Digitales Ehrenamt
Wer ist #digitaleKirche? Kirche im Netz ist als Aufgabe der Institution Kirche erkannt, die zunehmende Professionalisierung ist eine Herausforderung für das Selbstverständnis der Evangelischen Kirche.
Grundlegend für die Digitalisierung ist die Aufhebung des alten Musters von Sender und Empfänger. Jede_r ist Autor_in, auch ihrer digitalen Glaubensgeschichte. Mehrere Referenten haben dies auf der Tagung „Heilig, christlich, smart?“ in Loccum theologisch aufgenommen. Es braucht ganz sicher die Theolog_innen an Universitäten und auch auf kirchlichen Arbeitsstellen, die digitale Kirche reflektieren und die selbst an ihr teilhaben.
Dr. Florian Höhne von der Humboldt-Uni hat das in seinem Vortrag so zugespitzt: Eigentlich hätte die Evangelische Kirche Facebook erfinden müssen, weil es vom Grundprinzip der Vergemeinschaftung und gleichberechtigten Autorenschaft so sehr dem Priestertum aller Gläubigen entspricht.
Solche Reflexionen sind ein wichtiger Baustein der Arbeit an einer Theologie der Digitalität, besonders wenn sie die realen Verheerungen nicht ausblenden, die ein kommerzielles Gemeinschaftswesen im Netz auch mit sich bringt. Nicht zuletzt bauen solche Denkfiguren auch Ängste in den Kirchen vor dem digitalen Wandel ab – das ist (immer noch) nötig.
„Pfarrer_innen, lernt Social-Media!“
Leider wird in einem nächsten Schritt dann abgekürzt: Es brauche vor allem Theolog_innen, die sich mit dem Netz befassen. Es wird einfach wieder und wieder die Forderung erhoben, Pfarrer_innen müssten jetzt Social-Media machen. Das frustiert nicht nur ohnehin überlastete Amtspersonen, sondern auch viele Ehrenamtliche, die vermittelt bekommen, auf sie käme es nicht (mehr) an.
Vielerorts scheint die Überzeugung vorzuherrschen, jetzt da sich die #digitaleKirche professionalisiert, übernähmen besser die Pfarrer_innen. Als ob es zum Gelingen in der Evangelischen Kirche jemals unbedingt einer Pfarrperson bedurft hätte! Social-Media-Pfarrer_innen muss es sicher auch geben. Aber wir verschenken so viel ehrenamtliches Engagement, das es jetzt schon gibt, wenn wir nicht klar definieren, was ihre Aufgaben in einer evangelischen Kirche wirklich sind.
Selina Fucker (@selinafui2) hat das in einem bemerkenswerten Beitrag im Nachgang der Tagung in Loccum beschrieben. Sie hat, wie viele andere, das Twitter-Gewitter unter dem Hashtag #digitaleKirche aus der Entfernung erlebt. Was und wer da twitterte wurde durchaus skeptisch beobachtet: Entfernt sich hier der amtskirchliche und theologische „Diskurs“ von dem, was doch schon längst gelebte Praxis ist?
In ihrem Text weist Selina Fucker darauf hin, dass der Zuwachs professioneller Kirchen-PR auf den Kanälen der digitalen Kirche dazu führt, dass man dort nur mehr „Superchristen“ wahrnimmt. Es entsteht wieder einmal der Eindruck, Kirche bestehe
„aus Menschen, die ihren Glauben zum Beruf gemacht haben, aus Menschen, die wahnsinnig kirchlich engagiert sind oder aus „superfrommen“. Wenn man das sieht ohne viel mit Kirche am Hut zu haben kann man das Gefühl bekommen, dass es keinen Platz für die gibt, denen der Glauben und die spezifische Sprache fremd ist, dass es keinen Platz gibt für die eigenen Zweifel, dass es keinen Platz für die gibt, die sich nicht kirchlich engagieren möchten oder können. Dabei bietet gerade die digitale Kirche durch ihre Niederschwelligkeit die Chance eine Heimat für viele sein zu können […].“
Ehrenamt vs. Hauptamt
Das so oft als harmonisch beschworene Verhältnis von Hauptamtlichen (fast alles Theolog_innen) und Ehrenamtlichen in den evangelischen Kirchen ist schon analog wesentlich komplexer, als uns PR-Kampagnen der Kirche glauben lassen wollen. Mit Einmischungen aus dem Kirchenvolk tun sich viele Pfarrer nach wie vor schwer. Das Management von Ehrenamtlichen ist auch deshalb eine Herausforderung für viele Hauptamtliche, weil es in der Ausbildung zwar permanent gefordert, aber kaum gelehrt wird.
Immer mehr Gemeindeaufgaben werden zukünftig ehrenamtlich gestaltet, das stellt ganz dringend die Frage nach dem Selbstverständnis der kirchlichen Amtsperson. Alte Pfarrerbilder werden zunehmend abgelöst. Dieser Prozess wird durch die Digitalisierung eher noch beschleunigt, weil Pfarrer_innen z.B. die Verteilung ihres theologischen „Herrschaftswissens“ nicht mehr kontrollieren können. Schließlich ist dies auch eine Machtfrage: Wer hat in der Evangelischen Kirche die Hosen an?
Unter dem Diktum des „Dienstes“ wird – ähnlich wie in der katholischen Kirche – gerne versteckt, dass es auch um Macht und Verteilungsfragen geht. Klar braucht es allenorten die Ehrenamtlichen, aber Entscheidungen werden dann doch lieber von Pfarrer_innen getroffen. Das sieht man an den erstaunlichen (Nicht-)Befugnissen von Kirchenvorständen, genauso wie an der Zusammensetzung von Synoden. In der EKD-Synode dürfen Theolog_innen immerhin nicht die Mehrheit in der Synode stellen.
Menschen, die sich intensiv und/oder lange in der Kirche engagieren, haben jedenfalls ein genaues Gespür dafür, wann von „Helfern“ oder von „Mitarbeitern“ gesprochen wird. Nach gutem evangelischem Verständnis ist es eben nicht nur eine kleine Gruppe von theologisch gebildeten und beauftragten (ordinierten) Männern, die sagen kann: „Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau.“ (1. Kor 3,9)
Die Vielfalt der (digitalen) Kirche
Ein guter Schritt wäre es darum, Arbeitsstellen für Digitalisierung und/oder Social-Media so zu besetzen, dass sie die Vielfalt der Kirche widerspiegeln. Geschlecht, Neigungen, Herkunft und theologische Überzeugungen spielen ebenso eine Rolle wie die Einbindung anderer Berufsbilder als das des Pfarrers. Die digitale Kirche tut gut daran, nicht einfach die aus der protestantischen Kirchenherrlichkeit von vor 300 Jahren übergebliebene Amtskirche ins Netz zu reproduzieren.
Selina Fucker weist den Hauptamtlichen in ihrem Text eine klare Funktion zu: Sie sollen die Vielfalt der digitalen Kirche fördern. D.h. insbesondere auch Ehrenamtlichen im Digital Raum zu geben, sie in Entscheidungen einzubinden, Kirchenkommunikation in den Sozialen Medien nicht über ihre Köpfe hinweg zu gestalten und nachzufragen, was sie sich von ihren Kirchen im Netz eigentlich überhaupt erwarten.
Sie fordert, intensiver über das Digitale Ehrenamt in der Kirche nachzudenken, das großes Potential hat. Vielleicht ist es so groß, dass es der Kirche sogar ein wenig Angst macht?
„Das ehrenamtliches Engagement auch mit der Flexibilität des Netzes gut funktioniert kann man z.B. bei der #twomplett oder #twaudes sehen. Außerdem ermöglicht die örtliche und teilweise auch zeitliche Flexibilität eines solchen Ehrenamtes Menschen sich zu engagieren, denen es sonst wegen beruflichen, gesundheitlichen oder familiären Gründen nur schwer möglich wäre.“
Kirchenaccounts demokratisieren
Wenn wir die Autorenschaft aller Gläubigen an ihren Glaubensgeschichten auch im Digital ernst nehmen, heißt das: Offizielle Social-Media-Arbeit der Kirchen muss sich umdrehen und ehrenamtliches Engagement im Netz integrieren, d.h. auch Beiträge liken, sharen und retweeten, die nicht aus der eigenen Schmiede stammen. Sie muss die Passwörter für die Kirchenaccounts demokratisieren.
Bisher lässt sich kirchliche Social-Media-Arbeit oft von einer (nicht gänzlich irrationalen) Angst vor den Menschen treiben. Offene Diskussionen, die freie Teilhabe – das wird skeptisch gesehen, weil es mit einem Kontrollverlust einher geht. Im Blick auf das Priestertum aller Gläubigen aber kann Kirche diesen Kontrollverlust wagen!