Foto: Philipp Greifenstein

Unter Heiden (19): Ein alter Wessi macht Wahlkampf

Alexander Gauland von der AfD macht Wahlkampf in Eisleben. Unser Redakteur hat sich das einmal angesehen.

Knapp eine Woche ist es her, da Alexander Gauland mit seiner beleidigenden und ausländerfeindlichen Bemerkung über Aydan Özoğuz im Eichsfeld hausieren ging. In ein paar Tagen wollte er nach Nürnberg reisen, doch dort erteilte ihm der SPD-Bürgermeister „Hausverbot“ in der als Veranstaltungsort ausgesehenen Meistersingerhalle.

Eisleben hat weder so viele Katholiken wie das Eichsfeld, noch einen wirklich großen Saal zu bieten, aber Luther. Und Alexander Gauland, angekündigt auf vielen Plakaten als Headliner einer Kundgebung der Partei vom rechten Rand auf dem Marktplatz der Lutherstadt.

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Überhaupt könnte man dieser Tage den Eindruck gewinnen, dieser Alexander Gauland sei ungemein interessant, hätte Zielführendes beizutragen, ja, wäre in irgendeiner Weise sogar unterhaltsam.

Deshalb bin ich hingegangen, zu meiner ersten AfD-Kundgebung. Ich wollte einmal sehen, wie es da so zugeht, und was eine solche Veranstaltung mit dem Marktplatz der Stadt anstellt, die zurzeit von tausenden Touristen durchstreift wird, die des Reformationsjubiläums wegen am Geburts- und Sterbeort des Reformators vorbeischauen.

Klischeebehaftetes Publikum

Gut 200 Leute haben sich eingefunden, um an der AfD-Kundgebung teilzunehmen. Vor allem wollen sie Gauland hören, das wird klar, als viele den Ort des Geschehens direkt nach seiner Rede verlassen. Jetzt, vor Beginn der Veranstaltung, drücken sich die meisten an den Rändern des Marktplatzes in den Schatten der restaurierten Stadthäuschen herum.

Nicht nur ich fühle mich unwohl. Nur ist der Grund des Unwohlseins wohl ein anderer. Es sind alte Männer, die sich an einem späten Freitagnachmittag eingefunden haben. Das ist ein Klischee, aber es stimmt: 80 % der Zuhörer sind männlich, über 50, teils deutlich älter. Da sind auch ein paar Jüngere, von denen aber schwer auszumachen ist, ob sie zum Wahlkampftross gehören oder genuin interessierte Bürger sind.

Als Gauland spricht, bleiben weitere Passanten stehen, um zu hören, was der alte Mann von der AfD zu sagen hat. Es ist nicht viel. Gauland beginnt pünktlich 17 Uhr und nach einer Dreiviertelstunde hat er – großzügig bemessen – drei Themen besprochen. Es handelt sich um eine reine „Ausländer raus!“-Rede.

Der Fremde, ein dankbares Feindbild

Oder, wie Gauland es ausdrückt: „Die Fremden gehören nicht hierher, sie gehören nicht zu Europa“. Ich finde das nach wie vor spannend, weil man Gefahr läuft sich daran zu gewöhnen: Statt von Flüchtlingen, Asylbewerbern, Migranten oder Ausländern spricht Gauland gleich von „Fremden“. Da sitzen die Ängste und Vorbehalte seines Publikums und bei der Angst vor den Fremden nimmt Gauland seinen Einstieg.

Dieses Grundthema variiert Gauland über den Verlauf seiner Rede hinweg. Die Strophen seines Klageliedes bilden beispielhafte Einzelschicksale von besonders integrationsunwilligen Migranten oder Geflüchteten. Der immerkehrende Refrain ist: Wir sind hier, schon länger übrigens, wir wollen die nicht, weg mit denen.

Das ist es, was ich eine „Ausländer-raus“-Rede nenne, wie ich sie bisher nur von der NPD kannte. Zwar geifert Gauland nicht – das wird später ein AfD-Kandidat aus Sachsen-Anhalt übernehmen -, aber was auf AfD-Kundgebungen ungestört unter Applaus einer kleinen Minderheit gesagt wird, ist das Gleiche, was Rechtsextreme bisher vornehmlich im Verborgenen brüllten und wisperten. Gaulands AfD macht das Ressentiment salon- oder eben marktfähig. Das ist mehr als eine akademische Binse, es ist die Realität, nicht nur in Eisleben.

Besser-Wessi in Tweed

Gelegentlich erhält Gauland Applaus für seine Auslassungen, besonders dann, wenn die Zuhörer auf Grund seiner angehobenen Stimme gar nicht anders können: Jetzt ist Jubel erwünscht, also wird gejubelt.

Trotzdem die Rede eine deutliche Komposition erkennen lässt und obwohl Gauland die Basics des Sprechens vor Publikum beherrscht: Einen besonders begabten Redner haben die Eisleber nicht vor sich. Auch wenn er, anders als die nachfolgenden Kandidaten und Funktionsträger der Partei wenigstens in vollständigen Sätzen und ohne peinliche Unterbrechungen spricht. Was Gauland sagt, dürften alle hier schon einmal gehört haben. Und wie er es sagt, dürfte niemand hinter dem Ofen hervorlocken. Woher also die Zugkraft, die Gauland nicht nur im Osten entwickelt?

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Seine Zugkraft speist sich aus seinem medialen Image, an dem nicht wenige Journalisten treudoof mitgearbeitet haben. In frühen Texten über die AfD und Gauland erscheint dieser als typischer Kümmerer-Wessi, dem es um das Wohl der einfachen Leute geht, gleichwohl er selbst – in Hahnentritt-Sacko und beschwert mit einem Schoppen Wein gealtert – sich anderen, bekömmlicheren Dingen zuwenden könnte und wöllte, ja wenn, wenn nur sein patriotisches Herz nicht so bluten würde!

Was täten wir nur ohne Gauland? Wer erklärte uns die Welt? Oder auch nur die zweieinhalb angeschlagenen Themen: Ausländer, bisschen Integration, zum Schluss „Außenpolitik“, also Russland? Ich finde es schon reichlich entzückend, dass hier Menschen abermals einem betweedeten Besser-Wessi lauschen, als ob in seinen Worten das Heil verborgen läge.

Ein Musterbeispiel an Realitätsferne

Und was haben die „einfachen Leute“ hier von seinem „Ausländer raus!“-Gesimpel? Kein Mensch im Mansfelder Land (da liegt Eisleben) hat jemals seinen Job eines Asylbewerbers oder Migranten wegen verloren. Die „Überfremdung“ liegt im Promillebereich. Die wenigen „Fremden“, die sich hier eingerichtet haben, gehen Beschäftigungen nach. Viele von ihnen haben eigene Läden und Betriebe aufgemacht. Ab 18 Uhr bekommt man hier nur bei ihnen etwas Warmes in den Bauch und ein Bier dazu.

Ich war in der Tat erstaunt, wie wenig Gauland auf das Alltagsleben seiner Zuhörer einging. Kein Wort zur Rente, zur Arbeitslosigkeit (die hier immer noch signifikant höher ist als anderswo in Deutschland), zur Pflege- und Gesundheitspolitik. Das sind ja nicht nur Politikfelder, auf denen wirklich verhandelt wird, was die Leute betrifft. Nein, es sind auch Themen, die zur Empörung Anlass geben wie das leidliche Flüchtlingsthema.

Gaulands AfD ist eine Einthemenpartei, Punktum. Daran ändert auch seine Selbststilisierung als weltgewandter „Außenpolitiker“ nichts. Appropos: Außenpolitik schrumpft bei ihm auf Appeasement gegenüber Hirnis wie Putin und Trump zusammen.

Sanktionen wegen der Krimannexion? Sinnlos, weil Putin die ohnehin nicht zurückgibt. Völkerrecht, Du kannst mich mal … . Trumps Regierungsbilanz? Hervorragend! Alle Versprechen gegenüber seinen Wählern hat er gehalten, insbesondere jenes, sein Land vor den vielen „Fremden“ zu beschützen. So was sollten deutsche Politiker sich mal trauen! Dass Trump nichts erreicht hat, insbesondere nicht, sein Land unter Zuhilfenahme eines verfassungswidrigen „Muslim-Bans“ vor Migranten und Flüchtlingen „zu schützen“, wen interessierts? Gauland legt seinen Kollegen lieber offenen Verfassungsbruch ans Herz.

Publikumsverachtung à la Gauland

Im Grunde tritt bei derlei Verkürzungen und Auslassungen, ja noch bei jedem Beispiel, das Gauland für die schlimmen „Fremden“ anführt, eine erhebliche Verachtung des eigenen Publikums zu Tage. Alles verpufft bei näherer Recherche. Gauland rechnet damit, dass seine Zuhörer und Wähler kaum oder nur einseitig informiert sind. Respekt gegenüber dem Wahlvolk sieht anders aus.

Am deutlichsten wird die Verachtung, die Gauland für sein Publikum übrig hat, dadurch, dass er ihre tatsächlichen Nöte und Sorgen nicht beachtet, sie vielleicht nicht einmal wahrnimmt. Für ihn sind die Eisleber Ossis Stimmvieh auf dem Weg in den Bundestag, wo er gedenkt sich wirkungsvoll als Zampano der deutschen Außenpolitik zu gerieren. Auch darin ist Gauland ein Wiedergänger der Glücksritter-Wessis, die sich nach der Wende im Osten bedienten.

Wieder Jammer-Ossi

Mich hat der Kundgebungsbesuch trotz allem ein wenig fröhlich gestimmt, denn die Entzauberung der AfD naht. Ja, es ist traurig, dass ausländerfeindliches Gesabbel auf den Marktplätzen gesagt und beklatscht wird. Gauland bedankt sich zum Schluss bei den Ossis dafür, dass sie ihr Gesicht für „die gute Sache“ zeigen. Den Menschen im Westen fiele das schwerer, der soziale Druck sei dort viel höher.

Mir wird bei Applaus für „Ausländer raus!“-Parolen schlecht, andere sind froh mitzujubeln. Der Punkt ist: Sie sind in der Minderheit, auch hier unter dem Lutherdenkmal und erst recht im großen Rest Deutschlands. Das macht die Sache nicht weniger unappetitlich und gefährlich, gehört aber zum korrekten Blick auf das Land dazu. Ob die Ausländerfeinde nun hier laut klatschen oder dort in ihren Stuben grummeln, ist vor allem eine Geschmacksfrage. Ich verderbe mir auf beides den Magen.

Wieder zuhause in ihren Wohnstuben und an ihren Küchentischen werden die Leute bemerken, dass sie von ihrem Geklatsche keinen Cent mehr Rente oder Stütze und erst recht keine neue Arbeit haben. Bildung, Pflege und Infrastruktur verbessern sich nicht dadurch, dass man einen Sündenbock für das eigene Scheitern findet.

Am Ende werden die AfD-Wähler wieder als bedröppelte Jammer-Ossis dastehen, betrogen von noch so einem Wessi, der ihnen das Blaue vom Himmel – oder nur das Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts – versprach.

Das Ende der AfD

Für die Partei jedenfalls bedeutet das alles nichts Gutes. Die AfD nährt sich allein daran, dass das Flüchtingsthema weiter beritten wird, als ob die Apokalypse direkt bevor steht. Dass Gauland darauf einen vollständigen Wahlkampfaufritt verwendet, zeigt an, wer von solcher Monokultur profitiert.

Was passiert, wenn es um anderes als Flüchtlings- und Integrationsthemen geht, haben die Umfragewerte seit Anfang des Jahres gezeigt. Natürlich ist die Angst vor „den Fremden“ ein guter Treibstoff für den Wahlkampf, aber dann? Spätestens nach der Bundestagswahl wird in den Fokus rücken, was die AfD zu anderen Themen zu sagen hat. Doch da ist nichts, darum wird die Partei als solche aus demselben fallen.

Das wäre dann auch die einzig interessante Frage gewesen, die ich Gauland und den sachsen-anhaltinischen Rednern nach ihm gerne gestellt hätte: Was habt ihr, die ihr seit Jahr und Tag in Landtagen sitzt, dort eigentlich wirklich bewirkt?