Sojafeld in der Nähe von Buenos Aires (Foto: Alfonso (Wikipedia), CC BY-SA 3.0)

Soja – Segen oder Fluch für Argentinien?

Der Soja-Anbau verändert in Argentinien das traditionelle Leben auf dem Land. Die Evangelische Kirche warnt vor den Gefahren, die der Soja-Boom mit sich bringt.

Gemütlich grasen Rinder auf endlosen, saftigen Wiesen – das war lange Zeit das Bild, das Argentinien prägte. Inzwischen müssen die Kühe vielerorts Soja-Pflanzen weichen. Die Evangelische Kirche in Argentinien und Paraguay ringt deshalb um eine Haltung zum Soja-Anbau mit all seinen Folgen.

Die Vertreibung des Rindes

Wer Steakgourmets in aller Welt fragt, woher das beste Rindfleisch kommt, bekommt seit 200 Jahren die Auskunft: Natürlich aus Argentinien! Seinen Aufstieg zu einem der wohlhabendsten Länder der Erde im 19. Jahrhundert hatte das Land in Südamerika nicht zuletzt seinen schmackhaften Rindviechern zu verdanken.

Nicht nur im Ausland, auch in Argentinien selbst ist das Rind nicht vom Speisezettel wegzudenken. Wenn Argentinier von „carne“, also „Fleisch“ sprechen, ist selbstverständlich Rind gemeint. Der sonntägliche Asado, das Grillen im Familien- und Freundeskreis, gehört zum argentinischen Lebensgefühl wie der Mate-Tee.

Doch wo vorher Rinder in der argentinischen Pampa, dem Gebiet um Buenos Aires herum, grasten, sieht man inzwischen Pflanzen mit großen Blättern und länglichen Schoten wachsen. Ein grüner Teppich unter blauem Himmel. Was hat sich geändert?

Der Wandel begann mit der Umstellung der Exportwirtschaft von Rindfleisch auf Agrarprodukte wie Soja in den 1970er-Jahren. Im Zuge dessen wurden Wälder abgeholzt und Weiden zu Ackerflächen umgewandelt. In den letzten 30 Jahren hat sich die Soja-Anbaufläche in Argentinien vervierfacht. Mit 20 Millionen Hektar ist sie inzwischen so groß wie die halbe Bundesrepublik Deutschland. In der gleichen Zeit gingen die Rindfleischexporte stark zurück. Inzwischen liefert das kleine Nachbarland Uruguay mehr Rindfleisch ins Ausland als Argentinien.

Eine ökonomische Erfolgsgeschichte

Doch die eigentlichen Ursachen sind globaler Art: Weltweit wird immer mehr Fleisch gegessen. In der Massentierhaltung – eine Antwort auf den Fleischhunger – werden große Mengen an eiweißhaltigem Futter benötigt. Als Futtermittel ist Gen-Soja in der EU erlaubt, es darf nur nicht direkt als menschliches Nahrungsmittel verkauft werden. Deutschland ist der größte Milcherzeuger in der EU, auch dafür muss Kraftfutter importiert werden. Dabei ist Soja für Wiederkäuer wie Kühe sogar eine eher ungeeignete Nahrung.

Argentinien ist der weltweit größte Exporteur verarbeiteter Soja-Produkte, wie Schrot und Öl. Die hohe Nachfrage lässt die Preise entsprechend steigen. Der Aufwand für Bauern ist vergleichsweise gering: Der Anbau erfolgt in Monokulturen mit großen Maschinen, fast ohne Einsatz von Arbeitskraft. Pro 1 000 Hektar werden nur zwei Arbeiter benötigt. Daher wird der Sojaanbau häufig auch „Landwirtschaft ohne Landwirte“ genannt.

Nicht nur die Bauern, auch der Staat profitiert vom Soja-Boom. Die Wunderpflanze füllt die klammen Staatskassen. Nur dank der Soja-Exportsteuern von 35 % konnten die linken Regierungen der letzten Jahre ihre Sozialprogramme zu Gunsten der zahlreichen Armen im Land finanzieren.

Ein Dilemma für die evangelische Kirche

Im Jahr 1996 erlaubte Argentinien als erstes Land Südamerikas den Anbau von genverändertem Saatgut, was die Erträge deutlich steigerte. Der Nachteil: Die Pflanzen benötigen große Mengen von Unkrautvernichtern. Diese enthalten Glyphosat, das im Verdacht steht, Krebs zu erzeugen.

Nicolás Rosenthal auf Besuch in Leipzig (Foto: Sarah Münch, GAW)

„Die Herbizide werden oft mit Flugzeugen über die Felder gesprüht. Dabei können ganze Dörfer durch falschen Einsatz mit einer Glyphosatwolke kontaminiert werden“, berichtet Nicolás Rosenthal. Er ist Direktor der Diakonie der Evangelischen Kirche am La Plata (IERP). Die Kirche ist ein Zusammenschluss evangelischer Gemeinden in Argentinien, Paraguay und Uruguay. Der Theologe und Sozialpsychologe formuliert vorsichtig: „Es ist der Eindruck entstanden, dass dies zu vermehrten Krankheiten führt.“

Nicht nur von Krebserkrankungen, auch von körperlichen Anomalien bei Neugeborenen wird berichtet. Zudem leiden die Kleinbauern unter den Herbiziden, die aus der Luft versprüht werden. Ihre Pflanzen verkümmern, die Ernten bleiben aus. „Die genauen Zusammenhänge sind jedoch schwer nachzuweisen. Im November 2017 wurde ein Institut an einer staatlichen Universität geschlossen, das die Wirksamkeit von Glyphosat auf den menschlichen Körper untersuchte. Warum?“, fragt Rosenthal.

Zu den vermuteten gesundheitlichen Wirkungen kommen Konflikte um das Land. Das betrifft besonders den Norden Argentiniens, eine Region, die bisher wenig landwirtschaftlich genutzt wurde. Die dichten Wälder haben die dort lebende indigene Bevölkerung in den letzten 500 Jahren weitgehend vor Vertreibung schützen können. Doch als die Flächen in der Pampa weitgehend ausgeschöpft waren, rückten die Investoren weiter in den Norden vor. Der Wald, Lebensgrundlage für die Indigenen, wurde gerodet. Mehr als eine Million Menschen wurden vertrieben.

Andere verlassen ihre Heimat aus ökonomischen Gründen: In der vollkommen technisierten Landwirtschaft werden fast keine Arbeitskräfte gebraucht. Die Evangelische Kirche am La Plata ist geprägt von ihren ländlichen Gemeinden, die von der Landwirtschaft leben. „Das wird aber immer schwieriger, wenn die großen Agrarkonzerne ihre Soja- und Maisproduktion ausweiten“, sagt Nicolás Rosenthal. „Wovon sollen die Familien denn leben? Auch die Diversität in der Landwirtschaft geht verloren. Es gibt nicht mehr genügend Flächen für Viehwirtschaft und für den Anbau anderer Pflanzenkulturen.“

Die IERP beschäftigt sich vermehrt mit diesen Fragen, weil sie unmittelbar die Gemeinden betreffen. Das Dilemma: Es gibt in der IERP auch Gemeinden, vor allem in Paraguay, die von der intensiven Landwirtschaft leben und in dieser Form der Landwirtschaft schwerlich einen Nachteil für sich sehen.

Seelsorglicher Ansatz

Dass die Vielfalt der Landwirtschaft verloren geht, dass bestimmte Produkte auf einmal nicht mehr hergestellt werden und importiert werden müssen, dass Dörfer und Kleinstädte langsam sterben und damit auch Kirchengemeinden verschwinden, dass Krankheiten durch den Einsatz von Spritzmitteln auftreten – die Einsicht in diese Zusammenhänge braucht Zeit und einen Wandel in den Köpfen.

Die Kirche möchte mit den Bauern, die auf umweltschädliche Monokulturen setzen, ins Gespräch kommen. Möglichst nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe. Vor zwei Jahren initiierte die Diakonie dazu ein Projekt mit dem Titel „Seelsorge zur Bewahrung der Schöpfung“. Doch wird die Augenhöhe von den Adressaten auch so empfunden? Bei den Gemeindegliedern auf dem Land gibt es Widerstände, sich von denen „aus der Stadt“, die wenig Ahnung von Landwirtschaft haben, etwas sagen zu lassen.

Das alles ist komplex. Deshalb erklärt Nicolás Rosenthal: „Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es, Menschen für die Zusammenhänge zu sensibilisieren. Wir haben als Kirche eine Verantwortung. Und wir wollen Kirche in unserer Gesellschaft sein.“