Was bedeutet das Motto „Zukunft hat der Mensch des Friedens“?
Der Katholikentag in Erfurt steht unter dem Leitwort „Zukunft hat der Mensch des Friedens“. Was bedeutet der Spruch aus den Psalmen? Inwiefern ist seine Botschaft heute relevant für uns?
Vom 29. Mai bis zum 2. Juni treffen sich Katholik*innen und interessierte Gäste zum 103. Katholikentag in der Landeshauptstadt Thüringens. Wie zu Kirchen- und Katholikentagen üblich steht auch das bunte Treiben auf dem Christ*innen-Treffen in Erfurt unter einem Slogan. Während der Evangelische Kirchentag 2025 mit den Worten „mutig – stark – beherzt“ auf den 1. Korintherbrief anspielt, stammt das Leitwort des Katholikentags 2024 aus Psalm 37: „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ (Ps 37,37b). Eine interessante Wahl in einer Zeit, die durch viele Krisen gekennzeichnet ist!
Der 37. Psalm als „apokalyptische Mahnrede“ (Dieter Böhler) thematisiert das unterschiedliche Schicksal der Gerechten und Frevler*innen und betont, dass JHWH als Retter in der Not fungiert. Dabei wird den Gerechten Land und den Frevler*innen Gericht zugesichert.
Der Psalm ist wahrscheinlich in der Makkabäerzeit entstanden (165–63 v. Chr.), also nach dem erfolgreichen Aufstand gegen die Fremdherrschaft der Seleukiden, an den das jüdische Chanukka-Fest erinnert. Gott wird in diesem Psalm nicht direkt adressiert, folglich handelt es sich eher um eine Belehrung als um ein Gebet im engeren Sinne. Dieses Gedicht ist als kunstvolles Akrostichon gestaltet: Meistens beginnen jeweils zwei Verse mit demselben Buchstaben, wobei von Alef bis Taw das gesamte hebräische Alphabet in der heute bekannten Reihenfolge vorkommt.
Um die Bedeutung und die inhaltlichen Verknüpfungen des Leitwortes des Katholikentages besser nachvollziehen zu können, lohnt es sich, Psalm 37 insgesamt in den Blick zu nehmen (zum vollständigen Text) und nach Bezügen zu anderen Psalmen und biblischen Texten zu fragen.
Der Psalm beginnt mit der Überschrift „Von David“ (Ps 37,1a). Er besteht aus drei Hauptteilen, die durch unterschiedliche Sprechrichtungen gekennzeichnet sind: Anreden in Ps 37,1b–11, Aussagesätze in den Versen 12 bis 26 und wieder Anreden in Ps 37,27–40. Das Leitwort des Katholikentages „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ stammt aus dem letzten Abschnitt. In diesem dritten Hauptteil sind die Anfangsbuchstaben Samech bis Taw zu finden (Ps 37,27–40). Die Verse werden durch die Aussage gerahmt, dass JHWH die Frommen nicht verlässt (Ps 37,28.33). Den Menschen, die auf Gott hoffen, wird Rettung und Zukunft zugesagt (Ps 37,37–40).
Zukunft oder Vernichtung für die Menschen
Das Leitwort des Katholikentages gehört zu den Versen Ps 37,37–38, die mit dem Buchstaben Schin verknüpft sind. Sie lauten folgendermaßen:
37 Achte auf den Frommen und sieh auf den Redlichen,
denn Nachkommenschaft gibt es für den Mensch des Friedens.
38 die Abtrünnigen aber sind allesamt vernichtet,
die Nachkommenschaft der Frevler ist ausgerottet.
Dem Menschen des Friedens wird eine Zukunft zugesichert. Sie realisiert sich mit Hilfe der Nachkommenschaft (Ps 37,37). Diese Verse sind eng mit Ps 37,9.11 verknüpft:
9 Denn die Bösen werden ausgerottet,
die auf JHWH hoffen, sie werden das Land erben.
11 Die Demütigen aber werden das Land erben,
sich erfreuen an der Fülle des Friedens.
Im 9. Vers werden die Bösen ausgerottet, auch ihren Nachkommen droht dasselbe Schicksal (Ps 37,9.38). Der Untergang der Frevler*innen wird mehrfach im Psalm und dabei jeweils mit dem Verb „ausgerottet werden“ beschrieben (Ps 37,9.22.28.34.38). Es fällt auf, dass nicht Gott selbst für diese Zerstörung verantwortlich ist, sondern diese passivisch ausgedrückt wird. Die Frevler*innen besiegeln ihr eigenes Schicksal: Sie sterben durch ihr eigenes Schwert, mit dem sie den Frommen schaden wollten (Ps 37,14–15).
Demgegenüber greift Gott helfend ein und rettet die Gerechten (Ps 37,5–6.17–18.28.33–34.40). Den Gläubigen wird das Land und die Fülle des Friedens versprochen (Ps 37,9.11.37). Auch über die Stichwortverbindung „Frieden“ ist die Zukunft des friedfertigen Menschen mit dem Land verbunden (Ps 37,9.11.37). Abhängig von ihrem eigenen Verhalten haben die Menschen also eine Zukunft oder sie werden, ebenso wie ihre Nachkommen, vernichtet. Die Nachfahr*innen sind in diesem Kontext auch deshalb bedeutsam, weil nur durch eine Nachkommenschaft das Überleben im Alter gesichert ist und das Gedächtnis an das eigene Leben gewahrt. Eine Person gilt nämlich erst dann als endgültig tot, sobald sich niemand mehr an sie erinnert.
Zwischen der hebräischen und griechischen Version von Psalm 37 gibt es einige interessante Unterschiede. In der Septuaginta, dem griechischen Alten Testament, wird abstrakter formuliert. Ps 36,37–38LXX kann man folgendermaßen ins Deutsche übersetzen:
37 Bewahre die Unschuld und siehe Gerechtigkeit,
denn es gibt Nachkommenschaft für den friedfertigen Menschen.
38 Die Frevler aber werden komplett zerstört werden,
die Nachkommenschaft der Verdorbenen wird zerstört werden.
Anstelle einer frommen und redlichen Person werden Unschuld und Gerechtigkeit als abstrakte Konzepte verwendet. Zudem wird in Vers 38 zweimal „zerstören“ gebraucht, wohingegen im Hebräischen mit den Verben „vernichten“ und „ausrotten“ variiert wird. Ps 36,38LXX verwendet darüber hinaus eine Futurform, wodurch die Naherwartung im Griechischen verdeutlicht wird: Die Zerstörung der Frevler*innen wird definitiv stattfinden.
Innerhalb des Psalters sind die einzelnen Psalmen nicht zufällig angeordnet, sondern die Sammlung ist kunstvoll arrangiert. Zwischen den Psalmen gibt es zahlreiche Verbindungen, so auch zwischen dem 37. und dem 36. Psalm. Dies zeigt sich beispielsweise an den Stilmitteln der juxtapositio (planvolle Nebeneinanderstellung) und concatenatio ((Stichwort-)Verkettung) mit deren Hilfe die beiden Psalmen planvoll nebeneinandergestellt und vielfach miteinander verbunden sind. Bei Psalm 36 handelt es sich um ein Gebet, um nicht zur Sünde verführt zu werden. Psalm 37 ist hingegen ein Lehrtext. Die Konsequenzen der Sünde werden in ihm eindrücklich beschrieben.
Dies zeigt sich auch mit Hilfe der concatenatio: Das Substantiv „Verbrechen“ wird in Ps 36,2; 37,38 gebraucht. Es bezeichnet den Spruch der Sünde beziehungsweise die Abtrünnigen, die vernichtet sind. Die Sünde versucht also, die Menschen dazu zu bewegen, Schlechtes zu tun. Dies resultiert in der Vernichtung der Frevler*innen. Der Spruch der Sünde ist im Herzen (Ps 36,2), schließlich befindet sich Gottes Tora im Herzen (Ps 37,31).
Zudem gibt es deutliche Parallelen von Psalm 37 zum Buch der Sprichwörter: Dort wird ebenfalls das Schicksal der Frommen und Frevler*innen kontrastiert. Während denen, die JHWH fürchten, eine Nachkommenschaft beziehungsweise Zukunft zugesagt wird (Spr 23,17–18), gibt es sie für die Bösen gerade nicht (Spr 24,1.19–20). Auch die Warnungen, sich nicht über die Bösewichte zu erhitzen (Spr 24,19; Ps 37,1.7–8) und sich nicht gegen die Frevler*innen zu ereifern (Spr 24,19; Ps 37,1), werden in beiden Texten ausgesprochen.
Zwischen Apokalypse und Utopie
Wie sind nun Verheißung der Zukunft und die Drohung mit der Vernichtung zu verstehen? Dies wird von Exeget*innen durchaus kontrovers diskutiert. Der katholische Alttestamentler Norbert Lohfink bezieht den Text auf den Messias, den Sohn Davids. Er soll selbst keine Gewalt gebrauchen. Auch Gott wird die Frevler*innen nicht zerstören, sondern nur die Frommen retten. In einer apokalyptischen Zukunft werden die Frevler*innen nicht mehr sein und die Armen das Land besitzen.
Der katholische Exeget Eleuterio Ramón Ruiz sieht in Psalm 37 angesichts der Ungerechtigkeit in der Welt eine Möglichkeit, eine alternative Wirklichkeit zu entdecken. Diese Utopie eröffnet den Lesenden neue Blickwinkel und unterstützt sie dabei, das Gute zu wählen: Sie können sie sich engagieren und für den Frieden einsetzen, wodurch ein erfülltes Leben für alle möglich wird.
Die anglikanische Bibelwissenschaftlerin Susan E. Gillingham hat die Rezeptionsgeschichte des Psalms untersucht und festgestellt, dass jüdische Interpretationen vornehmlich das Land und die Rückkehr in dasselbe thematisieren. Christliche Interpretationen fokussieren demgegenüber auf die gerechte Person, die von Gott belohnt werden wird. Anhand der verschiedenen Auslegungen bilanziert sie, dass die menschliche die göttliche Gerechtigkeit nachahmen soll. Dies führt zu einer materiellen und geistlichen Wiederherstellung aller Personen, deren Menschenwürde aktuell nicht gewahrt wird.
Für Frieden und Gerechtigkeit eintreten
Diese und andere Interpretationen können bei der Lektüre des Psalms unterstützen und Leser*innen helfen, je neue und für das eigene Leben tragende Sinnpotenziale zu bergen. Klar ist: Psalm 37 wurde bewusst als Leitwort des Katholikentages in Erfurt ausgewählt. Frieden ist notwendige Bedingung für ein gelungenes Leben. Gemeinsam müssen wir daran arbeiten, dies für alle zu ermöglichen.
In ihrer Auslegung des Leitwortes verweist Katrin Großmann, Abteilungsleiterin Theologie und Glaube im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), auf die Anschlussfähigkeit des Psalms für aktuelle Debatten und Gespräche, auch mit nicht-gläubigen Menschen. Er entstammt der Glaubenstradition, aber Gott wird nicht explizit genannt. Der Psalm lädt so auch zum Gespräch mit Personen ein, die diese Tradition nicht teilen. Das Psalmwort soll angesichts der globalen Krisen Hoffnung stiften und trägt uns zugleich auf, Verantwortung für unsere Handlungen zu übernehmen:
„Im Blick auf den Psalm fällt auf: Da werden durchaus Anforderungen an den Menschen des Friedens gestellt: Er soll sich nicht ereifern, soll vertrauen, beharrlich weiter auf dem Weg des Friedens gehen, sich an lautere und integre Menschen halten und auf Gott vertrauen. Ein Mensch zu sein, der auf dem Weg des Friedens geht, das braucht aktives Engagement.“
Ob wir unser Leben als Fromme oder als Frevler*innen führen wollen, liegt in unserer Hand. Zum aktiven Engagement zählt Katrin Großmann zum Beispiel „den eigenen Lebenswandel, Ressourcenverbrauch und das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen“ und sich politisch für das „Einhalten der Klimaziele und den Artenschutz“ einzusetzen.
Der Katholikentag kann ein gutes Forum sein, um unter dem Leitwort aus Psalm 37 über Frieden und Gerechtigkeit zu diskutieren und Handlungsoptionen auszuhandeln. Wenn wir Verantwortung übernehmen und uns gemeinsam engagieren, können wir an einer gerechteren Zukunft für alle arbeiten und die Lebensgrundlagen unserer Nachkommen sichern. Dazu ist eine antidiskriminierende und intersektional reflektierte Haltung notwendig. Diversitätskompetenzen müssen in Kirche und Gesellschaft gefördert werden, sodass wirklich alle Menschen als Ebenbild Gottes (Gen 1,27) wahrgenommen werden und ihre Würde geschützt wird. Deshalb ist es wichtig, dass vom Katholikentag ein Zeichen für Demokratie und Vielfalt ausgeht.
Julia Rath hat bereits 2020 in der Eule in unserer Serie „Frau Doktor“ über ihre Promotion und Diversität in der Wissenschaft geschrieben.
Alle Eule-Beiträge zum Katholikentag 2024 in Erfurt.
Die Eule auf dem Katholikentag 2024
Vom 29. Mai bis 2. Juni findet in Erfurt der 103. Deutsche Katholikentag statt. Er steht unter dem Leitwort „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ (aus Psalm 37). Rund 500 Veranstaltungen laden zum Diskutieren, Singen, Beten und Feiern ein. Eule-Redakteur Philipp Greifenstein berichtet aus der thüringischen Landeshauptstadt. Wir freuen uns auf Hinweise und Fragen! Gerne per Email.
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Literatur:
- Susan E. Gillingham, „The righteous shall inherit the Land, and live in it forever“ (Ps 37:29). Toward a Theology of an Human and Divine Justice through the Reception History of Psalm 37, in: Ulrich Berges/Johannes Bremer/Till Magnus Steiner (Hg.), Zur Theologie des Psalters und der Psalmen. Beiträge in memoriam Frank-Lothar Hossfeld, Bonn 2019 (BBB 189), 411–427.
- Norbert Lohfink, Die Besänftigung des Messias. Gedanken zu Psalm 37, in: Josef Hainz/Hans-Winfried Jüngling/Reinhold Sebott (Hg.), „Den Armen eine frohe Botschaft“. Festschrift für Bischof Franz Kamphaus zum 65. Geburtstag, Frankfurt am Main 1997, 75–87.
- Eleuterio R. Ruiz, Das Land ist für die Armen da. Psalm 37 und seine immer aktuelle Bedeutung, Stuttgart 2015 (SBS 232).