Newsletter #LaTdH

Röm 10, 17 – Die #LaTdH vom 4. November

Eine prächtige Binnendebatte über die Predigt schwappt durch die Theolog_innen-Blase. Außerdem: Alte Schuld, seltsame Wiederkehren & Reformationstags-Schnulli.

Die Links am Tag des Herrn bilden die wichtigen Themen der Woche aus Kirche und Gesellschaft ab. Richtig wohl ums Herz ist es uns Kurator_innen und Schreibenden, wenn die Kirchendebatten weite Kreise ziehen, eben keine innerkirchlichen Binnengespräche sind, sondern Relevanz für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft haben. Sei’s drum:

Debatte

Die Debatte der vergangenen Tage drehte sich um die (evangelische) Predigt. Mehr Binnengespräch geht kaum. Gleichzeitig ist das Thema Predigt eines, zu dem (fast) jede Protestantin etwas zu sagen weiß. Zeigt das nicht schon die bleibende Relevanz der Predigt an? Erst recht auskunftsfreudig sind natürlich die vielen digitalbewegten Pfarrer_innen auf Twitter, wo diese Debatte bisher vor allem und kontrovers geführt wurde.

Was zum Mitreden vor allem befähigt, ist die weiträumig geteilte Erfahrung, schlechten Predigten ausgeliefert zu sein. Wer kennt das nicht? Und dann noch am Sonntagmorgen? Und überhaupt?!

Schafft die Predigt ab! – Hanna Jacobs (Christ & Welt, €)

Den Auftakt zur Debatte lieferte Hanna Jacobs (@hannagelb) in der Christ & Welt. Der Artikel ist nun vollständig hinter der Bezahlschranke von ZEITonline, was völlig legitim ist: Irgendwie muss sich Journalismus ja finanzieren. Wer also auf Jacobs‘ Artikel reagiert, gehört entweder zum erlauchten Kreis der (Digital-)Abonnenten, hat anderweitig Glück gehabt oder ist ein schlimmer Schlingel.

Ist die Zeit der Predigt vorbei? – Karsten Dittmann (homilia.de)

Alle, die draußen bleiben wollen/müssen, können sich allerdings dank der ausführlichen Replik von Karsten Dittmann (@homilia_blog) auch so ein Bild von den verhandelten Argumenten machen. Dittmann arbeitet sich nämlich durchaus empathisch an Jacobs‘ Vorlage ab:

„Die Zeit der Perikopenpredigt ist vorbei.“ – So müsste die These von Hanna Jacobs eigentlich lauten. Jacobs hätte dann der Frage nachgehen können, wozu eine jahrelange Revision der Perikopenordnung nötig ist, die am Ende einiges verbessert, aber die Grundproblematik nicht löst. Hier kann man kritisieren, was Jacobs der evangelischen Predigt insgesamt vorhält: Perikopenordnung und Perikopenpredigt sind ihrer „Tradition mehr verpflichtet als den religiös suchenden und glaubenden Menschen“ von heute. […] Die Praxis vieler Gemeinden […] ist da schon wesentlich weiter. Mit ihrer Forderung, (klassische) Predigten zu streichen und das Suchen und Fragen zu beginnen, jedenfalls rennt Hanna Jacobs offene Türen ein.

Kann die Predigt an sich erledigt sein in einer Zeit, die wie wenige vor ihr durch das gesprochene Wort geprägt ist? Die hippen TEDtalk-Predigten wurden nicht umsonst von vielen Seiten als mahnendes Beispiel in die Debatte geworfen. Und kann die Predigt nicht gerade in einer zügigen und schillernden Zeit hübsch widerständig herauslugen?

Manchmal ist sie zum Glück auch Stachel und Fremdkörper „in einem Universum aus Bildern und Kurznachrichten“.

Vom Predigen. Widersprüche zu #abkanzeln – Niklas Schleicher (NThK)

Dass die Predigt uns noch immer auf die Palme treibt, uns stört, aufrichtet, niederschlägt, macht, dass es uns zum heulen oder frohlocken zu Mute ist, oder in Wissenschaftsdeutsch: uns affiziert wie kaum ein anderer Tagesordnungspunkt des Gottesdienstes, das zumindest zeigt die Debatte und besonders dieser emotionale Diskussionsbeitrag von Niklas Schleicher (@megadakka) für das Netzwerk Theologie in der Kirche (NThK).

Reformationen:

Den Menschen außerhalb der Twitter-Theolog_innenblase sei berichtet: So manche_r fühlte sich ordentlich von Hanna Jacobs‘ Aufschlag auf den Schlips (oder das Beffchen) getreten.

Dann nahmen sich drei erfahrene Praktiker_innen das Wort: Friederike Erichsen-Wendt (@feriwen) wies auf die erste Tugend des Predigens hin – das (Zu-)hören. Matthias Horstmann (@marthori) fasste mögliche Konsequenzen für die praktische Gestaltung von Gottesdienst- und Pfarralltag zusammen. Und Birgit Mattausch (@FrauAuge) wies vor allem auf das Eingebautsein von Predigenden hin, das es verunmöglicht, jede Woche „etwas Existenzielles / Erhellendes“ zu sagen. Deshalb hat sie einen besonders feinen Praxishinweis an alle Prediger_innen.

Oder man lernt Predigtslam mit Holger Pyka (@PastorPy) und Bo Wimmer. Und wer am liebsten einen Podcast hören möchted: der von uns bereits abgehörte Remix-Podcast der Mosaik-Gemeinde: Episode 57 – Ist Predigt heute noch notwendig? Mit Mira Ungewitter.

Übrigens: All das ist nicht irgendwie versponnene Avantgarde, sondern evangelischer Mainstream. Die evangelische Predigt ist sich ständig am reformieren.

Die Predigt muss bleiben! – Petra Bahr, Ulf Poschardt und Udo Hahn (Christ & Welt)

In der aktuellen Ausgabe der Christ & Welt antwortet u.a. Petra Bahr (@bellabahr) auf Jacobs. Sie fasst en passant viele Gedankenstränge der Diskussion unter der Woche zusammen. Bei einem Gedanken bin ich hängen geblieben:

In einer Zeit, in der alle alles kommentieren können und das große Stimmengewirr von Meinungen, Gedanken und Expertisen niemals schweigt, gibt es eine Sehnsucht nach vollmächtiger Rede. Zuhören, sich etwas zumuten, was man sich nicht selber sagen kann, […]

Was macht vollmächtige Rede aus? Woher und wie sich die Macht der Rede begründet, wäre ein lohnende Frage für die theologische Vertiefung der Debatte. Ich bleib mal bei der Ohnmacht als Zuerst jeder Machterfahrung. Denn die letzte Wendung hat mich an eine Passage aus einem Text von Dirk Pilz erinnert. Der diese Woche viel zu früh verstorbene Kulturjournalist schrub einmal:

[Gottesglaube] ist das Vertrauen auf die Kraft eines Gegenübers, das mehr ist, als ich mir selbst schenken kann. […] Glauben hat durchaus mit einer Haltung der Demut zu tun: zu wissen, dass man selbst und die eigenen Überzeugungen nicht der Wahrheit letzter Schluss sind.

Den Ratschlag an zukünftige Journalist_innen, den er am Ende dieses kurzen Videos gibt, dürfen sich Prediger_innen und Predigthörer_innen gut gefallen lassen:

Den eigenen Vorurteilen immer zu misstrauen, möglichst gegen die eigenen Annahmen zu denken – das ist eine schwere Übung. Das muss man lange lernen, immer wieder von vorn anfangen.

Anlässlich des Todes von Dirk Pilz hat das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK) eine Linkliste mit einigen seiner Artikel zu Religionsdebatten der letzten Jahre zusammengestellt. Allesamt klug und lesenswert.

Binnendebatte?

Warum ist eine Predigtdebatte eine Binnenangelegenheit? Alle Emotionalisierung der nahe am Geschehen stehenden Diskutant_innen und auch alle klugen und richtigen Reformhinweise können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es wohl kaum an schlechten Predigten liegt, dass wenige Menschen den Weg in die Kirche finden, sonst müsste sich bei den katholischen Geschwistern, bei denen der Fokus im Gottesdienst nicht auf dem Wort, sondern auf der Eucharistie liegt, ein ganz anderes Bild zeigen. Ist denn nicht gerade die Eucharistie mit ihrer Verknüpfung aus Hingucker- und Selbermachen-Qualität das genaue Gegenteil protestantischer Kanzelrede?

Ne, ich glaube, was den Distanzierten bei Predigten und an der Kirche allgemein am meisten ermangelt ist nicht so sehr ein schneidiges „Wie?“, sondern ein überlegtes „Was?“ – also die Frage nach der Relevanz der Gespräche für das eigene Leben, die man bei Kirchens führen kann. Oder in den Worten Alec Baldwins:

„Ich gehe am Sonntag in die Kirche, um professionellen Denkern bei der Arbeit zuzuhören. Was sie über Gott, das Leben und den Tod sagen, darüber denke ich gerne nach.“

nachgefasst

„Wir haben Schuld auf uns geladen“ – Interview mit Kirsten Fehrs (Die Welt)

Unter der Woche als Teil des Jahresrückblicks auf die Evangelische Kirche schon zur Sprache gekommen: Die mangelnde Aufarbeitung der Missbrauchsgeschichte der evangelischen Kirchen und Diakonie. Bischöfin Kirsten Fehrs aus der Nordkirche gibt Auskunft über aktuelle Entwicklungen. Es ist ein Aufholen.

Nichtinvasive Pränataldiagnostik – Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD

Einen neuen evangelischen „Beitrag zur ethischen Urteilsbildung und zur politischen Gestaltung“ hat die Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD vorgelegt. Darin wird empfohlen nichtinvasive Maßnahmen der Pränataldiagnostik bei Risikoschwangerschaften in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufzunehmen. Ein wichtiges Thema, zu dem die EKD die Debatte mit dieser Stellungnahme auf hohem Niveau eröffnet, meint Daniel Deckers, in der FAZ-Redaktion zuständig für „Die Gegenwart“.

Junge Kirche? Erste Bilanz der Jugendsynode (Christ in der Gegenwart)

Der Redaktionskommentar zur beendeten Jugendsynode in der Christ in der Gegenwart schlägt düstere Töne an. Das einzig Positive: Am ansonsten dürftigen Abschlussdokument könne man die Brüche zwischen den unterschiedlichen kirchlichen Lagern deutlich erkennen.

Wollte die Kirche nicht gerade jungen Leuten näherkommen? Hat man eine weltweite Online-Umfrage gebraucht, Rückmeldungen aus den Bischofskonferenzen eingeholt und eine Vorsynode mit 300 jungen Menschen veranstaltet, um am Ende zu einem derart weltfremden, harmlosen „Ergebnis“ zu gelangen? Es scheint, dass die weltweite Kirchenleitung den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen hat.

Buntes

Reformationstags-Schnulli


Und dann feierten viele Menschen statt die good old Reformation auch noch All Hallows‘ Eve, ein altes katholisches Fest.

Das Kreuz mit der Kirche – Thomas Gerlach (taz)

Ein gelungener Einblick in die Konflikte rund um die Wiedererrichtung der Garnisonskirche in Potsdam. Ein kompliziertes Geschehen, das im Kontext anderer Rekonstruktionsprojekte gesehen werden sollte. Zum Beispiel dem der Dresdener Frauenkirche oder generell dem Rekonstruktionsfetisch in deutschen Innenstädten. Lesenswert daher auch das Interview ebenda mit Stephan Trüby.

Predigt

Bei der Debatte braucht es heut‘ natürlich wieder einmal Predigten auch in den #LaTdH. Übrigens immer wieder eine schwere Sache, geeignete Predigten zu finden (und nicht ständig Frau Auge zu nehmen). Einziges Kriterium ist die Überraschung, Vorschläge gerne per Email an redaktion@eulemagazin.de (es dürfen auch eigene Predigten sein).

Bleib standhaft, freie Feldmaus. Predigt am Reformationstag – Birgit Mattausch (Frau Auge)

Gott JHWH führte Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten in die Freiheit.
Er führte Paulus aus dem Gesetzesland ins Evangelium.
Schmaler Streifen Alles-Neu.
Selig die Gesetzlosen. Ungeordneten. Versprengten.
Und: Selig die von der Tora Gehaltenen. Beschnittenen. Bezeichneten.
Das gehört zusammen – ich weiß nicht wie.

Weiß nur: auch ich hab ein Ägypten, hab ein Gesetzesland.
Mit Sätzen in Wände geritzt. Mir schon in der Kinderstunde von Diakonissen in mein Herz tätowiert. Auch welche von Paulus dabei. Freiheitssätze für ihn. Ägypten-Sätze für mich.

Von der Pflicht zum Gehorsam gegenüber dem Staat – Güntzel Schmidt (Bloghuette)

Es ist ein Unterschied, ob man selbst etwas tut und die Folgen seines Tuns tragen und ertragen muss, oder ob man andere, womöglich vom sicheren Schreibtisch aus, zum Tun anstiftet und sie die Folgen tragen lässt. Um des Glaubens willen Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, verfolgt oder gar getötet zu werden, dazu kann und darf man niemanden überreden.

God goes on Tinder and swipes right. A Sermon for Reformation Sunday – Rolf Jacobson (Youtube, englisch)

God starts the relationship. God picks up the phone and makes the first call. God goes on Tinder and swipes right on everyone of us.

Ein guter Satz