Plakat auf einer Demo gegen Rechts, Foto: der bildermacher (Flickr), CC BY-SA 2.0
Interview Rechtsradikale Ausschreitungen in Chemnitz

„Wir können nur rufen und mahnen“

Mit dem Chemnitzer Superintendenten Frank Manneschmidt haben wir über die Ausschreitungen in Chemnitz und die Ursachen und Folgen des Rechtsextremismus für die sächsische Stadt gesprochen.

Eule: Am Dienstag haben Sie in die St. Jakobikirche zum Gebet für den Frieden eingeladen. Wie war die Resonanz?

Manneschmidt: Wir hatten das Friedensgebet ökumenisch vorbereitet mit den römisch-katholischen und reformierten Kollegen vor Ort. Es war eine sehr ruhige und nachdenkliche Atmosphäre. Es waren wohl gut 200 Menschen gekommen, um innezuhalten.

Eule: Haben Seelsorger_innen Ihrer Gemeinden in Chemnitz Kontakt zu den Hinterbliebenen des Todesopfers von Sonntag?

Manneschmidt: Das ist mir nicht bekannt. Über das Opfer und die möglichen Täter ist überhaupt ja recht wenig bekannt. Die Kirchen in Chemnitz stehen allen Menschen offen, die trauern möchten und gemeinsam inne halten.

Eule: Am Sonntag- und Montagabend gab es in Chemnitz Kundgebungen von Neonazis, die den Todesfall für ihre Agenda instrumentalisieren wollen. Wie haben Sie das erlebt?

Manneschmidt: Ich war am Sonntag selbst auf dem Stadtfest und habe mich gewundert, warum die Buden schon abgebaut werden. Das Stadtfest wurde ja wegen des Messerangriffs vorzeitig beendet. Vom Unwesen des rechten Mobs habe ich selbst nichts mitbekommen, außer natürlich, dass viel Polizei in der Stadt ist. Ich bin vor allem erstaunt, weil der Vorfall an sich in meinen Augen diese Instrumentalisierung gar nicht hergibt. Wir wissen ganz wenig über Täter und Opfer, zu so etwas kommt es leider am Rande von Volksfesten immer wieder.

Eule: Rechtsextremen Gruppen ist es jedenfalls gelungen, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren.

Manneschmidt: Damit sind ganz offensichtlich auch die Polizei und die übrige Bevölkerung überfordert. Die große Mehrheit der Chemnitzer marodiert ja nicht durch die Straßen. Doch fällt es radikalen Minderheiten leicht, sich im Internet „zusammenzurotten“ und auf die Straße zu gehen …

Eule: Zumindest für den Montagabend hätte die Polizei gewarnt sein müssen, nach den Vorfällen von Sonntag, aber auch nach Warnungen über Mobilisierungsbemühungen.

Manneschmidt: Ich nehme das durchaus als Überforderungssituation für die Polizei und andere staatliche Stellen wahr. Die Polizei hat die Anzahl der gewaltbereiten Demonstranten eindeutig unterschätzt. Ich habe mit Menschen gesprochen, die Angst haben, nachts auf die Straße zu gehen und die befürchten, dass der Staat hier sein Gewaltmonopol aus der Hand gibt.

Eule: Viele Menschen denken insgeheim „Schon wieder Sachsen!“.

Manneschmidt: In Chemnitz konnte so etwas wie Pegida nie richtig Fuß fassen, aber ich denke, dass die Instrumentalisierung hier leichter fällt. Anders als die Rechtsextremen tut sich die bürgerliche Gesellschaft schwer damit, Formen zu finden Protest zu äußern oder effektiv gegen solche Instrumentalisierung von Gewalttaten vorzugehen. Ich höre auch Menschen, die sagen: „Das ist doch dann Aufgabe des Staates, bitte schön!“

Eule: Eine wehrhafte Demokratie braucht beides: Eine Staatsgewalt, die Recht und Ordnung durchsetzen kann und eine starke Zivilgesellschaft, die einmal errungene Freiheiten durch kritische Begleitung schützen hilft. Das kann man doch nicht dem Staat oder der Politik überlassen.

Manneschmidt: Die Kirche hat nicht das Gewaltmonopol, wir können nur mit dem Wort die Lage beruhigen und zum friedlichen Miteinander aufrufen. Wir überlegen, unsere Kirchen häufiger zu öffnen, auch unter der Woche, um Leute miteinander ins Gespräch zu kriegen. Es braucht Orte, an denen Menschen angstfrei aussprechen können, was sie besorgt.

Eule: Das klingt für mich nach der inzwischen alt-bekannten Position der Sächsischen Landeskirche in solchen Fällen, sich auf eine wertneutrale Vermittlerposition zurückzuziehen. Ist das nicht zu wenig?

Manneschmidt: Es stimmt, dass solche Gesprächsangebote an den Hooligans und Schlägern natürlich vorbei gehen. Da bin ich auch ratlos. Ich bin mir aber sicher, dass es ein besseres gegenseitiges Verstehen von Gesellschaft und Politik braucht, und dass wir als Kirche – auch wenn wir selbst nur eine Minderheit sind – uns da engagieren sollten.

Eule: Das ist inhaltlich ziemlich vage, als ob die Positionen, die von den Rechtsextremen auf die Straße getragen werden, diskutabel wären. Kann es ernsthaft immer wieder um die angenommenen Sorgen der Mehrheitsgesellschaft gehen, während Angehörige von Minderheiten durch die Straßen Sachsens gejagt werden?

Manneschmidt: Wir können nur rufen und mahnen. Aber das ist inhaltlich sehr deutlich bestimmt: Wir rufen zur Hilfsbereitschaft und Gewaltlosigkeit auf. Wir wenden uns gegen die Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Aussehens.

Eule: Fällt es der Kirche in Sachsen auch darum schwer, klar Position zu beziehen, weil mit der AfD eine rechtsextreme Partei inzwischen viel Rückhalt quer durch die Bevölkerung genießt, ja, auch Anhänger in den eigenen Gemeinden hat?

Manneschmidt: Ich bin ja erst kurze Zeit in Chemnitz und mir sind seitdem in keinen gemeindlichen Gremien, die ich besucht habe, Sympathisanten der AfD aufgefallen. Aber sicher wird es die in unseren Gemeinden geben, weil sie die Mitte der Gesellschaft abbilden. In meinen Augen sorgt die geringere Bindung z.B. an Parteien hier für ein großes Protestpotential, das sich dann neue Wege sucht.

Eule: Die AfD in Sachsen ist doch inzwischen mehr als eine Protestpartei. Überall im Osten bilden sich rechte Strukturen und die Politik schaut verdutzt und tatenlos zu.

Manneschmidt: Ich bin mir sicher, dass in der Vergangenheit viel versäumt wurde, was politische Bildung angeht. Auch sich einzugestehen, dass man ein Rechtsextremismusproblem hat. Ein großes Problem ist und bleibt, dass viele Bürger sich nicht ausreichend gehört fühlen. Das gilt für Menschen unterschiedlicher politischer Orientierungen gleichermaßen.

Rechtsextreme Ausschreitungen in Chemnitz

Wahrzeichen der Stadt, der Karl-Marx-„Nischl“, Foto: motograf (Flickr), CC BY 2.0

Am Sonntag wurde in Chemnitz während eines gewaltsamen Streits einer Gruppe Männer eine Person durch einen Messerangriff getötet. Die Polizei hat zwei mögliche Tatverdächtige festgenommen. Am Sonntag- und Montagabend folgten daraufhin Ausschreitungen von Rechtsextremen, denen die Polizei nicht Einhalt gebieten konnte.

Während der Demonstrationen wurden verfassungsfeindliche Symbole getragen und mehrfach der Hitlergruß gezeigt. Die Polizei Sachsen erklärte, die betreffenden Personen ermitteln zu wollen. Im Anschluss an die Demonstrationen war es zu Angriffen auf (vermeintliche) Ausländer gekommen.

Für Donnerstag sind in Chemnitz wieder Kundgebungen rechtsextremer Gruppen angekündigt. Ministerpräsident Kretschmer (CDU) wird sich wegen eines Bürgerdialogs ebenfalls in der Stadt aufhalten. Er hatte sich gestern nach tagelangem Zögern deutlich gegen die Ausschreitungen positioniert und alle Bürgerinnen und Bürger dazu aufgefordert sich „vor unsere ausländischen Mitbürger zu stellen“.


Update 30. August, 10 Uhr:

Die Kirche in Chemnitz lädt heute Abend 18 Uhr zum Friedensgebet in die Petrikirche ein. Außerdem wird es am Sonntag eine Kundgebung der Kirche und weiterer Akteure unter dem Motto „Wir in Chemnitz – aufeinander hören, miteinander handeln“ geben. Die Landeskirche hat Stellungnahmen des Kirchenkreises und des Landesbischofs veröffentlicht.

Update 1. September, 10:30 Uhr:

Der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, hat den Demonstranten gegen die rechtsextreme Vereinnahmung des Todesfalles in Chemnitz seine Solidarität ausgesprochen. In einem Gottesdienst in München sagte er heute:

„Während wir hier Gottesdienst feiern, sind in Chemnitz viele Menschen zusammen, um gegen Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren. Uns alle, ob wir jetzt hier in München zusammen sind oder in Chemnitz verbindet die Sehnsucht nach einer Gesellschaft, in der jeder Mensch seinen Platz hat. Ganz egal, woher er kommt oder wieviel er verdient: Wir alle sind geschaffen zum Bilde Gottes und haben eine Würde, die uns niemand bestreiten darf.“

Im Vorfeld des Gottesdienstes hatte er seine Kritik an der AfD erneuert:

„Wenn aus den Reihen der AfD Hass- und Hetzparolen verbreitet werden, kann dies von Christinnen und Christen nicht stillschweigend hingenommen werden. […] Wer an den Propaganda-Aktionen der AfD teilnimmt, muss wissen, wem er dort hinterherläuft.“


Das Interview führte Philipp Greifenstein.