Foto: Christian Dubovan (Unsplash)

Von der anonymen Kirchensteuer zum persönlichen Gemeindebeitrag

Seit vielen Jahren kritisiert der Dietrich-Bonhoeffer-Verein die Kirchensteuer. Mit dem „3-Säulen-Modell“ schlägt der Verein eine Kirchenfinanzierung in der Tradition Dietrich Bonhoeffers vor.

Der Dietrich-Bonhoeffer-Verein (dbv) beschäftigt sich schon seit etwa 30 Jahren mit der finanziellen Neuordnung der Kirchensteuer. Dies tut er getreu der bereits im Jahre 1927 (!) in seiner Dissertation formulierten Kritik Dietrich Bonhoeffers an der staatlich eingezogenen anonymen Kirchensteuer. Bonhoeffer schreibt:

„Die kirchliche Gemeinde muss sich selbst erhalten und zahlt darum ihre Steuern, wie in einer Familie jeder zur Erhaltung der Gemeinschaft beisteuert. Alles rechtlich Geregelte ist aus dem Willen der Gemeinschaft selbst entsprungen und dient dazu, das Leben derselben zu ermöglichen. Dass das staatlich zwangsmäßige Eintreiben von solchen Steuern ein Missbrauch ist, ist wohl offensichtlich.“

Bonhoeffer plädiert, wie aus dem Gesamtzusammenhang des Gesagten hervorgeht, eindeutig für eine Kirchenfinanzierung, die durch den persönlichen, zielgerichteten Einsatz eines jeden Christen (a) durch klar bekundete freiwillige Zahlung geschieht, (b) die nicht durch Delegation vom Staat eingezogen wird und vor allem (c) die nicht anonym der Gesamtkirche/Großkirche pauschal zur Verfügung gestellt wird, sondern sehr gezielt einer konkreten Einzelgemeinde zugutekommt, in der der/die jeweilige ChristIn wohnt.

Eine Neuordnung der Kirchensteuer im Sinne Bonhoeffers

Bonhoeffers Ruf blieb damals und bleibt bis heute bei den Kirchenoberen unerhört. Im Doppelten Sinne des Wortes kann man sagen: Das ist unerhört.

Der Dietrich-Bonhoeffer-Verein hat in der Kontinuität zu Bonhoeffer und in seiner Nachfolge die Neuordnung des deutschen Kirchensteuersystems, das historisch einmalig aus der alten Staatsverbundenheit der Kirchen in Deutschland erwachsen ist, angemahnt. Damit sind wir allerdings weitgehend auf taube Ohren gestoßen, weil das gegenwärtige Kirchensteuersystem für alle Kirchen so bequem und vor allem komfortabel ist und auch noch einigermaßen funktioniert. Wie lange allerdings noch, ist fraglich.

Denn die KirchensteuerzahlerInnen fragen mehr und mehr nach der Berechtigung und der Glaubwürdigkeit dieses Systems: Doch die Kirchenleitungen blockieren bisher. „Wir wären ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir an diesem System etwas ändern würden, solange es noch funktioniert“, hat in dankenswerter Offenheit der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende, Kirchenpräsident Nikolaus Schneider aus dem Rheinland, gesagt.

Es ist jetzt bei den Verantwortlichen in der EKD aber zunehmend spürbar, dass man bei einbrechenden Mitgliederzahlen und dadurch verminderten Einnahmen zum mindesten bereit ist, über eine Neuordnung der Finanzierung der Kirche nachzudenken (s. #LaTdH vom 27. September).

Die Hauptkritikpunkte

Der Dietrich-Bonhoeffer-Verein (dbv) kritisiert in der Nachfolge Bonhoeffers am gegenwärtigen Kirchensteuersystem insbesondere:

Es ist ein anonymes System. Die Kirchensteuer wird pauschal vom Lohn (8 oder 9% der Lohnsteuer) abgezogen und nach einem bestimmten Schlüssel den einzelnen (Landes-)Kirchen zugewiesen. Als Kirchensteuerzahler weiß ich nicht, wem und wofür das Geld pauschal zugewiesen wird.

Das Geld geht in den großen Topf der jeweiligen Landeskirche und wird nach einem dort festgelegten Schlüssel, über den nur sehr pauschal Auskunft gegeben wird, für die einzelnen gemeindlichen und übergemeindlichen Aufgaben der Kirche verteilt. Darauf habe ich als KirchensteuerzahlerIn nicht den geringsten Einfluss.

Der Staat zieht für die Kirche und auch im Auftrag der Kirche das Geld ein. Durch diese Delegation an den Staat – wie im Übrigen auch die Delegation des Kirchenaustritts – beraubt sich die Kirche jeglicher Möglichkeit einer direkten Kommunikation mit den GeldgeberInnen. Die bereits oben genannte Anonymität wird dadurch noch gesteigert. Es hat den Anschein, die Verantwortlichen der Kirche (Juristen und Theologen vor allem) wollen gar nicht wissen, wer wann wieviel und auf welche Weise an Steuern zahlt. Es läuft alles über einen direkt unbeteiligten Dritten, ein staatliches Organ, das die Verwaltungsarbeit macht. Das ist – um es einmal offen zu sagen – nicht nur unerhört, sondern einfach ein Skandal.

Von Kirchenvertretern wird dazu gesagt, das alles sei praktischer und vor allem preiswerter, als wenn die Kirche die Steuer organisatorisch selbst einziehen müsste. Das ist jedoch objektiv falsch, wie auf Nachfrage die ehemalige Präses der EKD-Synode Katrin Göring-Eckardt dem Dietrich-Bonhoeffer-Verein schriftlich bestätigte. Die Verwaltung des Einzugs der bisherigen Kirchensteuer durch Staat oder Kirche ist finanziell neutral.

Und vor allem: Die Anonymität des Systems führt dazu, dass jegliche persönliche Einflussnahme des Kirchensteuerzahlers auf die Verwendung seiner Kirchensteuer ausgeschlossen ist. Ich zahle meine Steuer anonym über den Staat durch Abzug auf dem Gehaltszettel an die Verwaltung einer Großkirche, ohne auch nur die geringste Möglichkeit zu haben mitzubestimmen, wofür mein Geld verwendet wird.

Ein leises System

Ein einflussreicher Jurist der Kirchenverwaltung sprach in diesem Zusammenhang selbst verräterisch von einem „leisen System“, bei dem der/die KirchensteuerzahlerIn, wenn er/sie nicht aktiv tätig wird, gar nicht richtig merkt, dass und wieviel und wofür sein/ihr Geld verwendet wird. Wenn man es noch einigermaßen positiv ausdrücken will, so kann man hier vom „blinden Vertrauen“ in die angemessene Verwaltung des Geldes sprechen. Die „Blindheit“ des Vorschuss-Vertrauens führt jedoch dazu, dass mein Geld auch gegen meine Interessen verwendet werden kann – und tatsächlich auch wird.

Dem gegenüber plädiert der Dietrich-Bonhoeffer-Verein seit bereits ca. 30 Jahren für folgendes finanziell offenes und für jeden transparentes System: Nämlich für einen Wechsel vom anonymen, von staatlichen Organen wahrgenommen pauschalen Kirchensteuereinzug an die Großkirche hin zu einer persönlich verantworteten Orts-Gemeindesteuer (Orts-Gemeinde-Beitrag), die direkt an die jeweilige Ortsgemeinde bezahlt wird.

Der finanzielle Beitrag entspräche in der Höhe durchaus der bisherigen Kirchensteuer, kann individuell aber nach unten oder oben geändert werden, so dass die Kirche ihre sozialen, diakonischen, seelsorgerlichen und kerygmatischen Aufgaben weiter wie bisher erfüllen kann.

Die Orts-Gemeindesteuer in der Praxis

Konkret kann das so geschehen, dass das Kirchenmitglied in Anlehnung an den bisherigen Kirchensteuerhebesatz direkt an die jeweilige Ortsgemeinde bzw. der Gemeinde, der er sich zugehörig fühlt, seinen Beitrag zahlt. In der Praxis entstehen dabei – siehe Votum der ehemaligen Präses der EKD-Synode – keine höheren Verwaltungskosten. Der jeweiligen Ortsgemeinde ist es dann aufgegeben, nach einem noch zu vereinbarenden Schlüssel der Gesamtkirche 30% oder 50 % oder mehr oder weniger abzutreten, damit sie ihre gesamtkirchlichen Verpflichtungen erfüllen kann.

Die Gemeindebindung und die persönliche Verantwortung eines/r jeden Einzelnen für seine/ihre gezahlte Ortskirchensteuer würde dadurch nicht nur gesteigert, sondern aus der Anonymität herausgeholt, ein Mitspracherecht bei der Verwendung wäre gesichert und das gesamte finanzielle Gebaren der Kirche würde für alle Beteiligten transparenter.

Die Höhe der Orts-Gemeindesteuer wird vom Zahlenden in Anlehnung an die bisherige Höhe der Kirchensteuer selbst gewählt, eine Offenlegung der Gemeinde über die Verwendung des Geldes wird erforderlich und die Gesamtkirche hat die Pflicht, die an sie überwiesenen Gelder nicht nur wie bisher pauschal zu verwalten, sondern gezielt mit Begründung gegenüber den GeldgeberInnen zu verwenden.

Diese sog. 2. Säule (vgl. dazu Drei-Säulen-Modell Schaubild insgesamt) ist die wesentliche und einschneidende Neuerung, die der Dietrich-Bonhoeffer-Verein vorschlägt.

Freiwilligkeit und Engagement

Darüber hinaus gäbe es wie bisher freiwillige Gaben (1. Säule) der Gemeindeglieder, also Kollekten, Spenden und unentgeltliche bzw. ehrenamtliche Leistungen. Die Begründung dafür ist einfach und für jeden sofort nachvollziehbar: Freiwillige Gaben sind die ursprüngliche Form der Kirchenfinanzierung (siehe Paulus im 1. Korintherbrief, Kap.  9).

Die Gemeinden sind als Empfänger dieser Zuwendungen zu transparenter Einwerbung, Verwaltung und Verwendung verpflichtet. Auch hier liegen die Vorteile auf der Hand: Freiwilligkeit, stärkerer persönlicher Kontakt zur Gemeinde, Nutzung der Spendenbereitschaft der BürgerInnen auch unabhängig von einer Kirchenmitgliedschaft.

Neu dagegen wäre die Einführung von sog. Bürgergutscheinen (3. Säule), wie es sie in anderen Ländern, z.B. Italien, schon gibt. Ein gewisser Anteil des Bundeshaushaltes (etwa 1,5 %) wird als sog. Bürgerhaushalt ausgewiesen, über dessen Ausgaben die wahlberechtigten BürgerInnen durch sog. Bürgergutscheine mitbestimmen können. Diese Bürgergutscheine können von den BürgerInnen wahlweise für soziale, politische, religiöse oder andere gemeinnützige Zwecke bestimmt werden.

Diese drei Finanzierungsoptionen hat der Dietrich-Bonhoeffer-Verein in seinem Drei-Säulen-Modell Schaubild zusammengefasst. Das „3-Säulen-Modell“ wird in kirchlichen Leitungsgremien seit etwa fünf Jahren kontrovers diskutiert, wobei die Skepsis ihm gegenüber immer stärker abnimmt und auch in offiziellen Kreisen der evangelischen Kirchen nach einer konkreten Umsetzung gesucht wird.

Das „3-Säulen-Modell“ soll die Finanzierung der Kirche auf eine verlässliche Grundlage stellen, soll für alle Beteiligten transparent sein und soll vor allem – das ist sein Hauptziel – die persönliche Verantwortung und Mitbestimmung des Geldgebers durch die Bindung des Geldes an die Ortsgemeinde ermöglichen. In der bisherigen anonymen Kirchensteuergesetzgebung mit Delegation des Einzugs der Kirchensteuer an den Staat ist das objektiv nicht gegeben, ja ist aus Systemgründen gar nicht beabsichtigt.