Bild: Gregorsmesse, Maagdenhuismuseum Antwerpen, Gregorsmesse-Datenbank der Uni Münster

Von mittelalterlichen Darstellungen christlichen Gottesdienstes

Am Beispiel der Gregorsmesse lässt sich das Verhältnis von sakraler Kunst und Gottesdienst studieren. Aus Brot wird Fleisch, aus Bild Realität.

Gregor der Große war ein bedeutender Papst. Auch wenn die historische Forschung sich große Mühe gibt, zu beweisen, dass einige seiner Nachwirkungen gar nicht wirklich auf ihn zurückzuführen sind, ist er zum Namensgeber der Gregorianik geworden und eng mit der Verbreitung der Benediktsregel in der Kirche verbunden.

Viele andere Geschichten legen einen legendarischen Nebel um sein Leben, der sich Zeit seines Lebens ausbreitet und auch danach bis weit über das Mittelalter hinausreicht. Gregor, der um 540 in Rom auf die Welt kam und 604 ebendort verstarb, ist ein leuchtendes Vorbild, wie monastisches Leben, Kontemplation und Observanz mit den Aufgaben und Pflichten des Papstamtes verbunden, neue Impulse in die Kirche tragen konnten, die bis zum heutigen Tag auf die ein oder andere Weise in der praktischen Frömmigkeit nachhallen.

Die Legende der Gregorsmesse

Gregor wird gerühmt für seine demütige Haltung, der jedes Streben nach Macht und Herrschaftsgewalt fremd ist, und er ist das Mittelalter hindurch eine angesehene und bekannte Persönlichkeit der Kirchengeschichte. Man erzählte sich eine Legende von Gregor, die zunächst von einem seiner engsten Schüler aufgeschrieben, durch die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg tradiert und hier und da etwas verändert wurde:

In einer römischen Kirche zelebrierte Gregor, zu diesem Zeitpunkt schon Bischof von Rom, die Messe. Nichts Besonderes passiert – bis plötzlich ein Lachen durch die Kirche schallt, just in dem Moment, da Gregor am Altar das Brot nimmt. Das Lachen stammt von einer Hostienbäckerin, die sich in der Gemeinde befindet und ihren spontanen Lachanfall nicht zügeln kann.

Gregor fragt sie, was sie so erheiternd finde. Und sie antwortet, dass es sich bei dem Brot ja wohl kaum um den Leib Christi handeln könne, denn immerhin habe sie das Brot ja selbst gebacken und wüsste sehr genau, was sich darin befinde und dass es Brot sei und nichts als Brot. Daraufhin betrachtet Gregor das Brot und versinkt in ein Gebet für ihren Unglauben. Da verwandelt sich das Brot in ein fingergroßes Stück Fleisch. Nach einem erneuten Gebet wird es wieder zurückverwandelt und da die Hostienbäckerin sprachlos bleibt, setzt Gregor die Messe fort. Die Hostienbäckerin war von da an – so die Legende – in ihrem Glauben unerschütterlich.

Üppige Wirkungsgeschichte

Dieses Geschehen fand Eingang in diverse Legendensammlungen und war besonders im Mittelalter bekannt. Denn etwa 800 Jahre später entsteht daraus eine ungeheuer große Menge an bildlichen Darstellungen unterschiedlichster Art.

Ab 1400 lassen sich Darstellungen von Gregor dem Großen in verschiedenen Medien finden: Holzschnitte und Kupferstiche, die durch Druckverfahren günstig an den einfachen Mann gebracht werden konnten, Wandfresken in Kirchen, Epitaphschmuck und Altargemälde – all diese Bilder zeigen ihn während der Messe vor dem Altar, auf dem sich das Messwunder vollzieht.

Die sogenannte Gregorsmesse oder Gregoriusmesse wird im 15. Jahrhundert zu einem der beliebtesten Bildmotive und erlebt eine reiche, üppige, aber zeitlich äußerst kurze Blüte, die mit der beginnenden Reformation endet. Zu diesem Zeitpunkt wird die Zahl der in Auftrag gegeben Darstellungen geringer bis ab der Mitte des 16. Jahrhunderts keine weiteren Gregorsmessen entstehen.

Ihre Popularität hat verschiedene Gründe: das bereits erwähnte Ansehen Gregors, die Konjunktur eucharistischer Wunder im Mittelalter, auch die Faszination und Begeisterung für wundersame Verwandlungen. Ebenso wurde ein spezieller Ablass mit bildlichen Darstellungen der Gregorsmesse verbunden, darüber hinaus traf auch das Bildprogramm als solches den Geschmack der Betrachter.

Das Bild und sein Ort

Diese Bilder versuchen ein Geschehen darzustellen, das nicht nur für den Laien schwer begreiflich war, sondern auch in der theologischen Fachwelt immer noch zu Diskursen und Lehrverwerfungen führte: nämlich das Messwunder und die eucharistischen Vorgänge.

Die heutige Wahrnehmung von Gemälden und die Orte, an denen der Betrachter ihnen begegnet, haben sich seit ihrer Entstehungszeit verändert. Die Gemälde der Gregorsmesse, die sich heutzutage in Museen an den Wänden befinden, waren ursprünglich Altarbilder, als solche entworfen, gestaltet und für den sakralen Raum vorgesehen. Sie wurden irgendwann zerlegt, ihrer Seitenflügel, ihrer Aufsätze oder Podeste beraubt, ohne ihre eigentliche Wurzel, ohne ihren Dialog zur Umgebung, zum Publikum und den Kontexten und liturgischen Vollzügen, in denen sie dem Wesen nach als Altarbild standen und stehen sollten.

Sortiert nach Gattung, Epoche, Stil oder Künstler begegnen der Betrachter der Kunst des Mittelalters im sterilen Raum, isoliert durch Vitrinen und ihrem Ursprung und dem Beziehungsgeflecht der Umgebung enthoben. Deswegen ist es notwendig, bei der Begegnung mit einem Kunstwerk auch immer zu fragen, welchen Sitz im Leben es ursprünglich hat.

Ein Altargemälde findet sich in einem liturgischen Kontext wieder, und hat deswegen beim Betrachter eine andere Wirkung auslösen können als ein Andachtsbildchen, das mit einem einfachen Druckverfahren hergestellt wurde, billig in der Anschaffung war und an einer Wand im eigenen Haus befestigt wurde und der persönlichen Betrachtung beim Gebet diente.

Darstellung des Geschehens

Insbesondere für die Gregorsmesse ist daher der Raum relevant, in dem sie sich als Altargemälde ursprünglich befunden hat. Denn sie befinden sich an dem Ort, den sie darstellen. Der Betrachter kann also zweifach das Geschehen verfolgen: Durch die konkreten Handlungen des Priesters am Altar innerhalb einer ausgestatteten Kirche während der liturgischen Vollzüge. Und zugleich sieht er eine Darstellung eben jener liturgischer Vollzüge und einem sich dabei ereignenden Wunder der leibhaftigen Erscheinung Christi vor Gregor dem Großen.

Die Realität des Bildes, also des visionären Geschehens und die eigene leibhaftige Realität können durch die Betrachtung ineinandergreifen. Die Gregorsmesse als Altarbild macht im Bild sichtbar, was geglaubt werden kann – und dabei will sie nicht das Wunder der Eucharistie darstellen, das sich dem Wesen nach der Darstellung entzieht, sondern bietet eine Möglichkeit von vielen sich die Passion zu vergegenwärtigen, und als Betrachter und zugleich Teilnehmer der Eucharistie an den heilsgeschichtlichen Ereignissen ganzheitlich teilzunehmen, respektive von ihnen ergriffen zu werden.

Die Antwerpener Gregorsmesse

Im Antwerpener Maagdenhuismuseum findet sich eine Gregorsmesse eines unbekannten Meisters, die um 1500 bis 1510 entstanden ist. Gregor ist seitlich dargestellt, er kniet vor dem Altar, der die gesamte linke Seite des Bildes einnimmt. Christus als Schmerzensmann beugt sich weit über den Altar.

Gregor schaut zum Altar, sein Mund ist vor Erstaunen ob der unerwarteten Dinge, die er sieht, geöffnet. Seine Hände sind erhoben – will er nach der Erscheinung des Schmerzensmannes greifen, hält aber in der Bewegung inne? Will er sich die Hände an die Augen führen und diese tüchtig reiben, weil er nicht glaubt, was er da sieht? Oder ist diese Geste anbetenden Verzückung?

Auf dem Altar steht in der Position einer Predella der Sarkophag, in dem der Schmerzensmann erscheint. Dieser umgreift mit der rechten Hand seine Brustwunde, die linke hat er erhoben, um die Nagelwunde in der Handfläche zu zeigen. Aus seinen Wunden fließt sein Blut in Strömen in den auf dem Korporale stehenden Kelch.

Von dort aus geht ein zweiter Strahl Blutes aus und trifft den tierischen Höllenrachen, der neben dem Altar unten links zu sehen ist. In dem Rachen befinden sich zwei Menschen, arme Seelen in der Hölle. Christus ist von einem Goldgrund hinterfangen, auf dem die Arma Christi als Köpfe der handelnden Personen der Passion erscheinen.

Auf dem Altar steht neben dem Kelch zwei Leuchter mit brennenden Kerzen, das geöffnete Messbuch auf einem Tischlesepult, die Patene und die an dem Sarkophag lehnende Korporalientasche. An der rechten Schmalseite des Altars steht ein Messdiener, der den Altarvorhang zurück schiebt. Hinter dem Papst knien zwei Leviten, beide heben die Kasel des Papstes an, der linke hat das Messglöcklein in der Hand, der andere die brennende Wandlungskerze. Hinter den Leviten stehen zwei Kardinäle, der eine hält die Tiara und ein Beutelbuch, der andere den Kreuzstab. Hinter diesen befindet sich ein Lesepult mit einem geöffneten Buch darauf.

Identifikationsmöglichkeiten

Das Bild bietet einen Einblick in einen weiten Kirchenraum und Ausblicke in einen Querschiffarm, einen Seitenchor und einen weiteren Nebenraum. Im Seitenchor sitzen zwei Mönche in einem Gestühl. Über ihnen hängt eine Schwalbennest-Orgel an der Wand. In dem Querschiffsarm kniet eine Frau vor einem Seitenaltar. Im Nebenraum gibt es ein Gestühl, in dem zwei Nonnen sitzen. Alle diese Personen am Rand des Bildes und des Geschehens scheinen die visionäre Erscheinung des Schmerzensmanns nicht zu bemerken.

Der große Raum, in dem sich diese Gregorsmesse abspielt, lässt das Bild weit und weniger überladen erscheinen. Sicherlich trägt die fehlende Zusammenstellung der Arma zu diesem Eindruck bei. Bemerkenswert ist auf den ersten Blick Gregor, den wir hier nicht milde gelassen oder fast unbeteiligt oder in unaufgeregter Kontemplation beim Altardienst und der Gegenwart der Erscheinung sehen, sondern mit deutlicher Körpersprache.

Gregor ist voll und ganz da, er bietet mit seiner zutiefst menschlichen erstaunten Reaktion eine Möglichkeit für den Betrachter, sich mit ihm zu identifizieren und das Wunder ebenso zu glauben, vor seiner Herrlichkeit zu erschrecken, es zu verehren, und das äußere Geschehen zu verinnerlichen.

Der Junge, der an der Seite des Altars den Vorhang zurückzieht, verdeutlicht, dass nicht allein Gregor den Schmerzensmann sieht. Wie es sich jedoch mit den übrigen Anwesenden verhält, ist nicht eindeutig zu sagen. Auch der Junge kann eine Identifikationsmöglichkeit für den Betrachter bieten, der ebenso den Schleier wegziehen und auf Christus blicken kann.

Die Vision wird Realität

Der Schmerzensmann deutet ausdrücklich auf seine Brustwunde, aus der ein üppiger Blutstrahl in den Kelch auf dem Altar  fällt. Wird die Vision hier Teil der Realität oder soll die Realität der Gegenwart Christi in Wein und Brot durch die Vision bestätigt werden – in der ursprünglichen Legende verwandelte sich die Hostie in ein Stück Fleisch. Von Kelch und Blutstrahl keine Spur.

Dazu kommt, dass der Kelch geradezu übersprudelt vor Blut, er ist mehr als randvoll gefüllt und das Blut bleibt nicht darin. Dass das Blut den Kelch trifft, bedeutet nicht, dass die leibliche Gegenwart Christi auf den Wein beschränkt ist – die Hostie liegt direkt neben dem Kelch und kann daher in den Vorgang einbezogen werden.

Und obwohl die Darstellung eine recht drastische und plastische ist, verdeutlicht sie zweierlei, nämlich zunächst mit der Erscheinung des Schmerzensmannes den Altar als Ort der Erscheinung Christi in Gestalt der Eucharistie, und dann ohne sich an theologischen Begrifflichkeiten und Feinheiten der Transsubstantiationslehre abzumühen, ein mögliches pragmatisches Verstehen der Präsenz Christi in Wein und Brot.

Die Frage nach Akzidenz und Substanz treibt dabei die Gregorsmesse nicht maßgeblich um – die Malerei und ihre Handwerkszeuge kommen hier an eine Grenze – und zudem haben derartige theologische Fachdebatten wenig Platz auf einem Altargemälde. Mag auch ein gewisser pädagogisch-didaktischer Ansatz seine Rolle in der Gregorsmesse spielen, so ist er nicht inspiriert durch die neuesten theologischen Termini, sondern motiviert vom Versuch, das, was nicht sichtbar ist und vom Glauben allein erfasst werden kann, doch durch äußerliche und unzureichende Mittel sichtbar zu machen. Die Anschauung des Bildes ersetzt nicht den Glauben, versucht aber, ihn begreiflich zu machen.

Schmerzensmann, Kelch und Blutstrahl gehen in ihrer Darstellung noch darüber hinaus. Aus dem Kelch geht ein weiterer Blutstrahl hervor und landet auf dem Haupt des höllischen Tieres. Die Hölle als Raubtierrachen, der Menschen verschlingt, ist ein beliebtes Motiv im Mittelalter, und auch in anderen Bildtypen wiederzufinden.

Öffnet sich der Rachen nun, weil das Blut Christi ihn trifft? Wird es so den armen Seelen ermöglicht, die Hölle zu verlassen? Man kann darüber diskutieren, ob es sich hier um die Hölle an sich handelt oder ob das Tier das Fegefeuer symbolisieren soll. So oder so wird die herausragende Bedeutung der eucharistischen Elemente deutlich: sie kommen und sind nicht allein Christus, sondern deswegen ermöglichen sie die Erlösung der verlorenen Seelen.

Sakrale Kunst im sakralen Raum

Das Bild kann dieses Verhältnis dem Betrachter aufzeigen – er bleibt aber nicht mehr Betrachter, sondern durch die an dem echten Altar geschehende Eucharistie wird er in seiner ganzen Leiblichkeit in dieses Geschehen hineingenommen. Der Kelch ist nicht nur gemaltes Medium einer Weiterleitung der göttlichen Gnade, sondern verweist auf den echten Kelch und die Elemente, die sich auf dem Altar befinden.

Die Gregorsmesse zeigt beispielhaft, welchen Zweck sakrale Kunst im sakralen Raum erfüllen kann. Und an ihr wird deutlich, warum es für theologische und kirchenhistorische Fragestellungen wertvoll ist, nicht allein Schriftquellen, sondern auch Bildquellen heranzuziehen.

Anders als ein Kommentar, eine Erläuterung oder eine Predigt macht die Gregorsmesse in ihrer Funktion als Altarbild für die Augen der Betrachter sichtbar, was im eucharistischen Vollzug geschieht, aber allein im Glauben geschaut werden kann.

Nicht die Vermittlung einer theologischen Lehrmeinung steht im Vordergrund, sondern das verborgene Geschehen in der Eucharistie. Die Gregorsmesse ist dabei in der Art ihrer Darstellung und Form auf den Betrachter ausgerichtet. Indem sie mit bekannten ikonographischen Motiven arbeitet und diese zugleich in Gestalt des legendarischen Geschehens aus dem Leben von Gregor dem Großen mit einer eigenen Realität und historischen Verankerung versieht, ermöglicht sie dem Betrachter den Zugang zu einem Vorgang, der nicht anschaulich vermittelt werden kann.