Unter Heiden (24): Grau ist alle Praxis
Wer mit Rechten redet, muss eine coldhearted bitch sein. In Gera wurde an der Ökumenischen Akademie das „Mit-Rechten-reden“ in die Tat umgesetzt. Über „Schuldkult“ und Vergangenheitsbewältigung diskutierten Per Leo, Stephan Brandner (AfD) und Stefan Gruhner (CDU).
Im Lutherhaus zu Gera wird es langsam demsig. Per Leo hat gerade über die selbst schon historischen Stadien der Vergangenheitsbewältigung gesprochen und die Opferperspektive als Maßstab für die Debatte benannt. Weil es an diesem Abend in der Ökumenischen Akademie vor allem um die Frage geht, wie sich die Disputanten zur Frage der Verantwortung für die Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus verhalten, ist das nicht unwichtig.
Dabei macht Leo feine Unterschiede, denen nicht alle im Publikum folgen können, und die es Stephan Brandner von der AfD, der hier heute über Nationalstolz diskutieren soll, ermöglichen, Leos Eingangsvortrag in einem Satz demonstrativ zuzustimmen und implizit zu widersprechen: Jedes Wort Leos könne er unterschreiben, meint Brandner, aber die Vergangenheit könne wohl kaum „maßgeblich dafür sein, wie wir heute politisch handeln.“ Großer Applaus. Damit hätte sich die Sache wohl erledigt.
Wozu es dann eigentlich einen solchen Abend in Gemeindehausatmosphäre und Trialoghitze braucht? Vielleicht, um sich leibhaftig vorführen zu lassen, wie das zugehen kann, „mit Rechten reden“ oder viel mehr „mit rechten Funktionären reden“.
Es ist angerichtet
Dazu ist dieser siebte und letzte Diskussionsabend der Ökumenischen Akademie zu Politikfeldern der AfD und je mit Beteiligung eine*r AfD-Politiker*in besonders geeignet. Stephan Brandner, AfD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Rechtsausschusses, ist ein Schwergewicht, auch was seine politische Radikalität angeht. Für den thüringischen AfD-Landesverband Björn Höckes ist er als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl gezogen.
Das Thema „Stolz auf Deutschland. Schuldkult oder Vergangenheitsbewältigung?“ lässt eine intensive Auseinandersetzung erwarten. Zu viel ist in letzter Zeit aus der Partei an revisionistischen und reaktionären Überzeugungen an die Öffentlichkeit gedrungen. Gerade so viel, dass sich der thüringische Verfassungsschutz für die Landespartei zu interessieren beginnt. Es ist angerichtet.
Auch deshalb bin ich an diesem Freitagabend aus Eisleben gekommen. Ich bin nicht der einzige, der sich zum ersten Mal im Gemeindesaal mit der verhangenen Bühne wiederfindet. Brandner hat Publikum mitgebracht. Schon vor Beginn der Veranstaltung schüttelt Brandner fleißig Hände, da sind Leo und sein Kontrahent von der CDU, Stefan Gruhner, Landtagsabgeordneter und Vorsitzender der Thüringer Jungen Union, noch nicht einmal im Saal.
Andere – womöglich treue Akademiebesucher und auch jüngere Leute – beäugen ihn aus der Entfernung und sind von Anfang an beeindruckt von dem Statement, das Brandner durch sein selbstsicheres Auftreten hinterlässt: Das ist mein Heimspiel. Natürlich lassen sich die Verbrechen des NS-Staats und der in ihn verwickelten Deutschen nicht leugnen. Auf dieses Glatteis lässt sich Brandner auch mit noch so vielen Höcke-Zitaten nicht führen, die er sich zuweilen genüsslich von Gruhner einzeln zum Dementi vorlegen lässt.
Für den Gastgeber und Moderator Pfarrer Frank Hiddemann, Leo und Gruhner wird dieser Abend auch eine Geduldsprobe. Keine Frage beantwortet Brandner geradeaus, immer werden zuerst An- und Vorwürfe einzeln abgearbeitet. Da verliert nicht nur das Publikum den Überblick und Nuancen wie die von Leo eingeführte Unterscheidung zwischen der gefährlichen Selbst-Identifikation mit den Opfern des NS und dem Einnehmen ihrer Perspektive gehen verloren.
Gruhner sieht sich an diesem Abend außerstande der rhetorischen Verve Brandners geeignete Mittel entgegenzustellen. Leo versucht sich hintenraus an korrigierenden Hinweisen und Rückgriffen auf seine dichte, kluge Eingangsrede. Moderator Hiddemann bittet darum, von den Zitatehubereien Abstand zu nehmen. Vergebens, wenn hier einer dominiert, dann Brandner.
Nicht wenige im Publikum fühlen sich zwischenzeitlich sichtbar unwohl in ihrer Haut, besonders als während der Fragerunde rund um sie herum ältere Männer mit hochroten Gesichtern aufstehen und mit einer Frage oder einem „Co-Referat“ alles ad absurdum führen, was zuvor auf dem Podium debattentechnisch geleistet wurde. Will man neben so jemanden sitzen? Zwischenzeitlich verabschiedet sich ein Zuschauer, weil er die thymotische Spannung nicht mehr erträgt. Sein Zwischenruf wurde vom Podium aus bestimmt abmoderiert. Das hält andere nicht vom Rufen ab.
Das Rufen, der Applaus für Brandner, das Hin- und Herlavieren – all das verstärkt in der Hälfte der Zuschauer, die Leo et. al. in ihrem Buch „Mit Rechten reden“ als Nicht-Rechte bezeichnen den Eindruck, hier irgendwie auf verlorenem Posten zu stehen. Die Raumgreifungsstrategie Brandners hat Erfolg. Dabei hilft ihm „seine“ Hälfte des Publikums, die expliziter Leugnungen gar nicht bedarf, sondern die selbst dann noch „Widerstand!“ in Brandners Worte hineinhört, wenn er Leo und Gruhner gönnerhaft recht gibt.
„Übung in Demokratie“
Was sich da unter dem zur Seite geräumten Altarkreuz abspielt, nennt Pfarrer Hiddemann eine Übung in Demokratie: „Mir ist die Erfahrung wichtig, dass wir da alle an einer demokratischen Übung teilnehmen. Dass man tatsächlich in einem Raum ist. Wir Demokraten müssen das Prozessuale in den Vordergrund rücken, dann ist schon viel gewonnen.“ Dazu gehört für viele Brandner-Fans und Akademiebesucher, Rechte und Nicht-Rechte gleichermaßen, mit der Spannung klarzukommen, die sich an diesem Abend erst löst, als es endlich vorbei ist.
Überhaupt scheint das größte Hindernis in der Gestaltung des Mit-Rechten-redens nicht in der Überwindung einer Hyper-Moral der Nicht-Rechten zu bestehen. Leos Angriff auf diese bleibt im Kontext dieses Abends trotzdem nicht unverständlich, weil Gruhner tatsächlich häufig – und nachdem Leo diese Strategie in seinem Vortrag ausführlich beschrieben hat – in einen hübsch moralischen Anklageton verfällt. So funktioniert es wirklich nicht.
Nein, es geht viel mehr darum sich zu beherrschen und angesichts der typischen faktischen Großzügigkeit, rhetorischen Finten und Hinhaltetaktik, die nur mehr zärtlich antastet, worum es Brandner bestellt ist und sein Publikum gekommen ist, nicht permanent in unsouveräne Anwürfe zu verfallen.
Inhaltlich ist an diesem Abend von Brandner und der AfD nichts Neues zu erfahren. Altbekannt inzwischen auch die Taktik sich von Äußerungen von Parteifreunden bei passender Gelegenheit scheinbar zu distanzieren, nur um sie im nächsten Moment wieder ins vaterländisch gestimmte Herz zu schließen. Seine wenige Tage zuvor im Plenum des Bundestages ventilierten schwulenfeindlichen Kommentare spielen qua Thema und Unkenntnis von Moderator und Kontrahent keine Rolle. So muss Brandner sich tatsächlich – mit Ausnahme seiner wirren Wahlkampfrede – für andere rechtfertigen. So wird das nichts. Eher sollte man Funktionäre schon mit Parteibeschlüssen und Antragstexten der eigenen Fraktion konfrontieren, wie Thomas Arnold es vorschlägt.
Nicht annähern, sondern streiten
Was an diesem Abend im Gera aber tatsächlich gelernt werden kann: Wie man es mit den rechten Funktionären auf offener Bühne aufnehmen kann, zumal mit einem ihrer geschickteren Epigonen. Nur mal so: In der peripheren Fläche Ostdeutschlands verweigern sich AfD-Kommunal- und Landespolitiker solchen Auseinandersetzungen viel häufiger, als dass sie zu ihnen nicht dazu gebeten würden. Es glaubt halt nicht jeder eine solche Leuchte zu sein wie Brander, der sich dessen auch noch peinlich sicher zu sein scheint. Gerade dort, an seiner Eitelkeit, hätte man ihn packen können.
Um mit Rechten zu reden muss man eine coldhearted bitch sein, wahlweise cojones haben. Was im Werkzeugkasten der gewaltfreien Kommunikation von Politiker*innen und Kirchenleuten mitgeführt wird, reicht nicht zu. Es braucht Ruhe und Schlauheit und die Beherrschung auch der dunklen Künste der Rhetorik. Es geht nicht darum, mit gleicher Münze heimzuzahlen, sich ebenfalls der Lüge, Verschleierung und Verkürzung zu bedienen, sondern darum zu merken, was gespielt wird.
„Wir müssen uns von der Idee verabschieden, die Rechten in freier Feldschlacht zu besiegen“, meint Per Leo. Warum eigentlich? Man darf halt nur nicht unbewaffnet erscheinen. Die Waffengleichheit war einmal ein Grundprinzip des Duells zwischen Ehrenmännern. Sind wir Demokraten uns heute zu fein, mal in den Kasten deftiger Rhetorik zu greifen? Muss jedes Statement mit einer Abwägung begonnen und mit einer Besänftigung der vermeintlichen Volksseele beschlossen werden?
„Ich mache das nicht als Annäherung, sondern als Streitgespräch“, verspricht Pfarrer Hiddemann. Nach sieben anstrengenden Akademie-Abenden will man es ihm abnehmen. Gleichwohl hängt das nicht nur am Geschick der geladenen AfDler*innen, sondern auch an denen, die Hiddemann explizit als Vertreter des „demokratischen Spektrums“ hinzubittet.
Mit geradezu diebischer Freude spielte Brandner in Gera und spielt die AfD mit diesem Land ein Debatten-Spiel. Und es ist wirklich ein Spiel der rhetorischen Vernichtung, das so nur noch in wenigen Habitaten unserer Gesellschaft gelehrt und zelebriert wird. Demgegenüber sind wohlwollende Demokrat*innen mit ihrer Fixierung auf Wahrheit, Richtigkeit und Respekt wehrlose Häschen.
Scheinbar scheint es für eine solche Rhetorik aber ein Publikum zu geben. Mehr als der Inhalt zählt hier die Geste. Ja, das Bedürfnis nach Kraftmeierei speist sich nicht zuletzt aus einem Minderwertigkeitskomplex dieses Publikums, der wiederum vielfältige Ursachen hat. Anderswo mag es andere Zuhörer*innenschaften geben. Wenn aber Demokraten vergessen, dass es darauf ankommt, ein Publikum zu finden, auf vermutete Gemeinsamkeiten mit ihm anzuspielen, die Erwartungen der eigenen Gefolgschaft zu erfüllen, was soll dann das Wort demos ihnen eigentlich bedeuten?
„Mit Rechten reden“ kann funktionieren, wenn man sich gerade nicht willfährig auf die Rede des rechten Kontrahenten einlässt. Ein guter Debattenredner bezieht wohl die Argumente des Gegners ein, aber er lässt sich nicht von seiner Agenda abbringen und die des Kontrahenten aufzwingen. „Mit Rechten reden“ heißt nicht entgegenkommen, sondern fest stehen.
Das Versagen der demokratischen Kräfte
„Ich erlebe in den Kirchen eine große Diskursgemütlichkeit, wo wir mit unserer abgesicherten, einebnenden Kommunikation Differenzen gar nicht mehr benennen können. Demgegenüber ist mir ein Diskussionsstil lieber, der klare Unterschiede der Positionen erkennbar macht,“ erklärt Moderator Hiddemann seine Position. Muss darum überall Platz auf den Podien für AfD-Politiker*innen geschaffen werden? Mitnichten.
Es gibt nach wie vor viele Sachthemen zu denen diese Partei nichts Substantielles zu sagen weiß. Und sie will es dabei belassen, das wird immer klarer. Es gibt keinen Zwang, rechte Funktionäre hinzuzubitten. Zurecht weist Per Leo darauf hin, dass ein solcher ebenso dogmatisch wäre wie ein prinzipieller Ausschluss.
Auch Podien zur Geschichtspolitik muss man AfD-Funktionär*innen nicht auf dem Silbertablett servieren, wo doch die Mehrheit der Bevölkerung andere Sorgen hat als zu eruieren, ob und warum man auf Deutschland stolz sein könne. Der Andrang bei den anderen Themenabenden der Ökumenischen Akademie war deutlich geringer. Das kann man doch auch mal zur Kenntnis nehmen. Dass man bei diesem Themenkomplex überhaupt etwas gewinnen kann, bezweifelt nicht nur Leo. Beim Thema (National-)Stolz sind so viele biographische und emotionale Gehalte im Spiel, dass dafür ein Podium das völlig falsche Format ist. Eher wäre an eine Therapeuten-Couch zu denken.
Für die Situationen, in denen man sich dann tatsächlich „in offener Feldschlacht“ begegnet (und wer hat die jemals gesucht?), gilt Hiddemanns Erkenntnis, sich dieser Auseinandersetzung wachen Auges und frohen Gemüts zu stellen, „auch wenn sich ein Diskutant rhetorischer Mittel bedient, die wir in der Kirche nicht mehr gewohnt sind. Den Umgang damit muss man erst einmal wieder lernen.“
Das Versagen der demokratischen Kräfte in der Auseinandersetzung mit der AfD lässt sich darum wie unter einem Brennglas an einer Szene studieren, die sich ganz zum Schluss der Publikumsrunde ereignet: Da steht ein syrischer Flüchtling auf, in gutem Deutsch richtet er an das Podium die Frage, ob denn nicht auch die Willkommenskultur – die Leistungen Deutschlands bei der Aufnahme und Integration von so vielen Flüchtlingen und Migranten – ein Grund sei, stolz auf Deutschland zu sein.
Leider findet sich an diesem Abend keiner, der mit einem einfachen „Ja, selbstverständlich!“ diese Vorlage verwandelt. Er hätte sich damit an die Seite von immerhin 80 % der Bevölkerung und der Hälfte des Saales gestellt. Braucht es dazu wirklich unbändig viel Mut?