Troll emeritus
Die #digitaleKirche schäumt: Erst provoziert Altbischof Wolfgang Huber mit einer Fundamentalkritik an Twitter und entzieht sich dann jeder Diskussion. Er hat Social Media besser verstanden, als uns lieb sein kann.
Seit Tagen wird im Sozialen Netzwerk Twitter über Wolfgang Huber geschimpft und gespottet. Der emeritierte Theologieprofessor, Altbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und ehemalige EKD-Ratsvorsitzende (2003-2009) ist seit einiger Zeit auf Twitter „aktiv“.
Für Furore sorgte allerdings erst sein Tweet vom 11. Januar 2019, in dem er vor einer ominösen „Twitter-Falle“ warnt. Das Soziale Netzwerk würde genutzt, um sich „aus dem Weg [zu] gehen“. Auch dürfe die Kirche nicht denken, sie würde etwas Neues wagen, indem „sie sich digitalen Trends anschließt“. Twitter wurde 2006 gegründet, Huber ist seit Januar 2018 im Netzwerk präsent.
Vorsicht, Twitter-Falle: Die Kirche darf nicht denken, sie ist beständig neu, wenn sie sich digitalen Trends anschließt. Sie muss ein Ort sein, an dem sich Menschen begegnen und sich nicht durch Twittern aus dem Weg gehen. Diskussion im Dom zu Brandenburg an der Havel, 10.01.2019
— Wolfgang Huber (@Prof_Huber) January 11, 2019
Ein Jahr hat es also gedauert, bis der Social-Media-Novize Huber die Regeln der Aufmerksamkeitsmaschine Twitter erlernt hat. Liefert sein Account sonst vor allem Hinweise auf Pressemeldungen mit Bezug zu seiner Person oder Herzensthemen (z.B. Wiederaufbau Garnisonskirche in Potsdam), stellt der Altbischof – oder sein Social-Media-Team – mit diesem Tweet unter Beweis, dass er die Regeln der „Twitter-Falle“ beherrscht wie nur wenige.
Wie Twitter funktioniert
Schritt 1: Poste ein kontroverses Statement, das Leser*innen entweder zu Widerspruch oder Zustimmung herausfordert. In jedem Fall: Sei emotional! Lass dich dabei nicht von Evidenzen oder Erfahrungswerten beeindrucken, erst recht nicht durch deren Mangel. Es kann nicht schaden, sich als Trittbrettfahrer einer Debatte zu betätigen, die andere angestoßen haben.
Schritt 2: Reagiere nie niemals auf kritische Nachfragen, freundliche oder unfreundliche Mentions, Spott oder Häme. Lass sie sich austoben! Lass deine Leser*innen wüten, scherzen, lachen oder den Kopf schütteln. Was schert es dich! Deinen Punkt hast Du längst gemacht.
Die Kirchenblase auf Twitter ist einigermaßen entsetzt ob der altbischöflichen Einlassungen, die durch keine weitere Diskussion konkretisiert wurden. Aus den zahlreichen Diskussionen im Anschluss an seinen Tweet hat sich Huber bislang fein säuberlich rausgehalten. Er führt sich genauso auf, wie er es in seiner Fundamentalkritik den Nutzer*innen des Sozialen Netzwerks vorwirft: Er geht Menschen aus dem Weg.
Denn da ärgert sich kein Bot-Netzwerk, sondern die #digitaleKirche. Menschen, die seit Jahr und Tag versuchen, in den Sozialen Medien das Evangelium rüberzubringen. Und zwar in Wort und Tat, wozu ganz bestimmt das Zuhören und respektvolle Antworten gehört. Diese Leute fühlen sich zu Recht verletzt. Professionelle Social-Media-Arbeiter*innen der Kirchen sind zu Recht sauer, dass ein bisher nur durch wenig Sachkenntnis hervorgetretener Altfunktionär ihre digitale Kärrnerarbeit in einem Satz entwertet.
Don’t feed the troll!
Die Kirchen brauchen andere Digitalprominente. Es schadet ihrer Wirkung in den Sozialen Netzwerken, wenn vor allem ältliche Bischöf*innen sich meist kritisch zu dem äußern, was sie vom Digital mitkriegen und/oder verstanden haben. Man fragt sich, was z.B. Volker Jung, Kirchenpräsident der der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und zuletzt Autor eines Buches über die Digitalisierung (zur Rezension in der Eule), zu den Äußerungen Hubers zu sagen hat. Wozu ein Buch schreiben, das sich offen und kritisch mit allerhand Erscheinungen des digitalen Zeitalters auseinandersetzt, wenn Aufmerksamkeit und Applaus offenbar auch schon mit einem simplen Tweet erreicht werden können.
Denn man braucht sich nichts vorzumachen: Hubers Sätze, die er bei einer Diskussionsveranstaltung in Brandenburg an der Havel gesagt haben will, spielen mit einer latenten Verachtung des Digitalen vor allem bei den Älteren in der Kirche. Also dem Publikum, das beständig zu Podien mit Altbischöfen anrückt. Das macht Hubers Sätzlein zu einem kleinen populistischen Amuse-Gueule für die Verächter des Digitalen, die die Kirchen hierzulande reichlich bevölkern. Er spielt bewusst auf ihre Vorurteile gegenüber einer Welt an, die ihnen bisher verschlossen bleibt. Populismus, Provokation und das Ausweichen vor jedem sinnvollen Gespräch sind klassische Merkmale eines Troll-Postings. Huber schlüpft, ob bewusst oder unbewusst, in das Gewand des Trolls.
Natürlich beweist Wolfgang Huber – oder sein Social-Media-Team – gerade, dass er das Medium Twitter gar nicht verstanden hat. Aber die Kirchenblase tappt trotzdem in die Falle: Es wird sich ständig erregt, dass alte, weiße Männer viel zu viel Aufmerksamkeit bekommen. Stolpert in Gestalt des Altbischofs dann mal wieder einer davon in die eigene Timeline, gibt es trotzdem kein Halten mehr. Hubers Meinung erhält so ein viel größeres Forum als – nur z.B. einmal – die wesentlich qualifizierteren Äußerungen einer Menge von jüngeren digitalaffinen Frauen. Dem honorigen Emeritus der Theologie tritt man doch nicht zu nahe, wenn man bemerkt, dass er vom Sujet eher nicht so viel Ahnung hat: Stop making stupid people famous!
Schritt 3 ist übrigens: Genieße die Aufmerksamkeit, die dein Tweet ausgelöst hat. Sprich in Zukunft davon, auch Du hättest schon einmal einen dieser „Shitstorms“ durchlitten. Nutze deinen neuen Fame, um auf noch mehr Podien zum Thema zu sprechen. Kritik bedeutet nur, dass Du Recht hast.
Dieser Dynamik muss man nicht folgen. Hubers Einlassungen sind überhaupt nicht auf der Höhe der Debatte, die auch und gerade in den Sozialen Netzwerken über Sinn und Unsinn derselben geführt wird. Sie lenken nurmehr ab von der Bearbeitung anderer, wichtiger digitaler Themen. Sie führen zu Verdruss. Don’t feed the troll!