue Pilotstudie zur Followerschaft von christlichen Influencer:innen auf Instagram der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (midi) zeigt für Entscheider:innen in der Kirche schwarz auf weiß Potentiale und Grenzen dieses kirchlichen Arbeitsfeldes. Mittels eines Fragebogens wurden Community-Mitglieder von 13 evangelischen „Sinnfluencer:innen“ befragt. Fast 3000 Nutzer:innen beantworteten im Juli 2022 die 12 Fragen zu den einzelnen Accounts. Die Ergebnisse bestätigen, was Expert:innen (z.B. hier) immer wieder vermutet und verkündet haben:

Demnach ist die Follower:innenschaft der christlichen Influencer:innen weit überdurchschnittlich weiblich (85 %) und der Kirche hoch verbunden. 85,5 % sind Kirchenmitglieder und haben dies in der Befragung auch so angeben können. 69 % gaben an, im Kontakt mit einer Ortsgemeinde zu stehen. 90,8 % der Befragten bezeichnen sich als religiös. Daniel Hörsch, Sozial­wissen­schaft­licher Referent bei midi und Herausgeber der Studie, folgert daraus, dass die Instagram-Communities einen „erheblichen Beitrag zur digitalen Mitgliederbindung“ leisten.

Im Umkehrschluss bedeuten die Ergebnisse allerdings auch, dass kirchenferne Menschen von den „Sinnfluencer:innen“ mit ihrem bisherigen Programm eher nicht erreicht werden. Die Studienautor:innen sehen in den Instagram-Communities trotzdem „ein nicht unerhebliches missionarisches Potential“. 19,3 % der Follower:innen sind zwar Kirchenmitglied, geben allerdings an, keinen Kontakt zu einer Kirchengemeinde zu haben und immerhin 11,9 % „sind weder Kirchenmitglied, noch haben sie Kontakt zu einer Kirchengemeinde oder stufen sich selbst als religiös ein“. Insgesamt stützen die Ergebnisse der midi-Studie damit die Vermutung, dass die Follower:innen von christlichen Influencer:innen bereits in Kindheit und Jugend mit der Kirche in Kontakt standen – und zu einem großen Teil bis heute auch analog aktive Kirchenmitglieder sind. Digitale und analoge Kirche sind also keine Konkurrenzprodukte.

Bei vielen jungen Erwachsenen löst sich diese Kirchennähe jedoch jäh nach Konfirmation oder Schulabschluss auf, auch mangels guter Angebote für ihre Zielgruppe. Josephine Teske, Pfarrerin der Nordkirche in Hamburg, Instagram-„Sinnfluencer:in“ und Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), beschreibt die Community: „Wir haben es vor allem mit einer hoch kirchenverbundenen Klientel zu tun“, die allerdings als Ergänzung zu analogen Angeboten auch die digitale Nähe sucht: „Die Follower:innen sehen sich auf Social-Media-Plattformen als mündige Christ:innen wahrgenommen.“

Das um die kirchlichen Influencer:innen entstandene Community-Netzwerk sei „durch eine hohe Dichte geprägt“, erklärt Daniel Hörsch. Das bedeutet: Die einzelnen Nutzer:innen folgen häufig gleich mehreren christlichen Influencer:innen. In wie weit dies und die Homogenität der Follower:innenschaft an Instagram oder an der inhaltlichen Akzentuierung der einzelnen Kanäle liegt, lässt die Pilotstudie offen.

Authentische Kommunikator:innen

„Ich denke, es liegt auch am Content, den ich auf meinem Kanal produziere“, erklärt Josephine Teske. Die Nutzer:innen suchten authentische Kommunikation und würden sich mit den Influencer:innen identifizieren oder sich auch mal von ihnen abgrenzen. Beides fußt auf einem hohen Personalisierungsgrad der Kommunikation. „Bei mir geht es viel um Themen wie Alleinerziehung, Kinder oder auch das Arbeitsleben als Pfarrerin“, erläutert Teske, deren Instagram-Account @seligkeitsdinge_ inzwischen 38 000 Follower:innen zählt. Zum Vergleich: Die Evangelische Zeitung, die regionale wöchentliche Kirchenzeitung der Nordkirche für Schleswig-Holstein und Hamburg, weist noch eine verkaufte Auflage von 8 200 Exemplaren aus.

Zielgruppen und Schwerpunkte der Arbeit von Pastor:innen stehen seit jeher im Zusammenhang mit der Biographie und Lebenssituation der handelnden Personen. Jungen Pastor:innen mit eigenen kleinen Kindern gelingt der Zugang zu anderen Menschen mit gleichen Lebensumständen leichter. Auf anderen Arbeitsfeldern reüssieren Pfarrer:innen mit anderen Lebenserfahrungen. Insofern ist es wenig überraschend, dass die „Sinnfluencer:innen“ (wie auf Instagram üblich) vor allem weibliche Vertreter:innen der Generationen Y und Z ansprechen, zu denen sie selbst gehören.

„Die Geschlechterverhältnisse auf Instagram sehen denen auf anderen kirchlichen Handlungsfeldern sehr ähnlich“, erläutert Daniel Hörsch auf Nachfrage der Eule. Auch auf Instagram sei zu beobachten, dass „die Köpfe männlich sind, das Rückgrat aber weiblich“. In der Tat finden sich unter den 13 untersuchten Instagram-Accounts sieben Kanäle, die von einem Mann betrieben werden. Sie reichen aber an die Follower:innen-Zahlen von weiblichen Accounts wie von Teske oder Theresa Brückner (@theresaliebt, hier in der Eule) nur sehr selten heran.  Auf Instagram erreichen weibliche Influencer:innen anders als auf anderen Plattformen eine größere Reichweite als männliche Content-Produzenten.

Dass fast alle Kanäle, deren Communities von den Studienautor:innen befragt wurden, von Pfarrer:innen gestaltet werden, zeigt eine klerikale Verengung des evangelischen Kirchenbildes an, die Expert:innen bereits seit längerer Zeit beobachten. Gleichwohl folgt die midi-Studie in ihrem Design hier nur den zunehmend weniger originellen Konzepten kirchlicher „Sinnfluencer:innen“-Kanäle. Fast zwei Drittel der Befragten gab an, Zugang zu einem christlichen Profil „zufällig“ – also über den Instagram-Algorithmus – gefunden zu haben. Auch aus dieser Perspektive stellt das Studienergebnis eine Mahnung zu mehr Vielfalt und Unterscheidbarkeit kirchlicher Angebote auf Instagram dar.

Aufgaben für „die“ Kirche

Wird denn „die“ Kirche hinter den „Sinnfluencer:innen“ überhaupt gesehen? Sind sie Kommunikator:innen ihrer selbst oder ihrer Kirchen und des Evangeliums? Daniel Hörsch betont, dass die Nutzer:innen sich von den Influencer:innen deshalb angezogen fühlen, weil sie als „authentische gläubige Menschen“ wahrgenommen würden. Davon könnten sich Pfarrer:innen, die bisher als „entrückte Hermeneuten“ auftreten, eine Scheibe abschneiden. Die „Sinnfluencer:innen“ stünden „mitten im Leben“ und würden auch keinen Hehl daraus machen, mit den gleichen (Alltags-)Problemen befasst zu sein wie ihre Zuschauer:innen.

Als eine Form kirchlicher Social-Media-Arbeit sind Influencer:innen inzwischen anerkannt, wenn auch noch nicht überall in den evangelischen Kirchen. Josephine Teske, die sich seit einem Jahr als Mitglied im Rat der EKD für junge Menschen und die Digitalisierung einsetzen will, fordert darum, mehr talentierten und experimentierfreudigen Pfarrer:innen Stellenanteile für die Arbeit in Sozialen Netzwerken einzuräumen. So würde auch gegenüber den Kirchenmitgliedern vor Ort dokumentiert, wie wichtig diese Arbeit sei.

Gleichwohl wird, nicht zuletzt auch durch die neue midi-Studie, in letzter Zeit deutlich: Allein auf die Wirksamkeit einiger exemplarischer digitaler Aushängeschilder wie die „Sinnfluencer:innen“ kann sich die Kirche nicht verlassen, um mit Menschen in einer digitalisierten Welt in Kontakt zu bleiben. Die Nutzung von Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram & Co. ist dazu viel zu volatil: Die nächste Generation tummelt sich schon wieder woanders und je nach Plattform erreicht man nur bestimmte, enggefasste Zielgruppen.

Den Ruf nach Stellenanteilen verstehen Entscheider:innen in der Kirche, denen die midi-Studie in den kommenden Wochen auf den Schreibtisch flattert, dann richtig, wenn er als Aufforderung zur Professionalisierung aufgefasst wird. Das bedeutet, kirchliche Medienschaffende für die Arbeit im Netz ausreichend auszustatten, aber nicht, immer mehr vom Gleichen zu produzieren. Zur evangelischen Vielfalt, die in Sozialen Netzwerken Widerhall finden sollte, gehört mehr als der Alltag von Pfarrer:innen. Gerade Ehrenamtliche brauchen (und fordern) professionelle Hilfe, um ihre Anliegen und Arbeit in die digitalen Öffentlichkeiten zu tragen.

Mehr:

  • midi-Pilotstudie „Digitale Communities – Eine Pilotstudie zur Followerschaft von christlichen Influencer:innen auf Instagram“, u.a mit praktisch-theologischen Einordnungen von Sabrina Müller und Aline Knap, als PDF