Zukunft Gemeinde: Für Beständigkeit im Amt
In der aktuellen Krisensituation zeigt sich, wie sehr die Seelsorge darauf angewiesen ist, dass Seelsorger:innen die ihnen anvertrauten Menschen kennen – und umgekehrt. Ein Plädoyer für Beständigkeit im Amt.
In der aktuellen Krisensituation zeigt sich, wie sehr die Seelsorge darauf angewiesen ist, dass Seelsorgerinnen und Seelsorger die ihnen anvertrauten Menschen kennen – und umgekehrt. Darum plädiere ich dafür, Seelsorgerinnen und Seelsorger so selten wie möglich zu versetzen.
In manchen Diözesen im deutschen Sprachraum gilt das (meist ungeschriebene) Gesetz: Seelsorgerinnen und Seelsorger sollten in der Regel nach zehn, spätestens aber nach fünfzehn Jahren versetzt werden. Mit dieser Praxis will man verhindern, dass Seelsorgerinnen und Seelsorger an Flexibilität und Verfügbarkeit verlieren, dass sie in den ihnen anvertrauten Gemeinden zu tiefe Wurzeln schlagen.
Zweifellos kann es für eine Gemeinde negative Folgen haben, wenn eine Seelsorgerin oder ein Seelsorger das Leben einer Gemeinde zu stark und über zu lange Zeit hinweg prägt. Dies kann dazu führen, dass sich Menschen, die mit dem Charakter, der Einstellung oder dem Stil einer Seelsorgerin oder eines Seelsorgers nicht zurechtkommen, an den Rand gedrängt oder gar ausgegrenzt fühlen.
In Anbetracht dessen mag es verwundern, dass im Kirchenrecht, näherhin im Kodex des kanonischen Rechts, eine genau gegenläufige Tendenz erkennbar ist: Nach Kanon 522 etwa muss ein Pfarrer „Beständigkeit im Amt besitzen“ und ist aus diesem Grund „auf unbegrenzte Zeit zu ernennen“; eine befristete Ernennung ist nur dann möglich, wenn „dies durch ein Dekret der Bischofskonferenz zugelassen worden ist“.
Von der kirchlichen Öffentlichkeit weithin unbemerkt hat die Deutsche Bischofskonferenz am 20. Februar 2018 ein solches Dekret erlassen. Seither können Pfarrer in Deutschland auch „für eine bestimmte Zeit ernannt werden (…), wobei die Ernennungszeit mindestens sechs Jahre beträgt“. Es bleibt zu hoffen, dass von dieser Möglichkeit möglichst selten, im Idealfall sogar überhaupt kein Gebrauch gemacht wird.
Eine klare Tendenz zur Beständigkeit im Amt lässt das Kirchenrecht aber nicht nur in Bezug auf die Pfarrer, sondern auch auf andere seelsorgliche Ämter erkennen. So verlangt beispielsweise Kanon 151, dass die definitive Besetzung einer seelsorglichen Stelle „ohne schwerwiegenden Grund nicht aufgeschoben werden“ darf. Damit sollen nicht zuletzt zeitlich befristete Provisorien verhindert werden.
Ein zumindest gerechter Grund ist erforderlich, um einen Pfarrvikar seines Amtes zu entheben (Kanon 552). Dasselbe gilt für Kirchenrektoren (Kanon 563) und Kapläne (Kanon 572). Zwar gibt das Kirchenrecht nicht zu erkennen, warum ein Seelsorger seine Stelle nur dann wechseln sollte, wenn dies notwendig oder zumindest ratsam erscheint, doch liegt der Grund dafür eigentlich auf der Hand.
Seelsorge braucht Kontakt
Dieser Grund tritt in der aktuellen Krise umso deutlicher hervor: Seelsorge benötigt Kontakt – und Kontakt, bleibender Kontakt, bedarf der Bekanntschaft. Wo die Menschen ihre Seelsorgerinnen und Seelsorger nicht kennen, wird, wenn überhaupt, nur selten das Bedürfnis aufkommen, mit ihnen in Kontakt zu treten – geschweige denn, diesen Kontakt unter erschwerten Bedingungen aufrecht zu erhalten.
Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt: Wo Seelsorgerinnen und Seelsorger die ihnen anvertrauten Menschen nicht kennen, wird es ihnen schwerfallen, Wege und Mittel zu finden, um mit ihnen in Kontakt zu treten, da sie weder deren Lebensverhältnisse noch deren Gewohnheiten und Bedürfnisse kennen. Unter erschwerten Bedingungen wie in der aktuellen Krise ist das natürlich umso mehr der Fall.
Nicht wenige Seelsorgerinnen und Seelsorger wundern sich gerade, wie gering das Interesse an ihren gewiss mit viel Enthusiasmus, aber leider oft wenig technischem Knowhow produzierten digitalen Angeboten ist. Dabei geht das mangelnde Interesse vielleicht gar nicht so sehr auf die mitunter eher dürftige Qualität der Angebote zurück, sondern darauf, dass sie ihre Adressaten schlichtweg nicht erreichen.
Dass Leute unter den derzeitigen Bedingungen – sofern sie sich überhaupt im Internet zu bewegen wissen – gezielt nach digitalen seelsorglichen Angeboten ihrer örtlichen Seelsorgerin oder ihres Seelsorgers suchen, setzt voraus, dass die Leute die betreffenden Seelsorgerinnen und Seelsorger kennen, dass sie wissen, was sie von ihnen erwarten können und dass sie deren seelsorgliche Kompetenzen schätzen.
Voneinander wissen
Dabei muss die Bekanntschaft zwischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern auf der einen und den ihnen anvertrauten Menschen auf der anderen Seite nicht einmal eng sein. In den meisten Fällen genügt es vollkommen, dass sie voneinander wissen, dass sie sich vielleicht sogar beim Namen kennen, dass sie sich irgendwann einmal begegnet sind und ein paar Worte zusammen gewechselt haben.
In den heute hierzulande üblichen seelsorglichen Strukturen, die nicht mehr, wie noch vor ein paar Jahren und Jahrzehnten, wenige hundert oder tausend, sondern bis zu mehrere zehntausend Menschen umfassen, ist das gegenseitige Kennenlernen natürlich umso schwieriger. Es ist aber möglich – vorausgesetzt, dass dafür genügend Zeit zur Verfügung steht.
Jedenfalls sind zehn Jahre wenig bis nichts, um in einer viele tausend oder gar zehntausend Menschen umfassenden seelsorglichen Einheit als Seelsorgerin oder Seelsorger bekannt zu werden. Dazu genügt es nämlich nicht, in Gottesdiensten und kirchlichen Veranstaltungen präsent zu sein. Denn dort begegnet man in der Regel immer wieder denselben, der Kirche ohnehin verbundenen Menschen.
Um wirklich bekannt zu werden und Menschen kennenzulernen bedarf es vielmehr zahlloser Zufallsbegegnungen: auf der Straße, beim Einkaufen, bei kulturellen Veranstaltungen und gesellschaftlichen Zusammenkünften ohne explizit kirchlichen Kontext. Um diese Möglichkeiten zu haben und nutzen zu können, sollten Seelsorgerinnen und Seelsorger ihre Stelle möglichst selten wechseln.
Vereinsamung der Seelsorger:innen
Dies kann auch im Hinblick auf die Prävention von sexuellem Missbrauch von Vorteil sein. Wie die MHG-Studie gezeigt hat, stellt ein defizitäres soziales Netzwerk und die daraus resultierende Vereinsamung einen erheblichen Risikofaktor da. Ein zu häufiger Stellenwechsel aber erschwert den Aufbau eines tragfähigen sozialen Netzwerks, wobei dies natürlich vor allem auf zölibatär lebende Seelsorger zutrifft.
Auch wenn bei der Einbeziehung von Personen aus dem eigenen seelsorglichen Tätigkeitsbereich in das persönliche soziale Netzwerk Vorsicht und Augenmaß zu wahren sind, spricht grundsätzlich nichts dagegen – im Gegenteil: Wie Papst Franziskus nicht müde wird zu betonen, sollten Seelsorgerinnen und Seelsorger den „Stallgeruch“ der ihnen anvertrauten Menschen nicht nur kennen, sondern auch annehmen.
Wenn es nicht klappt
Dessen ungeachtet kann es natürlich gute Gründe dafür geben, dass eine Seelsorgerin oder ein Seelsorger nach einer gewissen Zeit die Stelle wechseln möchte – oder auch sollte. Dementsprechend kann die Initiative dazu berechtigterweise sowohl von der betreffenden Seelsorgerin bzw. dem betreffenden Seelsorger als auch vom zuständigen Bischof bzw. Bischöflichen Ordinariat ausgehen.
Solche Gründe können persönlicher Art sein, weil zum Beispiel eine Seelsorgerin oder ein Seelsorger sich auf einer bestimmten Stelle einfach nicht wohlfühlt. Solche Gründe können aber auch darin liegen, dass ein erheblicher Teil der Menschen in einer seelsorglichen Einheit mit dem Charakter, der Einstellung oder dem Stil der betreffenden Seelsorgerin oder des betreffenden Seelsorgers einfach nicht zurechtkommen.
Als Grundregel hat dennoch zu gelten: Eine Seelsorgerin oder ein Seelsorger sollte so selten wie nur irgend möglich und so oft wie unbedingt nötig versetzt werden. Das gilt zwar zunächst nur für die im Kirchenrecht ausdrücklich genannten Ämter, kann aber durchaus auch auf andere übertragen werden. Ein grundloser oder gar turnusmäßiger Stellenwechsel ist vom kirchlichen Recht jedenfalls weder gewollt noch gedeckt.