Jesus (Ben Blümel) kniet vor Pilatus (Francis Fulton-Smith), Foto: RTL / Stefan Gregorowius
Kommentar „Die Passion“ 2024

Kein Trash-TV

Im Kasseler Regen erzählt RTL „Die Passion“, ohne Jesus ans Kreuz zu schlagen. Ein besonderes Fernsehereignis mit nur wenigen Fremdscham-Momenten war die 2024er-Ausgabe der „größten Geschichte aller Zeiten“ dennoch.

Gestern Abend hat es RTL wieder getan: „Die Passion“ erzählte die Leidensgeschichte Jesu mittels bekannter „deutscher“ Popsongs und einer verheutigten Inszenierung in der Kulisse der „modernen deutschen Großstadt“ Kassel. Im Jahr 2022 wurde das Format erstmals im deutschen Fernsehen präsentiert, damals aus Essen (wir berichteten). Die hohen Einschaltquoten und vermutlich auch das kulturelle Echo führten dazu, dass RTL in diesem Jahr einen zweiten Anlauf wagte.

Und der ist vollumfänglich gelungen. Statt Thomas Gottschalk führte Schauspieler und Moderator Hannes Jaenicke als Erzähler durch die Inszenierung. Er verlieh dem Geschehen im verregneten Kassel eine angenehme Gravitas, die Mecker-Opa Gottschalk inzwischen vollkommen abgeht. Auch der Rest des Ensembles um Ben Blümel (Jesus), Jimmy Blue Ochsenknecht (Judas), Timur Ülker (Petrus) und Nadja Benaissa (Maria, die Mutter Jesu) überzeugte.

Alle Rollen waren deutlich besser besetzt als 2022 in Essen. Insbesondere die erdverbundene Virilität von Blümel, die man sonst bei erschöpften Vätern von Kleinkindern beobachten kann, passte wesentlich besser zur Rolle des Heilands als die schnulzige in- und externe Solariumsbräune von „DSDS“-Barde Alexander Klaws bei der letzten Ausgabe. „Popstars“-Siegerin und „No Angel“ Nadja Benaissa begeisterte vor allem als Interpretin ihrer im Vergleich zu anderen Figuren zahlreichen Gesangseinlagen. An der musikalischen Begleitung durch Chor und Band gab es ohnehin nichts zu mäkeln, gelegentlich sprang den gesanglich stärker herausgeforderten Sängern zudem das Halbplayback bei.

Kirchliche Standardverkündigung mit Popsongs

Selbst Schmonzetten-Mime Francis Fulton-Smith als Pilatus legte einen gediegenen Auftritt hin. Ihm fiel es an entscheidender Stelle auch zu, die 4. Wand zum Publikum zu durchbrechen und den Ablauf einer römischen Kreuzigung im Stile eines Jugendpastors zu erklären. Denn gezeigt wurden Jesu letzter Kreuzweg nach Golgatha, die Kreuzigung und sein Sterben wie auch schon 2022 nicht. Ich halte das für einen Makel der Inszenierung. Statt RTL-Splatter wurde es pädagogisch, das ist dann wirklich deutsches Schauspiel. Eine verpasste Chance. Stattdessen sang Blümel als Auferstandener aus der Höhe den Kasselaner:innen entgegen: „Such mich da, wo Liebe ist“ – also in den alltäglichen Begegnungen mit Mitmenschen und Schöpfung.

Nicht nur an dieser Stelle, sondern durchgehend verblieb die RTL-Inszenierung ganz in den Bahnen der kirchlichen Standardverkündigung. Ohne sich übrigens – wie noch 2022 – ständig rhetorisch von „der Kirche“ absetzen zu wollen. In traditionellen Passionsspielen erlebt man allerdings kaum ein homoerotisch aufgeladenes Duett zwischen Judas und Jesus: Falcos „Out of the Dark“ wurde effektvoll dazu eingesetzt, Judas über sein „Überlebenselixier“ Jesus singen zu lassen. Eine der wenigen mutigeren dramaturgischen Entscheidungen des Abends, für die man gerne einschaltet. Stimmigste Szene des Abends war allerdings das letzte Abendmahl, bei dem völlig in Vergessenheit geriet, dass hier B- und C-Promis an der x-ten Reaktivierung ihrer Künstler:innenkarrieren arbeiteten.

Jesus und die Jünger:innen beim letzten Abendmahl, Foto: RTL / Stefan Gregorowius

Seltene Fremdscham-Momente

Mir hat – so viel sei eingestanden – beim Drinbleiben in der Story sehr geholfen, dass ich einen Großteil des Casts und der Songs zuvor nicht kannte. Insofern konnten mir weder zurückliegende Auftritte der Jünger:innen in anderen RTL-Cringe-Formaten ins Gedächtnis kommen noch eigene romantisch verklärte Erinnerungen an das dargebotene Liedgut in Dorfdiskotheken oder auf Ü30-Partys den Blick auf die Handlung verstellen.

Die Frage „Muss ich denn sterben, um zu leben?“ aus Falcos „Out of the dark“ habe ich vielmehr als eine spannungsvolle Reformulierung von Johannes 11, 25 gehört: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.“ Das kann man sicher auch in einer Popmusik-Predigt in einem evangelischen Abendgottesdienst so vertreten, aber mit dieser Rezeptionshaltung liege ich womöglich nicht im Mainstream der Zuschauer:innenschaft.

Für Zuschauer:innen mit Textempfinden, aber ohne vertieften katholischen Religionshintergrund waren die zahlreichen intimen Liebesvibes, die zwischen den Rollen umherfunkten, sicher eine Herausforderung. Kitschige Popsongs aus deutscher Feder – u.a. von Johannes Oerding und Helene Fischer – geben halt nur so viel Jesusmystik her. Insbesondere Benaissa schüttete als Jesu Mutter Maria aber in Ballade um Ballade ihre Liebe zum Sohnemann aus. Weil die originale Passionsgeschichte keine heteronormative Liebesgeschichte inklusive Prime-Time-Herzeleid bereithält, mussten sich die Dramaturgen mit Marias Mutterschmerz behelfen, um die Seherwartungen des abendlichen TV-Publikums zu erfüllen.

Trash-TV war die Inszenierung der Passion allerdings nicht. Ich bin in den Abend gut gewappnet mit dem Cringe-Watching-Guide von Anna Jäger und Max Tretter gegangen, den sie hier in der Eule erklärt haben. Habe ich „Die Passion“ also ernsthaft oder doch meta-ironisch geschaut? Nur selten hatte ich mal einen Fremdscham-Moment und zwar ausschließlich bei den Geschichten, die von normalen Bürger:innen am Kreuz erzählt wurden. Wieder begleitete eine Gruppe von Freiwilligen ein leuchtendes Kreuz durch die Innenstadt auf einem symbolischen Kreuzweg hin zur Event-Bühne.

Die Veranstalter hatten zuvor zum Casting eingeladen, bei dem Menschen gefunden werden sollten, die beim Kreuztragen von einer – religiös offenbar unmusikalischen – Außenreporterin interviewt werden sollten. Wie auch schon in Essen 2022 meldeten sich auf diesen Aufruf hin natürlich eher nicht die deutschen Durchschnittschristen, sondern solche Geschwister in Christo, denen ihre Bekehrungs- und Heilungsgeschichten so wichtig sind, dass sie sie gerne in aller Öffentlichkeit erzählen. Kann man machen, aber wenn ich einen Wunsch für eine hoffentlich baldige Wiederholung dieses Fernsehsupermusikevents habe dann: Liebes RTL, lasst das bleiben!

Maria (Nadja Benaissa) singt am Kreuz. Foto: RTL / Stefan Gregorowius

Beseelt, bestärkt, erleichtert

Auf die Streichliste gehört auch Frauke Ludowig („Explosiv“), die, kaum hatte der Auferstandene seine Trosthymne beendet, auf die Bühne stakste, um die Darsteller:innen an Ort und Stelle danach zu befragen, ob sie wohl aufgeregt gewesen wären, ihnen im Kasseler Regen auch nicht zu kalt geworden sei und ob sie die Geschichte von Jesus eigentlich „wirklich“ glaubten. Dass RTL die Sendestrecke so noch einmal um eine halbe Stunde ausdehnen konnte, mag aus Senderperspektive logisch sein, der Inszenierung aber hat dieser unsanfte Aufprall in der Realität der Gedankenblitze von Fulton-Smith, Blümel & Co. geschadet. Bei der RTL-Passion, das muss man sich für 2025 oder 2026 merken, muss man direkt nach dem Schlusslied abschalten.

Aber einschalten, wenn bei RTL erneut „die größte Geschichte aller Zeiten“ erzählt wird, das kann ich mir sehr gut wieder vorstellen. Gerne auch wieder mit Blümel in der Rolle des Spielplatzpapa-Jesus, Benaissa als Maria und Jaenicke als Erzähler. Wenn man einmal eine Traumbesetzung gefunden hat, sollte man sich die erhalten. Ich schaltete „Die Passion“ beseelt, bestärkt und vor allem erleichtert ab.


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