Scheiblesweis – Die #LaTdH vom 24. März
Prophet*innen marschieren auf der Straße, während in Württemberg (Kirchen-)Geschichte geschrieben wird. Außerdem: Zwingli, 1 Berufungs-App & eine Partei, die Gott nicht liebt.
Die Debatten der Zeit werden auf der Straße ausgetragen: Über 100 000 Menschen protestieren allein in Deutschland in ihrer samstäglichen Freizeit unbezahlt gegen eine verkorkste Urheberrechtsreform. In London gehen 1 000 000 Menschen gegen den Brexit auf die Straße und jeden Freitag demonstrieren Jugendliche auf der ganzen Welt für ihre Zukunft und gegen eine verbohrte Klimapolitik.
In der Kirche geschieht Veränderung demgegenüber weniger lautstark – und leider auch zaghafter und in vermindertem Tempo. Die Debatte führt nach Württemberg:
Debatte
Synode beschließt Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare (elk-wue.de)
Die Synode der Evangelischen Kirche in Württemberg (ELKWUE) hat einen Weg für Segnungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in öffentlichen Gottesdiensten gefunden. Die Regelung sieht nun folgendermaßen aus: Wenn 3/4 der Gemeindepfarrer*innen und des Kirchengemeinderates zustimmen, dann kann eine Gemeinde die Segnung in ihre örtliche Gottesdienstordnung aufnehmen. Zuvor soll sich die Gemeinde eingehend mit dem Thema befassen. Nun, immerhin das haben die meisten Kirchgemeinden der ELKWUE schon hinter sich.
Ist durch … pic.twitter.com/NXEFObSENb
— Norbert R Lurz (@Norbert_Lurz) March 23, 2019
Drei Punkte des Beschlusses verdienen Aufmerksamkeit:
Der Weg zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ist nur für ein Viertel der Gemeinden frei. Wie Ernst Wilhelm-Gohl für den Theologischen Ausschuss auf der Synode erklärte, ist eine Begrenzung allein aus rechtlichen Gründen nötig, weil die Synode im Herbst 2017 eine Änderung der Agende und damit die Einführung für die ganze Landeskirche abgelehnt hatte (damals fehlten zwei Stimmen für die erforderliche 2/3-Mehrheit). Ohne diese Regelung hätte es auf der Synode auch diesmal nicht die erforderliche 2/3-Mehrheit gegeben. Am Ende stimmten 65 von 90 Synodalen zu.
Deshalb können solche öffentlichen Segnungsgottesdienste nicht in allen Gemeinden gefeiert werden, sondern aus rechtlichen Gründen ist eine Begrenzung nötig. Sollte die nächste Landessynode eine Agende für solche öffentlichen Segnungsgottesdienste erstellen, ist selbstverständlich die Begrenzung auf 25% hinfällig.
Durchaus kontrovers wurde im Vorlauf der Synode über die sehr hohen Quoren gestritten, die das neue Gesetz den Gemeinden auferlegt. Ziel ist es hier, möglichst Einmütigkeit herzustellen. Faktisch bedeutet das Quorum, dass sich Gemeinden in der ELKWUE noch stärker nach Frömmigkeit segregieren könnten. Ohnehin wird es in der Landeskirche nun affirming und eben un-affirming Gemeinden geben. Klingt komisch? Mit diesen Begriffen wird in den USA beschrieben, ob eine Gemeinde/Kirche gleichgeschlechtliche Partnerschaften und LGBTQ allgemein akzeptiert oder nicht. Vorschläge für gelungene Übertragungen ins Deutsche werden gerne entgegennommen.
Erstmals in der Evangelischen Kirche in Deutschland sind auch Personen einbezogen, die weder dem einen noch anderen Geschlecht zugeordnet werden können. Hier hat sich das Warten ausnahmsweise mal gelohnt: Da die meisten evangelischen Landeskirchen sich der Segnung bzw. Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren schon früher geöffnet haben, sind die Württemberger*innen nun die ersten die auch diese neue gesetzliche Realität in Deutschland in Kirchengesetzgebung umsetzen.
Bibel und Bekenntnis
Die Präambel des neuen Kirchengesetzes verweist auf die unterschiedlichen Auslegungen einschlägiger Bibelstellen zu homosexuellen Praktiken, die innerhalb der Landeskirche vertreten werden:
Die Auslegung von Schriftstellen im Alten Testament (Lev 18,22; 20,13) und im Neuen Testament (Röm 1,24-27), die sich auf gleichgeschlechtliche Liebe beziehen, ist uneinheitlich. Über die Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Begleitung zweier Menschen gleichen Geschlechts durch die Kirche anlässlich der bürgerlichen Eheschließung besteht Streit, ohne dass dieser die Einheit der Kirche in Christus in Frage stellt.
Die Unterschiede im Schrift- und Eheverständnis (das berührt die reformatorischen Bekentnisse) sollen nicht kirchenspaltend wirkend. Wenn das mal kein frommer Wunsch ist angesichts der Abwanderung progressiver Menschen in die Nicht-Mitgliedschaft? Mehr als dieses theologische agree to disagree war auch nach jahrelangen Diskussionen nicht drin.
— Martin M. Penzoldt (@wotanweiche) March 22, 2019
Oda Wischmeyers Hinweis auf die „Liebesordnung“ hat einen nice touch, trotzdem ist die Deutung der Schriftstellen zur Homosexualität zurecht umstritten, wie Kollege Melzer in diesem uralten Text mit Bezug auf den Brief an die Gemeinde in Rom klarstellt. Es dreht sich am Ende ums Schriftverständnis (noch mehr zu Bibel und Homosexualität hier). Das ist keine Neuigkeit, das bleibt bedrückend. Ohne theologische Einigung mag die äußerliche Einheit der Kirche fortbestehen, echten Fortschritt gibt es so nicht.
Wir können alles, außer …
Die Begeisterung über den Synodenbeschluss hält sich aufseiten der Befürworter*innen der Segnung und Trauuung von gleichgeschlechtlichen Paaren in Grenzen. Allzu bewusst ist man sich der Einschränkungen, die man zugunsten der Zustimmung einer breiten Mehrheit der Synodalen in Kauf nehmen musste. Die Synodalen der ELKWUE werden übrigens direkt von den Kirchenmitgliedern gewählt, noch so eine württembergische Besondersheit. Die nächste Wahl ist am 1. Dezember.
Aber auch die Vertreter*innen einer grundsätzlichen Ablehnung werden sich des 22. März 2019 nicht als eines Feiertages erinnern. Aufzuhalten ist die Entwicklung nämlich nicht. Völlig unerheblich ist dafür übrigens, ob man den Kampf für die Gleichstellung von LGBTQ für eine Erscheinung des „Zeitgeistes“ hält oder für eine Forderung des Evangeliums, die an die Kirchen unserer Zeit erwächst.
Im Blick auf die Paare, die nun auch in Württemberg in der Kirchenöffentlichkeit den Segen erhalten können, kann hier stehen, was ich zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Trauung in der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) vor drei Jahren schrieb:
Das war noch nicht alles und der Kampf für die Gleichstellung aller Liebenden in Staat und Gesellschaft und Kirchen geht weiter. Manchmal mag sich dieser Kampf wie eine Sisyphosaufgabe anfühlen. Jetzt können wir einmal an- und innehalten und uns ins Tal hinabwenden – wie weit sind wir schon gekommen? Gott sei Dank.
nachgefasst
Eichmann, Breivik, Spencer und der Terrorangriff von Christchurch – Der Ethnonationalismus als Verbindung aus Antisemitismus und Rassismus – Michael Blume (Natur des Glaubens)
Der baden-würrtembergische Landesbeauftragte gegen Antisemitismus reist viel durchs Land, hält Vorträge, gibt Interviews, ist Festredner und Diskussionsteilnehmer. Außerdem schreibt er weiter regelmäßig seinen Blog und Bücher. Michael Blume (@BlumeEvolution) ist ein Mensch des öffentlichen Lebens und oft und regelmäßig Hassrede und Trolling ausgesetzt.
In der Woche des Anschlags in Christchurch ist er viel unterwegs, schreibt seinen Blog aus dem Zug, als die Nachrichten aus Neuseeland eintickern. Blume zieht Verbindungen zu seinem neuesten Buch. Es sind nicht nur Terroristen, die aus antisemitischen oder antiislamischen Gründen rassistische Taten begehen. Im Kern handelt sich um Ethnonationalismus, der auch in kleinen trollenden Kommentaren zu finden ist:
Ich fühle mit den Opfern – und fühle zugleich die Bestätigung einer furchtbaren Ahnung. Denn im Buch hatte ich auch die Beobachtung formuliert, dass der #Ethnonationalismus zur bestimmenden Form des digitalen #Antisemitismus aufsteigt.
Mit dem Begriff „Ethnonationalismus“ ist die schon alte, nationalistisch-rassistische Auffassung gemeint, wonach jedes Volk und jede Religionsgemeinschaft nur im „eigenen“ Gebiet leben dürfe und sowohl kulturelle wie auch biologische Verbindungen (als “Multikulturalismus” bzw. „Rassenschande“) zu unterbinden seien.
Das Ende des Schweigens – Georg Hönigsberger (addendum.org)
Addendum ist ein Medium, das den Anspruch hat, Lücken zu schließen, um in wichtigen Debatten auf Fakten zugreifen zu können und nicht nur auf Mutmaßungen. Wöchentlich wird ein neues Projekt veröffentlicht, das investigativ aufgearbeitet wurde, mit Videos und Interviews von Betroffenen. Addendum (@daswasfehlt) erhebt den Anspruch mit den Menschen zu reden anstatt über sie. Das haben sie jetzt auch im Fall des Missbrauchs in der Kirche getan. Nicht nur der hier verlinkte Artikel ist lesenswert, das ganze Projekt ist es.
Betroffene üben auch scharfe Kritik an dem Umgang der Kirche mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Die katholische Kirche arbeitet die Fälle von sexuellem Missbrauch, psychischer und physischer Gewalt in ihren Reihen fast ausschließlich intern auf. Durch das jahrzehntelange Verschweigen und Versetzen von Gewalttätern – das gestand Kardinal Christoph Schönborn ein – sorgte die katholische Kirche in den meisten Fällen zudem dafür, dass die Täter gerichtlich nicht mehr belangt werden können.
Buntes
OMG! Berufung per App!? – Simone Birkel (feinschwarz.net)
Die katholische Kirche hat die App „Vocaris“ veröffentlicht, ein Angebot für junge Menschen auf der Suche danach, was aus ihnen werden könnte. Simone Birkel, Lehrkraft für Jugend- und Schulpastoral an der kath. Universität Eichstätt testet die App mit ihren Studenten und schreibt hier ihr Review nieder. Und Ja, die App hat eine Anwendung zum Finden der Berufung.
Wer sich auf den Prozess „Finde deine Berufung“ einlassen bzw. dieses Versprechen einlösen will, sieht sich zunächst mit einer Vielzahl von Fragen konfrontiert. Aus den Bereichen Bedienen; Verwalten, Gegenstände bearbeiten und Dekorieren sind je 24 Fragen zu beantworten. Wenn sich junge Menschen durch 96 Fragen klicken müssen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, wird das auf Dauer eintönig und einseitig.
Der Zwingli-Versteher aus Nordamerika – Delf Bucher (reformiert.info)
Wir befinden uns übrigens im Jahr eines Reformationsjubiläums, und zwar der Zürcher Reformation. Im Rahmen dessen gibt es – wie schon 2017 auf lutherischer Seite – viele Veröffentlichungen. Die werden bei uns nicht so intensiv in den Medien besprochen, wie wir das beim Jubiläum 2017 erlebt haben. Wenn das Jubiläum uns als Nachbarn der Schweiz schon nicht unmittelbar vor Augen steht, verwundert es nicht, dass in Nordamerika Zwingli kein allgegenwärtig bekannter Name ist. Sein Name ist ja auch nicht gerade schmiegsam für die englischsprachige Zunge: Huldrych.
Weil das aber auch an Universitäten der Fall ist, hat sich ein Historiker der Universität Yale zum Zwingli-Versteher gemacht, Zwingli sei doch der faszinierendste unter den Reformatoren. Delf Bucher (@delfbucher) nimmt uns mit auf einen Spaziergang mit dem Historiker Bruce Gordon durch Zürich.
Schon hebt Gordon seinen wissenschaftlichen Spazierstock, zeigt auf das „Haus zur Sul“, Zwinglis Wohnstätte von 1519 bis 1525. Unser ganz eigener Zwingli-Film beginnt. „Da hat Zwingli oft bis in die Nacht hinein bei einem Funzellicht gesessen und Briefe geschrieben.“ In seinen Briefen werde Zwingli als Person greifbar. In seinen Predigten dagegen zeige er sich als Polemiker und Prophet zugleich, der mit zuweilen ätzenden Worten sein Publikum gewinnt und andere wiederum abstösst. „Die einen liebten ihn, die andere hassten ihn“, sagt Gordon.
Ist die CDU noch christlich? – Matthias Albrecht (Kreuz & Queer, evangelisch.de)
Noch immer nicht vergessen (bleibt hoffentlich auch so) sind die Worte Annegret Kramp-Karrenbauers zu Fasching, welche sie bis heute als Witz bezeichnet und das Thema für abgeschlossen hält. Und Tilman Kuban, neuer Bundesvorsitzender der Jungen Union, schlägt noch einmal in die selbe Kerbe.
Beide kritisieren die rechtliche Anerkennung eines dritten Geschlechts. Dabei geht es eben nicht nur um Toiletten, sondern z.B. schon um eine korrekte Geburtsurkunde. Über Jahrhunderte hinweg mussten sich Eltern entscheiden, ob ihr Kind, das mit zwei Geschlechtsteilen auf die Welt gekommen war oder anderweitig nicht klar als männlich oder weiblich eingestuft werden konnte, als Mädchen oder Junge gelten sollte. In vielen Fällen wurde dann sogar das andere Geschlechtsteil operativ entfernt. Kinder wurden regelmäßig im Unklaren gelassen, zweifelten dann spätestens in der Pubertät an sich, weil sie sich „nicht richtig“ fühlten.
Und genau da liegt der Punkt, den Matthias Albrecht setzen will. „Nicht richtig“ gibt es nicht, vor Gott sind alle richtig, denn Gott hat jeden Menschen so geschaffen wie er ist und wer einen solchen Menschen nicht lieben kann, liebt Gott nicht, wie Albrecht anhand des Liedes von Christian Fürchtegott Gellert darlegt.
Nicht umsonst rufen die Mitglieder der Bundesregierung in ihrem Amtseid (so sie diese Option wählen) Gott an, dass er ihnen dabei helfe, ihre Kraft zum Wohle des Volkes einzusetzen, dessen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. […] Und das bedeutet zuallererst, die die zu den Schwächsten in der Gesellschaft gehören zu schützen. Wenn intersexuell begabte Menschen sagen, dass sie darunter leiden, dass sie nicht dieselben universellen Rechte haben, wie alle anderen, dann sind christliche Politiker_innen dazu verpflichtet dieses Leid ernst zu nehmen.
Predigt
Jeremia for Future – Wibke Klomp (Göttinger Predigten)
Jeremia zu Okuli: Das Los des Propheten ist, zu erkennen wie stark das Wort Gottes in einem ist, auch wenn man sich wiederholt Spott und Hohn ausgesetzt sieht. Wibke Klomp geht speziell auf die Rolle eines Propheten ein und sucht nach eine*r solchen in der heutigen Zeit, die aufsteht und fest für seine Sache einsteht, auch wenn sie Spott und Hohn und Kritik ausgesetzt ist. Sie findet sie in Greta Thunberg. Eine Predigt, die den Schule schwänzenden Schüler*innen Mut macht.
Es ist eine Bewegung, die wächst. Bei uns in der Region gingen allein 2500 Jugendliche in Heidelberg auf die Straße. Sie „schwänzen“ den Schulunterricht, um zu verdeutlichen, dass der Klimaschutz ihnen nicht egal ist. Alles hat damit begonnen, dass sich die junge Schwedin Greta Thunberg am 20. August vergangenen Jahres mit einem Schild vor das schwedische Parlament gesetzt hat. „Schulstreik für Klimaschutz.“ Sie fordert, dass die Ergebnisse der Wissenschaftler ernstgenommen werden.
Ein guter Satz
"Tweet others as you wish to be tweeted." pic.twitter.com/Vq8WDOJM7T
— Ethics in Bricks (@EthicsInBricks) February 8, 2019
(Die Debatte dieser Woche hat Philipp Greifenstein kommentiert. Die restlichen #LaTdH Eva-Katharina Well zusammengetragen und eingeordnet.)