St. Jakobskirche in Köthen, Foto: N. Thamm (Wikipedia), CC BY-SA 3.0

Trauerandacht und Nazidemo in Köthen

Nach einem Todesfall in Köthen organisiert die Kirche eine Trauerandacht. Am Abend zieht eine Demonstration von Neonazis und gewaltbereiten Hooligans durch die Stadt.

Nach dem Todesfall in Köthen haben sich ca. 500 Bürger_innen der Stadt am Sonntagnachmittag zu einer Trauerandacht in der Jakobskirche eingefunden und Kerzen für den Verstorbenen entzündet. Unter ihnen befanden sich Oberbürgermeister Bernd Hauschild (SPD) und Vertreter_innen aller Stadtratsfraktionen. Die Ansprache während der Trauerandacht hielt Joachim Liebig, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche Anhalts.

Liebig lobte die schnelle Reaktion der Verantwortlichen vor Ort: „Die örtlichen Kirchengemeinden haben auf die schreckliche Nachricht vom Tod eines Mannes nach der Auseinandersetzung gestern in Köthen – gemeinsam mit Vertretern aller Stadtratsfraktionen – sehr schnell reagiert und mit dieser Andacht der Trauer der Stadtgesellschaft auf friedliche Art und Weise Raum gegeben. Dafür bin ich sehr dankbar.“

Trauerandacht in der Jakobskirche Köthen, Foto: Martin Olejnicki

Der Köthener Bürgermeister Bernd Hauschild (SPD) wiederholte seine Aufforderung an die Bürger_innen Köthens, sich nicht an dem für den Abend angekündigten „Trauermarsch“ zu beteiligen. Dieser Aufruf wurde von allen Stadtratsfraktionen geteilt. Deutlich wird daran der Wunsch, dass der Todesfall in Köthen, anders als in Chemnitz, nicht von Rechtsextremen instrumentalisiert wird.

Friedensgebete in der Jakobskirche

„Noch wissen wir nicht genau, was sich bei dem tragischen Vorfall tatsächlich abgespielt hat. Wichtig ist aber, dass die Ereignisse von keiner Seite für andere Zwecke missbraucht werden“, wünscht sich auch Kirchenpräsident Liebig. „Ich vertraue auf die Aufklärungsarbeit der Polizei und der Gerichte.“ Die Polizei teilte unterdessen mit, der 22-jährige Köthener sei dem vorläufigen Obduktionsbericht zufolge „einem akuten Herzversagen erlegen, das nicht im direkten kausalen Zusammenhang mit den erlittenen Verletzungen steht“ (Quelle).

Vertreter der Stadtpolitik zeigten sich über das zügige Engagement der Kirche in Köthen erfreut, sie selbst würden als „parteiisch“ wahrgenommen, weshalb es wichtig sei, dass die Kirche hier vermittle. An den kommenden Tagen sollen jeweils um 17 Uhr Friedensgebete in der Jakobskirche stattfinden.

Die Organisatoren laden dazu ein, für den Frieden in der Stadt und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu beten. Traurige Anlässe wie in Köthen zeigten, „wie dringend notwendig es ist, für die tiefe Spaltung in unserer Gesellschaft eine gemeinsame Lösung zu finden“, wandte sich Kirchenpräsident Liebig an die Gemeinde der Trauerandacht.

Am Nachmittag wurden Bürger_innen und Geflüchtete davor gewarnt, in den Abendstunden auf den Straßen unterwegs zu sein. Die Polizei war mit einem Großaufgebot und schwerem Gerät in der Stadt, Unterstützung z.B. aus Niedersachsen wurde hinzugezogen. Bereits am Nachmittag zeigte sie deutliche Präsenz in der Stadt. Beobachter sprachen davon, die Polizei sei auf den Abend augenscheinlich gut vorbereitet.

Zum „Trauermarsch“ am Abend hatten rechtsextreme Gruppen aus ganz Sachsen-Anhalt mobilisiert. Die Polizei erwartete mehrere Hundert zum Teil gewaltbereite rechtsextreme Demonstranten, darunter ca. 300 Hooligans aus Magdeburg und Halle.

Live auf der Nazi-Demo

Live von der Nazi-Demo am Abend berichtete Martin Kaul (@martinkaul), Redakteur der tageszeitung, der sowohl die Kundgebung als auch den Demonstrationszug filmte. (Die Videos finden sich z.B. hier, hier & hier.) Die Aufnahmen belegen, dass es sich bei der Demonstration nicht um eine Trauerveranstaltung gehandelt hat, sondern um eine rechtsextreme Demonstration, die von bekannten Neonazis angeführt wurde.

In Redebeiträgen auf der Kundgebung wurde ein „Rassenkrieg“ gegen Weiße beschworen, es sei nun Zeit für aktiven Widerstand. Ein Redner sprach im Zusammenhang mit dem Todesfall davon, es gelte „Auge um Auge, Zahn und Zahn“. Später wurden im Demonstrationszug „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“, „Frei, sozial und national!“ und weitere bekannte Neonazis-Slogans skandiert.

Den Aufnahmen zufolge gehörten die meisten Teilnehmer der Demonstration dem neonazistischen Spektrum zu, szenetypische Kleidung und Symbole sind deutlich zu erkennen. Inzwischen wurden mehrere Redner und Teilnehmer als führende Neonazis identifiziert. Bei der Demonstration kam es zu mindestens zwei Übergriffen auf Journalisten, die das Geschehen dokumentierten. Die Nazidemo wurde trotz mehrerer vermutlich volksverhetzender Äußerungen nicht aufgelöst. Offensichtlich war die Polizei darauf bedacht, die Demonstrationen nicht zu eskalieren. Das entstandene Videomaterial wird nun wohl auch strafrechtlich ausgewertet.

Eine mit ca. 80 Personen wesentlich kleinere Gegendemonstration von „Dessau Nazifrei“ fand währenddessen am Bahnhof der Kreisstadt statt. Die Gegendemonstranten waren spontan aus Dessau angereist, wo sie gegen den Landesparteitag der AfD demonstriert hatten.