Unter Heiden (22): Hart abfeiern!
Braucht das Land neue Feiertage? An gesetzlichen Feiertagen sollte der gemeinsamen Werteorientierung gedacht werden, auch unter Heiden. Einige Vorschläge
Außer dem Tag der deutschen Einheit und dem besagten 1. Mai sind alle gesetzlichen Feiertage der Bundesrepublik christlicher „Herkunft“. Klar, manche hat sich das Christentum erst gemoppst, aber arbeitsfrei gestellt sind sie, weil an ihnen ein christliches Fest gefeiert werden soll.
Festliche Begehung der Heilsgeschichte
Wir erinnern der Geburt des Heilands gleich mit zwei Weihnachtsfeiertagen, auch seiner Auferstehung mit einem zusätzlichen Osterfeiertag. An diesem marschieren Christen traditionell nach Emmaus und es gehen diejenigen Gläubigen in den Gottesdienst, die es nach dem Familienbesuch ruhiger angehen lassen wollen. Doch wer würde sich dafür schon extra Urlaub nehmen?
Mit dem Karfreitag ergibt sich so ein wunderbares verlängertes Wochenende, das von vielen Menschen für eine Reise genutzt wird. Und Familien profitieren doppelt, weil man ja schon mal in die Osterferien starten kann, ohne zusätzlich Urlaubstage zu verbraten. Dem Auferstandenen sei’s gedankt!
Vor der Himmelfahrt des Herrn geht es in den Betrieben des Landes vor allem darum, wer dieses Jahr den beliebten Brückentag abstaubt und sich aus dem Staub machen darf. Schließlich muss am Freitag ja der Rausch von der Bollerwagentour vom Vortag ausgeschlafen werden, mittels der die Reise des Herrn in die umwölkte Herrlichkeit sinnbildlich nachvollzogen wird. Eine Woche später, zu Pfingsten, gibt es noch einen freien Montag obendrauf, auch wenn selbst Christen sich nicht sicher / einig sind, was wir da eigentlich feiern.
Dass nicht die gesamte Bevölkerung am kirchlich empfohlenen Festprogramm teilnimmt, heißt ja nicht, dass die christlichen Feiertage grundsätzlich in Frage stehen. Welcher agnostische Arbeitnehmer will schon gerne auf die Weihnachtsfeiertage, Pfingstmontage und die anderen – katholischen – freien Tage verzichten?
Ja, selbst der Reformationstag ist uns so lieb geworden, dass gleich mehrere Bundesländer darüber nachdenken, ihn zum gesetzlichen Feiertag zu erheben. Unter den extrem heidnischen Sachsen-Anhaltern ist der Reformationstag übrigens seit jeher (seit der Wende) gesetzlicher Feiertag. Luther sei’s gedankt!
Vielfalt wahrnehmen und wertschätzen
Für eine Ergänzung des christlichen Feiertagskalenders spricht vor allem die Wahrnehmung neuer Vielfalt. Wie wäre es z.B. damit, das islamische Zuckerfest zum gesetzlichen Feiertag zu erheben? Wie auch an Christi Himmelfahrt sollte man sich nicht daran stören, dass die meisten einfach frei machen würden, anstatt dem religiösen Gehalt des Festes nachzuspüren.
Nehmen wir einmal an, dass – analog zum Weihnachtschristentum – alle Menschen mit muslimischen Wurzeln – gläubig oder nicht – mitmachen würden, dann feierten wohl ungefähr 4 Millionen Menschen. Da traditionell in Familie gefeiert wird, wäre es schön und ein Zeichen hervorragender Integration, wenn jede muslimische Familie noch eine Familie der Mehrheitsgesellschaft dazu bittet: Dann wären wir bei vielleicht 7 Millionen Menschen. Nicht mal 10 % der Bevölkerung, d.h. 90 % könnten gut frei machen.
Doch es muss ja nicht gleich ein Feiertag aus einer anderen religiösen Tradition sein. Wie wäre es stattdessen mit Feiertagen, die wie der Einheitsfeiertag und der Tag der Arbeit auf andere gesellschaftliche Werte rekurrieren? Bei immerhin 35 % Prozent Konfessionsfreien im Lande eine denkbare Alternative – und unter Heiden ohnehin bei einem Anteil von 70-90 %.
Es ist ja nicht so, dass es da keine Alternativen gäbe!
Ein Blick in die Sozialen Netzwerke genügt, um die große Sehnsucht nach mehr Gedenk- und Feiertagen zu bemerken. Noch der #WorldGuineaPigDay wird abgefeiert und – zumindest in meiner Filterblase – auch jüdische Feiertage und Gedenktage mit Shoa-Bezug. Aber da steht der Wind nicht danach, oder?
Wie wäre es z.B. mit dem 9. November als „Nationalem Gedenktag“, der gleichzeitig zum Nachdenken an Novemberrevolution, Novemberpogrome und Mauerfall einlädt? Gut, ne Grillparty schmeißt da keiner, ist ja auch kalt draußen. Aber zu tun gäbe es schon ne Menge: 7 Vorschläge dazu habe ich ja erst im Herbst gemacht.
Oder etwas Europäisches für diejenigen, die es mit nationalen Gedenktagen nicht so haben? Die Unterzeichnung des Maastrichter Vertrags bietet sich an. Das wäre der 7. Februar und auch so eine Art Buß- und Bettag. Die traditionelle Europa-Woche bringt es einfach nicht, oder haben Sie von der schon mal was gehört? Eine ganze Woche frei für Europa würde andererseits die Akzeptanz des geeinten Kontinent sicher befördern. Was meinen Sie?
Und weil es die Heimatbewussten ja neuerdings mit der positiven Geschichte des Landes haben, wieso nicht einfach einen Fußball-Feiertag einführen, an dem überall im Lande Fußballfeste stattfinden können, wo sich Groß und Klein im spielerischen Wettstreit üben können? So ein Fußballturnier zieht immer und die Leibesertüchtigung dient der Vaterlandsverteidigung.
Kollektivabordnung zum Feierspaß
Allein, solche Vorhaben scheitern wohl an der gängigen Festpraxis: Fußball kommt am besten im Fernsehen, so dass man dabei gut Gegrilltes futtern kann. Muslimisches Zuckerfest und jüdisches Versöhnungsfest beginnen in den Abendstunden und da läuft ja „In aller Freundschaft“ oder „Um Himmels Willen“. Es ist ja nicht so, dass an den christlichen Feiertagen – außer Weihnachten und Ostern – die Kirchen aus den Nähten platzen würden. Und wer demonstriert am 1. Mai schon seine Solidarität zur Arbeiterklasse?
Auch neue Feiertage müssten sich wohl mit einer erheblichen Zweckentfremdung abfinden. In einem freien Land kann niemand zum Gedenken oder Mitfeiern gezwungen werden, oder wollen wir wieder Kollektivabordnungen zum Fähnchenschwenken?
Vielleicht käme man dann dahin, die gesetzlichen Feiertage allesamt abzuschaffen? Stattdessen bekämen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen einfach ein Kontingent von – sagen wir mal – 10 Tagen im Jahr, das sie selbstständig so einsetzen können, wie es ihrem Gusto entspricht. Fleißige Selbstzermürber könnten sich statt der freien Tage natürlich auch einen Dienstwagen oder Gehaltsbonus in den Arbeitsvertrag schreiben lassen. Tarifbindung ist doch eh von gestern.
Es wird Zeit, dass die Feiertagspolitik hierzulande der Individualisierung ihren Tribut zollt. Wozu braucht es Tage der Besinnung, wenn dann doch jede_r macht, was er_sie will? Ohne Feierzwang lohnt sich die ganze Diskussion nicht. Gesetzliche Feiertage schreien nach einer ordentlichen Portion totalitärer Überzeugungskraft.
Feiertage bedürfen eines Überbaus, der von einer Gruppe von Menschen anerkannt wird. Sie nehmen Bezug auf eine tatsächliche oder imaginierte Gemeinschaft. Sie feiern verbindliche „Werte“ ab und erinnern an gemeinsame Geschichte, um Menschen zusammenzuführen / aneinander zu binden? Wer braucht das schon?
Weihnachten ist da King, alle anderen Tage verzichtbar. Alle feiern mit, die meisten muslimischen Migrantenfamilien ohnehin und auch den Flüchtlingen wird von fiebrigen Christen ein Festmahl kredenzt. Gut, mit der Geburt des Heilands nehmen wir es mal nicht so genau.
Aber als Fest der Liebe und mit dem Geschenkemachen als zentralem Kultus leistet das Weihnachtsfest von der Wahrnehmung der Individualisierung, über die Werteorientierung (von der Wertschöpfung gar nicht erst zu sprechen!), bis hin zu einer angenehm übergriffigen Völlerei und der unvermeidlichen Pause von der Lohnarbeit alles Notwendige!
Frohes Fest!