Als wär’s Geschwätz
Aus dem Aufschrei über alltäglichen Sexismus und Missbrauch unter dem Hashtag #MeToo ist eine Bewegung geworden: Im Zentrum stehen die Geschichten der betroffenen Frauen. Schenken wir Ihnen Glauben?
Und sie gingen wieder weg vom Grab
und verkündigten das alles den Elf und allen andern Jüngern.
Es waren aber Maria Magdalena und Johanna und Maria, des Jakobus Mutter,
und die andern Frauen mit ihnen; die sagten das den Aposteln.
Und es erschienen ihnen diese Worte, als wär’s Geschwätz,
und sie glaubten ihnen nicht.
– Lukas 24, 9-11
Aus dem Aufschrei über alltäglichen Sexismus und Missbrauch unter dem Hashtag #MeToo ist eine Bewegung geworden. Im Filmgeschäft, in der Medienbranche, auch in den Kirchen (#ChurchToo) wird über die tieferen Gründe für männliche Übergriffigkeit bis hin zu sexuellem Missbrauch diskutiert. Regelmäßig werden Schleier weggezogen: Nicht nur solche, die Missbrauchsfälle der Vergangenheit verdeckten. Auch die, die bisher das geschlechterübergreifende Gespräch verhinderten.
Ich bin sicher nicht der einzige Mann, der – nach #Aufschrei 2013 – zum wiederholten Male mit den Frauen im eigenen Bekanntenkreis oder in der eigenen Familie ins Gespräch kommt über ihre Alltagserfahrungen mit Männern, die Grenzen des Anstands und des Geschmacks überschreiten. Und wir sprechen über die zahllosen Missbrauchsfälle, die im Zuge großer Debatten wie #MeToo und #Aufschrei ebenfalls ans Licht kommen. Es ist schockierend, dass so viele Menschen Bescheid wussten und doch schwiegen.
Auch kommen Geschichten wieder zur Sprache, die wir vor wenigen Jahren noch als zwar bedenklich, irgendwie aber auch kurios betrachtet haben. Ein Professor, der alle Mitarbeiter_innen zur Begrüßung herzlich umarmt. Der Pfarrer, der einer Mutter altväterlich die Hand auf das Knie legt. Ein Professor, der selbstverständlich von Theologiestudenten und Lehramtsstudentinnen spricht. Der Pfarrer, der die Organistin während des Gottesdienstes vom Altarraum aus lautstark belehrt.
Was hat #MeToo geändert?
Wenn Ruth Everhart in ihrem Artikel von der #MeToo-Bewegung spricht, nicht von der #MeToo-Debatte, frage ich mich, was hat mich wirklich in Bewegung gebracht?
Dass Missbrauch schlimm und Übergriffigkeit kacke ist, das wusste ich – wie viele Männer – schon vorher. Auch, dass es viel mehr Vorfälle und Betroffene gibt, als die immer noch wenigen mutigen Frauen vermuten lassen, die öffentlich Gerechtigkeit fordern. Wir wissen auch, was Missbrauch und Sexismus begünstigt: Der Glaube an die Ungleichwertigkeit von Frauen und Männern, eine systematische Verdrängung von Sexualität und echter Weiblich- und Männlichkeit, der Fakt, dass Machtpositionen nach wie vor männlich besetzt sind.
Was hat #MeToo geändert? Ich habe entschieden, den Frauen zu glauben. Nicht bedingungslos, aber zuerst und bis zum Erweis ihres Irrtums. Ich gebe zu, mir sind ordentliche Gerichtsverfahren lieber, als Richtersprüche der Öffentlichkeit im Crowdsourcing-Verfahren. Allein schon deshalb, weil in ordentlichen Verfahren Täter tatsächlich hinter Gitter wandern, empfindliche Geldstrafen und Entschädigungen leisten müssen. Was bleibt vom öffentlichen Aufschreien übrig: Das Patriarchat schüttelt sich, wird vielleicht Privatier und weiter im Takt.
Weil aber die einzigen verfügbaren Zeuginnen häufig genug die Betroffenen selbst sind, kommt jedes geordnete Gerichtsverfahren an seine Grenzen. Wenn Aussage gegen Aussage steht, im Gerichtssaal oder nach Jahren des Schweigens im ZEIT-Magazin oder in der New York Times, dann will ich den Frauen glauben. Mein Zutrauen zur Geschichte der Frauen wird gestärkt durch das Vertrauen, dass ich in die Medien habe, die die Nachricht überbringen.
Die Geschichte der Frauen
#MeToo lenkt den Blick auf die Geschichten der Frauen. MeToo zwingt uns den Blick aus der Betroffenenperspektive auf. Und die Botschafterinnen sind Frauen, die Zeugnis ablegen, die selbst ihre Geschichte erzählen. Diese Geschichten bedürfen der Validierung durch Männer nicht.
Dass viele den Geschichten der Frauen trotzdem nicht glauben, mag im Falle der Kirchen daran liegen, dass man nach allen Verbesserungen zum Schutz vor Missbrauch, die in den letzten Jahren unternommen wurden, das Gefühl hat, eigentlich ginge „uns“ das gar nicht mehr an. Was zu tun war, sei bereits getan. Echt? Dann dürfte es Geschichten wie die von Pfarrerin Esther Gisler Fischer angesprochenen in der Schweiz und solche wie von Carola Scherf (@PastoraCara) nicht mehr geben.
Natürlich verkünden Frauen unter #MeToo und #ChurchToo keine frohen Botschaften, sondern solche Erfahrungen, die uns zweifeln lassen an unseren Institutionen, unserem Selbst- und Weltempfinden, unserem Glauben. Was die Betroffenen erschüttert hat, das holt uns als Hörerinnen und Hörer ihrer Geschichten ein. Wir werden nicht missbraucht und vergewaltigt, aber verletzend ist ihre Botschaft – sie reißt manch sorgsam gehegtes Glaubensgebäude ein.
Mit welchem Recht aber machen wir, ob wir zuhören wollen, davon abhängig, ob gute oder schlechte Nachricht gebracht wird? Wenn das Grab leer war, dann war auch das schockierend und besorgniserregend, mitnichten eine Nachricht, die frohen Jubel auslöste. Die Jünger_innen schlossen sich weiter ein.
Als wär’s Geschwätz
Der Inhalt der Verkündigung ist vom Medium nicht zu trennen. Es macht einen Unterschied, wer Nachricht bringt. Darin liegt der Grund verborgen, warum sich die Kirchen mit #MeToo schwer tun, warum #ChurchToo in Europa bisher kaum diskutiert wird: Wie Petrus neigen wir dazu, der Geschichte der Frauen nicht zu trauen. Wie Petrus erscheinen vielen Kirchenmänner Worte wie #Aufschrei und #MeToo als wär’s Geschwätz.
Lieber gehen Männer los, das leere Leinentuch selbst zu betrachten und zu betasten. Doch von dem, wovon uns die Frauen berichten, kündet uns kein fallengelassenes Tuch, kein leeres Grab. Wir haben nur ihre Geschichten.