Foto: "Owl Jewels" von Alberto Ziveri (Flickr), CC BY 2.0
Kolumne Die Internationale

Wir sind Handwerker des Gemeinwohls

Nicht nur in den USA spaltet sich die Gesellschaft entlang der Linien politischer Überzeugungen. Pastorin Susan Reisert schreibt uns, wie ihre Gemeinde in Maine, USA, damit umgeht.

Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

– Matthäus 5, 14-16

Vor kurzem stolperte ich bei der Vorbereitung meiner Sonntagspredigt über eine Kolumne in der New York Times von David Brooks: „Wie würde Jesus fahren?“. Der erste Absatz der Kolumne lautet:

In den letzten Jahren waren wir überragend darin, absolute Schmierlappen in Führungspositionen unserer Gesellschaft zu bringen: Trump, Bannon, Ailes, Weinstein, Cosby, etc. Gut, dass Papst Franziskus uns in seiner Silvesterpredigt daran erinnerte, dass es in unserer Gesellschaft in Wirklichkeit die ganz normalen Menschen sind, die am meisten Einfluss haben, durch alltägliche Gesten der Freundlichkeit in der Öffentlichkeit und Achtsamkeit gegenüber Älteren. Der Papst nannte solche Menschen in einer schönen Formulierung „Handwerker des Gemeinwohls“.

Ich stimme Brooks zu: Der Satz ist wunderschön. Und nützlich.

Auch wenn ich meine kleine Gemeinde Old South in Hallowell, Maine, häufig als selbstverständlich betrachte, ist es manchmal gut, inne zu halten und einmal anders auf das zu schauen, was wir so machen, einfach dadurch wie wir sind. In unserer Gemeinschaft müssen wir nicht viel darüber reden, auf das Gemeinwohl zu achten. Wir machen das. Sicher, es gibt immer Möglichkeiten, es noch besser zu machen, aber wir sind Handwerker des Gemeinwohls – nicht nur, was freundliche Gesten angeht.

Old South mag eine Kirche mit älteren und vor allem weißen Menschen sein, aber auf einem Feld sind wir nicht homogen: Politik. Wie wir wählen – und warum -, das ist unter uns ganz verschieden. Es gibt bei uns Demokraten und Republikaner. Auch Menschen, die sich entschieden als Unabhängige beschreiben. Bestimmt auch ein paar Libertäre. Und vielleicht noch mehr Menschen anderer politischer Überzeugungen, von denen ich gar nichts weiß.

Wir führen nicht wirklich regelmäßig politische Diskussionen, aber die meisten von unseren Kirchgängern in Old South wissen, dass nicht alle Gemeindeglieder das Selbe wählen. Manchmal ist jemand konsterniert darüber, dass wir zu politischen Themen nicht mit einer Stimme sprechen. Aber die Menschen, die in Old South zusammenfinden, halten es demgegenüber gewöhnlich für wertvoller, dass wir respektvoll mit unserer politischen Vielfalt umgehen. Wir bleiben eine uneinheitliche Gruppe, aber eine, die gemeinsam arbeiten und Gottesdienst feiern kann. Das gibt es zunehmend seltener.

„Wir Christen sind gerufen, als Handwerker des Gemeinwohls zu wirken“
(Foto: „Owl Jewels“ von Alberto Ziveri (Flickr), CC BY 2.0)

Was mich angeht: Ich bin eine Demokratin, und verheiratet mit einem Republikaner. Vor einigen Jahren war das keine große Sache, aber heute habe ich das Gefühl, dass es nicht nur bedeutender geworden ist, sondern manche Menschen beunruhigt.

Meine Tochter, die ein College in New York besucht, berichtete mir, dass sie gelernt habe vorsichtig damit zu sein, Leuten von ihrer politisch uneinheitlichen Familie zu erzählen. Manche ihrer Freunde hätten sich ob ihrer Kindheit in einem solchen Haushalt nicht nur überrascht gezeigt, sondern wollten gar nicht wahr haben (oder empörten sich darüber), dass es so etwas überhaupt gibt.

In immer mehr Sphären unseres öffentlichen Lebens gilt, dass Menschen nur noch mit Gleichgesinnten Gemeinschaft haben. Wer wir in Old South sind, und was wir tun, ist zunehmend selten. Es ist deshalb umso wichtiger, dass wir „unser Licht nicht unter den Scheffel stellen“, sodass es nur uns leuchtet. Wir sind Handwerker des Gemeinwohls, aufmerksam gegenüber dem, was jenseits unserer Unterschiede liegt: Unsere gemeinsame Menschlichkeit.

Wir Christen sind gerufen, als Handwerker des Gemeinwohls zu wirken, auch über unsere Gemeinschaft hinaus, mit einer Art heimlichen, unbekümmerten Hingabe, die im Verborgenen die Bemühungen durchkreuzt, Menschen voneinander zu trennen und misstrauisch gegenüber jenen zu sein, die anders sind. Möge unser Handwerker-Licht leuchten, dass es anderen Licht wird und Hoffnung spendet.