#Wärmewinter: Weder arm noch sexy

Mit dem #Wärmewinter wollen EKD und Diakonie in diesem Winter auf Hilfsangebote hinweisen – und die eigene Bedeutung für die Gesellschaft herauskehren. Ein Kommentar.

Die Kirche will so gerne hilfreich sein. Wie praktisch, dass es da neben der Arbeit in den Kirchengemeinden, Kirchenkreisen und Kirchenämtern auch noch die Diakonie gibt. Die genießt in der Bevölkerung und unter den Kirchenmitgliedern hohes Ansehen. Vermutlich zahlen nicht wenige Menschen deshalb gerne Kirchensteuer, weil sie das soziale Engagement der Diakonie schätzen und unterstützen wollen.

Dabei haben Diakonie und Kirche zunehmend weniger miteinander zu tun. Mit der Kirchensteuer finanziert sich die Kirche: Zu fast zwei Dritteln fließt das Geld ins Personal, außerdem werden damit Kirchen und Gemeindehäuser erhalten, Aufgaben von Kirchengemeinden und übergemeindliche Aktivitäten bezahlt. Und es wird geheizt. Für die Bildungsarbeit in Kindergärten, Schulen und Akademien sowie in der gemeindlichen und verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit erhält die Kirche – ebenso wie für Großereignisse wie den Kirchentag – Fördermittel von Kommunen und Ländern. Anders geht es gar nicht.

Die Diakonie hingegen besteht aus zahllosen Verbänden und Unternehmen, die u.a. Pflegeheime, Sozialstationen, Obdachlosenunterkünfte, Krankenhäuser, Berufs- und Hochschulen, Behindertenwerkstätten, vielfältige Beratungsangebote und Einrichtungen für Kinder und Jugendliche betreiben. Finanziert werden diese aus den Beiträgen der Sozialversicherungen und staatlichen Leistungen. Weil zum Beispiel diakonische Krankenhäuser an der Grundversorgung teilnehmen, ist das auch ok so.

Beide Systeme sollten im besten Fall nicht einfach nebeneinanderher, sondern miteinander verzahnt arbeiten. Doch wie genau diese Verzahnung unter dem Einfluss einer fortschreitenden Säkularisierung in Zukunft aussehen wird, darüber wird anhaltend gestritten. Früher einmal waren Diakonie-Mitarbeiter:innen zugleich auch Mitglied in der Kirche, das ist heute schon nicht mehr selbstverständlich der Fall. Von einem Kreuz im Krankenzimmer allein wird aus professioneller Pflege kein diakonisches Handeln.

Immer wenn Kirche und Diakonie betont gemeinsame Sache machen wollen, ist darum Aufmerksamkeit angebracht. In diesem Winter, der vielen Menschen aufgrund von Inflation und Energiekrise Angst macht, wollen EKD und Diakonie mit einer gemeinsamen Kampagne, dem „#Wärmewinter“, auf die diakonischen Hilfsangebote hinweisen (Bericht hier in der Eule).

Angst vor der Relevanz-Vakanz

Im Kern handelt es sich beim „#Wärmewinter“ um den Versuch, mittels einer bundesweiten Kampagne sowohl Hilfesuchende auf die Angebote von Diakonie und Kirche aufmerksam zu machen als auch die Öffentlichkeit von der Bedeutung der evangelischen Kirche für die Gesellschaft zu überzeugen. Während der Corona-Pandemie habe man der Kirche zum Vorwurf gemacht, sie sei zu leise gewesen, erklärte die EKD-Ratsvorsitzende auf der „#Wärmewinter“-Pressekonferenz. Das will man sich nicht noch einmal sagen lassen.

Die evangelischen Landeskirchen legen auch Wert darauf zu erklären, die Mehreinnahmen bei der Kirchensteuer, die sich aus der Besteuerung der Energiekostenpauschale ergeben, würden nicht für das gewöhnliche Geschäft, sondern „ausschließlich für einen guten Zweck“ aufgewendet. Die Idee ist gut, die Kommunikation – wie so häufig – mangelhaft. Oder handelt es sich beim „normalen“ Betrieb der Kirche nicht auch um einen guten Zweck? Einen, für den fast 20 Millionen evangelische Christ:innen immer noch freiwillig in die Tasche greifen?

Hinter Kampagnen wie „#Wärmewinter“ steckt darum neben dem guten Willen, Hilfsbedürftigen auch in den normalen Kirchengemeinden „warme Räume“ in einer erkaltenden Gesellschaft anzubieten, auch die Sorge darum, in unserer krisenhaften Zeit für irrelevant gehalten zu werden. Wer friert, freut sich nicht an Orgelklängen. Wer den Einkauf nicht mehr bezahlen kann, sorgt sich weniger ums Seelenheil. Auch die Kirchenleitenden wissen darum, dass die Arbeit der Diakonie in der Gesellschaft ungleich höheres Ansehen genießt als das sogenannte kirchliche „Kerngeschäft“.

Wenn sich vom „#Wärmewinter“ Christ:innen begeistern lassen, (noch) mehr zu spenden und sich ehrenamtlich vor Ort bei Tafeln, Wärmestuben oder der Bahnhofsmission zu engagieren, wäre die Kampagne ein Erfolg. Wahrlich schadet es nicht, wenn mehr Gemeindechrist:innen die Zusammenarbeit mit der Unternehmensdiakonie vor Ort stärken. Schon heute engagieren sich bei der Diakonie 700 000 Menschen freiwillig. Den Synergieeffekt, dass vom Wohlwollen, mit dem die Öffentlichkeit auf sie schaut, etwas auf die Kirchen abfällt, nimmt man gerne mit.

Eine Gefahr aber könnte darin liegen, dass sich die Protestant:innen bei allem geschäftigen Sorgen ein wenig verrennen. Hilfesuchende brauchen konkrete, langfristige und professionelle Unterstützung. Genau das leisten die Diakonischen Werke. Ob es daneben noch mehr sicher gut gemeinten, aber manchmal nur halb durchdachten Aktivismus in den Kirchgemeinden braucht?

Ambulante medizinische Versorgung im Kältebus der Berliner Stadtmission (Foto: Diakonie / Kathrin Harms)

Weder arm noch sexy

Die EKD-Ratsvorsitzende möchte der gesellschaftlichen Kälte „in den Spuren Christi mehr als Menschlichkeit und Humanität“ entgegensetzen. Dieses „Mehr“ ist ein Grundton von Kurschus‘ öffentlichen Interventionen. Öffentliche Theologie sei mehr und anderes als politische Stellungnahme. Und doch landeten Kurschus und Diakonie-Präsident Ulrich Lilie bei der Vorstellung des „#Wärmewinter“ wieder beim „anwaltschaftlichen Mandat“ der Kirche: „In unserem jüdisch-christlichen Stammbuch steht die Verpflichtung, gerade für die Schwachen einzutreten: ‚Tu Deinen Mund auf für die Stummen, für die Sache aller, die verlassen sind!‘ (Sprüche 31,8)“.

Könnte „in den Spuren Christi“ nicht noch mehr und anderes möglich sein? Eine Kirche, die tatsächlich solidarisch mit den Menschen in ihrer Not steht? Dazu müsste die Kirche selbst arm werden.

Die Kirche will so gerne hilfreich sein, aber an den eigenen Privilegien rüttelt man nur zaghaft. Die landeskirchlichen Handlungsempfehlungen zum Energiesparen sind dafür ein beredtes Beispiel: Hinter jedem Sparvorschlag steht ein großes „Aber!“. Abschalten, sich begrenzen, (nur noch) das Notwendige tun, das fällt ungemein schwer. Dabei ist auch klar: Jeder Euro aus Kirchensteuermitteln, der für muckelige Kirchenräume, in denen sich kaum jemand aufhält, verheizt wird, ist kontraproduktiv. Aber die Orgeln!

Und was ist mit dem restlichen eingefahrenen Betrieb in den Kirchenämtern und Arbeitsstellen? Eine Kirche, die sich nützlich machen will, muss sich fragen, was sie davon tatsächlich braucht, um für die Menschen da zu sein. Das ist nicht nur bei den laufenden Heizkosten für repräsentative Liegenschaften augenfällig. Eine diakonische Kirche sieht anders aus als die Apparate der evangelischen Landeskirchen.

Ist der „#Wärmewinter“ Schönfärberei? Nein, aber richtig verstanden formuliert er eine massive Anfrage an die bestehenden Strukturen. Es könnte ja sein, dass die Relevanzvakanz und der abgehobene Wohlstand unserer Kirchen in einem Zusammenhang stehen. Das Problem der Kirche ist, dass sie weder arm noch sexy ist. Da ändert auch eine Kampagne nichts dran.