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„Mit Rechten reden“: Ein Streitgespräch

Thomas Arnold hat auf dem Katholikentag eine Podiumsdiskussion mit einem AfD-Politiker moderiert. Mit ihm diskutiert unser Redakteur Philipp Greifenstein über den „Doppelbeschluss von Dortmund“ und darüber, wie man mit Rechten reden kann.

Greifenstein: Wie macht man das, mit Rechten reden?

Arnold: Also als Erstes: Ich rede ja nicht mit Rechten, sondern mit Menschen. Das ist, glaube ich, das ganz Entscheidende, was mich auch antreibt, überhaupt das Gespräch zu suchen. Und ich bin fest davon überzeugt, dass es nicht hilft Abgrenzungen zu ziehen und zu sagen, mit denen rede ich nicht, sondern wichtig ist erst einmal miteinander ins Gespräch zu kommen und den Dialog zu suchen.

Dialog suchen hat für mich drei Elemente: Zuhören. Darüber hat Frank Richter ein kleines, sehr interessantes Buch mit dem Titel „Hört endlich zu“ geschrieben, in dem er deutlich gemacht hat, dass wir die Sensibilität verlernt haben, erst einmal zuzuhören und andere Positionen wahrzunehmen. Zweitens der Abgleich mit den eigenen Positionen. Als Christ und Theologe würde ich sagen: Nach dem Wahrheitsgehalt suchen. Und Schritt Drei ist ganz sicher, eigene Positionen auch zu hinterfragen, aber auch die eigenen Positionen ins Gespräch einzubringen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass weder der, der mir erzählt, noch ich selbst mit der gleichen Haltung aus dem Gespräch herausgehen, wie wir hineingegangen sind. Soll heißen: Es braucht das Gespräch mit einer Offenheit für den Anderen, vor allem für die Person. Das heißt nicht, dass ich völlig überzeugt bin von der Position des Anderen, aber ich setze mich damit auseinander und beachte seine Würde. Das heißt auch im Ernstfall deutlich zu benennen, wo ich denke, dass seine Positionen nicht der Würde anderer Menschen oder der Wahrheit entsprechen.

Greifenstein: Muss man auch mit Rechtsextremen noch diskutieren?

Arnold: Natürlich gibt es rechtsextremes Gedankengut, das entlarvt werden muss. Ich bin darum dankbar, dass Thomas Sternberg vom ZDK deutlich gesagt hat, dass die AfD zu einer Verrohung der Sprache beiträgt und Grenzen so weit nach Rechts verschiebt, dass es nicht mehr akzeptabel ist. Das muss man ganz klar und deutlich benennen und Foren, die es ja dafür gibt, nutzen, um die Gesellschaft dafür zu sensibilisieren. Sonst passiert ein schleichender Prozess, dass immer mehr rechtes Gedankengut in die Gesellschaft eingespielt wird und das als ganz normal erscheint. Das muss uns als Demokraten stören.

Wo beginnt Rechts? Die Grenze von bürgerlich-konservativ hin zum Rechtspopulismus ist ja nicht klar. Ich begegne Menschen, deren Positionen ich noch nicht als rechtsextrem bezeichnen würde, aber die ein Forum bieten, das zum Rechtsextremen mobilisiert.

Das für mich Erschreckende in Chemnitz war, dass es den Rechtsextremen gelungen ist, auf den Demonstrationen auch Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte für rechtsextreme Positionen zu mobilisieren. Das zeigt, wie sehr die Grenzen da verschwimmen. Da ist es an uns, klar zu unterscheiden und zu sagen: Nein, das widerspricht unserer Demokratie, das widerspricht unserem Menschenbild und das widerspricht unserer Vorstellung von einer freien, pluralen, offenen Gesellschaft.

Von Kirchen- und Katholikentagen

Greifenstein: Ich komme mal auf die Kirchen- und Katholikentage und frage mich, ob das berechtigte Anliegen mit Menschen, „die sich in gesellschaftlichen Debatten nicht mehr wiederfinden“, zu reden, zwingend dazu führen muss, dass man bei den Funktionären der AfD landet? Dann hat man es doch nicht mit Menschen zu tun, die nach Orientierung suchen, sondern mit Politikern, die eine ganz klare Agenda haben.

Arnold: Ich bin noch nicht davon überzeugt, dass die AfD eine ganz klare politische Agenda hat. Da gibt es verschiedene Kräfte und ich nehme eine AfD wahr, die sich tatsächlich in der Gesamtschau immer weiter radikalisiert, wo es aber immer noch verschiedene Bestrebungen gibt und die keine Partei ist, die sich in ihrer Ausrichtung schon vollständig gefunden hat.

Was Katholiken- und Kirchentage angeht: Natürlich obliegt es erst einmal den Organisatoren, die Entscheidung zu treffen, Vertreter einer bestimmten Partei nicht einzuladen. Sie stehen nicht in der Pflicht, allen Parteien das gleiche Rederecht einzuräumen. Wir als Christen können entscheiden, wen wir zu unseren Veranstaltungen einladen und wem wir einen Redebeitrag gestatten.

Aber, Sie hatten ja gesagt, dass auch ein Kirchentag Debatten ermöglichen will, wo sich Leute wiederfinden, die sich sonst nicht repräsentiert fühlen, und ich glaube, dass es sehr gefährlich ist, dass immer auf die Politik zu schieben. Mir wird in der Akademie-Arbeit immer klarer, dass wir nicht meinen dürfen, dass nur die Politiker Debatten führen. Zivilgesellschaft in der Demokratie besteht zuerst einmal aus jedem Einzelnen, der sich ja dann durchaus auch in Parteien engagieren kann.

Meine Ermutigung für den Kirchen- und Katholikentag ist aber die, dass wir Menschen finden müssen, die sich in Debatten einmischen und wenn es Lücken gibt in der gesellschaftlichen Debatte, die wir mit den sonst üblichen Gästen nicht mehr abdecken, dann können wir auch andere Menschen im gesellschaftlichen Diskurs finden, die nicht unbedingt einer Partei angehören, aber die Repräsentationslücke in einer Debatte schließen können.

Greifenstein: Mein Eindruck ist, dass der Kirchentag genau dieses Dilemma mit dem „Doppelbeschluss“ lösen möchte: Die Politiker der AfD nicht, aber die Menschen doch, die diskutieren wollen. Finden Sie den Doppelbeschluss denn richtig?

Arnold: Ich bin ganz vorsichtig einen Beschluss zu beurteilen, der noch nicht mal in meiner Kirche getroffen wurde und dessen Genese ich nicht mitbekommen habe. Ich halte es auch für gefährlich, wenn wir uns jetzt immer wieder vor jedem Katholiken- oder Kirchentag lange mit der Frage aufhalten und sehr intensiv darüber diskutieren, ob man Vertreter einer bestimmten Partei einladen darf, weil diese Partei deswegen natürlich auch Aufmerksamkeit bekommt.

Wenn ich auf den vergangenen Katholikentag schaue: Da hatten wir im Vorfeld ja eine große Debatte um die Teilnahme des AfD-Politikers und die Frage, ob die AfD aus einer Absage Stoff für ihren Märtyrerstatus gewinnt. Auf der Veranstaltung selbst haben wir dann sehr intensiv 90 Minuten diskutiert, sehr emotional, aber auch inhaltlich ausgeglichen. Und wer dabei war oder es später nachverfolgt hat, wird bemerken, dass für die Fragen, die dort diskutiert wurden, von verschiedenen Parteien unterschiedliche Lösungsvorschläge angeboten wurden, die auch ausführlich erklärt werden konnten.

Für diejenigen die zugehört haben, würde ich sogar behaupten, ist deutlich geworden, dass die Haltung der AfD zum Verhältnis von Staat und Religion keine ist, die für unsere Gesellschaft irgendwie positiv ist. Leider wurde nach der vielfältigen Diskussion am Ende nur über eine Person und einen Vorfall am Beginn der Veranstaltung berichtet. Das lenkt natürlich von den wichtigen inhaltlichen Fragen ab.

Die richtigen Fragen stellen

Greifenstein: Ihre Gesprächsführung in Münster wurde allenthalben sehr gelobt. Wie haben Sie das angestellt?

Arnold: Ich habe mir im Voraus die Personen und die Positionen der Parteien zur Gretchenfrage „Wie hältst Du’s mit der Religion?“ angeschaut. Wenn Personen explizit als Vertreter ihrer Parteien eingeladen werden, dann müssen sie mit den Positionen ihrer Parteien konfrontiert werden. Denn es passiert ja häufig, dass gesagt wird: „Ja, das hat ein anderer gesagt. Das ist eine Einzelmeinung!“ Parteipositionen sind demgegenüber nachlesbar und nachweisbar. Ich denke, es ist uns gelungen, die Vertreter auch in Haftung zu nehmen für die Positionen ihrer Parteien.

Es ging mit dem Thema Verhältnis von Religion und Staat um ein abgegrenztes Thema. Ich habe versucht wirklich da dran zu bleiben: „Wie stellt sich ihre Partei das Miteinander von Kirche und Staat vor?“. Das fällt natürlich Politikern schwer, die gerne auf ihre Lieblingsthemen ausweichen. Im Falle der AfD also auf Flüchtlinge und Migration. Da habe ich schnell gemerkt, dass die religionspolitischen Positionen der AfD aus meiner Sicht wenig wünschenswert sind.

Greifenstein: Ich würde es doch schärfer formulieren, sie sind nicht einfach nur nicht wünschenswert, sondern unvereinbar mit der liberalen Demokratie. Das ist genau mein Problem: Wir laden die AfD auf alle möglichen Podien ein und dann geschieht, was auch Martin Schulz im Bundestag gemeint hat: Die AfD macht aus jedem Thema eine Migrationsdebatte. Haben wir Bürger_innen nicht auch das Recht auf eine Debatte zu anderen Themen, ohne immer in diese Richtung gedrängt zu werden?

Arnold: Das halte ich für die Aufgabe des Moderators, darauf zu achten, dass eine Debatte nicht abschweift. Ansonsten gibt es ja auch für die Teilnehmer die Möglichkeit, auf die Diskussion Einfluss zu nehmen.

Greifenstein: Dieses dran bleiben an den Sachfragen hat man im Sommerinterview von Thomas Walde mit Alexander Gauland beobachten können. Auch was da in anderen Gesprächsformen möglich ist. Stattdessen gehen viele Veranstalter davon aus, es müsse unbedingt ein Podium geben, das dann auch noch immer ausgeglichen besetzt werden muss. Als ob die Wahrheit immer in der Mitte liegt! Das sorgt ja dafür, dass immer die Extrempositionen eingeladen werden.

Ich habe das dringende Gefühl, wir bräuchten andere Formate als das der Talkrunde. Orte, an denen wir nicht immer das Gegeneinander von Extremen haben, sondern wo sachlich etwas geklärt werden kann. Meine Vermutung ist, dass das in einem Gespräch zwischen zwei Personen oder in einer Auseinandersetzung mit Wissenschaftlern besser gelingt, als wenn man die politischen Akteure aufeinanderhetzt.

Arnold: In der Akademiearbeit wünsche ich mir viel mehr Menschen, die nicht mit Parteiplattitüden kommen, sondern die bereit sind zu denken, sich hinterfragen zu lassen. Uns nützt ja kein Dialog, in dem einfach platte Parteimeinungen hin und her geworfen werden. Häufig kennt man die ja auch schon, dann werden sie noch einmal breit getragen. Wir brauchen Menschen, die bereit sind in einen Streit einzutreten, mit Argumenten aufeinander zuzugehen und am Ende auch die Bereitschaft zum Kompromiss auf Grundlage unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das können Politiker leisten, aber ich wäre vorsichtig, dass auf Politiker zu begrenzen.

Greifenstein: Christina Aus der Au hat in ihrer Verteidigung des Doppelbeschlusses darauf hingewiesen, dass es auf dem nächsten Kirchentag – wie immer – eine große Vielfalt von Positionen zu allen möglichen politischen Fragen geben wird, auch ohne dass AfD-Politiker dabei sind. Da spiegelt sich das ja wieder: Politische Äußerungen von anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren, von denen ich den Eindruck habe, dass sie sonst untergehen, weil die Debatte parteipolitisch dominiert ist.

Was die AfD angeht, habe ich manchmal das Gefühl, es gibt bei Veranstaltern auch so etwas wie die „Faszination des Bösen“. Statt die Positionen zu recherchieren, sich vielleicht auch einmal anzuschauen, was die AfD in den unterschiedlichen Parlamenten an Anträgen einbringt, wird einfach der nächste AfD-Politiker eingeladen und seine Äußerungen werden ohne Wertung weitergereicht.

Arnold: Ich sehe da erst einmal eine Faszination des Einfachen und der Schnelligkeit. Das hat viel mit dem Druck zu tun, dem sich Medien aussetzen müssen. Das sind also Marktmechanismen, dass der Skandal, die einfache Botschaft und der Krawall ziehen.

Greifenstein: Ist es dann wieder einmal den Konsument_innen vorbehalten, das Gute vom Bösen zu scheiden?

Arnold: Nein, es braucht erst einmal vernünftige Journalisten. Es gibt ja einen Pressekodex und einen medienethischen Horizont, an den man sich auch einfach halten kann. Journalisten sind ja auch Teil der Gesellschaft, man darf nicht alles einfach bei den Politikern abkippen. Journalisten tragen viel Macht und tragen Verantwortung für diese Gesellschaft.

Diskursverschiebung nach Rechts?

Greifenstein: Ich finde es erstaunlich, wie sehr wir uns von der Propaganda der AfD treiben lassen. Die überdeutliche Mehrheit der Menschen in diesem Land lehnt die AfD ab. Wann geht es eigentlich um deren Anliegen? Wie navigieren wir die gesellschaftliche Aufmerksamkeitsökonomie? Ist das nur Aufgabe der Journalisten?

Arnold: Nein, die haben wir in den Akademien durchaus auch. Ich sehe unsere Aufgabe darin, noch einmal eine Ebene tiefer zu schauen. Natürlich bewegt viele Sachsen das Thema Migration. Das Thema steht als Chiffre aber für viele weitere Fragen, die sich zu diskutieren lohnen. Zwei Fragen sehe ich da im Besonderen: Wo habe ich unter den Bedingungen von Globalisierung, Mobilisierung, Digitalisierung eine Heimat? Und, was hält unsere Gesellschaft zusammen, was eint sie?

Greifenstein: Das sind beides sehr spannende Fragen, aber ich habe das Gefühl, wir lassen uns da längst auf eine Debatte ein, die von rechten Begriffen dominiert wird: Heimat zum Beispiel. Da sprechen jetzt auch Grüne und Nationallinke wie Sahra Wagenknecht drüber. Schon die Aufnahme dieser Debatte ist eine Diskursverschiebung, wir arbeiten uns wie wahnsinnig an den Begriffen der Rechten ab.

Arnold: Na ja, Heimat ist nicht rechtsextrem, aber natürlich konservativ. Und ein konservatives Spektrum in der Gesellschaft ist nicht per se schlecht. Natürlich haben zunächst konservative Parteien das Thema Heimat besetzt, aber ich glaube nicht, dass es eine Verschiebung ist, wenn jetzt auch Parteien links der Mitte merken, dass das ein Thema ist, das Menschen bewegt. Dahinter steht für mich der Versuch, den Begriff Heimat aus ihrer Perspektive neu zu definieren. Das sehe ich aber wirklich nicht als Beweis für eine Diskursverschiebung nach Rechts.

Greifenstein: Würden Sie heute in die Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen einen AfD-Politiker einladen, der schon mit provokanten Äußerungen dokumentiert ist? Würden Sie Herrn Gauland noch einladen?

Arnold: Das ist für mich gar nicht die Frage, mich leiten drei Fragen: Was ist ein Thema, das uns angeht? Wie kann ich das an einem Abend mit hoher Qualität aufarbeiten? Die dritte Frage ist dann: Wen lade ich ein, nicht nur um die christliche Perspektive einzubringen, sondern eventuell auch eine Perspektive, von der 30-40 % der Leute sagen, dass sie die gut finden? Wenn eine so große Zahl von Menschen sagt, das finde ich gut, dann würde ich auch eine Person einladen, die für diese Positionen steht, solange auch jemand dabei ist, der aus christlicher Perspektive argumentiert. Dann können die Leute am Ende des Abends selbst entscheiden.

Mir kommt es zuerst auf das Thema an und dann gibt es für mich auch eine rote Linie: Wer den Boden des Grundgesetztes verlässt und versucht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuschaffen oder die gleiche Würde jedes Menschen leugnet und explizit in Frage stellt, der kommt nicht mehr in Frage.