Botschaft von der Corona-Station: "Wir bleiben hier!", Foto: Julia Braband
Interview Corona-Pandemie

„Wir meckern auf hohem Niveau“

Julia Braband hat sich freiwillig für den Einsatz auf einer Corona-Station gemeldet. Wir haben mit der Krankenschwester und Theologiestudentin gesprochen, die sich auch in der Kirche engagiert.

Eule: Du bist Theologiestudentin und Krankenschwester, wie geht das zusammen?

Braband: Ich wollte eigentlich schon immer Medizin studieren, habe aber eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen, weil ich wusste, dass ich keinen Studienplatz bekomme. In dieser Zeit habe ich mich immer stärker ehrenamtlich in der Kirche engagiert, in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und dann auch weltweit. So bin ich dann zur Theologie gekommen. Ich habe die Ausbildung abgeschlossen und bin dann zum Studium.

Eule: Du hast dich freiwillig für die Corona-Station deines Krankenhauses gemeldet. Warum?

Braband: Weil Freiwillige gesucht wurden. Ich bin jung, ich gehöre nicht zur Risikogruppe, ich helfe. Ich bin hier im Krankenhaus sonst für 25 % fest angestellt neben dem Studium. Jetzt arbeite ich Vollzeit. Ich komme aktuell sowieso in keine Bibliothek rein, um meine Seminararbeit fertig zu schreiben.

Eule: Und auf einer ganz neuen Station, die eigens für Corona-Patienten eingerichtet wurde. Wer arbeitet da?

Braband: Hier arbeiten nur Freiwillige. Wir sind ein komplett durchmischtes Team aus allen Sparten, die man sonst in einem Krankenhaus findet. Wir sind im Vergleich zum Normalbetrieb auch ein junges Team.

Dadurch, dass die Station neu eingerichtet wurde, haben wir ganz neue Abläufe. Und natürlich auch solche, die man sonst auf Station nicht hat. Wie können wir einen gescheiten Tagesablauf herstellen? Wie gehen wir mit Patienten um, die noch kein Testergebnis haben? Wie arbeiten wir mit denjenigen, die positiv getestet wurden? Die Arbeit ist eine andauernde Fortbildung.

Eule: Wie kann man sich das überhaupt vorstellen? Es kommt ein Mensch mit Symptomen zu euch ins Krankenhaus, um sich testen zu lassen.

Braband: Genau. Hinzu kommen Patienten mit anderen Krankheitsbildern, die aber vielleicht Husten oder Fieber haben. Dann wird geklärt, ob das von einer anderen Erkrankung herrührt oder Corona ist. Die kommen dann zu uns auf Station, wir testen und warten dann – manchmal drei Tage – auf das Ergebnis. Ist der Test negativ, werden die Patienten auf die entsprechende Fachabteilung verlegt. Wenn er positiv ausfällt, bleiben sie bei uns.

Eule: Thüringen hat im Vergleich zu anderen Bundesländern weniger Infizierte, aber auch schon Todesfälle. Wie hat sich die Situation seit letzter Woche entwickelt?

Braband: Seit letzter Woche haben wir drei Patienten positiv getestet. Einer davon wurde bereits geheilt entlassen. Alle anderen Patienten wurden bisher negativ getestet. Die Entwicklung ist relativ konstant. Die meisten Erkrankten benötigen keine Behandlung im Krankenhaus. Es ist vielleicht auch das große Glück Thüringens, dass es hier keine so großen Städte gibt, sondern die Menschen auf dem Land leben. Hier kann man sich eher aus dem Weg gehen. Mir fällt es aber schwer, die Entwicklung zeitlich fest zu machen. Welchen Wochentag haben wir eigentlich?

Eule: Ja, das Zeitgefühl in dieser Krise verändert sich. Wie kommst Du damit klar?

Braband: Ganz gut, denn das ist ja immer so, wenn man viel am Stück arbeitet. Daran sind wir im Krankenhaus gewöhnt. Mir ist es schon in der Ausbildung so gegangen, dass die Zeit ganz schnell vorbei ging. Es bleibt jetzt nicht viel Zeit für andere Sachen. Ich bin froh, dass ich arbeiten gehen darf und nicht den ganzen Tag zuhause bleiben muss.

Eule: Wieviel bekommst Du von den Nachrichten in dieser Zeit mit?
Braband: Relativ viel, weil wir auch in den täglichen Teamsitzungen darüber sprechen, was das Robert-Koch-Institut bekannt gibt. Ich schaue auch einen Live-Ticker an. Aber nur einen! Wenn die Sondersendungen nach der „Tagesschau“ kommen, muss ich wegschalten, weil mich das aufregt. Gefühlt ist ja jetzt jeder Experte für Virologie. Ich habe jeden Tag mit dem Virus zu tun, da brauche ich das zuhause nicht auch noch.

Eule: Du sitzt im Präsidium der Landessynode der EKM. Das ist für eine junge Frau in der evangelischen Kirche immer noch ungewöhnlich. Finden da jetzt auch noch Gespräche statt?

Braband: Ach nö, kaum. Die Landessynode ist verschoben, auf wann genau, weiß ich auch noch nicht. Wir hätten eigentlich das Thema Jugend gehabt. Mal schauen, in welchem Format wir das nachholen können. Der Landeskirchenrat findet zurzeit per Telefonkonferenzen statt.

Eule: Du bist auch im Rat des Lutherischen Weltbundes (LWB) engagiert. Zunächst: Was macht man da?

Braband: Der Rat ist das Entscheidungsgremium zwischen den Vollversammlungen des Weltbundes. Er besteht aus 48 Mitgliedern, die für sechs Jahre gewählt werden. Wir sind dafür zuständig, dass der LWB weiterläuft. Wir machen das auf Weltebene, was eine Synode für eine Landeskirche macht, und vernetzen die lutherischen Kirchen miteinander. Ich bin da Abgeordnete der EKM. Alle lutherischen Kirchen in der EKD sind einzeln Mitglieder des Weltbundes, aber nicht aus allen kommt ein Ratsmitglied.

Eule: Die Kirchen reagieren ja international sehr unterschiedlich auf die Pandemie. Ich habe gerade Nachrichten aus Tansania gelesen, wo der Präsident mit Verweis auf seinen Glauben alle Schutzmaßnahmen ablehnt. Viele Kirchen in Tansania haben Partnerkirchen in Deutschland.

Braband: Es ist sehr unklug, wie da zum Teil gehandelt wird. Gerade wenn man sich die hygienischen Standards anschaut, die wir aus vielen Ländern des globalen Südens kennen. Das macht die Bekämpfung des Virus‘ nicht einfacher. Wir haben das große Glück, in einem Land zu leben, in dem das Gesundheitssystem gut aufgestellt ist. Ich glaube, viel von dem, was wir gerade meckern, ist Meckern auf hohem Niveau.

Für die Länder im globalen Süden wird die Situation noch sehr schwer werden. Mich haben auch die Nachrichten aus Brasilien betroffen gemacht: Da gibt es jetzt Fälle in den Favelas. Die Chancen, die Infektionsketten dort zu unterbrechen, sind sehr gering. Der Rat des Lutherischen Weltbundes hätte demnächst in Nigeria getagt. Da wäre ich gerne hingefahren, aber das ist jetzt natürlich abgesagt.

Eule: Als Mitglied des Rates des LWB kommst Du viel rum in der weiten Welt.

Braband: Wir führen einmal im Jahr eine Ratstagung durch. Die findet entweder in Genf statt, da ist das Büro des LWB, oder in einer Mitgliedskirche. Diesmal wäre Nigeria dran gewesen, weil unser aktueller Präsident von dort kommt. Letztes Jahr sollte das Treffen eigentlich in Uganda stattfinden. Das wurde aufgrund der Sicherheitslage abgesagt. Dort befindet sich eines der größten Flüchtlingslager, das der LWB betreut.

Eule: Am Mittwoch haben die leitenden Geistlichen der EKM einen Appell an die Bundesregierung gerichtet, endlich die Flüchtlingslager an den EU-Außengrenzen zu evakuieren.

Braband: Das ist sehr wichtig! Ich habe ein großes Problem damit, dass wir im Moment nur auf Corona schauen und alle anderen humanitären Probleme vergessen. Das ist keine gute Entwicklung. Wenn sich nicht einige wenige Aktivisten um die Menschen kümmern würden, die an unseren Grenzen darauf warten, dass ihnen endlich geholfen wird, wären sie völlig vergessen. Das betrifft auch Länder wie Syrien, Irak und Iran.

Eule: Du arbeitest in einem katholischen Krankenhaus. Wie sieht denn die geistliche Versorgungslage aus?

Braband: Als ich in der Ausbildung war, gab es noch Ordensschwestern, die Patientenbesuche gemacht haben. Die gibt es jetzt nicht mehr. Aber wir haben hier tägliche Andachten. Jeden Sonntag gibt es einen Gottesdienst, den man sich auf dem Zimmer im Fernseher anschauen kann. Wir haben einen katholischen Priester, einen evangelischen Pfarrer und ein Seelsorgeteam, die für die Patienten und Mitarbeiter*innen da sind.

Eule: Dürfen die Seelsorger*innen auch zu den Corona-Patienten?

Braband: Nein, das dürfen sie nicht. Da dürfen nur Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte rein und eine Reinigungskraft. Die seelsorgliche Begleitung der Corona-Patienten ist schwierig, weil auch wir ja nur das Nötigste machen und den Patientenkontakt möglichst kurz halten. Es fehlt natürlich – wie immer – auch die Zeit mit den Patienten zu reden. Ich habe das letztens einmal bei geöffneter Tür gemacht und wir haben mit viel Abstand zwischen uns gesprochen.

Eule: Auf deiner Station ist noch kein*e Patient*in an Covid-19 verstorben. Im Fall der Fälle dürften die Angehörigen aber nicht dazu kommen.

Braband: Keiner darf hier rein. Das ist natürlich für die Patient*innen schwer auszuhalten. Für Menschen, die allein leben oder nur noch einen Betreuer haben, weil sie keine Familie mehr haben, mag das mit uns als Ersatz vielleicht noch klappen. Für Menschen, die Angehörige haben, ist es besonders schwer. Vielleicht sähe es auch anders aus, wenn es einem Kind ganz schlecht gehen würde.

Eule: Was ist dein Wunsch für die nächsten Tage?

Braband: Ich hoffe sehr, dass die Kontaktbeschränkungen bald aufgehoben werden, damit die Menschen sich zumindest nach und nach wieder begegnen können. Ich hoffe, dass die Lage in den Krankenhäusern nicht schlimmer wird.

Eule: Vielen Dank für das Gespräch und deine Arbeit!


Das Interview führte Philipp Greifenstein.


Unterstütze uns!

Die Eule bietet Nachrichten und Meinungen zu Kirche, Politik und Kultur, immer mit einem kritischen Blick aufgeschrieben für eine neue Generation. Der unabhängige Journalismus und die Stimmenvielfalt der Eule werden von unseren Abonnent:innen ermöglicht. Mit einem Eule-Abo unterstützst Du die Arbeit der Redaktion, die faire Entlohnung unserer Autor:innen und die Weiterentwicklung der Eule.

Jetzt informieren und Eule-Abo abschließen!